Am Anfang dieser retrospektiven Betrachtungen zur neuen Audemars Piguet Royal Oak 16202ST muss ein Blick auf die Anfänge der Royal Oak vor 50 Jahren geworfen werden. Dabei muss insbesondere diese Frage erlaubt sein: Was wäre aus Audemars Piguet ohne einen Mann namens Georges Golay geworden?
Als der Vollblutkaufmann 1966 beim Familienunternehmen AP im Vallée de Joux anheuerte, stand es dort nicht unbedingt zum Besten. Die Firma kämpfte mit finanziellen Problemen und letztlich auch ums Überleben – und damit stand sie keineswegs alleine da. Nur durch das fortwährende Engagement der Eigentümerfamilien Audemars und Piguet konnte Schlimmeres verhindert werden.
Auf den neuen Generaldirektor, ein echter Spross des abgeschiedenen Joux-Tal als übrigens, warte jede Menge Arbeit. Aber er hatte eine Vision. Er wollte seine Heimatregion wieder zu dem entwickeln, was es einmal war – einem Mekka der Uhrmacherei. So sollte Le Brassus an das Goldene Zeitalter zu knüpfen.
Dass dem teilweise recht sturen, stets aber fairen und ungemein konsequenten Chef der Turnaround gelang, ist letzten Endes nicht zuletzt das Verdienst der Audemars Piguet Royal Oak. Sozusagen am Vorabend der Geburtsstunde des sportlich-eleganten Klassikers schlechthin produzierte Audemars Piguet jährlich rund 5.000 Uhren.
Längst hatte der Visionär im Cockpit die Probleme und Herausforderungen des heraufziehenden Quarz-Tsunami erkannt. Er wusste, dass es allein mit den in relativ großer Stückzahl hergestellten Schmuckuhren, den flachen Zeitmessern und einigen komplizierten Modellen schwer sein würde, der elektronischen Monsterwelle standzuhalten.
Unter diesen Vorzeichen kam ihm der Anruf von Carlo de Marchi, kurz vor der Basler Uhrenmesse des Jahres 1971, gar nicht so ungelegen. Italiener lieben Mode, bekam Georges Golay vom Repräsentanten des uhraffinen italienischen Marktes zu hören. Sie begeistern sich für Sportuhren mit zeitgemäßem Auftritt. Sie fragen nach Zeitmessern, welche für jedes Abenteuer zu haben sind. Sich hinter dem Steuer eines Sportwagens ebenso bewähren wie auf der Segelyacht, im stylischen Club, beim Galadiner und auch Konzert. Kurzum, man möchte einen neuartigen tickenden Tausendsassa. Gerne auch in einem robusten, stählernem Outfit.
Am Ende bringen die Anforderungen von Carlo de Marchi nach der sprichwörtlichen Quadratur des Kreises den erfahrenen Manager im Hochtal doch ein wenig aus der ihm eigenen Gelassenheit. Nachmittags um 16 Uhr greift er beherzt zum Hörer und wählt die ihm bekannte Nummer von Gérald Genta.
Gesprochen, verlangt, getan. Gerald Genta selbst ging aufgrund der den genannten Anforderungen sofort von einem wasserdichten Gehäuse aus. Logischerweise war es unmöglich, bis zur Eröffnung der Uhrenmesse eines Prototypen auf die Beine zu stellen, denn 3-D-Drucker lagen damals noch in weiter Ferne. Aber allein schon die Skizzen stießen in Basel auf eisehr positive Resonanz.
Danach blieb ein ganzes Jahr bis zum 15. April 1972. Am ersten Tag des Messeereignisses ging die neue Royal Oak am Rhein an den Start. Ausgeführt in Stahl, ausgestattet mit dem 3,05 mm flachen Automatikkaliber 2121, dessen Geschichte zurückreichte bis ins Jahr 1967. Näheres zur bahnbrechenden Kreation hatten wir im Uhrenkosmos bereits geschrieben.
Nach dem Start erlebte die wegen des für damalige Verhältnisse recht großen Gehäusedurchmessers von 39 mm salopp „Jumbo“ genannte Armbanduhr ein beständiges Auf und Ab. Im Audemars Piguet Generalkatalog von 1990 finden sich insgesamt 35 Royal Oak Referenzen. Nicht mehr dabei: die ultraflache Audemars Piguet Royal Oak Ur-Referenz ST 5402, später umgetauft in ST 15202.
Royal Oak 14802.944ST
Ein erstes Comeback brachte des Jubiläums-Jahr 1992 in Gestalt von 1.000 Exemplaren der Royal Oak ST 14802.944. Die Stahlversionen zum Preis von umgerechnet 7.300 Euro waren mit blauschwarzem oder lachsfarbenem Zifferblatt erhältlich. Für umgerechnet 14.700 Euro gab es eine Ausführung in Gelbgold. Im Gehäuseinneren tickte das altehrwürdige 2121, dessen Rohwerk weiterhin LeCoultre beisteuerte. Als Besonderheit präsentierte sich ein skelettierter, speziell gestalteter und gravierter Rotor.
Die durchbrochene Schwungmasse behielt Audemars Piguet auch ab 1995 bei, als das gründlich überarbeitete 2121 als echtes Manufakturwerk in der Referenz 15202 debütierte.
Pünktlich zum 50. Jubiläum der Royal Oak, den Audemars Piguet im Jahr 2022 unter der Ägide von François Bennahmias begeht, endet die Geschichte dieses 55 Jahre alten Uhrwerks. Etliche Merkmale, darunter das Drehgeräusch des Rotors und die gemächliche und deshalb hinsichtlich der Regulierung nicht ganz leicht handhabbare Unruhfrequenz von 2,75 Hertz sowie keineswegs üppige 45 Stunden Gangautonomie sind schlichtweg nicht mehr zeitgemäß.
Das Finale besagter 15202 hatte der CEO, dem Audemars Piguet den Sprung in die Welt der Umsatzmilliardäre verdankt, 2021 unmissverständlich angekündigt. Seitdem explodieren förmlich die Parallelmarkt-Preise für diese Royal Oak-Referenz.
Audemars Piguet Royal Oak 16202ST
Grund zu nachhaltiger Trauer besteht indessen nicht, denn das Bessere ist bekanntlich der erbitterte Feind des Guten. Pünktlich zum 50. Geburtstag des Ur-Modells lanciert Audemars Piguet das während fünf Jahren entwickelte Automatikkaliber 7121. Selbiges tickt im weiterhin 39 Millimeter messenden Gehäuse der neuen Referenz 16202. Und zwar mit nunmehr vier Hertz, was stündlich 28.800 Halbschwingungen entspricht. Bei 29,6 Millimetern Durchmesser baut das aus 268 sorgfältig feinbearbeiteten Komponenten assemblierte Manufaktur-Oeuvre lediglich 3,2 Millimeter hoch. Das sind zwar 0,15 Millimeter mehr, aber dem eleganten Erscheinungsbild der Jubilarin tut das keinen Abbruch. Weiterhin 8,1 Millimeter beträgt die Höhe der bis zu fünf bar wasserdichten Sichtbodenschale.
Die skelettierte und nur 2022 mit deutlichem Hinweis auf den 50. Geburtstag versehene Schwungmasse aus massivem 22-karätigen Gold spannt den unter einer Brücke angeordneten Energiespeicher in beiden Drehrichtungen. Die Polarisierung der Rotorbewegungen obliegt einem exklusiven Wechselgetriebe mit Klinkenrädern. Nach Vollaufzug stehen nun mindestens 55 Stunden Gangautonomie zur Verfügung. Von selbst mag sich verstehen, dass der Rotor ein belastbares Kugellager besitzt. Als Gangregler dient eine Unruh mit variabler Trägheit samt zugehöriger Flachspirale.
Echten Fortschritt gegenüber dem betagten 2121 verkörpert auch das patentierte, extraflach ausgeführte und energiesparend agierende Schaltwerk des Fensterdatums. Mit von der Partie ist eine Schnellschaltung per Krone.
Audemars Piguet betrachtet es als Ehrensache, das wahrhaft ikonische Petite Tapisserie-Zifferblatt beizubehalten. Ursprünglich lieferte es der renommierte Genfer Hersteller Stern Frères zu. Nach dem Erwerb der Maschinen fertigt Audemars Piguet das aufwändige Blatt, vor dem zwei Baignoire-Zeiger für Stunden und Minuten drehen, unter dem eigenen Dach. Ausdruck der Moderne ist das PVD-Verfahren, mit dem Audemars Piguet den charakteristischen Farbton Night Blue – Cloud 50 herbeiführt.
Früher entstand er durch verschiedene galvanische Bäder. Von Bedeutung für gleichmäßige Färbung war dabei nicht nur die Rezeptur, sondern auch die Dauer und die Temperatur des Vorgangs. Zu früh entnommen, wurde das Zifferblatt violett, zu langes Baden machte es schwarz. Schutz bot schließlich eine dünne, mit einigen Tropfen schwarzer Farbe der Nr. 50 ersetzte Lackschicht.
Der Begriff Nuage, zu Deutsch Wolke resultiert aus dem nebligen Effekt, welchen die schwarzen Farbtropfen im flüssigen Schutzlack verursachen. Nichts geändert hat sich am applizierte AP-Monogramm aus poliertem Gold. Seit Mitte der 1980-er Jahre findet sich am Zifferblatt schließlich die Herkunftsbezeichnung Swiss Made.
Audemars Piguet Royal Oak 16202ST
Summa summarum erweist sich das ikonografische Ensemble der Audemars Piguet Royal Oak Automatik Modelle, bei dessen Her- und Fertigstellung Handwerkskunst weiterhin groß geschrieben wird, als würdiger Nachfolger des über die Jahrzehnte hinweg produzierten Spektrums an verschiedenenRoyal Oak Modellen, wie etwas der Audemars Piguet Royal Oak Perpetual Calendar. Ausgestattet mit der neuen Zeit-Mechanik wird die klassische ultrafache Royal Oak während der kommenden 50 Jahre ihren Rang als Pionierin der sportlich-eleganten Luxus-Armbanduhr behalten. Schon 1972 haben Audemars Piguet und Gérald Genta eine Blaupause für das geliefert, was andere Marken heute auf diesem populären Gebiet offerieren. als demonstriert. Aber die Royal Oak wird immer das einzigartige Vorbild bleiben.
Conclusio
Wer nun Lust verspürt auf ein Exemplar der brandneuen Jumbo-Generation, sollte sich vertrauensvoll an einen der weltweit nur 120 Verkaufspunkte wenden. Dazu gehören neben Boutiquen auch die so genannten AP Houses zum Beispiel in München. Bei der Vorstellung am 25. Februar hat François Bennahmias wissen lassen, dass die Jubiläumsmodelle nicht nur an Stammkunden verkauft werden sollen. Der CEO möchte im Zuge des Geburtstags auch neue Klientel erschließen.
Nicht bekannt ist, wie viele der rund 50.000 für 2022 geplanten Armbanduhren der Audemars Piguet Royal Oak auf die Referenz 16202ST entfallen werden. Vielleicht sind es 1000, vielleicht auch ein wenig mehr. Reichen werden sie definitiv nicht, um die gigantische Nachfrage auch nur annähernd zu befriedigen. Aber 2023 ff sind auch noch Jahre, in denen zu kurz Gekommene ihren Royal Oak Jumbo erwerben können. Nur den speziellen Geburtstags-Rotor gibt es dann freilich nicht mehr.
Zu Wahl stehen die Royal Oak 16202ST Referenzen:
16202ST.OO.1240ST.01 in Stahl für 31.800 Euro
16202OR.OO.1240OR.01 in Roségold für 67.700 Euro
16202BA.OO.1240BA.01 in Gelbgold für ebenfalls 67.700 Euro sowie
16202PT.OO.1240PT.01 in Platin mit grünem Zifferblatt zum Preis von 109.500 Euro.
Achtung Graumarkt!
Wer allerdings meinte, nach der überstandene Audemars Piguet Royal Oak Wartezeit, ein schnelles Geschäft durch Kauf und unverzüglichen Verkauf am Parallelmarkt machen zu können, hat womöglich die Konsequenzen gespürt. Kunden, die unmittelbar nach dem Jubiläumskauf ihre Uhr auf dem Graumarkt verhökerten – und von Audemars Piguet dabei erwischt wurden – wurden unmittelbar auf eine weltweite schwarze Liste gesetzt und erhalten künftig keine der begehrten AP Referenzen.
Gleichzeitig lässt sich sagen, dass sich der Hype übertriebener Preise auf den Sekundärmärkten verflüchtigt hat. Inzwischen gibt es jede Menge AP Uhren auf Chrono24, Chronext, Antiquorum, Bucherer, Rüschenbeck oder ebay. Ebenso versteigern die Auktionshäuser von Christie’s, Philipps oder Sotheby’s eine Vielzahl von Audemars Piguet Modellen, wobei hier bereits einige Audemars Piguet Royal Oak 16202ST Modelle zu finden waren.
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