Aufstieg seit 2002
Glücklich können sich derzeit jene Uhrenmarken schätzen, welche sich am chinesischen Markt wenig oder nur in begrenztem Umfang engagiert haben. Alle anderen leiden, weil sich das Blatt derzeit wendet und im Jahr 2024 die Schweizer Uhrenexporte nach China stark nachgeben. Und es scheint so, dass dieser Wandel keine kurzfristige, sprich im nächsten Jahr schon wieder beendete Epoche ist.
Interessanterweise reicht der rasante Aufstieg Festlandchinas als bedeutender Player bei den eidgenössischen Uhrenexporten gerade einmal gut 20 Jahre zurück. Bei retrospektiver Analyse der vom Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) publizierten Ausfuhrzahlen fällt auf, dass Festlandchina im Jahr 2002 Schweizer Uhr-Erzeugnisse im Wert von lediglich 94,2 Millionen Schweizerfranken importierte. Die gesamten Schweizer Exporte lagen damals bei 10,64 Milliarden Franken. Daraus errechnet sich ein damaliger Marktanteil von 0,89 Prozent.
Schweizer Uhrenexporte nach China
Das Folgejahr 2003 brachte ein Wachstum von 109,3 Prozent auf 197,2 Millionen Schweizerfranken. Im Ranking der besten Kunden kletterte Festlandchina auf Platz elf. Danach ging es mit hohen zweistelligen Zuwachsraten aufwärts. Die von der Lehman-Brothers-Pleite ausgelöste Krise brachte 2009 wiederum einen Rückgang um 15,2 Prozent. 2013 verlor China, der damals drittgrößte Markt, über weite Strecken an Boden. Am Ende des Jahres lag das Minus bei 12,5 Prozent.
Bis ins Jahr 2016 ging es dann jährlich um mittlere einstellige Prozentbeträge bergab. Ein Grund war in der Korruptionsbekämpfung durch die chinesische Regierung zu sehen. Aber das Land behauptete seinen dritten Rang.
2020, als in Europa das Coronavirus grassierte, verzeichnete Festlandchina ein Importplus von 20 Prozent 2,394 Milliarden Franken. In diesem Jahr erreichte das Land einen Marktanteil von 14,1 Prozent. Diese Daten führten das Reich der Mitte auf Platz eins, der jedoch 2021 durch das rasante Wachstum der US-amerikanischen Einfuhren wieder verloren ging. Seitdem verharrte China auf Rang zwei.
Das ist auch in den ersten acht Monaten des Jahres 2024 weiterhin der Fall, obwohl die Exporte dorthin seit Januar gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 5,9 Prozent nachgaben. Verglichen mit 2022 betragen die Verluste sogar 31,6 Prozent. Unter den Top-30-Ländern mit einem Marktanteil von rund 93 Prozent ist das der mit Abstand größte negative Wert. Lautes Jammern verwundert daher nicht, denn die Zeiten eines raschen, mit relativ niedrigen Kosten verknüpften Wachstums scheinen bis auf Weiteres vorbei zu sein.
Rückläufiger Markt
Gegenwärtig bekommen etliche Schweizer Marken die beträchtliche China-Flaute zu spüren. Probleme des im Laufe der vergangenen Jahre kontinuierlich gestiegenen Klumpenrisikos machen Mitgliedern der drei großen Konzerne LVMH, Richemont und Swatch Group zu schaffen. Beispielsweise generiert Longines gut zwei Drittel seines Umsatzes in Festlandchina, wo die Swatch Group-Marke traditionsgemäß auch ihre höchsten Renditen erzielte. Der frühere CEO Walter von Kaenel sorgte mit größtem Engagement dafür, dass Longines, Durchschnittspreis rund 1.200 Dollar, höchste Präsenz zeigte.
Seit 1971 bin ich regelmäßig nach China gereist. Dort verkaufte Longines schon 1867 seine erste Uhr. Dank Nicolas G. Hayek und dem Marketing gehörten wir zu den ersten, die eine ständige Vertretung in China für den After-Sales-Service aufbauten. Heute dominieren wir diesen Markt ganz klar mit den anderen Marken der Gruppe. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass China auch Hong Kong, Macao und Millionen von Touristen beinhaltet, die den südostasiatischen Raum und Europa bereisen, ist es mit großem Abstand unser Hauptmarkt.
Kürzlich habe ich an einem Seminar über China teilgenommen. Die Informationen über das Wachstum der Bevölkerung und die Prognosen haben mich in gute Stimmung versetzt. Das Wachstumspotenzial ist beachtlich. In Hongkong hatten wir 2014 den absoluten Höhepunkt erreicht. 2015 kam es zu den Yellow-Umbrella-Demonstrationen. 2016 haben wir gespürt, dass es wieder anzieht, und 2017 ist für Longines ein exzellentes Jahr in Hong Kong.
Diese Konzentration vieler Marken wie der Schweizer Uhrenexporte nach China insgesamt rächt sich nun angesichts der massiven Kaufzurückhaltung der chinesischen Mittelschicht-Bevölkerung. Konkurrenz machen alternative Konsumgüter wie Taschen, Schuhe und Konfektionsartikel. Nach Feststellungen des Hauses Morgan Stanley kletterte der Umsatz mit solchen Produkten im Jahresvergleich um mehr als 30 Prozent. Betroffen ist auch Omega, die Nummer eins am chinesischen Markt. Ihre Erlöse hängen zu knapp 30 Prozent daran. Zur Kompensation der Rückgänge versucht die umsatzstärkste Marke im Portfolio der Swatch Group in den USA besser Fuß zu fassen. Dort jedoch dominiert Rolex seit Jahrzehnten das Marktgeschehen.
Dafür hat der Genfer Uhrenriese Rolex in China wohlweislich stets zurückhaltend operiert und dort lediglich circa zwölf Prozent seiner 2023 auf schätzungsweise 10,5 Milliarden Schweizerfranken gewachsenen Umsätze erwirtschaftet. Nur zu etwa 15 Prozent hängt Cartier, die Schweizer Nummer zwei bei Uhren, von China ab. Bei Breitling besaßen Festlandchina und Hongkong im Jahr 2023 sogar nur rund zehn Prozent Umsatzanteil. Hier – und bei den zunehmend beliebten Nischenmarken – ist am chinesischen Markt also durchaus noch Wachstumspotential für Schweizer Uhrenexporte nach China vorhanden, denn ein kompletter Zusammenbruch ist nach gegenwärtiger Einschätzung keineswegs zu erwarten. Allerdings lässt es sich nicht von heute auf morgen ausschöpfen.
Mit gut 1,4 Milliarden Einwohnern besitzt China nach Indien die zweitgrößte Bevölkerung aller Nationen auf unserem Erdball. Das Interesse der Uhren- und Luxusgüterindustrie zielte auf die reiche Ober- und natürlich die wachsende Mittelschicht. Jedoch hat sich die Dominanz Chinas und Hongkongs im Zuge der Corona-Pandemie reduziert. Im Gegenzug stieg die Bedeutung der Vereinigten Staaten von Amerika als weltweit wichtigster Uhrenmarkt seit 2021 in bemerkenswerter Weise.
Etwa 30 Prozent
Blickt man zurück aufs Rekordjahr 2023, zeichnete Konsumenten vom chinesischen Festland laut Morgan Stanley immer noch für etwa 30 Prozent der weltweiten Verkäufe von Schweizer Uhren verantwortlich. Und dieser Wert übersteigt den Marktanteil von 10,3 Prozent bei den Uhr-Importen ganz beträchtlich. 8,5 Prozent des Wertes erzielten Exporte nach Hongkong, wo viele Chinesen gerne einkaufen. Schließlich darf Japan mit einem Exportumsatz-Anteil von 6,8 Prozent nicht vergessen werden. Wegen des schwachen Yen führen derzeit viele Reisen dorthin. Mehr statistische Daten gibt es bei der FH Federation of the Swiss Watch Industry .
Die chinesische Uhr-Klientel und somit die Schweizer Uhrenexporte nach Festlandchina dürfen also keineswegs abgeschrieben werden. Aber die sonnigen Zeiten ungestümen Wachstums verschwinden unter einer Wolkendecke. Dafür gibt es handfeste Gründe, die der Uhrenkosmos in einem weiteren Artikel zum Thema chinesischer Uhrenmarkt erläutern wird.
Mehr aktuelle Zahlen zu den Schweizer Uhrenexporten finden Sie hier.
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