Erinnerung an Gérald Charles Genta
Die Uhrenmarke Gérald Charles gibt es seit 2000. In deutschsprachigen Raum konnten bislang allerdings nur wenige damit etwas anfangen. Und das hat gleich mehrere Gründe. Einer davon ist in ihrem Gründer zu suchen. Der heißt Gérald Charles Genta. Im Jahr 1996 hatte der begnadete Designer, dem die Uhrenwelt zum Beispiel Klassiker wie die Audemars Piguet Royal Oak, die IWC Ingenieur SL oder die Patek Philippe Nautilus verdankt, sein Unternehmen an Hour Glass verkauft.
Allerdings verstand und versteht sich die in Singapur beheimatete Gründerfamilie Tay mehr auf den Verkauf von Uhren als auf deren Produktion. Außerdem ist die Distanz zwischen Asien und der Schweiz, wo Gérald Genta seinen Geschäften streckenweisen mit bis zu 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nachging, sehr weit. So gesehen kam die Wiederveräußerung der Marke Gérald Genta im Jahr 2000 an das Haus Bulgari nicht von ungefähr. Irgendwie brach für Genta, der auch den Klassiker Bulgari Bulgari gestaltet hatte, damit eine Welt zusammen.
Im Gegensatz zu Hour Glass zeigten die neuen Eigentümer, welche bei diesem Deal auch die Uhrmacher-Marke Daniel Roth erworben hatten, wenig Interesse an neuem gestalterischem Input seitens Gérald Genta. Ihnen ging es mehr um die existenten Entwürfe zu seiner eigenen Marke und auch einen Teil der von Chefkonstrukteur Pierre-Michele Golay aufgebauten Kompetenz auf dem Gebiet mechanischer Komplikationen.
Man könnte sagen, dass Golay, der für Gérald Genta die legendäre Grande Sonnerie, Minutenrepetitionen sowie andere Komplikationen entwickelt hatte und danach im gleichen Metier für Franck Muller arbeitete, bei der Werkekonstruktion ebenso produktiv war wie Genta im Bereich des Designs.
Gérald Genta
Seiner persönlichen Meinung nach hatte Gérald Genta während rund 50 Jahren etwa 100.000 Entwürfe skizziert und gezeichnet. An manchen Tagen entstanden bis zu 30 davon. In den 1950-er und 1960-er Jahren verkaufte er sie eigeninitiativ an ganz unterschiedliche Marken für 15 Schweizerfranken das Stück. Einen ersten Durchbruch brachte die Polerouter Armbanduhr, welche Universal Genève an Piloten der Fluggesellschaft SAS lieferte. Die vielen weiteren Marken, darunter beispielsweise auch Bulgari, Corum, Omega oder Rolex lesen sich wie ein „Who’s who“ der Branche.
Eigenwilliger Charakter
1969 rief Genta seine eigene Firma ins Leben. Diese beschäftigte streckenweise bis zu 250 Menschen, fertigte in Le Brassus Uhren mit eigener Signatur oder unter anderem auch Pasha-Modelle für Cartier. Während sich der Maestro, wie ihn Freunde und Kollegen ehrfurchtsvoll nannten, um kreativen Input kümmerte, übernahm seine Frau Evelyne die geschäftlichen Dinge. Ganz zu Beginn einer langen Beziehung hatte er die spätere Gemahlin während eines Abendessens wegen des hässlichen Zifferblatts ihrer Audemars Piguet Armbanduhr düpiert. Und über dieses rüpelhafte Verhalten beschwerte sie sich später beim Veranstalter.
Wenn es um Designs anderer Marken ging, konnte Gérald Genta in der Tat rüde und abwertend sein. Er nahm kein Blatt vor den Mund und schreckte auch vor derben Äußerungen nicht zurück. Sein mitunter arrogantes Auftreten, welches auch auf die schwere Kindheit als Italienstämmiger in der Schweiz zurückzuführen ist, bekamen auch mein Freund Christian Pfeiffer-Belli und ich Anfang der 1980-er Jahre in Basel zu spüren. Höflich, aber bestimmt komplimentierte er zwei für ihn völlig unbedeutende Journalisten aus dem Stand.
Gérald Genta, der schnelle Ferraris, guten Wein, edle Zigarren und elegante Anzüge liebte, hielt es lieber mit mehr oder minder schillernden Potentaten. Inspirationen lieferten Architektur, Natur und die Welt um ihn herum. Erstaunlich wahr ist auch das: Uhren mochte Gerald Genta nach eigenem Bekunden nicht sonderlich.
Für mich sind Uhren die Antithese zur Freiheit. Ich bin ein Künstler, ein Maler, ich hasse es, mich an die Zwänge der Zeit zu halten. Das irritiert mich. Es ist etwas abwertend. Ich trage zwar nicht gerne Uhren, aber ich mag es sehr sie zu kreieren! Ich persönlich interessiere mich mehr für ein Paar hochwertige Schuhe, weil sie bequem sind, oder für ein elegantes Kleidungsstück, weil Eleganz Teil meiner Persönlichkeit ist.
Geburt und Genese von Gérald Charles
Damit kommen wir zurück zu Gérald Charles. Nach dem Verkauf der Marke Gérald Genta an Bulgari verschwand diese still und leise in einer Schublade. Dabei hatte sich der 65-jährige Design-Guru ihre konsequente Weiterentwicklung erhofft. Aber die neuen Eigentümer richteten ihr Augenmerk eher auf zurückliegende Entwürfe und die von seiner Firma entwickelten Komplikationen.
Als wohlhabender Mann malte Gérald Genta in Monte Carlo. Er schuf Designs, aber ihm fehlte der Bezug zur realen Uhrenszene. Enttäuscht vom unliebsamen Geschehen brauchte Genta, nun schon 69, in der vermeintlichen Endphase seiner Karriere einen Neustart.
Weil sein weltweit bekannter Name vergeben war, suchte er nach einer Alternative. Und die lautete in Anlehnung an seine beiden Vornamen eben Gérald Charles. Drei Jahre nach der Gründung im Jahr 2000 brauchte der Kreative dringend einen kommerziellen Sparringspartner. Hier nun gelangte die Familie Ziviani als neue Eigentümerin ins Boot.
Giampaolo Ziviani, fortan Generaldirektor, hatte schon ab 2000 mit Genta gearbeitet. Die neuen Eigentumsverhältnisse änderten jedoch nichts an der Ausrichtung. Bis zu Gentas Tod im Jahr 2011 prägte die schier unersättliche Kreativität das Unternehmen. Maßgeschneiderte Kreationen für anspruchsvolle Kunden trieben den „Meister der Prototypen“ bis zu seinem Ableben an. Und auch danach lebte Gérald Charles aus dem während elf Jahren geschaffenen Designarchiv.
Eine Zäsur brachte Giampaolos 22-jähriger Neffe Federico Ziviani. Im April 2018 startete der studierte Ingenieur als neuer CEO damit, eine neue Markenidentität zu schaffen. Seit 2023 agiert sein Vater Franco, ehemaliger CEO von Audemars Piguet Italia als beratender Präsident.
Maestro fürs Handgelenk
Dazu brauchte es ein Uhrendesign, das Gérald Genta einerseits weiterleben ließ, zum anderen aber auch in eine Zukunft ohne den Meister weist. Und dazu taugte der letzte Entwurf des Maestro ganz vorzüglich. So gesehen wundert es nicht, dass ihn Gerald Charles nach der Realisation auch tatsächlich Maestro taufte. Bei dieser Kreation, in der das von ihm geliebte Achteck zum Ausdruck kommt, hatte der Verstorbene die hochdekorative römische Barockarchitektur Francesco Borrominis auf sich wirken lassen. Zufällig teilte der berühmte Architekt des 17. Jahrhunderts mit Genta das italienisch-schweizerische Erbe.
Die Form basiert auf einem langgestreckten Achteck mit ungleichen Seiten. Seine Geometrie ist gleichermaßen eckig wie auch gekrümmt. Als signifikanteste Merkmale stechen der doppelstufige Glasrand sowie bei „6“ die nach unten geschwungene und damit ein sanftes Lächeln andeutende Lippe ins Auge.
Wir haben zwei Perioden in der Marke. Von 2000 bis 2011 war Giampaolo Geschäftsführer war und Gerald Genta der Chefdesigner. In dieser Zeit gab es eine eng begrenzte Produktion, sehr hochwertige und sehr unterschiedliche Stücke. Gérald Genta hatte natürlich eine Menge zu sagen. Es war wie ein Künstler, der herumwanderte und besondere Stücke im Auge hatte.
2011 nach Gentas Tod begann immer noch unter der Leitung von Giampaolo die zweite Periode. Wir haben weiterhin solche Objekte unter Verwendung seiner Skizzen mit unserem Uhrmacher hergestellt. Die dritte Periode begann mit meinem Eintritt im Jahr 2018. Ich sagte zu meinem Vater: Gerald Charles ist eine großartige Marke, die ich sehr mag. Ich würde sie gerne aus Leidenschaft entwickeln. Nicht für das Geschäft, sondern eher für die Passion.
Eine Herausforderung für Federico Ziviani und sein Team bestand darin, die gestalterisch komplexe Maestro-Schale wasserdicht zu bekommen. Das Unterfangen gelang. Bis zu zehn bar Druck bleibt das nasse Element außen vor. Keineswegs unerwähnt bleiben darf in diesem Zusammenhang Octavio Garcia. Bei Gérald Charles ist der mit den Zivianis befreundete Designer in die Fußstapfen von Gérald Genta getreten. Mit elf Jahren Erfahrung bei Audemars Piguet, davon fünf als Chief Artistic Officer, kann auch er eine bemerkenswerte Karriere vorweisen.
Noch kurz vor dem Tod lernte er Gérald Genta persönlich kennen, was die Arbeit an den gegenwärtigen und künftigen Projekten in den neuen Genfer Ateliers zweifellos erleichtert. Seit 2023 verkauft Juwelier Rüschenbeck die Gérald Charles-Uhren in Düsseldorf, Frankfurt, München und Münster. In Hamburg tut dies Juwelier Becker und auf Sylt Juwelier Spliedt.
Gérald Charles Maestro 9.0 Roman Tourbillon
Exklusiv bei Rüschenbeck in Frankfurt ging Mitte Juni 2024 die Markeinführung des Gérald Charles Maestro 9.0 Roman Tourbillon über die Bühne. Die Referenz GC9.0-A-RT-5N knüpft an die 2005 von Gérald Genta entwickelte Maestro-Kollektion. Die insgesamt 50 Exemplare bestechen durch ein manuell gehämmertes Zifferblatt aus massivem 18-karätigen Roségold.
Zifferblatt Gérald Charles Maestro 9.0 Roman Tourbillon
Somit ist jede dieser Armbanduhren infolge der sehr speziellen Textur ein Unikat. Die Einzigartigkeit sticht umso mehr ins Auge, als das Zifferblatt einen gewichtigen Teil zum Gesamteindruck dieser Armbanduhr beiträgt. Nicht minder augenfällig sind drei römische Zahlen und das kreisrunde Fenster, in dem sich der „fliegend“ gelagerte Drehgang zeigt. Es passt perfekt zur lachenden Unterlippe des 39 x 41 Millimeter messenden Edelstahl-Sichtbodengehäuses mit galvanisch gebläuter Titan-Grad-5-Lünette und Schraubkrone. Bis zu zehn bar reicht die Wasserdichte.
Bei der Entwicklung des Automatikkalibers GCA 3024/12 arbeitete GC mit dem Spezialisten Vaucher zusammen. Beim Ziehen der Krone stoppt der filigrane Titan-Käfig mit integriertem Sekundenzeiger, in dem die Unruh mit vier Hertz oszilliert.
Titan-Käfig mit integriertem Sekundenzeiger, in dem die Unruh mit vier Hertz oszilliert. Der kugelgelagerte und in einer Drehrichtung aufziehende Zentralrotor besteht ebenfalls aus 22-karätigem Roségold. Für eines dieser Uhrwerke braucht es 196 Komponenten. Mit Alligator-Lederband kostet dieses Erinnerungsstück an Gérald Genta unverbindliche 98.000 Euro. Mit inbegriffen ist, nach entsprechender Registrierung, eine fünfjährige Garantie für die Uhr.
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