Debüt in Genf
Rückblickend auf die diesjährige Watches and Wonders Uhrenmesse fallen mir zwei spezielle Armbanduhren mit Zentraltourbillon ein. Eine, genannt Orbis in Machina, stammt von der Manufaktur Roger Dubuis. Die andere namens Arceau Duc Attelé von Hermès. Einendes Element der recht unterschiedlich gestalteten High-End-Zeitmesser ist ein zentral angeordnetes Tourbillon. Dessen Geschichte reicht zurück bis ins Jahr 1991. Die technischen Hintergründe verlangen sogar eine Retrospektive bis in die 1970-er Jahre. Diese findet sich im Anschluss an die Vorstellung der beiden Newcomer.
Roger Dubuis Orbis in Machina Central Mono Tourbillon
Tourbillons in unterschiedlicher Ausführung gehören für die Uhrmacher von Roger Dubuis sozusagen zum täglichen Brot. Einen zentral drehendes gab es bis 2024 jedoch noch nicht. Das ändert sich mit dem während der Watches and Wonders 2024 vorgestellten Orbis in Machina Central Mono Tourbillon.
Die Gestaltung der Vorderseite erfolgte unter der Prämisse, dass sich die Blicke des Betrachters voll auf den im typischen Roger-Dubuis-Stil gestalteten Drehgang konzentrieren.
Selbiger dient als Sekundenzeiger mit doppelter Funktion. Die Uhrmacher nützen ihn auch als Rücker zum Verstellen der aktiven Länge der Flachspirale. Mit drei Hertz oszilliert die im Käfig montierte Schraubenunruh. Zwei Scheiben und Drehringe mit daran montierten Markierungen zeigen die Minuten und Stunden an. Die nach oben gewandte Seite steht in starkem Kontrast zu dem, was sich durch den Sichtboden zeigt. Dort dominierte klassische Genfer Uhrmacherkunst, dekoriert u.a. mit feinem Streifenschliff. Besonders ins Auge sticht das große Rad zum rückwärtigen Antrieb des Zentraltourbillons.
Das selbst entwickelte und gefertigte Kaliber RD115 mit 16 Linien Durchmesser und 10,67 Millimeter Bauhöhe besteht aus 283 Komponenten. Das Federhaus speichert Kraft für rund 72 Stunden oder drei Tage Gangautonomie. Angesichts des großen Handaufzugswerks sind 45 Millimeter Gehäusedurchmesser nachvollziehbar. Die Schale besteht aus massivem Rotgold und widersetzt sich Wasserdruck bis zu zehn bar.
Am Handgelenk trägt das Oeuvre mit Zentraltourbillon knapp 14,5 Millimeter auf. Qualität und Ganggenauigkeit bescheinigt das unübersehbar am Werk verewigte Genfer Siegel. Ihm zufolge geht diese Armbanduhr pro Woche nicht mehr als eine Minute falsch. Im Handumdrehen austauschen lässt sich das Lederband mit Dreifach-Faltschließe. Nach 88 Exemplaren endet bei Roger Dubuis die Produktion der Zentraltourbillon-Referenz RDDBEX1119. Als unverbindliche Preis nennt die Manufaktur 241.000 Euro.
Hermes Arceau Duc Attelé
Für die Arceau Duc Attelé kooperiert La Montre Hermes mit Le Cercle des Horlogers. Die in Les Hauts Geneveys beheimateten Spezialisten haben das Kaliber H1926 entwickelt. Allein schon die Nennung von insgesamt 563 Bauteilen weisen darauf hin, dass dieses Handaufzugswerk mit ungefähr 48 Stunden Gangautonomie einiges kann.
Und dem ist tatsächlich so. Am Handgelenk sticht sofort das zentral positionierte Dreiachsen-Tourbillon ins Auge. Der sphärische Drehgang besteht aus 99 Komponenten. Auf die Waage bringt er ein Gewicht von lediglich 0,449 Gramm. Einen Beitrag dazu leistet die Fertigung des Käfigs aus hochglanzpoliertem Titan. Auf Hermes weist das signifikante Doppel-H-Motiv hin. 36.000 Halbschwingungen pro Stunde vollzieht die vergleichsweise kleine Unruh. Das entspricht einer flotten Frequenz von fünf Hertz.
Unterhalb des Drehgangs findet sich eine Gangreserveanzeige. Die ebenfalls vorhandene Minutenrepetition gibt erst dann Laut, wenn der links in die Gehäuseflanke integrierte Schieber betätigt wurde. Dann schlagen zwei Hämmer in Gestalt von Pferdeköpfen gegen Tonfedern aus gehärtetem Stahl. Jede der beiden ist aus Stimmgabel ausgeformt, was der Klangqualität merklich zugutekommt. Besonders eindrucksvoll präsentiert sich die Rückseite der exklusiven Mechanik. Damit das üblicherweise verdeckte Räderwerkt sichtbar bleibt, überspannt es eine Dreiviertelbrücke aus Saphirglas.
Einen Tribut an die akustischen Dimensionen verkörpert auch die Verwendung von poliertem Titan Grad 5 für das 43 Millimeter messende Gehäuse. Die Vorderseite überdeckt ein bombiertes entspiegeltes Saphirglas. Das asymmetrische Gehäusedesign der Uhrenlinie Arceau erinnert an einen Steigbügel. Henri d’Origny entwickelte es schon 1978. Bis zu drei bar reicht die Wasserdichte. Jedes der 24 Exemplare kostet rund 400.000 Euro. Den exakten Preis, der auch vom aktuellen Wechselkurs des Schweizerfranken abhängt, erfahren Interessenten bei konkreter Anfrage.
Wahrhaft geniale Konstrukteure
Große Bekanntheit haben André Beyner und Maurice Grimm nicht unbedingt erlangt. Die gelernten Uhrmacher und dazu auch begnadeten Konstrukteure arbeiteten eher im Hintergrund. Gleichwohl hatte ich 1991 die große Ehre, Maurice Grimm persönlich bei Audemars Piguet kennenzulernen. Anlass war das zusammen mit Christian Pfeiffer-Belli und Martin Wehrli produzierte Buch über die traditionsreiche Familienmanufaktur und ihre Uhren.
Zwei davon, das weltweit erste Armband-Tourbillon mit automatischem Aufzug, vorgestellt 1986, sowie das 1991 lancierte Automatik-Tourbillon mit Gangreserveanzeige und Zeigerdatum, standen in engem Zusammenhang mit Maurice Grimm. Zum Treffen war der gleichermaßen geniale wie bescheidene Entwickler nach Le Brassus gekommen. Durch seine frühere Tätigkeit für LeCoultre und natürlich Audemars Piguet kannte er das Vallée de Joux wie seine eigene Westentasche. 1978 war er zur Rohwerkeschmiede Eta gestoßen, wo angesichts der Quarz-Revolution riesige Herausforderungen auf ihn warteten.
Quarz-Superlativ
In Sachen flacher Bauweise standen die eidgenössischen Fabrikanten in permanentem Wettbewerb mit japanischen Konkurrenten wie Seiko und Citizen. Ein nachhaltiger Sieg auf ganzer Linie setzte, wie Maurice Grimm erzählte, wahrhaft disruptives Denken und Handeln voraus. Und genau das entsprach seiner Mentalität und der des 1927 geborenen Partners André Beyner, dem ich jedoch nie persönlich begegnet bin.
Bei Eta entwickelten Beyner und Grimm die Idee zu einer zwei Millimeter flachen Quarzuhr. Bei dieser geringen Höhe war an eine konventionelle Platinen-Bauweise zur Lagerung der Zahnräder nicht zu denken. Aber es gab eine unkonventionelle und bis dahin technisch noch nicht realisierte Lösung mit rechteckiger Schale. Das ausgefräste Goldgehäuse verfügte über einen zentralen Zifferblattbereich sowie ober- und unterhalb noch kleinere Sektoren für die Elektronik und den Energiespeicher. Folglich erfolgte die Anordnung der Bauteile horizontal Im Rahmen des ehrgeizigen Projekts Deltrem (Delirium très mince) diente der Gehäuseboden als Platine. Eine dünne Saphirglasscheibe deckte das Ganze oben ab.
Am 12. Januar 1979 präsentierten Eterna und Longines die weltweit flachste Quarz-Armbanduhr mit analoger Zeitanzeige, Gesamthöhe 1,98 mm. Bei der Linea I oder der Golden Leaf setzten die Uhrmacher nach der Montage von Werk und Zeiger, Toleranz ein Tausendstelmillimeter, nur noch den Glasrand samt Glas auf. Das Stellen der Zeiger erfolgte mit Hilfe eines kleinen Drückers im Boden. Kostenpunkt pro Exemplar: 9.000 Schweizerfranken. Schon der 21. Juni 1979 brachte einen weiteren Rekord. Die „Linea II“ aus Eternas „Collection Privée“ war sensationelle 1,44 Millimeter hoch. Die Vorstellung der ersten und bis heute einzige Armbanduhr mit 0,98 Millimeter Gesamthöhe fand am 19. April 1980 statt. Am 8. Mai 1980 erfolgte in Paris die Belohnung mit dem Triomphe de L’Excellence Européenne.
Das gleiche Konstruktionsprinzip wendete Omega 1980 bei der Dinosaure mit dem Quarzkaliber 1355 an. Höhe 1,42 oder 1,35 Millimeter, Volksnähe brachte hingegen ein 1979 unter dem Decknamen Delirium vulgaris gestartetes Projekt, das 1982 in die Swatch mündete. Auch hier dient bekanntlich der Gehäuseboden als Platine.
Weltweit erstes Serien-Tourbillon
Die in den frühen 1980-er Jahren einsetzenden Mechanik-Renaissance führte bei André Beyner und Maurice Grimm zu einem Sinneswandel hinsichtlich der hochwertigen Quarzuhr. Sie kehrten ihrem Arbeitgeber den Rücken und entwickelten neue Ideen, welche auch die neu aufkommende Technik der Elektroerosion einbezogen. Mit Blick auf die intendierte ultraflache Bauweise verfügte das von ihnen entwickelte und zum Patent angemeldete Automatikwerk wiederum mit Boden als Werkplatte über eine schwere Platin-Iridium-Pendelschwungmasse. Eine einzige Brücke diente als Gegenlager für die rotierenden Teile.
Die Ebauches SA, welche dieses Patent übernahm, gelangte jedoch zu der Auffassung, dass es für ultraflache Dresswatches dieser Art keinen Markt gäbe. Außerdem passte der Einfall, den Gehäuseboden als Platine zu nutzen, nicht zum Geschäftsmodell, externen Kunden Uhrwerke zu verkaufen. Schließlich gab es kein Uhrwerk, sondern nur die komplette Uhr mit integrierten Bauteilen. Und auf diesem Gebiet besaß die unter hohem finanziellen Druck stehende Ebauches SA keinerlei Erfahrungen. Somit verschwand diese Entwicklung in einer Schublade.
Beyener und Grimm nahmen das zur Kenntnis. Nach dem Motto jetzt erst recht dachten sie über die Möglichkeiten der Elektroerosion für die Uhrenbranche nach. Dabei stießen sie auf das bis dahin noch nie seriell und maschinell gefertigte Tourbillon. (Die unterschiedlichen Typen und Bauweisen von Tourbillons stellen wir hier auf Uhrenkosmosvor.)
Ein Jahr nahm die Entwicklung und Fertigung mehrerer Prototypen in Anspruch. Dann war der kleinste jemals gefertigte Drehgang Realität. Käfigdurchmesser 7,2 Millimeter, Gewicht dank Titan nur gut 0,1 Gramm. Samt Selbstaufzug durch Pendelschwungmasse fand sich das Ganze in einem rechteckigen Gehäuse. Die letzte Ausführung versteigerte Phillips im Mai 2016 in Genf für 30.000 Schweizerfranken.
Audemars Piguet findet Gefallen
Nun ging es darum, einen Interessenten für dieses Automatik-Tourbillon mit minimalistischen Dimensionen zu finden. Elektroerosion gestattete große Stücken bei gleichbleibend hoher Präzision. Aber der Produzent würde mit dieser Armbanduhr absolutes Neuland betreten. Auch der Fachhandel hatte noch niemals Tourbillons verkauft. In dieser schwierigen Situation erfolgte eine Kontaktaufnahme mit Audemars Piguet. Wegen der Royal Oak hatte sich die Marke einen Ruf als Förderer von Innovationen erworben. Und CEO Georges Golay fand gleich aus mehreren Gründen Gefallen an diesem Projekt.
Einmal erklärte sich der Hersteller der Prototypen bereit, auch die Serienfertigung des Platinen-Gehäuses und der nötigen Komponenten zu übernehmen. In der Manufaktur suchten auf komplexe Mechanik spezialisierte Uhrmacher dringend eine adäquate Beschäftigung. Und drittens konnte Audemars Piguet sein erworbenes Renommee festigen.
Diese zukunftsweisende Entscheidung machte Maurice Grimm, wie er im Gespräch betonte, „zum glücklichsten Menschen der Erde.“ Ihm war natürlich nicht verborgen geblieben, dass ich ein Exemplar am Handgelenk trug, welches ich im Zuge des herausfordernden Buchprojekts bei einem Münchner Audemars Piguet-Konzessionär erworben hatte.
Allerdings wies die von AP während der Basler Uhrenmesser 1986 vorgestellte Version mit den Kaliber 2870 signifikante Unterschiede zu den Prototypen auf: Das Tourbillon rotierte nicht mehr im „Süden“, sondern in einem Zifferblattausschnitt bei „11“ und die pendelnde Schwungmasse zeigte sich nun in einem Fenster bei „6“. Mit anderen Worten: Es erfolgte eine Drehung um 180 Grad. Für Aufzug und Zeigerstellung war eine rückwärtige Krone zuständig.
Für Audemars Piguet machte sich der Ausflug auf neues Terrain bezahlt. Serge Meylan und sein Team fertigten 382 Exemplare der goldenen Referenz 25643 und 19 Platin-Referenzen 25656. Das waren fast so viele Tourbillons, wie in der gesamten Geschichte seit 1801 hergestellt worden waren. Der Erfolg ist umso verwunderlicher, als die Optik dieser Armbanduhr extrem polarisierte. Auch an den vergleichsweise kleinen wie flachen Dimensionen schieden sich die Geister.
Als besondere Ehre empfand es Maurice Grimm, dass ihn Audemars Piguet auch nach dem Tod von Georges Golay mit der Entwicklung eines weiteren, nun 30 Prozent größeren und dazu formal runden Armbandtourbillons betraute. 1991 debütierte das später auch in der Royal Oak verbaute, von Renaud & Papi produzierte Kaliber 2875 während der Basler Uhrenmesse.
Projekt 33 für Omega
Zu diesem Zeitpunkt trieben Maurice Grimm und André Beyner schon andere Tourbillon-Gedanken um. Inspiriert vom Gangmodell eines fliegend gelagerten Tourbillons mit lyraförmigem Drehgestell schwebte ihnen ein mittig im Zifferblatt angeordneter Drehgang vor. Und das so genannte Projekt 33 passte gut ins Konzept der Marke Omega, die 1994 ihren 100. Geburtstag und den 25. Jahrestag der ersten Mondlandung mit etwas Spektakulärem feiern wollte.
Bekanntlich hatte das Unternehmen schon 1948 von Jean-Pierre Matthey-Claudet zehn Versuchs-Armbanduhren mit 7½-Minuten-Tourbillon fertigen lassen. Gegen eine Drehgang-Weltpremiere eines Zentraltourbillons sprach also nichts.
Beim 1995 seitens Omega patentierten Kaliber 1170 knüpften die beiden Techniker an Alfred Helwig und seine „fliegende“, sprich allein rückwärtige Lagerung des als Ω geformten Käfigs mit kleinem Sekundenzeiger. Die „Zeiger“ für Stunden und Minuten bewegen sich mysteriös über dem guillochierten Zifferblatt. Zu diesem Zweck sind sie auf sehr dünne Saphirscheiben gedruckt.
Sein Platin-Iridium-Rotor für die Aufzugsautomatik ist am nicht zu öffnenden Gehäuseboden befestigt. Die Verbindung zum komplett vormontierten Werk entstand beim Einsetzen von vorne in die Schale. Schon 2005 startete die Evolution des in einer Auflage von 39 Exemplaren gefertigten Kalibers 1170. 1997 debütierte das Kaliber 2600A mit ins Werk integrierter Schwungmasse.
Beat Haldimann und sein H1 Lyra
Der weitgehend wasserdichte Patentschutz für Zentraltourbillons hinderte anderen Marken bis 2015 daran, es Omega gleichzutun. Gleichwohl stellte Beat Haldimann 2002 sein ebenfalls fliegend gelagertes Zentraltourbillon H1 Lyra am Basler Stand der unabhängigen Uhrenkreateure AHCI vor. 14 Millimeter misst die große, mit 2,5 Hz oszillierende Unruh des in Thun beheimaten Uhrmachers.
Seine Kreation mit rückwärtiger Vollplatine verfügt über gleich drei Federhäuser, welche rund 38 Stunden Gangautonomie garantieren. Zwei von ihnen wirken über separate Räderwerke lateral auf das zentrale Sekundentrieb des Drehgestells. Das sorgt nicht nur für Druckausgleich, sondern auch für Entlastung des Rubinkugellagers. Natürlich kommt auch dem dritten Federhaus eine zeitbewahrende Aufgabe zu: Über ein weiteres Räderwerk schickt es seine Kraft an das Zeigerwerk und damit an zwei unsichtbare Ringe, an denen die Spitzen der Zeiger für Stunden und Minuten befestigt sind.
Zentraltourbillon
Mehr zum Thema Zentraltourbillon passierte anschließend erst ab 2014, als die entsprechenden Patente ausliefen. Da setzten zum Beispiel MB&F und Bulgari auf die mittige Anordnung des Drehgestells.
Wer nun Spaß findet an dieser Komplikation, kann sich beispielsweise auch bei Franck Muller, Hysek, Jacob & Co. oder Kross Studio umsehen. Die hohe Qualität dieser Zeitmesser darf man bei den zahlreichen Zentraltourbillons chinesischer Provenienz nicht erwarten. Dafür bekommt man sie aber schon ab 3.000 Euro.
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