Ein Brief und seine Folgen
Wer weiß, ob gewöhnliche Uhr-Konsumenten und Eigentümer einer Uhr mit einem Kaliber Sellita SW330-01 ohne jeden 2003 verfassten Brief des Eta-Managements jemals von der Sellita SA oder dem Uhrwerk SW330-01 Kenntnis genommen hätten. Damals gehörte die Firma zum Kreis der eher anonymen Hintergrundakteure des Uhrengewerbes. Was ja in Ordnung ist. Denn im Grunde genommen wollen diese Hintergrundakteure auch nicht in Erscheinung treten, obwohl viele Fabrikanten zwingend auf sie angewiesen sind.
Sellita traf besagter Brief, in dem der marktbeherrschende Rohwerkegigant Eta den Abnehmern außerhalb der Swatch Group zunächst reduzierte Lieferungen und ab Anfang 2006 die gänzliche Einstellung ankündigte, wie ein Blitz aus heiterem Himmel. Als mit Abstand bester Eta-Kunde verarbeitete das Familienunternehmen Sellita jährlich Komponenten für rund eine Million Uhrwerke unterschiedlicher Kaliber.
Zu Ihnen gehörten Automatik-Bestseller wie Eta 2824-A2, Eta 2892-A2 und natürlich das Kaliber Valjoux/Eta 7750. Dieses bemerkenswerte Quantum machte nicht nur ein Viertel der gesamten Eta-Produktion aus, sondern es beseelte auch die Produkte zahlreicher namhafter Marken in und außerhalb der Schweiz. Kein Wunder, dass der inzwischen 53-jährige CEO Miguel Garcia im ersten Moment das Schreiben gewissermaßen mit einem Todesurteil gleichsetzte.
Für uns bei Sellita war dieses Schreiben eine echte Katastrophe. Es hätte keine andere Wahl gegeben, als unseren Betrieb zu schließen und die damals 150 Mitarbeiter zu entlassen.
Vordergründig war derartiges natürlich auch nicht im Sinn von Nicolas G. Hayek. Der 2010 verstorbene Swatch Group-Boss betrachtete das Manöver auch als so genannten Schuss vor den Bug.
Er wollte mehr Werke-Wettbewerb und die Swatch Group-Tochter Eta von der alleinigen industriellen Produktion mechanischer Kaliber im unteren Preissegment entlasten.
Wir von Sellita waren gerne bereit, diese unverhohlene Aufforderung zur Kreation eigener Uhrwerke anzunehmen, aber das ging unmöglich von heute auf morgen. Schließlich ist Montieren und Veredeln etwas gänzlich anderes als Entwickeln und in großen Serien produzieren.
Vom Sellita Arbeiter zum Eigentümer
Miguel Garcia hatte seine berufliche Karriere 1987 als einfacher Arbeiter bei Sellita gestartet. Der Geschäftszweck des 1950 von Pierre Grandjean ins Leben gerufenen Unternehmens bestand in der Montage und Veredelung mechanischer Uhrwerke, welche etablierte Ebauchesfabrikanten wie zum Beispiel Eta in Form unbearbeiteter Bausätze anlieferten.
Sehr bald erkannte der Firmengründer die Qualitäten seines Mitarbeiters, und er behandelte ihn wie einen eigenen Sohn. 1995 avancierte Garcia zum Generaldirektor. 2003 kaufte er die Aktien seines kranken Ziehvaters. Schon von da an stand die künftige Produktphilosophie fest: Generika, also Klone wichtiger Eta-Kaliber, deren Patente abgelaufen waren.
Die Sellita Entwicklungsschritte
Mit schlichtem Kopieren war und ist es allerdings nicht getan. Sämtliche Komponenten eines Uhrwerks verlangen im Entstehen nach intensiver Beschäftigung. Dann folgen Prototypen, welche sich in ausgiebigen Zertifizierungsverfahren bewähren müssen. Dazu gehören beispielsweise die Reaktion auf Wärme, Kälte, Erschütterungen und Druck. Und das unter Berücksichtigung möglicher Langzeitfolgen.
Daneben brauchte es zuverlässige Lieferanten einzelner Komponenten für die spätere Serienprodukte. Erst wenn die Prototypen den Stresstest einer industriellen Produktion mit riesigen Stückzahlen bestehen, ist an eine Markteinführung zu denken. Wesentliche Faktoren sind überdies die Komplexität eines Kalibers und die intendierten Quantitäten.
Die verfügbaren finanziellen Mittel entscheiden gleichzeitig über die zeitliche Verkraftbarkeit der Entwicklung einer Palette von verschiedener Kalibern. Logischer Weise lassen sich alle durch entsprechende Punzen exakt identifizieren.
Nicht nur einmal hat uns Eta vorgeworfen, Uhrwerke aus unserem Haus würden sich in Plagiaten wiederfinden. Dem wirken wir durch klare Kennzeichnung jedes der Werke entgegen. In kodierter Form finden sich der Hersteller, das Produktionsjahr und der Kunde wieder. Auf diese Weise lässt sich im Zweifelsfall alles genauestens nachvollziehen.
Investments in Millionenhöhe
Auskünfte zu den Investitionskosten in die grauen Gebäude im Stadtteil Le Crêt-du-Locle, den Maschinenpark sowie die Werke selbst erteilt Sellita verständlicher Weise nicht. Auszugehen ist jedoch von einem beträchtlichen zweistelligen Millionenbetrag. Bekanntlich ist das Abenteuer dank harter Arbeit, kreditwilligen Banken und der Gemeinde La Chaux-de-Fonds geglückt. Sie veräußerte zu fairen Konditionen ein Grundstück im Angesicht der großen Cartier-Fabrik.
Sellita Gebäude
Somit führt auf der Fahrt nach Le Locle am imposanten grauen Sellita-Gebäude kein Weg mehr vorbei. Bis das gegenwärtig auch vom Coronavirus gezeichnete Unternehmen mit seiner Werkeproduktion allerdings Eta-Dimensionen erreicht, dürfte noch viel Wasser den Doubs hinabfließen. Aber Massenproduktion ist auch nicht das Ziel von Miguel Garcia.
Weitere Entwicklung
Qualität geht Garcia vor Quantität. Weil die Swatch Group und ihre Tochter Nivarox-FAR im Juni 2011 an der Lieferung unverzichtbarer Bestandteile des Schwing- und Hemmungssystems zu rütteln begann, musste Miguel Garcia nolens volens auch in Assortiment-Produktion einsteigen.
Sellita in Glashütte
Bleibt zum Schluss das deutsche Standbein der Sellita. Es steht, wie könnte es anders sein, in Glashütte im sächsischen Müglitztal. Die Gurofa GmbH, ausgeschrieben Glashütter Uhrenrohwerkefabrik, geht ihren Geschäften in Bärenstein bei Altenberg nach. Nahe Glashütte entstehen in Großserie präzise Messingteile wie Platinen, Brücken und Kloben für Sellita-Kaliber.
Eta Werke und ihre Klon Sellita-Kaliber
Der größte Teil des Spektrums ruht auf mehreren tragfähigen Säulen: Eta 2671, Eta 2824-A2, Eta 2892-A2 und Valjoux/Eta 7750 mit Chronograph. Sellita hat die Klon Kaliber SW100, SW200, SW300 bzw. SW500 getauft.
Im Laufe der Zeit entstanden verschiedene Derivate beispielsweise mit anders positioniertem Sekundenzeiger. Außerdem Zusatzfunktionen wie Mondphasen-Indikation oder Zeitzonen-Dispositiv.
Sellita SW330-1
Den Zonenzeiten widmet sich das 25,6 Millimeter große und 4,10 Millimeter hohe Automatikkaliber Sellita SW330-1 mit ca. 42 Stunden Gangautonomie und Sekundenstopp. In seinem Zentrum drehen insgesamt vier Zeiger. Einmal die drei beim SW300 üblichen für Stunden, Minuten und Sekunden. Einen zusätzlichen 24-Stunden-Zeiger bringt das vorderseitig montierte Zeitzonen-Modul bringt mit sich.
Weil Sellita bei der Konstruktion nicht in das Zeigerwerk des Basiskalibers SW300-1 eingegriffen hat, lässt sich nur der 24-Stunden-Zeiger mit Hilfe der Krone unabhängig vom Minutenzeiger verstellen. Und das ausschließlich im Uhrzeigersinn. Die andere Kronen-Drehrichtung dient als Schnellkorrektur der Datumsindikation. Fernreisende, die in einer anderen Zeitzone eintreffen, müssen also den Minuten- und Stundenzeiger so lange verdrehen, bis ihre Armbanduhr die korrekte Ortszeit darstellt. Zum täglichen Gebrauch für Fernreisende und Globetrotter taugt dieses System daher weniger
In diesem Sinne versteht sich das SW330-1 als Alternative zum Eta 2893, welches es mit unabhängig verstellbarer 24-Stunden-Indikation in den drei Versionen -1, -2 und -3 gibt.
Somit wenden sich diese Automatikwerke an Menschen wie Händler, Börsenmakler oder Vielreisende. Mit wenigen Handgriffen können sie die aktuelle Stunde in New York, Tokio oder einer anderen entfernten Zeitzone einstellen. Wer sich im Gelände bewegt, kann den auf Normal- und nicht Sommerzeit eingestellten Zeitmesser überdies zur groben Bestimmung der Himmelsrichtung verwenden. Damit der 24-Stunden-Zeiger in Richtung Norden zeigt, muss die Armbanduhr flach liegen und das 12-Stunden-Pendant in Richtung Sonne ausgerichtet werden.
Durch die Verwendung einer 24-Stunden-Scheibe anstelle des Zeigers und eines entsprechend gestalteten Zifferblatts hat man stets die Zeit rund um den Globus im Blick.
Drei Armbanduhren mit dem Uhrwerk Sellita SW330-1
Zum nicht sonderlich großen Kreis der Nutzer des Sellita Automatikkalibers SW330-1 gehören die drei deutschen Uhrenmarken Junghans, Mühle-Glashütte und Spezialuhren Sinn.
Junghans Meister Worldtimer
Im Oktober 2020 präsentierte das Schwarzwälder Traditionsunternehmen seinen neuen Meister Worldtimer. Diese Armbanduhr mit knapp 41 Millimeter Gehäusedurchmesser gibt es gleich in mehreren Ausführungen. Selbige betreffen einmal die schlichte Gehäuseschale aus Edelstahl. Erhältlich ist sie ohne oder mit goldfarbener PVD-Beschichtung.
Alle Versionen liefert Junghans jedoch mit einem Mineralglas-Sichtboden aus, durch den sich das Junghans J820.5 genannte Automatikkaliber auf Basis des Sellita SW330-1 zeigt.
Wahlmöglichkeit besteht auch beim bombierten vorderseitigen Glas. Verfügbar ist kratzfester und beidseitig entspiegelter Saphir. In diesem Fall reicht die Wasserdichte bis zu fünf bar Druck. Als Alternative bietet sich Acrylglas an, dessen Oberfläche eine Beschichtung zur Steigerung der Kratzfestigkeit trägt. Dieses Modell widersteht dem Druck des nassen Elements allerdings nur bis zu überschaubaren drei bar. Anstelle des unabhängigen 24-Stunden-Zeigers besitzt das Kaliber J820.5 eine bedruckte Scheibe. Sie dreht einmal pro 24 Stunden und lässt sich durch Ziehen der Krone in die erste Position stundenweise nach rechts bewegen.
Durch schmale Schlitze im charakteristischen Zifferblatt, welches in mehreren Farben erhältlich ist, zeigen sich in hellem Druck die zwölf Stunden des Tags und schwarz die Nachtstunden. Diesen Stundenring umrunden Städtenamen als Repräsentanten der 24 Standard-Zeitzonen. Bei Dunkelheit erleichtert Super-LumiNova in den Zeigern für Stunden und Minuten das Ablesen. Eine Datumsanzeige besitzt der Junghans Meister Worldtimer hingegen nicht.
Schließlich lässt Junghans seinem Kundenkreis auch beim Armband freie Hand. Neben Kalbs- oder Pferdeleder steht auch puristischer oder beschichteter Edelstahl zur Wahl. Weil die Glieder nicht verschraubt, sondern verstiftet sind, empfiehlt es sich, die Anpassung gleich beim Fachhändler vornehmen zu lassen.
Naturgemäß bietet die Schmetterlings-Faltschließe keine Möglichkeit zur Veränderung der Bandlänge. Mit Acrylglas bewegen sich die unverbindlichen Preise zwischen 1.490 und 1.590 Euro. Saphir kostet bei ansonsten gleicher Ausführung 200 Euro mehr.
Terrasport aus Sachsen
Mühle stattet seine Mühle-Glashütte Terrasport IV GMT mit der hauseigenen Version des Sellita SW330-1 aus. Damit die sächsische Uhrenmetropole auf dem Zifferblatt verewigt werden darf, muss die notwendige Wertschöpfung in Glashütte über 50 Prozent (die Gründe lassen sich unter dem Link zur Geschichte von Mühle-Glashütte erfahren) liegen. Das geschieht durch die hauseigene Spechthals-Feinregulierung für den Rücker, den speziell gestalteten Rotor sowie die Regulierung nach Mühle-Kriterien.
Natürlich zeigt sich die Mechanik beim Blick durch einen Sichtboden. In der ersten Kronenposition lässt sich rechtsdrehend der 24-Stunden-Zeiger und entgegen dem Uhrzeigersinn das Fensterdatum verstellen. Dem sportiven Anspruch wird die gute Wasserdichte der 42-Millimeter-Edelstahlschale von bis zu zehn bar Druck gerecht. Auf das im Pilotenuhr-artig gestaltete Zifferblatt blickt man durch beidseitig entspiegeltes Saphirglas und Super-LumiNova-Leuchtmasse erleichtert das Ablesen bei Dunkelheit.
Mit Büffelleder-Armband kostet diese sächsische Globetrotter-Referenz M1-37-94-LB unverbindliche 2.150 Euro. Mit Edelstahl-Gliederband sind für die Mühle-Glashütte 2.250 Euro fällig.
UTC heißt Universal Time Coordinated
Spezialuhren Sinn in Frankfurt am Main hat seinen neuen, ausgesprochen sportlichen Repräsentanten mit dem Kaliber Sellita SW330-1 in bekannter Weise 105 St Sa UTC getauft. Als erstes sticht bei dem 41 Millimeter großen Stahlgehäuse der griffige Drehring mit Stundenteilung ins Auge. Die hartstoffbeschichtete Lünette lässt sich in 24 Schritten übrigens beidseitig verstellen.
Folglich korrespondiert diese Sinn Uhr mit dem markanten orangefarbenen UTC-Stundenzeiger des Kalibers Sellita SW-330-1. UTC steht für Universal Time Coordinated. Piloten sprechen von Zulu-Time und Soldaten von militärischer Zeit. Das für die UTC verbindliche Zeitsignal liefert übrigens ein in Paris stationierter Sender.
Zu den Merkmalen der markanten Schale dieser sportlichen Sinn GMT Uhr gehören vorder- und rückseitiges Saphirglas sowie eine Schraubkrone. Tauchgänge sind theoretisch bis zu 200 Meter oder 20 bar Wasserdruck möglich. Eine gute Ablesbarkeit der Stunden, Minuten und Sekunden bei widrigen Sichtverhältnissen gewährleistet dabei die Verwendung von Super-LumiNova Leuchtmasse.
Mit Leder- oder Silikonband werden für diese Armbanduhr jeweils 1.590 Euro fällig. Sie Ausführung mit stählernem Gliederband kostet 1.790 Euro.
Alle drei Modelle sind ansprechend und zeugen davon, wie vielfältig die Einsatzmöglichkeiten der Sellita Werke wie des Kalibers Sellita SW330-01 sind.
Hallo, Sie haben die Mecchaniche Venezian ‘Nereide GMT’ vergessen. Diese verwendet ebenfalls das gleiche Automatikwerk.
Und auch die Glycine Airman Vintage GMT…