Der Schweizer Uhrenindustrie geht es gut und der Corona-bedingte Umsatzrückgang kann langsam aufgefangen werden. Auch die von Nicolas Hayek einst geformte Swatch Group mit ihren 18 Uhrenmarken und dem Marktführer im Bau von Rohwerken wird im Jahr 2021 wieder in die Gewinnzone einbiegen.
Was viele dabei vergessen ist, dass es nicht zuletzt der Verdienst diesen Mannes war, der dafür sorgte, dass es die Schweizer Uhrenindustrie in dieser Breite und Tiefe heute noch gibt. Nicolas G. Hayek hatte im Jahr 1983 auf Wunsch der Gläubigerbanken die siechende Uhrengruppe SSIH, die ASUAG Gruppe und den Werkespezialist Holding Ebauches SA, eher bekannt als ETA übernommen und saniert.
Es war kein leichtes Unterfangen, vielmehr musste der Unternehmensberater und Sanierer schnelle und harte Entscheidungen treffen. Hayek sorgte dafür, dass die Produktionsmethoden modernisiert wurden und die Marken neuen Glanz bekamen. Mit der modischen Swatch Uhr erschuf er außerdem ein weltweit erfolgreiches Lifestyle-Produkt, dass frischen Wind wie neuen Umsatz ins Unternehmen brachte.
Wer war aber dieser ungewöhnliche Mann, der weite Teile der Schweizer Uhrenindustrie vor dem Untergang rettete und am 28. Juni 2010 im Alter von 82 Jahren am Schreibtisch starb. Ein Umstand übrigens, der ganz im Sinne Hayeks war, da es für ihn keine Grenze zwischen Arbeit und Privatleben gab. Wie sagte er einst in einem Interview: „In meinem ganzen Leben habe ich noch nie einen Tag gearbeitet. Ich habe mich immer amüsiert, denn das, was andere als Arbeit bezeichnen, ist für mich Amüsement.“
Nicht der technische Fortschritt tötet Arbeitsplätze, sondern unser Mangel an Entschlossenheit und unsere Risikoscheu
Der Mensch Nicolas G. Hayek
Um diese Haltung zu verstehen, muss man einen Blick auf die Lebensgeschichte von Nicolas George Hayek werfen. Hayek wurde am 19. Februar 1928 in Beirut geboren und wuchs im damals friedlichen und weltoffenen Beirut auf. Sein Vater George Nicolas Hayek arbeitete als Zahnchirurg, hatte allerdings auch die amerikanische Staatsbürgerschaft und gehörte der Oberschicht Libanons an. Im Zuge der Nachkriegswirren zog die Familie im Jahr 1949 schließlich in die Schweiz. Hier wurde Nicolas Hayek, mit abgeschlossenem Mathematik- , Physik- und Chemiestudium bestens ausgebildet, schnell sesshaft und heiratete Marianne Mezger, die Industriellentochter der großen Eisengießerei Mezger AG in Kallnach.
Anschließend arbeitete Nicolas G. Hayek bei unterschiedlichen Unternehmen im Management sowie als Berater und gründete schließlich im Jahr 1957 sein eigenes Beratungsunternehmen in Zürich. Im Jahr 1963 wurde das Unternehmen in Hayek Engineering umbenannt. Schnell stellten sich erste Erfolge in der Beratung und Sanierung von Unternehmen ein, so dass Hayek und seine Mitarbeiter bis Ende der 1970er Jahre bei über 300 nationalen wie internationalen Unternehmen aktiv waren. Darunter waren neben Firmen der Stahl-, Maschinen- und Automobilindustrie wie Mannesmann, Flick, Thyssen, Audi sowie Daimler-Benz auch öffentliche Körperschaften. Entsprechend gut war das Ansehen des klugen Sanierers – und sein Netzwerk.
Der Auftrag
Beide Fähigkeiten sollten ihm bei seinem Einsatz für die Schweizer Uhrenindustrie zu Pass kommen, denn dieser für die Schweiz sehr wichtige Wirtschaftszweig lag Anfang der 1980er Jahre in tiefer Agonie darnieder. Den Trend zur billigen Digital-Quarzuhr hatte man schlichtweg verschlafen und das legendäre Swiss Made hatte mangels konsequenter Qualitätskontrolle seinen Glanz verloren.
Nicolas G. Hayek analysierte die Situation kurz und trocken. „Miserables Management und Fehleinschätzung der Konkurrenz“, waren für ihn der Ursprung allen Übels, und „Es fehlt in der Schweiz an Unternehmerpersönlichkeiten mit Mut, Fantasie und Weitsicht.“ Es waren diese unternehmerischen Grundwerte, die Hayek dem Unternehmen mit seinem Willen, seiner Beharrlichkeit aber auch strategischem Geschick neu einhauchen wollte.
Denn genau diese alten Tugenden sorgten dafür, dass die Haute Horlogerie, die sich in der Regel im Familienbesitz befand, vehement gegen die Krise stemmte und durch Mut und weitsichtige Entscheidungen den Weg zum Erfolg zurückfand.
Es fehlt in der Schweiz an Unternehmerpersönlichkeiten mit Mut, Fantasie und Weitsicht.
Ein Mann der klaren Worte
Dabei war Nicolas G. Hayek für die mitunter verhalten ausländerfreundlichen Eidgenossen kein Mann der ersten Wahl. Insbesondere, als dieser in seinem Auftreten und seiner Kommunikation nicht sehr angepasst war. Stattdessen legte er schonungslos den Finger in die Wunde und sprach unangenehme Fakten klar an – was ihm nicht nur Freunde einbrachte.
Aber der Erfolg sprach für ihn. Selbst wirtschaftlich-politisch heikle Missionen wie die Reorganisation u.a. der Schweizerischen Bundesbahnen, der Radio- und Fernsehgesellschaft SRC oder verschiedener Großbanken wurden dem eingemeindeten Schweizer Staatsbürger übertragen und von ihm und seinem Unternehmen mit Bravour gelöst.
Nicolas Hayek und die Schweizer Uhrenindustrie
Ende 1980 wandte man sich schließlich mit dem industriepolitisch schwierigen, wie vom schweizerischen Selbstverständnis heiklen Thema an Nicolas Hayek. Die altehrwürdige Uhrengruppe SSIH (Société Suisse de l’Industrie Horlogère SA) mit ihren Marken-Flaggschiffen Omega und Tissot war in einem katastrophalen Zustand. Die Jahresverluste in Millionenhöhe erfüllten die involvierten Banken mit großer Sorge und sie suchten nach einer Lösung. Peter Gross vom Managementboard der Schweizer Bankgesellschaft wandte sich in der Not an Nicolas Hayek, den anerkannten Sanierer und bat ihn im Auftrag der Banken, sich einen Eindruck von der SSIH Situation zu machen. Man war angesichts des Schiefstands der SSIH Gruppe zu allem bereit, Hauptsache die Verluste würden ein Ende nehmen. Nach der Devise „retten, was zu retten ist“ war man sogar bereit, zum Tilgen der gewaltigen Bankschulden das Tafelsilber zu veräußern und wichtige Marken zu verkaufen.
Es war der Moment von Hayek. Er analysierte die Strukturen und Prozesse und förderte mit seinem Team eine desaströse Mischung von Missständen und unternehmerischen Fehlentscheidungen zutage. Die Produktionsmethoden waren komplett überkommen. Die Qualität vieler Uhren war schlecht, eine konsequente Qualitätskontrolle unbekannt und man hatte keine neuen erfolgsversprechenden Entwicklungen oder Konzepte in der Planung. Schlimmer noch – trotz des immensen Drucks wurde der Vertrieb nicht intensiviert und die Marketingbudgets wurden den fehlenden Umsätzen geschuldet gestrichen. Zusammengenommen war es das Ergebnis der jahrzehntelangen Monopolwirtschaft und eines verschlafenen Wandels.
Trotz des fehlenden Absatzes wurde etwa die immense Anzahl von über 1.800 Referenzen hergestellt. So war an Wirtschaftlichkeit nicht zu denken und man war preislich wie innovativ der Konkurrenz aus Fernost weit unterlegen.
Gleichwohl hatten die Marken dank ihrer Historie und des Know-Hows durchaus Potential und Seiko versuchte die Markenperle Omega zum Preis von 400 Millionen Franken zu übernehmen. Glücklicherweise waren die Banken klug genug, das Filetstück der SSIH nicht zu verkaufen.
Weitere Baustellen
Indes war die SIHH nicht der einzige schwerkranke Patient. Die konkurrierende ASUAG litt ebenso und war in einem ähnlichen Zustand. Das Unternehmen lieferte tiefrote Zahlen, hatte jedoch mit u.a. Certina, Eterna, Longines, Rado ebenfalls große Marken im Portfolio. Ging es den Uhrenmarken schlecht, war auch nicht verwunderlich, dass gleiches für die Holding Ebauches SA mit ihren Rohwerkemarken AS und Eta zutraf. Wie ernst die Situation war, konnte man an den Zahlen der „Allgemeine Schweizer Uhrenindustrie AG“ ablesen. Die ASUAG Gruppe musste im Jahr 1982 den immensen operativen Verlust von 259 Millionen Schweizerfranken bilanzieren. Das Unternehmen konnte nur dadurch vor dem Konkurs gerettet werden, dass das involvierte Bankenkonsortium neues Kapital einbrachte und damit seinen Anteil auf 97,5 Prozent anhob. Entsprechend drängend wie konkret waren die Pläne der Banken, durch Fabrikstilllegungen und den Verkauf von Marken oder der ganzen Unternehmen diese Verluste zu beenden.
Diese Pläne waren für den unternehmerisch denkenen Sanierer Hayek jedoch keine Option. Er hatte sich ein profundes Bild der Lage gemacht und wusste auch das Hauptproblem zu benennen: Es war das Management. Die Führungskräfte verwalteten, statt zu agieren und waren in ihrer Komfortzone über Jahrzehnte träge und satt geworden. Hayek forderte stattdessen ein echtes Unternehmertum. „Wenn Manager statt Unternehmer Konzerne leiten, geht meistens alles schief. Die Führung von Unternehmen verlangt nicht nach Finanzexperten, sondern braucht echte Unternehmer.“ Solche Unternehmer waren in Hayeks Augen „innovative Menschen mit Mut zum Risiko und der Bereitschaft, eigenes Geld zu investieren. Sie sind außerdem Künstler, die neue Produkte, neue Arbeitsplätze, neue Reichtümer schaffen und dies ans Publikum kommunizieren. Jene Manager, die wir im Moment eher züchten, übernehmen einen laufenden Betrieb, spielen mit dem Geld anderer Leute, haben ihre Pensionskasse und versuchen die Firma – wie sie dies an irgendeiner Hochschule oder Universität gelernt haben – zu führen. Sollte es schief gehen, kassieren sie trotzdem.“
Mit dieser Aussage eckte Hayek zwar an, denn sie ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig. Die Banken erkannten jedoch, dass gehandelt werden musste.
Was tun?
Nun standen verschiedene Optionen im Raum. Schließen, Verkleinern, Verkaufen? Für Nicolas G. Hayek kam nur eine wachstumsorientierte unternehmerische Lösung in Frage und er plädierte für die Fusion und Sanierung der beiden Patienten zu einem gesunden und handlungsfähigen Großunternehmen. Dazu gehörte die Straffung der Modelle wie Strukturen, das Einführen von modernen Produktionsmethoden und die Stärkung der Marken. Neue Produkte wiederum sollten dann für ein schnelles Umsatzwachstum sorgen. Allein die Banken zögerten. Infolge der aufgelaufenen Verluste hatten sie große Bedenken und wussten nicht, ob die Uhrenindustrie noch eine echte Zukunft hätte. Im Jahr 1984 offerierten sie schließlich Nicolas Hayek die Mehrheit des Aktienkapitals einer neu zu bildenden Uhrengruppe. Der Preis hierfür belief sich auf erstaunlich günstige 300 Millionen Schweizerfranken.
Nicolas G. Hayek prüfte das Angebot, nahm es schließlich an und machte sich ans Werk. Schon im Sommer 1985 formte er die SMH (Société Suisse de Microélectronique et d’horlogerie), ein illustres Konglomerat mit 147 Fabriken und mehr als 300 Betriebsstätten. Die Gründung der Swatch AG war sogar bereits am 1. Januar 1985 über die Bühne gegangen. Sie sorgte mit ihren modischen und preiswerten Swatch-Kunsstoffmodellen mit Quarzwerk für frischen Wind und neue Umsätze. Durch die hohen Stückzahlen war man überdies in der Lage, viele Fertigungsstätten besser auszulasten. Gleichzeitig hatte jede Swatch-Uhr durch die geringen Produktionskosten einen vorzüglichen Rohertrag. Dies war insofern wichtig, als das Segment der Luxusuhren zwar noch Gewinn erwirtschaftete, die zahlreichen Fabriken allerdings keinesfalls retten hätte können.
In wenigen Jahren wendete sich so das Blatt. Die unternehmerischen Entscheidungen von Nicolas Hayek führte das Unternehmen wieder in die Gewinnzone. Überdies kam hinzu, dass sich der Markt der mechanischen Luxusuhren erholte und im mittleren und oberen Segment Quarzuhren kein Thema waren. Diese Früchte konnten nun auch die zuvor arg gebeutelten Banken genießen, schließlich hatten sie Nicolas G. Hayek nur 51 Prozent der Anteile verkauft. Schmerzhaft war allenfalls der Umstand, dass sie nun erkannten, wie preiswert sie die Mehrheit der Anteile verkauft hatten.
Die SMH, die später zur Swatch Group mutierte, blieb in den Folgejahren auf Erfolgskurs und legte ein erstaunliches Wachstum hin. Statt zu reduzieren war Hayek mit seiner Gruppe nun sogar in der Lage, namhafte Uhrenmarken wie Blancpain, Breguet oder Glashütte Original zu übernehmen und in die Gruppe zu integrieren. Auch im Bereich der Werkherstellung blieb Hayek auf Wachstumskurs und mit den Akquisitionen von großen Ebauchesfabrikanten wie Frédéric Piguet und Nouvelle Lémania sowie zahlreichen weiteren Zulieferer wurde die Swatch Group zum wichtigsten und größten Unternehmen der Uhrenindustrie.
Nicolas Hayek
Wer nun Nicolas G. Hayek als Unternehmesberater oder reinen Sanierer bezeichnen wollte, wird diesem Menschen nicht gerecht. Hayek war einerseits ein Mensch von messerscharfem Verstand und ein mutiger Unternehmer. Gleichzeitig war Hayek ein Mensch, der sich eine barocke, lebensbejahende Freude am Leben bewahrte und dessen Visionen nicht jenseits der Werkbank aufhörten. Er suchte als visionär denkender Mensch auch den Erfolg in anderen Bereichen.
So widmete er sich intensiv seinem Lieblingsprojekt eines neuen, modernen Automobils. Das „Swatch-Mobil“ war für damalige Verhältnisse revolutionär. Das Motto von Hayek „Ein Auto, zwei Personen, eine Kiste Bier“ brach mit der Vision vieler Automobilmarken, die zu dieser Zeit vor allem nach mehr PS und mehr Größe trachteten. Nicolas G. Hayek dagegen strebte bereits im Jahr 1994 ein energiesparendes Mikrokompaktfahrzeug mit umweltverträglichem Hybridantrieb an. Als Kooperationspartner tat er sich mit Mercedes Benz, seiner Lieblings-Automarke, zusammen.
Der Stuttgarter Konzern überraschte Hayek allerdings im Jahr 1997 mit einem eigenen Entwurf. Nur waren ihrem kompakten „Smart“ Automobil viele innovative Elemente abhanden gekommen. Insbesondere hatte das Fahrzeug statt der elektrische Radnaben-Motoren nun konventionelle Motoren an Bord. Den Visionär stimmte das nicht unbedingt glücklich und er veräußerte seine Beteiligung am hoch fliegenden Auto-Projekt. Im Nachhinein betrachtet sicher eine richtige Entscheidung, denn Smart entwickelte sich über die Jahre zu einem ständigen Verlustbringer des Daimler Konzerns. Den Beweis, dass Innovation und disruptives Handeln zum Erfolg führen können, lieferte Hayek dagegen mit seinen Swatch Uhren.
Wir haben es anders gemacht und zuerst ein neues Produkt entwickelt, mit dem wir die Konkurrenz schlagen konnten und haben alles auf den Vorzügen aufgebaut, welche das Image der Schweiz im Ausland prägen: Sauberkeit, Zuverlässigkeit, Ästhetik, Präzision, Qualität.
Weiter, immer weiter
An Ruhestand dachte Nicolas G. Hayek nie. Er hatte dafür zu viel zu tun. Vor allem seine Lieblingsuhrenmarke Breguet erforderte viel Zeit und Aufmerksamkeit. Die 1999 übernommene Uhrenmanufaktur Breguet wurde unter Hayek von Grund auf neu aufgestellt und in ihrer uhrmacherischen Qualität als echte Luxusmarke positioniert. Dabei ging es Hayek um mehr als die reine wirtschaftliche Gesundung. Er fasste seine Leidenschaft für Breguet so in Worte. „Ich habe alles, was man sich nur wünschen kann. Ich kann mir ein großes Segelboot mit fünf Masten kaufen und tun, was reiche Leute eben so tun. Die Firma Breguet wurde von einem Künstler erschaffen, von einem Mann ganz nach meinem Geschmack, mit meinem Unternehmergeist und meinem Enthusiasmus.“
Bei Breguet ging es dem Visionär und Unternehmer allerdings um mehr als die Renaissance und die wirtschaftliche Gesundung einer Uhrenmarke. Vielmehr gaben Kunstfertigkeit, Gestaltung, Handarbeit, Tradition und der Aspekt der kostbaren Zeit den Ausschlag dafür, dass sich Nicolas Hayek Breguet mit ganzer Intensität zu widmete. War die Marke doch die Essenz der eigenen Lebenseinstellung und der herausragenden Lebensleistung des Unternehmers, die in ihrer Bedeutung für die Schweizer Uhrenindustrie nicht groß genug bewertet werden kann.
Ich hatte die große Ehre, Nicolas Hayek persönlich kennen und achten zu lernen. Von 1968 bis 1980 arbeitete ich in seinem Unternehmen Hayek Engineering in Zürich und habe dort beruflich meine entscheidende Entwicklung genommen.
🙂
Die Marketing Aktionen im Zuge der Lancierung der OmegaxSwatch Moonwatch waren definitiv mutig und für die Marke Swatch ein Erfolg.
Den Erfolg der einzelnen Marken zeigen die Jahresergebnisse, der Erfolg seines Wirkens wird sich nur mit dem notwendigen Abstand zeigen.
🙂