Manufaktur versus Etablisseur
Traditionsgemäß bewegt das Innenleben mechanischer Armbanduhren, dessen Fabrikanten und natürlich auch die Abnehmer viele Gemüter. Da sind einmal vergleichsweise wenigen Manufakturen, die zumindest einen Teil der unverzichtbaren Rohwerke, französisch Ebauches im eigenen Haus fertig(t)en und kauf(t)en.
Daneben gibt es deutlich mehr der so genannten Etablisseure, deutsch Fertigsteller, welche neben den Gehäusen, Zifferblättern, Zeigern und Armbändern auch die Uhrwerke bei einschlägig spezialisierten Herstellern kaufen. Arbeitsteilung existiert in der Uhrenindustrie seit dem 18. Jahrhundert. Und ihr haftet grundsätzlich auch nichts Negatives an. Die Tatsache, dass die Entwicklung eines neuen Automatik-Uhrwerks Millionenbeträge verschlingt, macht das konsequente Festhalten an kooperativen Prinzipien verständlich.
Weil ohne das Ebauche selbst bei teuerster Schale und aufwändigster Feinbearbeitung gar nichts geht, verlangt dieses Thema nach differenzierter Betrachtung. Zum diesem Begriff steht im illustrierten Wörterbuch der Uhrmacherei von Georges-Albert Berner folgende Erklärung zu lesen:
EBAUCHE – ROHWERK n. Unvollständiges Uhrwerk.
Bis ungefähr 1850 bestanden die Rohwerke bloß aus der Werkplatte, den Brücken, der Schnecke und dem Federhaus. Die alten Genfer Uhrmacher nannten das Rohwerk: le blanc. Zu Beginn des XIX. Jahrhunderts bestand das Rohwerk aus zwei Werkplatten mit Pfeilern und Brücken, dem Federhaus, der Schnecke, dein Rücker, der Sperrklinke, dem Klinkenrad und einigen Befestigungsschrauben. Das Ganze war mit der Feile und dem Fräser grob bearbeitet. Die Stahl- und Messingteile wurden in Spezialwerkstätten hergestellt. Das Rohwerk wurde ausschließlich im Etablissagebetrieb fertiggestellt. Das moderne Rohwerk ist ein Uhrwerk mit oder ohne Steine, aber ohne regulierende Teile und ohne Zugfeder, Zifferblatt und Zeiger.
Der Weg zur Arbeitsteilung
Anfangs war eine mechanische Räderuhr das Werk eines einzigen Meisters. Das Ebauche, also der erste Entwurf eines Werks interessierte die wohlhabenden Kunden herzlich wenig. Es zählte das fertige Produkt, nicht jedoch seine Genese. Über den Werdegang ihrer tickenden Instrumente hüllten sich logischer Weise auch die Uhrmacher in Schweigen. Ihr Bemühen galt allen Arbeitsschritten gleichermaßen.
Rohwerke
Deshalb erlangte der Terminus Rohwerk erst im Gefolge zunehmender Rationalisierung seine heutige Bedeutung. Für eine klare Trennung des Feinen vom Groben sorgten 1745 die in Genf erlassenen „Satzungen betreffend das Uhrmachergewerbe“. Sie bewirkten eine Verbannung der als minderwertig angesehenen Ebaucheshersteller aus dem Stadtgebiet. Fortan durften sie ihrer Arbeit nur vor den Toren nachgehen.
Das einträglichere Fertigstellen und Vermarkten von Uhren wollten die Genfer Etablisseure selbst besorgen. Immerhin bestimmten der Herkunftsname, das kunstvolle äußere Erscheinungsbild sowie die Verwendung kostbarer Materialien in erster Linie den Preis. Die vergleichsweise billigen, aber gleichwohl unverzichtbaren (Roh-)Werke waren nicht der Rede wert.
Erster französischer Massenproduzent
Als anerkannter Wegbereiter der industriellen Rohwerkefertigung kann Frédéric Japy aus dem französischen Beaucourt gelten. Gegen 1770 rief er eine Ebauchesfabrikation unter Einbeziehung moderner Maschinen und Technologien ins Leben. 1795 entstanden jährlich 40.000 Rohwerke, zehn Jahre später waren es bereits mehr als 180.000, und 1813 lag der Ausstoß bei gut 300.000. In der Tat war sein Unternehmen das erste, worauf die Bezeichnung Rohwerkefabrik zutraf. Deshalb verwundert es nicht, dass auch viele eidgenössische Etablisseure bei Japy einkauften.
Mit der Produktionssteigerung ging -beinahe selbstverständlich- ein massiver Preisverfall einher. Während Japy anfänglich noch 6,50 Franken für ein Rohwerk verlangte, sank der Preis bis 1815 auf unter zwei Franken. Das großseriell gefertigte Ebauche geriet zunehmend unter Druck. Im Zeitalter der Industrialisierung kristallisierten sich nämlich immer stärker die Diskrepanzen zwischen handgefertigten Luxusuhren und fabrikmäßig hergestellten Rohwerken heraus. Weil die Betriebe und Arbeitsmethoden der Etablisseure weit weniger modern waren als jene der Ebauchesfabrikanten, kam es zu einem krassen Missverhältnis zwischen dem Ausstoß an Rohwerken einerseits und der Verarbeitungskapazität auf der anderen Seite.
Das Überangebot brachte mit sich, dass die Erzeuger der Rohwerke ihre Produkte auch mit Verlust verkaufen mussten, während die Fertigsteller gutes Geld verdienten. Ab den 1920-er Jahren waren diese anhaltenden Diskrepanzen besonders deutlich spürbar. Etliche Rohwerkehersteller, die ihre Maschinen während der Jahre des Ersten Weltkriegs auf profitablere Munitionserzeugung umgestellt hatten, kehrten mit dem Waffenstillstand zurück zum angestammten Geschäft.
Schnell waren jedoch erneut Überproduktion und Dumpingpreise an der Tagesordnung. Beispielsweise sank der Preis für ein Dutzend eines ovalen 6:-linigen Formwerks, welches 1912 noch 288 Schweizerfranken gekostet hatte, im Jahr 1922 auf ganze 35 Franken.
Aus der Not geboren
Auch die 1917 als Regulierungsinstitution gegründete Société Suisse des Fabriques d’Ebauches et de Finissages (Schweizerischer Verband der Rohwerkefabrikanten und Feinbearbeiter) konnte letztlich keine Besserung bewirken. Mitte 1921 waren in der schweizerischen Uhrenindustrie mehr als 30.000 Menschen ganz oder teilweise ohne Beschäftigung. Mehr als deutlich offenbarte sich, dass ohne fundamentale Reorganisation eine Solidarität innerhalb der Uhrenindustrie nicht herbeizuführen war.
Daher entstand 1924 die Fédération Horlogère kurz FH, oder auf gut Deutsch die Vereinigung der Uhrenfabrikanten als erster Spitzenverband. In ihm organisierten sich rund drei Viertel der im Handelsregister eingetragenen Uhrenindustriellen (Etablisseure und Manufakturen).
Im Januar 1925 lud die Schweizer Uhrenkammer zu einer Konferenz zwischen Delegierten der FH und Rohwerkefabrikanten. Am Ende vereinbarten 26 Ebauchesproduzenten eine gemeinsame Organisation. Allerdings hielt sich der Erfolg dieser Bemühungen in engen Grenzen.
Mit Wirkung vom 27. Dezember 1926 beschlossen drei Branchenriesen A. Schild S.A. (ASSA), Fabrique d’horlogerie de Fontainemelon (FHF) und A. Michel S.A. (AM) die Gründung einer Holding für Rohwerke und Ersatzteile mit 12 Millionen Schweizerfranken Gesellschaftskapital.
Unter dem gemeinsamen Dach der neuen Ebauches SA behielt jeder der drei Hersteller, welche zusammen für rund 80 Prozent aller eidgenössischen Rohwerke verantwortlich zeichneten, prinzipiell seine unternehmerische Eigenständigkeit. Mittel und langfristig bestand das Ziel in der Eingliederung aller reinen Ebaucheshersteller sowie der Rohwerkeabteilungen so genannter gemischter Fabriken. Unter letztgenannten waren Produzenten zu sehen, die (exklusive) Rohwerke für den eigenen Bedarf herstellten, andererseits aber auch Ebauches an externe Kunden lieferten.
Eingliederung
In diesem Sinne gelangten 1927 und 1928 auch noch jene unabhängigen Fabriken unter das Dach der Ebauches SA, welche keine sonderlich großen Forderungen erhoben. Zu ihnen gehörte Ch. Hahn in Le Landeron. Fortan kontrollierte die Ebauches SA schon 90 Prozent des eidgenössischen Rohwerkemarkts. Regulierende Eingriffe in das grundsätzliche Selbstbestimmungsrecht erfolgten nur dort, wo es Marktordnung und Wirtschaftlichkeit verlangten. Mit anderen Fabrikanten wie Eterna/Eta, Fleurier und Peseux schloss die Holdinggesellschaft zunächst einmal Freundschaftsverträge. Indes erwiesen sich letztere wegen des immer härteren, u.a. durch den Börsenkrach von 1929 und die folgende Weltwirtschaftskrise angeheizten Existenzkampfs als wenig wirksam.
Die „Freien“ verkauften Rohwerke und Schablonen genannte Teilekits zu jedem halbwegs akzeptablen Preis. Ende 1931, als die Krise ihrem Gipfel entgegenstrebte, entstand die Allgemeine Schweizer Uhrenindustrie AG mit einem Gesellschaftskapital von 50 Millionen Schweizerfranken. Besagte ASUAG vereinigte Hersteller von Rohwerken und Produzenten regulierender Teile. Aktien hielten die Organisationen der Uhrenindustrie, Banken und der Staat. 1932 kam die Ebauches SA ihrem erklärten Ziel, den Markt auch hinsichtlich der Preise weitgehend kontrollieren zu können, ein gutes Stück näher.
Insgesamt sechs Rohwerkefabriken oder -abteilungen, darunter Peseux, Fleurier, Unitas, Bettlach und Eta hatten sich mehr oder weniger freiwillig eingliedern lassen. Beispielsweise erhielt die Familie Schild, der auch die von Eta mit Werken belieferte Uhrenmarke Eterna gehörte, 1932 für den Verkauf ihrer Eta-Aktien knapp vier Millionen Schweizerfranken. Eta war übrigens nichts anderes als ein Kürzel von Eterna.
1950 befanden sich nicht weniger als 68 Unternehmen der Uhrenindustrie ganz oder teilweise unter dem Dach der Ebauches Aktiengesellschaft. Unter anderem definierte das Kartell die Mindestpreise für Rohwerke bestimmter Kategorien oder die Schwing- und Hemmungssysteme.
Eine Übersicht der wichtigsten Rohwerkefabrikanten und ihrer Stempel unter dem Dach der Ebauches SA. Eine detalliertere Vorstellung dieser Produzenten folgt im nächsten Artikel zu diesem Thema.
Quarz-Revolution und -Krise
In den 1970-er Jahren bescherten die elektronische Revolution und das Vordringen fernöstlicher Konkurrenz für zunehmenden Druck. 1979 kam es zu heftigen Turbulenzen, welche u.a. die Eingliederung der AS SA in die Eta SA nach sich zogen. 1983 erfolgte im Zuge einer unabdingbaren Strukturbereinigung die Liquidierung von Rohwerkefabrikanten wie z.B. Fleurier, Peseux, Tavannes, Unitas oder Venus. Darüber hinaus brachte jenes Jahr den Zusammenschluss der Ebauches SA mit der ASUAG (Uhrenmarken wie Concord, Eterna und Longines). Letztere fusionierte am 8. Dezember 1983 mit der SSIH (Société suisse pour l>industrie horlogère), zu der u.a. Omega und Tissot gehörten.
1985 formte Nicolas G. Hayek aus dem Konglomerat die SMH-Gruppe (Société Suisse de microélectronique et d>horlogerie), welche 1998 eine Umbenennung in Swatch Group erfuhr.
In diesem Zusammenhang blieb von den einstigen Rohwerkemarken der Ebauches SA nur Eta übrig. Der Grund: als einzige hatte sie sich in den 1970-er Jahren konsequent auch der elektronischen Zeitmessung zugewandt sowie unter der Ägide des früheren Chemikers und Krebsforschers Dr. Ernst Thomke ab 1979 die aus nur 51 Komponenten bestehende Quarz-Swatch entwickelt. Ende 1981 präsentierten der Kunststoffingenieur Elmar Mock, der Uhreningenieur Jacques Müller und der Designer Hans Zaugg fünf handgefertigte Prototypen, alsbaldige Ausfallquote 100 Prozent.
1983 erlangte das patentierte Kaliber ESA 500 seine Serienreife. Nicolas G. Hayek lieferte danach zugkräftige Ideen zur Vermarktung besagter Swatch, hatte mit deren Entwicklungsprozess aber nichts zu tun.
Bei allen geschildeten Problemen hatte das Vordringen moderner Maschinen in der Uhrenfertigung aber auch Positives mit sich gebracht. Mit ihrer Hilfe ließ sich nämlich eines der heikelsten Probleme lösen: die Austauschbarkeit der Bestandteile eines Uhrwerks. Als der Leitspruch Zeit ist Geld immer größere Bedeutung erlangte, konnte es schlichtweg nicht mehr angehen, dass Ersatzteile stets durch manuelle Nacharbeit passend gemacht werden mussten. Das Aufkommen von Maschinen hatte zudem die Idee gefördert, dass nicht jeder zwangsläufig alles fertigen müsse. Der Kauf von Steinen, Unruhn, Unruhspiralen, Hemmungen bei spezialisierten Herstellern wirkte qualitätssteigernd und zudem noch kostensenkend.
Begriffliche Klarheit
In diesem Zusammenhang sind einige begriffliche Definitionen unabdingbar: Ein funktionsfähiges Uhrwerk besteht aus Ebauche (Rohwerk), Hemmung (Echappement), Unruhreif mit Spiralfeder, Zugfeder, Zifferblatt und Zeigern. Unter Ebauche ist ein komplettes Werk (Platinen, Brücken, Rädersatz, Stahlteile …) ohne Hemmung, Unruhreif, Spiralfeder, Zugfeder, Zifferblatt und Zeiger zu verstehen. Im Umgang mit Rohwerken taucht gelegentlich auch der Terminus Schablone auf. Hierbei handelt es sich um einen nicht zusammengebauten Satz aller oder verschiedener Teile eines Kalibers.
Unter Kaliber versteht man schließlich eine möglichst eindeutig klassifizierende Bezeichnung der unterschiedlichen Werktypen. Die Kaliberangabe dient der exakten Identifikation eines bestimmten Uhrwerks, beispielsweise zum Zweck der Ersatzteilbestellung.
Übrigens taugt die sichtbare Rückseite eines Uhrwerks nur bedingt zu seiner Identifizierung. Durch relativ einfache Modifikation der Federhaus- und Räderwerksbrücke sowie der Kloben entsteht ein völlig anderer Eindruck, obwohl die Getriebekette und ihre Anordnung völlig gleich sind.
Sofern die Uhrwerke nicht vom Ebauchesfabrikanten mit dessen Logo und der Kalibernummer gepunzt sind, blicken Uhrmacher unterm Zifferblatt auf den viel wichtigen Winkelhebel und die zugehörige Feder. Selbiges Ensemble findet sich nämlich auch in den so genannten Werksuchern.
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