Armbanduhr mit vier Komplikationen
Gleich vier uhr-geschichtliche Aspekte liegen der neuen Bovet Récital 28 Prowess 1 zugrunde. Wegen ihres Publikumspreises ab rund 800.000 Euro (Version mit Titangehäuse) werden allerdings nur wenige Zeit-Genossen die umfassenden Fähigkeiten dieser Weltpremiere nutzen können. Diesem Faktum tragen indessen auch die Quantitäten Rechnung.
Infolge der hohen technischen und uhrmacherischen Komplexität kann Bovet per annum lediglich acht Armbanduhren fertigstellen.
Handarbeit wird dabei logischerweise großgeschrieben. Jeweils zwei bis drei Exemplare sind für die wichtigsten Bovet-Märkte in Asien, dem Mittleren Osten und den USA vorgesehen. Mit dieser Kreation wollte Inhaber und CEO Pascal Raffy „den mechanischen Eiffelturm bauen.“
Nicht weniger als fünf Jahre nahm die Entwicklung in Anspruch. 2022 waren 99 Prozent der Probleme gelöst. Das restliche Prozent forderte die Entwickler in besonderer Weise heraus. Traditionsgemäß duldet der perfektionistisch veranlagte Chef nämlich keine Kompromisse. Schließlich können Fehler den Ruf des Namens nachhaltig schädigen.
Damit kommen wir zur Récital 28 Prowess 1 von Bovet, die ich am 8. März 2024 persönlich in Augenschein nehmen konnte. Das, was ich in Genf zu sehen und erleben bekam, hat definitiv beeindruckt. Diese 46,3 Millimeter große und 17,85 Millimeter hoch bauende Armbanduhr mit nach vorne leicht geneigtem Dimier Pult-Gehäuse besticht nicht nur durch das breite und teilweise einzigartige Spektrum ihrer Komplikationen, sondern auch durch deren optische Darstellung.
Drehgang
Das für Bovet patentierte, bei „12“ positionierte Tourbillon geht bekanntlich auf Abraham-Louis Breguet zurück. 1801 erhielt er ein Patent für den Drehgang zur Kompensation negativer Schwerkrafteinflüsse auf die Präzision. 1922 präsentierte der deutsche Meister-Uhrmacher Alfred Helwig jene „fliegende“ Lagerung des Drehgestells, welche in diesem Fall auch Bovet anwendet.
Insgesamt nur 0,35 Gramm wiegen die 62, darunter 39 völlig neuen Komponenten des Tourbillons. Den mit 2,5 Hertz gemächlich oszillierenden Gangregler einschließlich der Unruhspirale fertigt Bovet natürlich selbst. Die geringe Unruhfrequenz trägt maßgeblich bei zur hohen Gangautonomie von 240 Stunden oder zehn Tagen bei.
Ewiger Kalender
Bis 45 v. Chr. reicht die zweite Komplikation der Récital 28 Prowess 1 zurück. Damals trat der von Gajus Julius Caesar initiierte und 8 n. Chr. von Kaiser Augustus neu gestartete Julianische Kalender in Kraft. Die aus alles in allem 250 Komponenten assemblierte Kalender-Kadratur kennt die Abfolge der unterschiedlichen Monatslängen und Schaltjahre bis Februar 2100. Dann verlangt die 1582 von Papst Gregor XIII. in der Bulle „Inter gravissimas“ verkündete Kalenderreform ihren Tribut. Ihr zufolge muss der Schalttag entgegen dem üblichen Vier-Jahres-Rhythmus einmal ausfallen. Das wiederholt sich 2200 und 2300.
All jene, welche solche Armbanduhr dann ihr Eigen nennen, müssen den Gegebenheiten des Gregorianische Kalenders durch manuelles Eingreifen Rechnung tragen. Wie bei diesem Typus Uhren üblich, stellt das aus 744 Teilen assemblierte Kaliber R28-70-00X Datum, Wochentag, Monat und Schaltjahreszyklus dar. Zur Anzeige der Wochentage rotiert bei „9“ eine Scheibe. Die kalendarische Besonderheit präsentiert sich seitlich des Tourbillons. Stehende, mit Hilfe kleiner Rollen gelagerte Trommeln zeigen links das aktuelle Datum, rechts den Monat und damit verknüpft auch die Position im Schaltjahreszyklus an.
Die Datumstrommel basiert auf einem Entwurf von Leonardo da Vinci. Bovets Konstrukteure haben sich dafür entschieden, weil diese Lösung eine nicht zu enge Verzahnung benötigt. Nach dem Drehen der Walze um eine Position tritt eine Haltefeder in Aktion. Und die Verzahnung wird aus dem Eingriff genommen.
Die bei Armbanduhren absolut ungewöhnliche Anzeigeform erklärt einmal die mit 13,3 Millimetern beachtliche Bauhöhe des 38 Millimeter messenden Handaufzugswerks. Zum anderen macht sie verständlich, warum die Uhrmacher für das augenfällige Kalendarium nicht weniger als 250 Komponenten benötigen. Im Gegenschatz zu den üblichen flachen Indikationen durch Scheiben verlangt das von Bovet gewählte System eine aufwändige Änderung der Drehrichtung um 90 Bogengrade.
Analog zu einer retrograden Zeiger-Indikation dreht sich die Datumsanzeige am letzten Tag des Monats zurück auf den 1. Das erinnert an einen Spielautomaten. Gleiches gilt für die Monatsindikation am Ende des Jahres. Ein spezielles Dämpfungssystem bewirkt dabei den sanften Stopp der Trommeln. Dieses beeindruckende Schauspiel motiviert dazu, an besagten Tagen bis Mitternacht aufzubleiben und die Augen auf die Anzeigemechanik zu richten.
Das nicht minder komplexe Kalender-Schaltwerk mit ausgeklügelter Zahnstange zeigt sich auf der Rückseite des durchbrochen ausgeführten und manuell dekorierten Uhrwerks. Rückwärtig findet sich auch die in Fall derart langer Gangautonomie ausgesprochen hilfreiche Gangreserveanzeige. Versenkte Drücker im Gehäuserand gestatten das Einstellen oder Korrigieren des immerwährenden Kalendariums.
Weltzeit
Zum Dritten widmet sich die Récital 28 Prowess 1 dem in den frühen 1880-er Jahren von Sandford Fleming ersonnenen und im Oktober 1884 von der internationalen Prime Meridian Conference verabschiedeten System mit 24 Zeitzonen. Ihm zufolge verschiebt sich die Zeit (theoretisch) nach jeweils 15 Längengraden um eine Stunde. In östlicher Richtung vor- in westlicher dagegen rückwärts.
Nach kontroversen Diskussionen verständigte man sich auf den Nullmeridian durch Greenwich. Der gegenüber liegende 180. Längengrad markiert die Datumsgrenze. Auf überwiegend positive Resonanz stieß der Vorschlag Flemings, die Stunden des Tages von null bis 24 zu zählen. Nur die USA hielten eisern an den zwölf Stunden vor (a.m.) und nach (p.m.) Mittag fest.
Der 1. April 1893 brachte die Mitteleuropäische Zeit (MEZ) mit einer Differenz von plus einer Stunde gegenüber der als Welt‑ oder Universalzeit definierten mittleren Sonnenzeit des Greenwicher Nullmeridians. Offiziell spielt die Greenwich Mean Time, kurz GMT genannt heute keine Rolle mehr. UTC, sprich Universal Time Coordinated regiert die Welt. Piloten nennen sie Zulu-Time, Soldaten folgen der militärischen Zeit.
Ein Blick auf die aktuelle Weltzeitkarte lässt erkennen, dass die Zeitzonengrenzen natürlich nicht exakt mit den jeweiligen Längengraden übereinstimmen (können). Eine derart rigide Struktur würde geographischen Erfordernissen widersprechen. Deshalb orientieren sich die Zeitzonengrenzen überall dort, wo dies sinnvoll und notwendig ist, primär an den Staats- oder Ländergrenzen. Weil zudem die Politik immer das letzte Wort für sich beansprucht, lassen sich gegenwärtig 37 Zonenzeiten zählen. Bovet belässt es bei 24, welche im Fall dieser Armbanduhr bekannte Städte oder Regionen repräsentieren.
Das zugehörige dunkle Anzeigefeld dominiert diese Armbanduhr. Die Namen der Städte oder Regionen hat Bovet auf drehende Walzen gedruckt. Hierzu später mehr. Welche Stunde in den 24 Zeitzonen gerade schlägt, zeigt ein 24-Stunden-Ring. Die Indikation der jeweiligen Ortszeit obliegt goldfarbenen Zeiger für Stunden und Minuten.
Bovet Récital 28 Prowess 1
Unumstritten ist sie nicht, die jährliche Umstellung von Winter- auf Sommerzeit und umgekehrt. Konventionellen Weltzeituhren bereitet das dadurch erzeugte Zeit-Wirrwarr verständlicherweise große Probleme. Den unterschiedlichen Regelungen und der Tatsache, dass 125 von 195 Ländern ohnehin nur eine Zeit kennen, werden sie nicht gerecht. Mit eben diesem Sachverhalt wollte sich Pascal Raffy schlichtweg nicht abfinden. Dank des bereits erwähnten Rollensystems lässt sich die Bovet Récital 28 Prowess 1, und das ist ihre vierte Komplikation, sozusagen universal in allen der 24 Zeitzonen nutzen. Die durchdachte Mechanik ermöglicht folgende Einstellungen:
- Koordinierte Weltzeit – UTC
- Amerikanische Sommerzeit – AST
- Europäische und amerikanische Sommerzeit – EAS
- Europäische Winterzeit – EWT
Zu diesem Zweck können die 24 Walzen jeweils vier verschiedene Positionen einnehmen. Die Ansteuerung erfolgt per Kronendrücker. Dessen Betätigung bewirkt eine Drehung der entsprechenden Zylinder um 90 Bogengrade. Auf diese Weise ist ganz nach Belieben die individuelle Einstellung auf UTC, AST, EAS oder EWT möglich. Die gewählte Art der dargestellten Weltzeit bringt ein kleines Display bei „8“ zur Kenntnis. Apropos Krone: Ein kleiner blauer Zeiger bei „3“ zeigt die aktuelle Einstellung drei möglichen Funktionen, sprich Aufzug, Einstellung von Welt- oder Uhrzeit. (Eine schöne Aufstellung von Weltzeituhren von preiswert bis teuer finden Sie hier auf Uhrenkosmos)
Neben Sichtbodenschalen aus Titan Grad 5, deren Wasserdichte bis zu drei bar Druck reicht, offeriert die exklusive Manufaktur auch Bovet Récital 28 Prowess 1 Modelle aus Rotgold oder Platin. Dann liegen die Preise bei circa 810.000 bzw. 845.000 Euro. Die exakten Werte orientieren sich am aktuellen Wechselkurs des Schweizerfranken. Auf seine Produkte gewährt Bovet fünf Jahre internationale Garantie.
Blick zurück
Zum Schluss dieser Betrachtungen zur neuen Bovet Récital 28 Prowess 1 bedarf es einiger erklärender Worte zur Sommerzeit. Genau genommen beginnt diese menschliche Errungenschaft im Jahr 1784 mit einem Scherz beginnt. Auslöser war Benjamin Franklin, seines Zeichens Erfinder, Unternehmer, Schriftsteller und einer der Gründerväter der USA. Dem passionierten Langschläfer wird die Formel Zeit ist Geld zugeschrieben und die Aussage, dass verlorene Zeit niemals wiedergefunden wird.
In besagtem Jahr 1784 verfasste er für das Journal de Paris einen satirisch gemeinten Essay, in dem er die ein ökonomisches Projekt zum Sparen von Kerzenlicht vorschlug. Seine Idee gründete sich auf einer Erfahrung durch ungewöhnlich frühes Aufwachen um sechs Uhr morgens. Die Sonne schien hell ins Zimmer und Franklin begann zu rechnen:
In den sechs Monaten zwischen dem 20. März und dem 20. September, gibt es
– Nächte: 183
– Stunden jeder Nacht, in denen wir Kerzen anzünden: 7
– Die Multiplikation ergibt für die Gesamtzahl der Stunden: 1.281
Diese 1.281 Stunden multipliziert mit 100.000, der Zahl der Einwohner, ergeben 128.100.000, einhundertachtundzwanzig Millionen und einhunderttausend Stunden, die in Paris mit Kerzenlicht verbracht werden, was bei einem halben Pfund Wachs und Talg pro Stunde das Gewicht von 64.050.000 ergibt. Vierundsechzig Millionen und fünfzigtausend Pfund, was, wenn man das Ganze auf den mittleren Preis von dreißig Sols pro Pfund schätzt, die Summe von 96.075.000, sechsundneunzig Millionen und fünfundsiebzigtausend Livres tournois ergibt.
Weil die Pariser Bürger ungern früher aufstünden, müsse man drastische Maßnahmen ergreifen. Dazu gehörten die Besteuerung von Fensterläden, das Rationieren von Kerzen sowie morgendliches Glockenläuten oder ggf. auch Kanonendonner zum frühen Wecken der Bevölkerung.
Die ganze Schwierigkeit wird in den ersten zwei oder drei Tagen liegen; danach wird die Umstellung so natürlich und leicht sein wie die gegenwärtige Unregelmäßigkeit; denn es ist nur der erste Schritt, der kostet. Verpflichte einen Menschen, morgens um vier Uhr aufzustehen, und es ist mehr als wahrscheinlich, dass er abends um acht Uhr bereitwillig zu Bett geht; und nachdem er acht Stunden geschlafen hat, wird er am nächsten Morgen um vier Uhr noch bereitwilliger aufstehen.
Die Franzosen fanden Franklins Vorschlag durchaus amüsant. Am gewohnten Tageslauf änderte er jedoch nichts. Die Idee einer Zeitumstellung verschwand in der Versenkung. 1895 empfahl der neuseeländische Insektenforscher George Vernon Hudson, die Uhrzeit am zum Frühlings- und Herbstbeginn zu verändern, dass die Arbeitsstunden mit dem Tageslicht zusammenfallen. Ab 1907 engagierte sich dann der britische Bauunternehmer William Willett mit Verve für das Sommerzeit-Projekt. Winston Churchill zeigte sich von der „Verwertung des Tageslichts“ höchst angetan, konnte diesbezüglich aber nichts bewirken.
Im Jahr 1916, inmitten des Ersten Weltkriegs, führten Deutschland und Österreich-Ungarn ganz überraschend die energiesparende Sommerzeit ein. Andere europäische Länder folgten ebenso wie 1918 die USA. Nach dem verlorenen Krieg schaffte Deutschland die unbeliebte Zeitumstellung wieder ab. Großbritannien, das Deutschland im Ersten Weltkrieg gefolgt war, hielt konsequent an der Sommerzeit fest.
1940 kam die Sommerzeit in Deutschland zurück, in den USA geschah dies 1942. Nach dem Krieg konnten die US-amerikanischen Staaten und Städte selbst entscheiden, ob sie die Sommerzeit anwenden wollten. Von 1945 bis 1966 führte das zu Chaos und Verwirrung. Daher erließ der Kongress 1966 einen Uniform Time Act. Ihm zufolge musste sich jeder Bundesstaat, der die Sommerzeit einführte, deren Beginn und Ende festlegen. Mit dem 2007 in Kraft gesetzten Energy Policy Act verlängerte man die Sommerzeit um einen Monat. Keine Umstellung erfolgt gegenwärtig in den Bundesstaaten Arizona und Hawaii.
In Deutschland hatte man die Sommerzeit 1949 wieder zu den Akten geschrieben. 1976 führte Frankreich als einziges westeuropäisches die Sommerzeit wieder ein. Drei Jahre später verkündete die ehemalige DDR, dass dort ab 1980 eine Sommerzeit gelten werde. Dem schloss sich die Bundesrepublik Deutschland an. 1986 folgte eine Vereinheitlichung der umstrittenen Sommerzeitregelungen innerhalb der Europäischen Union. 2018 stimmten zwar 84 Prozent der EU-Bürger für eine Abschaffung, passiert ist seitdem jedoch nichts. Aktuell verwenden rund 70 von 195 Staaten dieser Erde die Sommerzeit.
Sehr geehrte Herr G.L.Brunner
Bin einfach begeistert wie Sie den Artikel so spannend, kreative und unterhaltsam geschrieben haben das er absolut spannend und informativ zu lesen war .
Einfach super .Man spürt auch die Uhrenfaszination in den Formulierungen.
Die Verbindung zur Zeit aktuellen Sommer ,Wnterzeit war sehr gut gelungen
Mit freundlichen Grüßen
KJ Riehm
1000 Dank für Ihre freundlichen Worte, lieber Herr Riehm. Das freut und motiviert uns sehr. Danke auch dafür, dass Sie unseren Uhrenkosmos lesen. Beste Grüße Gisbert Brunner