Launch am 24. Oktober 1994
Mit großer Freude erinnere ich mich an den bewegenden Moment im damals noch halbfertigen und deshalb mit vielen langen Vorhängen dekorierten Dresdner Residenzschloss, als Annett Cellar am 24. Oktober 1994 gegen Mittag mit elegantem Schwung die Repräsentantinnen der ersten Neuzeit-Uhrenkollektion von A. Lange & Söhne enthüllte. Danach präsentierten sich Günter Blümlein, Walter Lange und Hartmut Knothe neben den tickenden Newcomern, zu denen auch die Lange 1 gehörte.
Im Gegensatz zur Arkade, Saxonia und zum Tourbillon „Pour Le Mérite“ ist die Lange 1 Armbanduhr während der anschließenden 30 Jahre niemals aus der Kollektion verschwunden. Ganz im Gegenteil: Die Bedeutung dieser Ikone nahm ständig zu, denn sie verkörpert die gestalterischen und uhrmacherischen Werte der 1990 wiederbelebten Traditionsmanufaktur in besonders augenfälliger Weise. Daher ein Blick zurück in die Entstehungsgeschichte.
Prototyp zu Weihnachten 1992
Im Rahmen des 1992-er Weihnachtsdinners der Lange Uhren GmbH in der Glashütter Gaststätte zum Goldenen Glas hatte Kurt Kerber den ersten Prototypen noch zu später Stunde vorgestellt. Bis 21 Uhr hatte der passionierte österreichische Uhrmacher alles gegeben, um dem ersten neuzeitlichen Zeit-Produkt Gestalt zu verleihen. Um für den neuen Stern am alten Uhrenhimmel arbeiten zu können, war der im Oktober 1993 überraschend Verstorbene von Kufstein, wo er sein Fachgeschäft aufgegeben hatte, ins sächsische Müglitztal umgezogen. Logischerweise zeigten sich die Anwesenden tief beeindruckt, denn mit ihrem asymmetrisch gestalteten Zifferblatt war die Lange 1 schlichtweg ganz anders als das, was sie an klassischen Luxus-Armbanduhren kannten.
Training in Schaffhausen
Ende 1992 hatten die ersten Mitarbeitenden von A. Lange & Söhne ihr Praktikum bei der Konzernschwester IWC bereits hinter sich. Und eine weitere Gruppe ließ sich in Schaffhausen auf die künftige Tätigkeit vorbereiten. Entsprechende Stellenausschreibungen bezogen sich auf Konstrukteure, Prototypenbauer, Montageleiter und natürlich ausgebildete Uhrmacher. Im Schaffhauser Lehrbetrieb hatten die sächsischen Gäste, welche einige Berufserfahrung vorweisen konnten, dennoch den Status von Exoten.
Der Umgang mit moderner Konstruktions- und Fertigungsmaschinerie war ihnen ebenso neu wie handwerklich geprägtes Schaffen auf hohem Qualitätsniveau. Die Neue Zürcher Zeitung (NZZ) widmete den ostdeutschen Gästen sogar eine ganze Seite. Dort stand unter anderem folgender Satz: „Die schon leicht gesetzten Gesichter sind eigentlich etwas reif für eine Lehrlingswerkstatt, und das weich modulierte Idiom mit den eingebauten Quetschlauten hebt sich deutlich ab vom Schaffhauser Deutsch der Umgebung.“
Aber der Aufwand lohnte sich. Los ging es stets mit der De- und Remontage eines Standard-Uhrwerks von Eta. Dabei nutzten die Auszubildenden zum Teil auch Werkzeuge, welche sie in Glashütte noch nie gesehen hatten. Völlig ungewohnt war die Tatsache, dass Qualität vor der in der ehemaligen DDR zur Normerfüllung produzierten Quantität ging.
Zeit-gemäßes Denken und Handeln
Aber im Laufe der Zeit hielt das neue Bewusstsein und Denken Einzug in die Köpfe. Die Sachsen lernten schnell, was bei der Lange Uhren GmbH an neuen Herausforderungen auf sie zukam und welcher Wind in den künftigen Ateliers wehen würde. Im Frühjahr hatte die junge Firma bereits drei Millionen DM investiert, aber die Beschäftigten arbeiteten immer noch in einer angemieteten Etage des ehemaligen Strasser & Rohde-Gebäudes.
Der Kauf erfolgte im Juni 1992 und damit hatte Lange in Glashütte wieder eine eigene Bleibe. Dort standen auch neue PCs mit 386-er Prozessoren von Intel und riesigen Festplatten, die ein Speichervolumen von gerade einmal 40 MB besaßen. Mit von der Partie war auch ein angemietetes Fertigungszentrum aus dem Hause Kern.
Nach der Rückkehr aus Schaffhausen hieß es üben, um sich auf die Zukunft mit eigenen Kalibern vorzubereiten. Zugekaufte Uhrwerke entsprachen nicht dem, was Günter Blümlein und Walter Lange vorschwebte. Der erste Auftrag umfasste die Lieferung von Platinen für IWC. Im frühen zweiten Halbjahr folgte die Räderwerksbrücke für das Handaufzugskaliber L901.0, welches die 1994 vorzustellende Lange 1 beseelen sollte. Und danach ging es Schritt für Schritt in Richtung eigene Uhrenmanufaktur.
Zuerst die künftigen Konzessionäre
Aus Prototypen entstand im Laufe der Monate das, was die elf angesehensten Juweliere aus Deutschland, Österreich und der Schweiz am 20. Oktober 1994 in jeder Hinsicht begeisterte. Schon vier Tage vor den Journalisten bekamen Becker, Beyer, Blome, Huber, Hübner, Kröner, Kutter, Lorenz, Oeding-Erdel, Türler und Wempe das Neuheiten-Quartett zu sehen. Am 23. August 1994 war die erste Reglage an einem Serien-L901.0 für die Lange 1 über die Bühne gegangen. Genau vier Wochen später konnte das Lager den Eingang des ersten Handaufzugswerks dieses Kalibers verbuchen. Bereits Ende September 1994 verzeichneten die Chroniken erste verkaufsfähige Lange-1-Armbanduhren.
Vor der Händler-Präsentation am 19. Oktober hatte Walter Lange zweifelnde Fragen geäußert, die Uhren könnten auf Ungnade stoßen. Aber es kam ganz anders:
Die erste Lange-Kollektion der Neuzeit wurde mit Applaus aufgenommen – einige Konzessionäre hatten sogar Tränen der Rührung im Auge. Und was ich so noch nie erlebt habe und wahrscheinlich auch nie wieder erleben werde: Sie haben offen voreinander die einzelnen Modelle bestellt, was doch sonst jeder heimlich für sich macht, um ja nicht dem Wettbewerber zu zeigen, was man einkauft. Und als am Ende die Stückzahl nicht für alle ausreichte – wir haben ja in diesem Jahr insgesamt nur 123 Uhren gebaut, darunter nur sieben Tourbillons – haben wir die letzten Uhren sogar verlosen müssen
Sofort im Anschluss an die Produktvorstellung der Lange 1 erfolgte der Versand der von den ersten Lange-Konzessionären bestellten Uhren. Auf diese Weise konnten sie die Uhren schon am 25. Oktober 1994 parallel zum Erscheinen der ersten Zeitungsinserate und Presse-Publikationen in ihren Geschäften anbieten.
Mit Sicherheit sind die neuen Lange nicht die Kopien einer Legende. Das Großdatum bei der Lange 1 ist eine echte funktionale Innovation, eine mechanische Sensation. Wir wollten schöne Uhrmacherei, sicher, auch perfekt gemacht, aber mit sinnvollen Innovationen. Design allein kam zur Differenzierung nicht in Frage. Die Lange-Uhren mussten klassisch und zurückhaltend sein, nichts Aufgesetztes, schlicht und nützlich, sehr deutsch im Grunde genommen.
Bei der Frage, was eine Uhr denn Nützliches brauchen kann und was gleichzeitig neu ist, sind wir auf das Datum gestoßen, das oft ein Ärgernis ist. Entweder man macht eine Lupe drauf, das mag nicht jeder, oder man setzt jedes Mal die Brille auf, um das Datum abzulesen. Mit unserem mechanischen Großdatum tritt jetzt eine uhrmacherische Raffinesse nach außen, die übrigens mit ihrer Mechanik so komplex ist, wie ein Ewiger Kalender. Gleichzeitig haben wir damit aber bei unseren Lange-Uhren auch einen hohen Wiedererkennungswert erreicht.
Prominenz und Presse
Als die Journalisten und andere hochrangige Gäste am 24. Oktober 1994 nach Dresden kamen, konnten CEO Günter Blümlein und Walter Lange völlig entspannt auftreten. Sie wussten, einen guten Job gemacht zu haben. Und das zeigte sich im Dresdner Residenzschloss, wo auch der Münchner Fachhändler Martin Huber zu Wort kam. Erste Gedanken, das Event im Schlossturm durchzuführen, waren wegen der vielen Stufen verworfen worden. Dort nämlich hatte sich die Wohnung des Hofuhrmachers und Schlosstürmers Johann Christian Friedrich Gutkaes befunden. Und das war kein Geringerer als der Lehrmeister und Schwiegervater von Ferdinand Adolph Lange gewesen.
Als Joachim Funk, Vorstandsvorsitzender der Mannesmann AG, Ministerpräsident Kurt Biedenkopf, weitere Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und Journalisten die Neuheiten zu sehen bekamen, ließ sich vom Großdatum der Lange 1 die Zahl 25 ablesen. Selbige bezog sich auf den Folgetag. Da startete in großen Tageszeitungen eine eindrucksvolle Werbekampagne. Selbstverständlich sollten die abgebildeten Uhren in diesem Zusammenhang auch das richtige Datum zeigen.
Als Überschrift stand auf den Seiten zu lesen: „25. Oktober 1994. Die Wirtschaft im Osten Deutschlands beginnt plötzlich ganz anders zu ticken: A. Lange & Söhne kehrt zurück – die Legende ist wieder Uhr geworden.“
Anschließend ging es Schlag auf Schlag. Schon 1995 wurde die Lange 1 in Deutschland zur Uhr des Jahres gekürt. Gleiches widerfuhr dieser Armbanduhr 1996 bei den Lesern der italienischen Fachzeitschrift L’Orologio, beim japanischen Tokeizukan Watch Award sowie bei der Leserwahl der Wiener Tageszeitung Presse. Nahezu unzählige weitere Ehrungen dieser Art folgten.
Details zur und alle Referenzen der Lange 1 ohne Zusatzfunktionen samt dem Datum der Produkteinführung folgen demnächst im zweiten Teil dieser Betrachtungen. Dann stellt der Uhrenkosmos auch die vier Lange 1 zum 30. Modelljubiläum näher vor.
Lieber Gisbert,
danke für den tollen Artikel über die „Wiederaufstehung“ der Fa. Lange & Söhne in Glashütte und die einzigartige 30-jährige Reise der „Lange 1“!
Gerne erinnere ich mich dabei an eine 2 Tages-Reise nach Dresden und Glashütte mit Martin Huber und Ashley Pace im Juli 1997.
Nach einem Besuch des Mathematisch-Physikalischen Salons im Zwinger und einer Nacht incl. Abendessen mit Herrn Felmy im Taschenberg-Palais gings am nächsten Morgen auf holprigem Kopfsteinpflaster ins Müglitztal nach Glashütte zur Lange-Manufaktur, wo wir in kleiner Runde von den Herren Walter Lange und Harmut Knothe persönlich empfangen und an die Uhrmacherarbeitsplätze geführt wurden und uns Herr Jens Schneider die Kaliber erklärt hat, im Anschluss durften wir die Uhren (damals noch eine kleine Kollektion) ans Handgelenk legen – das sind emotionale Momente für Uhren-Aficionados, die man ein Leben lang nicht mehr vergisst…
Beste Grüsse und Gesundheit wünscht Dir Jürgen Trebin!