Kein Grund zur Entwarnung
Ein Rekordjahr wird 2024 für die Schweizer Uhrenindustrie nicht werden. So jedenfalls sieht es beim Blick auf die vom Verband der Schweizerischen Uhrenindustrie (FH) jüngst veröffentlichte Exportstatistik für den Monat August aus. Zwar legen die Schweizer Uhrenexporte im August 2024 gegenüber dem Vorjahresmonat um 6,9 Prozent zu. Aber der Gesamtsaldo für die ersten acht Monate des Jahres ist mit 1,4% weiter negativ.
Wenig erfreulich sind auch die Aussichten für den Rest des laufenden Jahres. Es müsste schon ein Wunder geschehen, dass die aufgelaufenen Verluste im letzten Quartal 2024 mit dem Weihnachtsgeschäft noch ausgeglichen werden. Zu groß sind die Unwägbarkeiten in ökonomischer und geopolitischer Sicht.
Als Export-Lokomotive erwiesen sich einmal mehr die Vereinigten Staaten von Amerika. Sie importierten Uhren und Werke im Wert von 320 Millionen US-Dollar, was gegenüber dem August 2023 einem Plus von 7,6 Prozent entspricht. Von Januar bis August legten die Ausfuhren ins Land der unbegrenzten Möglichkeiten um insgesamt 5,2 Prozent zu.
Ob es so weiter geht, bleibt abzuwarten. Die konjunkturelle Entwicklung in den USA ist nicht sonderlich vielversprechend. Gleiches gilt für den angespannten Arbeitsmarkt. Nicht ohne Grund senkte die Amerikanische Notenbank Fed den Leitzins um 0,5 Prozentpunkte auf 4,75 bis 5,00 Prozent zurück. Das kommt amerikanischen Konsumenten entgegen, die ihren Luxus häufig mit Krediten finanzieren.
Hohe Inflation bei Lebensmitteln und Wohnen schien die Kauflaune bei Uhren offenbar nicht sonderlich einzutrüben. Mit dieser Maßnahme folgte die Fed den Beispielen in der Euro-Zone, in Großbritannien, Kanada und der Schweiz. Wie es in den USA weitergeht, hängt auch von der Wahl den Präsidenten ab. Die beiden Kandidaten verfolgen unterschiedliche Ziele auch hinsichtlich der Geldmarktpolitik.
China, Hongkong, Indien und Japan
Wenig erfreulich für die Schweizer Uhrenindustrie sind definitiv die Exporte nach China und Hongkong. Einmal mehr verzeichnete das Reich der Mitte deutliche Rückgänge bei den Importen Schweizer Uhren und Werke. Im August waren es -5,9, im Laufe des Jahres 2024 saldiert -21,2%. Noch deutlicher fiel das August-Minus in Hongkong aus: -11,9%. In den ersten acht Monaten sind es zusammen -21,2%. Vielen Schweizer Marken, die ihre Aktivitäten stark auf diesen Markt ausgerichtet haben, sehen sich nun mit massiven Problemen konfrontiert.
Sozusagen über Nacht lässt sich das Blatt nicht wenden, lassen sich alternative Märkte nicht erschließen. Viele Blicke sind auf Indien gerichtet. Das bevölkerungsreichste Land der Erde legte bei den Importen im August tatsächlich um 44,5 Prozent zu. Von Januar bis August waren es 23,2 Prozent.
Damit verzeichnete der Subkontinent bei den Schweizer Uhrenimporten tatsächlich die höchste Wachstumsrate. Allerdings darf der Basiseffekt in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden. Im internationalen Einfuhr-Ranking bei Schweizer Uhren liegt Indien für den Zeitraum Januar bis August mit CHF 164 Millionen lediglich auf Platz 22.
Als Nummer eins importierten die USA Erzeugnisse für 2,83 Milliarden, China für 1,45 Milliarden, Hongkong für 1,294 Milliarden und Japan für 1,293 Milliarden Schweizer Franken. Japan erlebt derzeit eine Art Sonderkonjunktur. Bedingt durch den schwachen Yen, auf den etliche Schweizer Uhrenfabrikanten bis dato nicht durch entsprechende Preissteigerungen reagierten, findet ein bemerkenswerter Kauf-Tourismus nach Japan statt.
Ob und wann Anpassungen bei den Publikumspreisen stattfinden, lässt sich kaum abschätzen. Für vermutlich gar nicht so wenige eidgenössische Hersteller sind Verkäufe mit geringerer Marge in schwierigen Zeiten wie diese allemal besser als keine.
Hochpreisig funktioniert weiterhin
Apropos: Jüngst haben sich die FH und der Arbeitgeberverband der Schweizer Uhrenindustrie (CP) mit der Forderung um Unterstützung der Exportindustrie an die Behörden gewandt. Hintergrund dieser konzertierten Aktion sind besagte turbulente Zeiten, der starke Schweizer Franken und volatile Wechselkurse.
Konkrete Maßnahmen sollen die Wettbewerbsfähigkeit stärken sowie die wirtschaftliche Stabilität der Schweizer Exportindustrie bewahren. Sinkende Nachfrage bei den Endverbrauchern und der damit verknüpfte Rückgang der Exporte treffen insbesondere die Zulieferer sowie die im unteren und mittleren Preissegment tätigen Fabrikanten.
Besagtes August-Wachstum resultierte zum großen Teil aus Uhren mit Edelmetallschalen. Wertmäßig kletterten sie um 21,2 Prozent. Auch Zeitmesser mit Bimetall-Gehäusen, also zum Beispiel Stahl und Gold, legten zu. Und zwar um 12,7 Prozent. Demgegenüber verloren Stahluhren um 7 Prozent.
Sehr zu denken gibt auch der Blick auf die verschiedenen Preiskategorien. Alle bis zu CHF 3.000 Exportpreise gaben mehr oder weniger stark nach. Umgerechnet meint das Publikumspreise bis etwa CHF 9.000. Offenbar haben auch die Moonswatch und die Blancpain Swatch an Popularität verloren. Die Preiskategorie bis CHF 200, wo diese Zeitmesser zuhause sind, büßte nach Stückzahlen um 7,8 und Werten um 7,6 Prozent ein.
In der Preiskategorie CHF 200 bis 500 lagen die Rückgänge bei 13,5 bzw. 13 Prozent. Noch schlimmer traf es die Preiskategorie CHF 500 bis 3.000. Minus 19,9 bzw. 16 Prozent sind eine deutliche Ansage. Gegenüber dem August 2023 sank die Zahl der exportierten Schweizer Uhren um 9,5 Prozent oder 125.000.
Der Staat möge helfen
Kein Wunder also, dass die Zulieferer leiden und um Hilfe nachsuchen. Die Schweizer Uhrenindustrie umfasst knapp 700 Unternehmen mit circa 65.000 Beschäftigten. Vielerorts haben Betriebe bereits Kurzarbeit ausgerufen, die Urlaubszeit verlängert oder Entlassungen vorgenommen. Weil die künftige Entwicklung kaum abschätzbar ist, kann man von einer heiklen Lage sprechen.
Spätestens jetzt muss jedoch die Frage erlaubt sein, was mit den sicher üppigen Gewinnen während der vergangenen beiden Jahre passiert ist. Kluge Unternehmer bilden Rücklagen für schwierigere Zeiten. Nicht zu vergessen die massiven, teilweise nur schwer zu rechtfertigenden Preissteigerungen mancher Uhrenmarken. Sie hängen nun wie ein Klotz am Bein. Mit ohnehin nur schwer erklärbaren Preissenkungen würde man all jene vor den Kopf stoßen, welche ihre Uhr teurer eingekauft haben. Das schadet dem Vertrauen.
In dieser Sackgasse wird der Schweizer Staat aufgefordert, Schlimmeres durch konkrete Maßnahmen zu verhindern. In diesem Sinne soll sie „am Devisenmarkt langfristig und in Abstimmung mit anderen Maßnahmen zur Inflationsregulierung intervenieren“ und die Volatilität des Frankens durch einen punktuellen, reaktiveren Ansatz abschwächen. Des weitern gelte es, die Rahmenbedingungen durch Fortschritte im Freihandel zu verbessern. Schließlich könne eine Reduktion des administrativen Aufwands die Wettbewerbsfähigkeit auf internationalen Märkten stärken.
Schweizer Uhrenexporte im August 2024
Damit kommen wir zurück zu den aktuellen Uhrenexporten im August 2024 und einige europäische Länder. Hier fiel der August durchweg positiv aus. Das Vereinigte Königreich, der für die Schweizer Exporteure wichtigste europäische Markt, legte 3,5 Prozent zu. Aber von Januar bis August gaben die Ausfuhren um 0,5 Prozent nach. Frankreich +0,7 bzw. +5,0%, Italien +17,6 bzw. -2,2%, Spanien +8,4 bzw. -0,7% und die Niederlande +3,8 bzw. -2,6%.
Deutschland als derzeit knapp vor Frankreich bedeutendster Markt innerhalb der Europäischen Union importierte vom Januar bis August 2024 Uhren und Werke für 866 Millionen Schweizer Franken. Im August kletterten die Einfuhren um 2,9 Prozent. Übers laufende Jahr hinweg sanken sie jedoch um 3,6 Prozent.
Eine Trendwende bis Ende 2024 ist nicht zu erwarten. Dagegen spricht unter anderem der negative GfK-Konsumklima-Index. Im August 2024 lag er bei -18,6 Punkten. Für den September prognostiziert die GfK eine Verschlechterung auf -22 Punkte. Sollten bei Volkswagen tatsächlich 30.000 Arbeitsplätze in Deutschland verloren gehen, könnte auch diese Meldung die Lust auf eine neue Armbanduhr zusätzlich schmälern. Dann wandert ein Teil des frei verfügbaren Gelds für alle Eventualitäten lieber aufs Sparkonto.
Vertriebspolitik
Natürlich bekommen auch große Gruppen wie Richemont oder LVMH die Auswirkungen der schwachen Zahlen der Schweizer Uhrenexporte im August 2024 und der Vormonate zu spüren. Ein Indiz ist das Stühlerücken in den vergangenen Monaten. Damit alleine ist es aber sicher nicht getan. Neben der Produkt- und Preispolitik sollten die neuen Chefs auch die Vertriebskanäle im Auge haben. Vielleicht hatten die alten Zeiten und die intensive Zusammenarbeit mit Mehrmarken-Fachhändlern auch ihre Vorteile.
Rückläufige Verkäufe sollten Reflexionen darüber auslösen, ob es opportun ist, den externen Verkaufspartnern nur so genannte B-Ware zu überlassen und attraktive Modelle limitierter Art ausschließlich selbst in eigenen Boutiquen oder Internetkanälen zu vermarkten. Außerdem gilt es, genau nachzurechnen, ob der Direktvertrieb tatsächlich profitabler ist, als die Zusammenarbeit mit etablierten Händlern vor Ort. Die sind in den lokalen Märkten stärker verwurzelt, kennen ihre Klientel seit Jahren und sind, weil inhabergeführt, oftmals viel agiler und darin erprobt, stürmische Gewässer zu durchsegeln.
Das gilt, wenn es Spitz auf Knopf steht, auch eine Flexibilität bei den Preisen. Beim markeneigenen Einzelhandel ist eine Uhr erst dann verkauft, wenn die Kundin oder der Kunde sie nach dem Bezahlen am Handgelenk nach Hause trägt. Aber allmählich kommt Bewegung in die Szene. Auf Nachfrage erhalten Konzessionäre inzwischen auch Uhren, die zuvor nur den wie auch immer geführten Boutiquen vorbehalten blieben.
So gesehen haben Krisen auch ihren Vorteil. Ob man angesichts der FH-Zahlen für 2024 ganz generell von einer handfesten Krise sprechen soll, steht ohnehin in Frage. Sollten die Umsätze übers ganze Jahr um drei Prozent nachgeben, ist das sicher nicht schön, aber auch kein Beinbruch. Retrospektiv betrachtet, hat die Schweizer Uhrenbrache schon deutlich Schlimmeres erlebt.
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