Polarisierendes Design
Über den Auftritt des neuen Excalibur Spider Flyback Chronograph im, wie es Roger Dubuis selber bezeichnet, Hyper Horology-Design, lässt sich definitiv streiten. Zahlungskräftige Technikfreaks wissen die exaltierte Optik mit durchbrochenem Zifferblatt, Blick auf Teile der zeitschreibenden Mechanik sowie ins Auge stechender Farbkombination zu schätzen. Demgegenüber dürften Puristen die eher schwierige Ablesbarkeit dieses Instruments bemängeln.

In der Tat lässt sich dieser Chronograph nicht mit einem klassischen Heuer Carrera von 1963 oder dem 1972 gestalteten Porsche Design Chronographen vergleichen. Bei diesen Modellen hatten Jack W. Heuer und Ferdinand A. Porsche die Ablesbarkeit ganz bewusst in den Vordergrund gerückt.

Aber das ist mehr als 60 bzw. 50 Jahre her. Und die Zeiten haben sich nicht erst seit gestern deutlich gewandelt. Zur Kurzzeitmessung braucht so gut wie niemand mehr einen Chronographen am Handgelenk. Jedes Smartphone bietet diesbezüglich mehr Funktionen. Also richten einige jener Manufakturen, welche sich auf die Entwicklung und Fertigung komplexer Uhrwerke mit integrierter Stoppfunktion verstehen, ihr Augenmerk auf die Mechanik. Diese führen sie deutlich vor Augen. Und das wiederum kommt Technik-Voyeuren sehr entgegen. Beredte Beispiele sind Cyrus, Czapek, Hublot, Montblanc oder Richard Mille.


Das Kaliber RD780
Diesen und anderen Marken hat sich Roger Dubuis bereits 2023 mit dem Lancement des natürlich selbst entwickelten und in Genf aus 310 Komponenten gefertigten Kalibers RD780 angeschlossen. Bei den Spezifika, auf die ich später detailliert eingehen werde, ist die Manufaktur ihren Prinzipien logischerweise treu geblieben. Eingefleischte Fans der Marke werden möglicher Weise das vermissen, was die Excalibur Spider-Kaliber ansonsten auszeichnet: die an ein Spinnennetz erinnernde Architektur des Automatikwerks. Technisch Versierte können jedoch schnell nachvollziehen, dass sich diese durchbrochene Bauweise bei einem Kaliber mit integriertem Chronographen-Schaltwerk nicht praktizieren lässt. Ungeachtet dessen besitzt das RD780 von Roger Dubuis eine bemerkenswerte technische Raffinesse. Die beginnt bei der vorne sichtbaren Unruh.

Damit die Schwerkraft und Stöße weniger Einfluss auf die Ganggenauigkeit nehmen können, oszilliert der Gangregler mit einer Neigung von zwölf Grad gegenüber der Platine. Dieses konstruktive Element bewährt sich auch bei Uhrwerken von Greubel Forsey. Vier Masselots im Unruhreif gestatten die Veränderung der Masseträgheit. Ein Rückermechanismus mit Beeinflussung der aktiven Spiralenlänge ist daher entbehrlich. Das Ankerrad besteht aus Silizium. Eine synthetische nano-kristalline Diamantschicht verleiht der Oberfläche besondere Härte. DIAMonSIL hatte Ulysse Nardin 2007 zusammen mit den Technologiespezialisten Sigatec SA und GFD Gesellschaft für Diamantprodukte mbH vorgestellt. Der überliefert ausgeführte Anker trägt die bekannten Rubin-Palettensteine. Nachdem temperaturstabilisiertes Silizium für die Unruhspirale patentrechtlichem Schutz unterliegt, muss Roger Dubuis nolens volens Nivarox-Material verwenden.

Zwei bei „12“ angeordnete Federhäuser speichern Kraft für 72 Stunden Gangautonomie. Und das steht auch auf einem der beiden zu lesen. Für regelmäßigen Energienachschub beim Tragen der Uhr sorgt der rückwärtige angeordnete Kugellagerrotor im Lamborghini-Felgendesign. Nicht sichtbar ist das Schwermetallsegment, welches immer der Erdmittelpunkt entgegenstrebt.

Zweites Bremssystem
Damit kommen wir zum Filetstück des Kalibers RD780. Und das ist die integrierte Stopp-Mechanik. Üblicherweise ist diese entweder komplett auf der Rückseite oder vorderseitig montiert. Roger Dubuis hat einen anderen Weg beschritten und das traditionelle Schaltrad so positioniert, dass man seine Funktion beim Betätigen der wie üblich rechts im Gehäuse angeordneten Drücker beobachten kann. Steuer- und Nullstellhebel finden sich dagegen rückwärtig. Die Verbindung zwischen Uhr- und Chronographenwerk stellt eine vertikale Reibungskupplung dar. Sie agiert energieeffizient, minimiert Startsprünge und gewährleistet gleichförmige Drehungen der zentralen Chronographensekunde.

Einer der beiden Hebel mit schmalen Klingen, welche die beiden Kupplungsscheiben beim Anhalten des Stoppers trennen, trägt das patentierte zweite Bremssystem (SBS). Es fixiert den zentralen Stoppzeiger nach dem Anhalten unverrückbar in seiner Position. Das ermöglicht präzises Ablesen. Vier Hertz Unruhfrequenz ermöglichen beim RD780 Achtelsekunden-Genauigkeit. Zum Nullstellen muss die zweite Bremse natürlich gelöst werden. Und beim Starten schwenken besagte Hebel auseinander. Federn drücken die Kupplungsscheiben gegeneinander. Der Chronograph setzt sich in Bewegung. Dieses System kennt man von Automobilen mit Handschaltung.

30-Minuten-Totalisator
Ein zweites Patent betrifft den Minuten-Totalisator bei „3“. Er zählt bis zu 30 Umläufe der Chronographensekunde. Zu diesem Zweck rückt gewöhnlich ein Zeiger in 30 Schritten um 360 Grad. Beim Kaliber RD780 haben sich die Techniker eine halb-digitale Lösung ausgedacht. Auch hier vollzieht eine Welle nach dem Starten des Chronographen während 30 Minuten eine komplette Umdrehung. Allerdings trägt sie am vorderen Ende keinen Zeiger, sondern ein dreiarmiges Gebilde mit den (Zehner-) Ziffern 0,1, und 2. Zugehörige weiße Spitzen wandern über ein entsprechend indexiertes Kreissegment von 120 Bogengraden.


Dabei weisen sie auf die zugehörigen Einer der seit dem Starten gezählten Minuten. Diese spezielle Ausführung des Totalisators verträgt sich perfekt mit der offenen Vorderseite dieser Armbanduhr. Eine Permanentsekunde sucht man in diesem Fall vergebens. Bei „9“, wo diese üblicherweise als Funktionskontrolle rotiert, übernimmt die oszillierende Unruh diese Aufgabe.

Design dominiert Funktion
Ein Zifferblatt im üblichen Sinn gibt es beim Excalibur Spider Flyback Chronograph nicht. Alles ist offen. Die sichtbare Mechanik umrandet ganz außen eine festsitzende Minuten-Lünette. Auf dem Weg ins Zentrum folgt eine kombinierte Minuten- und Sekunden-Skala. Deren Teilung ist auf die Unruhfrequenz des Uhrwerks abgestimmt. Die Zeigerlängen sind korrekt. Allerdings ist die Farbgebung willkürlich. Die Zentralsekunde sollte nicht rot, sondern in Lamborghini Verde Mantis gehalten sein wie der Minuten-Totalisator. Schließlich gehören diese beiden chronographischen Anzeige-Elemente zusammen.

Hier gewann bei Roger Dubuis das Design Oberhand gegenüber der zeitschreibenden Funktion. Aber das ist bekanntlich kein Einzelfall. Übrigens bestehen die Zeiger für Stunden und Minuten aus massivem Weißgold. Mit von der Partie sind auch Super-LumiNova und eine Tachymeterskala. Beim Blick ganz in den Süden, entdeckt man schließlich unterhalb des Schaltrads auch noch ein Fensterdatum. Die Typographie der Schablonenziffern passt zum Gesamtkunstwerk.

Excalibur Spider Flyback Chronograph
Bleibt die 45 Millimeter messende Sichtboden-Schale mit Keramiklünette. Am Handgelenk trägt sie 17,13 Millimeter auf. Ihre Wasserdichte reicht bis zu zehn bar Druck. Selbst tauschen lässt sich das schwarze Kautschukarmband mit Verde Mantis-grünem Kautschuk-Inlay und schwarz beschichteter Titan-Faltschließe.
Einen Preis hat der mit dem Genfer Siegel punzierte und auf 88 Exemplare limitierte Roger Dubuis Excalibur Spider Flyback Chronograph natürlich auch. Er liegt bei 95.833 Euro plus der im jeweiligen Land gültigen Mehrwertsteuer. In Deutschland reden wird also von unverbindlichen 114.000 Euro.



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