Gebündelt in der Eta
Gut zwanzig Jahre lang bis 2005 konnte der Schweizer Rohwerkefabrikant Eta auf dem Gebiet frei verfügbarer Uhrwerke beinahe alleine schalten und walten. Wer nicht keine eigene Mechanik, wie etwa das weit verbreitete Automatikkaliber Eta 2824 selbst herstellen konnte, musste hier einkaufen. Nach der Quarz-Krise, welche das Ende der mächtigen Rohwerke-Holding Ebauches SA samt bedeutender Mitglieder wie zum Beispiel AS, FEF, Felsa, FHF, Unitas, Valjoux oder Venus bewirkte, lebte die einstige Eterna-Ausgründung Eta ab 1983 unter dem Dach des später in Swatch Group umbenannten SMH-Konzerns weiter.
Eta 2824
Aus wirtschaftlichen Gründen fokussierte der übrig gebliebene Spezialist und Quasi-Monopolist Eta seine tickende Produktpalette anfangs auf Bestseller wie beispielsweise das 1971 vorgestellte Eta 2824 oder das aus dem Jahr 1975 stammende Eta 2892 mit Selbstaufzug. Von Peseux kam das 11½-linige, 2,5 mm flache Handaufzugskaliber 7001, welches seit 1971 in einer Auflage von knapp 2,35 Millionen Exemplaren produziert worden war.
Als Unitas-Erbe lebten die 1967 vorgestellten Taschenuhr-Kaliber 6497 (Lépine) und 6498 (Savonnette) mit 37,2 mm Durchmesser weiter. Schließlich gelangte aus dem Valjoux-Fundus u.a. das Chronographenkaliber 7750 ins neue Eta-Portfolio.
Eta 2824
Offiziell feiert das Eta 2824 im Jahr 2021 seinen 50. Geburtstag. Und es erfreut sich weiterhin bester Gesundheit. Erfolg war diesem Automatikwerk von Anbeginn beschieden. Trotz massiver Elektronik-Konkurrenz entstanden von der Ur-Version 2824 bis 1979 beachtliche 1.618.952 Stück. Dann übernahm das optimierte 2824-1 den Staffelstab.
Bis zum Launch des 2824-1 im Jahr 1982 produzierte die Eta davon 713.891 Exemplare. Auch danach verkaufte sich dieses nicht unbedingt flache, dafür aber extrem robuste Automatikwerk sozusagen wie geschnittenes Brot. Wegen seiner Zuverlässigkeit und hohen Zugkraft trägt es auch die Beinamen „Traktor“ oder „Panzer“.
Schaut man weiter zurück in die Geschichte dieses Langzeit-Bestsellers, gelangt man ins Jahr 1956. Damals zelebrierte Eterna, die ehemalige Mutter der Eta das 100. Firmenjubiläum. Aus diesem Anlass entstanden die Uhrenlinie Centenaire sowie die darin tickende Kaliberfamilie 142x. Hierzu gehörte einmal das 4,5 Millimeter hohe 1427 mit 25,6 mm Durchmesser (11½ Linien), beidseitig wirkendem Kugellagerrotor, Zwillings-Klinkenrädern als Wechsler, 2,5 Hertz Unruhfrequenz und direkter Zentralsekunde.
Zwei Millimeter größer, ansonsten aber weitestgehend baugleich war das im gleichen Jahr lancierte Kaliber 1428. Fünf Jahre später gesellte sich das 29 mm große, konstruktiv jedoch identische 1429 hinzu.
Vom Eterna 1541 zum Eta 2824
Als direkten Vorläufer des Eta 2824 präsentierte Eterna 1967 das 4,6 Millimeter hoch bauende Eterna Kaliber 1541. Seine Doppel-Klinkenräder sind nicht mehr offen sichtbar, sondern drehen unter einer Brücke. Diese Entwicklung trug zwar noch Eterna-Seriennummern, andererseits aber auch schon die Bezeichnung 2824. Mit Blick auf bessere und leichtere Regulierung des Gangs kletterte die Unruhfrequenz von 2,5 auf 4 Hertz. Zusammengefasst weist der tickende Jubilar folgende Merkmale auf: Anzeige von Stunden, Minuten und Sekunde. Der Antrieb des zentralen Sekundenzeigers erfolgt im Kraftfluss.
Die Schwungmasse besitzt ein Kugellager mit fünf Stahlkugeln wie schon 1948 beim Eterna-Kaliber 1198. In beiden Drehrichtungen erfolgt das Spannen der Zugfeder. Von der Automatik entkoppelt ist das Handaufzugsgetriebe. Gangautonomie ca. 38 Stunden. 25 funktionale Steine. Unruhstopp zum sekundengenauen Einstellen der Zeit. Wie schon bei den früheren Eterna-Kalibern besteht der konstruktive Trick de 2824 Kalibers in einer linsenförmigen Gestalt. Mit anderen Worten: Im Profil wird das Uhrwerk nach außen hin immer flacher.
Hinzu gesellt sich ein günstiger Einstiegspreis von weniger als 100 Schweizerfranken bei Abnahme von mindestens 1.000 Stück. Höhere Ansprüche an die Qualität der verbauten Komponenten und die Dekoration ziehen entsprechende Mehrkosten nach sich. Individualität lässt sich durch einen speziell gestalteten Rotor herbeiführen.
Zum Aufbruch gezwungen
Einen Wandel brachte 2002. In diesem Jahr kündigte Eta den angestammten Kunden schriftlich ein Ende der Belieferung an. Die Biographie des Streits findet sich hier im Uhrenkosmos.
Als einer der am stärksten Betroffenen machte sich Miguel Garcia unverzüglich an die Entwicklung eines Klons des rechtlich längst nicht mehr geschützten Eta 2824. Die Techniker und Uhrmacher der von ihm geleitete Sellita SA kannten das Kaliber wie ihre Westentasche. Immerhin hatte das Unternehmen als einer der größten Eta-Kunden jährlich viele Tausende Stück dieses Automatikwerks aus Einzelteilen montiert.
2005 feierte das Sellita SW200 seine Premiere. Zuvor hatte Chronofiable, eine eidgenössische Institution für Langzeit-Simulation 35 Werke sieben Wochen lang auf Herz und Nieren geprüft und keine Probleme festgestellt. Auch die COSC-Qualifikation meisterten etliche Exemplare des mit 26 Steinen ausgestatteten Nachbaus. Mit Eta konkurrieren konnten und können natürlich auch die Preise.
Schweizer und fernöstliche Alternativen zum Eta 2824-A2
Einen weiteren 2824-Klon stellte die Fossil-Gruppe ab 2006 schrittweise auf die Beine. Ab dem Jahr 2008 konnten Interessenden das STP 1-11 käuflich erwerben. Dank einer längeren Zugfeder beträgt die Gangautonomie 44 Stunden. Böse Zungen behaupten, dass ein Teil der für die Assemblage verwendeten Komponenten aus dem Reich der Mitte stammt.
Im Fernen Osten produziert Seagull mit dem ST2130 eine Art mechanischen Zwilling zum Eta 2824.
In China entsteht ferner das vom Eta 2824 abgeleitete Hangzhou 6300.
Sofern Uhrenproduzenten die Herkunftsbezeichnung Swiss Made verwenden wollen, müssen sie sich allerdings zwingend an die hierfür geltenden Regeln halten.
Chinesische Bauteile, vermutlich von Seagull, nutzt möglicherweise auch der Schweizer Hersteller Valanvron für seinen Eta-2824-Klon Val-24. Ohne Veränderungen an Gehäuse, Zifferblatt und Zeiger lässt sich auch das 2016 während der Baselworld vorgestellte mecano R150 Kaliber des primär für seine Quarzwerke bekannten Schweizer Fabrikanten Ronda verwenden.
Powermatic by Eta
Unterdessen hat man bei der Eta natürlich nicht geschlafen. Exklusiv für seine Swatch-Group-Schwestern Certina, Hamilton und Tissot in unteren Preisbereich brachte der Rohwerkegigant 2012 das aus dem 2824 abgeleitete Kaliber Eta C07.111 auf den Markt. Sein Name Powermatic 80 ist Botschaft, denn er signalisiert 80 Stunden Gangautonomie.
Zaubern können auch die Eta-Techniker nicht. Aber mit viel Detailarbeit und einigen Kunstgriffen gelang ihnen tatsächlich eine Verdoppelung der Kraftreserven. Durch friktionsarmes Synthetik-Material anstelle der üblichen Palettensteine im Anker sinkt die unvermeidliche Reibung in der Hemmung. Hinzu gesellt sich die von vier auf drei Hertz abgesenkte Unruhfrequenz. Mit langsamerer Fahrt geht bekanntlich ein niedriger Spritkonsum einher.
Drittens schafft der geringere Durchmesser der zentralen Federhaus-Welle Platz für eine längere Zugfeder mit höherer Effizienz. Zehn Stunden der zusätzlichen Gangautonomie gehen auf das Konto des 2008 für Nivarox patentierte Elinflex (mehr zu Elinflex und dieser Innovation gibt es hier zu lesen).
Die erstaunlich hohe Ganggenauigkeit resultiert auch aus einer neuen Unruh mit variablem Trägheitsmoment. Folglich agiert die Unruhspirale unbehelligt von einem Rückermechanismus. In einem Teil der aus 143 Komponenten inklusive 23 funktionalen Steinen assemblierten Automatikwerke findet sich zwischenzeitlich eine Unruhspirale aus thermisch stabilisiertem Silizium.
In diesem Zusammenhang legt Hamilton Wert auf die Feststellung, dass sein Kaliber H-10 zwar grundsätzlich über die gleichen Eigenschaften, aber nicht über Kunststoff-Komponenten verfügt. Durch die Verwendung eines traditionellen Metall-Ankers besitzt dieses Automatikwerk 25 funktionale Steine.
Neues von La Joux-Perret
Die jüngste, wiederum allgemein verfügbare Alternative zum Eta 2824 stammt aus La Chaux-de-Fonds. Nur wenige hundert Meter entfernt von Sellita fertigt die aus der ehemaligen Jaquet-Baume SA hervorgegangene Manufaktur La Joux-Perret (MLJP) mechanische Uhrwerk. Wie Frédérique Constant und Alpina gehört das als unabhängiger Zulieferer bekannte Unternehmen inzwischen zur japanischen Citizen Gruppe.
So gesehen kann es vom langen Knowhow der Mutter beispielsweise auf dem Gebiet des Assortiments inklusive ihrer Unruhspiralen profitieren. Unter fernöstlicher Regie hat sich der auf Modifikationen bestehender Uhrwerke wie beispielsweise Valjoux/Eta 7750 spezialisierte Fabrikant während der vergangenen Jahre neu aufgestellt. Dazu beigetragen hat natürlich das anhaltende Wirrwarr um die Belieferung durch Eta.
Wir haben die Strategie von La Joux-Perret komplett überarbeitet und positionieren uns als Komplettanbieter für mechanische Uhrwerke. Wir entwickeln Lösungen, die auf die besonderen Bedürfnisse jedes Kunden abgestimmt sind, vom Dreizeigerwerk bis zum Tourbillon mit zahlreichen Komplikationen. Unser Ziel ist es, auch bei Kleinserien schnell auf die Wünsche unserer Kunden zu reagieren. Wartezeiten von bis zu 12 Monaten sind im Jahr 2021 bei MLJP obsolet.
Jean-Claude Eggen, seit Mai 2020 Geschäftsführer der MLJP weiß, wovon er spricht. Immerhin konnte er bei Eta und Swatch vielfältige Erfahrung hinsichtlich der Produktion von Uhrwerken sammeln.
In diesem Sinne entstand bei der MLJP das neue Automatikkaliber G100. Obwohl es sich auf den ersten Blick vom altbekannten Eta 2824-A2 entscheidet, sind seine Dimensionen und Anschlüsse vollständig auf diesen Klassiker abgestimmt. Käufer können also ohne Aufwand innerhalb kürzester Zeit vom Eta 2824-A2 oder dem Sellita SW200 auf den tickenden Newcomer umstellen.
Eine Besonderheit besteht in 68 Stunden Gangautonomie, welche das 4,45 Millimeter hoch bauende Uhrwerk trotz vier Hertz Unruhfrequenz erreicht. Als Gangregler dient eine Ring-Unruh im Verbund mit einer autokompensierenden Flachspirale. Veränderungen am Gang ermöglicht ein Rücker mit Feinregulierung vom Typ Etachron. Neben dem Fensterdatum sollen in Absprache mit den potenziellen Kunden auch weitere Zusatzfunktionen möglich sein.
Chronographisches von MLJP
Als Alternative zum Eta 7750 oder dem Sellita SW500 offeriert MLJP künftig das Automatikkaliber L100. Wie das Kaliber 2000-RAC der ebenfalls in La Chaux-de-Fonds ansässigen, vor gut zehn Jahren vom Ingenieur Valérien Jaquet gegründeten Concepto SA besitzt das 30 mm große und 7,9 mm hohe messende Uhrwerk die schon bei den Umbauten verwendete Schaltradsteuerung für die chronographische Funktion. Die Unruh oszilliert mit vier Hertz. Über sechzig Stunden erstreckt sich die Gangautonomie dieses Werks.
Dieses neue, komplett selbst gefertigte Basiskaliber lässt sich sozusagen aus dem Bestand durch rund 50 verschiedene Zusatzfunktionen erweitern oder modifizieren. Darüber hinaus bietet die MLJP zahlreiche Möglichkeiten, sich durch Individualisierung von der Masse abzuheben. Das wiederum ist selbstverständlich eine Frage des Preises. Grundsätzlich soll sich letzterer auf der Höhe des Wettbewerbs bewegen.
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