Sichtbare Schwünge
Prinzipiell ist bei ausgefallenen und hochpreisigen Drehgang-Armbanduhren wie der Audemars Piguet Royal Oak Double Balance es fast schon normal, dass die in einem Käfig montierte Unruh vor dem Auge des Betrachters oszilliert. Schließlich ist die Technik faszinierend und die Bewegung der Unruh schön anzusehen.
Zur Befriedigung der Gelüste neugieriger Mechanik-Voyeure braucht es aber nicht unbedingt ein Tourbillon, also einen kostspieligen Wirbelwind. Am Handgelenk kann das für die Taschenuhr ersonnene Tourbillon seine Vorteile ohnehin nur begrenzt ausspielen. Nach dieser Devise entwickelte Frédérique Constant 2004 sein erstes Manufakturkaliber.
Beim Handaufzugskaliber FC-910 zeigt sich der normale, konstruktiv nach vorne verlegte Gangregler in einem Zifferblattausschnitt.
Ähnliches demonstrierte Audemars Piguet 2011 beim Modell Millenary. Die seit ihrer Gründung im Vallée de Joux beheimatete Familienmanufaktur nutzte die Vorzüge der querovalen Schale für den unkonventionellen Auftritt des aus 253 Bauteilen assemblierten Automatikkalibers 4101. Von einem Tourbillon war diese Armbanduhr, obwohl es oberflächliche Betrachtung vermuten lassen könnte, so weit entfernt wie die Milchstraße von der Erde. Für den blickfangenden Anschein griffen die Techniker ebenfalls zum Trick der Verlagerung des Schwing- und Hemmungssystems nach vorne.
Die doppelte Unruh des Audemars Piguet Kalibers 3132 der Royal Oak Double Balance Wheel Openworked Ceramic
Evolution mit doppelter Unruh
2016 ließ Audemars Piguet die Unruh abermals vor dem Auge des Betrachters oszillieren. Und zwar beim skelettierten, auf dem 2004 lancierte 3120 basierenden Automatikkaliber 3132.
Double Balanced Wheel
Auf dessen Besonderheit ist zuvor ganz offensichtlich noch niemand gekommen. Sie besteht in der Montage zweier Unruhn samt den zugehörigen Spiralen auf einer Unruhwelle. Einer der Vorteile des selbstverständlich patentierten Dualbalance-Konzepts sticht sofort ins Auge. Die Schwingungen des vorderseitigen Gangreglers sind unübersehbar. Tunlichst 21.600 Halbschwingungen vollzieht er jede Stunde. Mit der gleichen drei-Hertz-Frequenz definiert auch rückwärtige angebrachte Unruh den Takt der kontinuierlich verstreichenden Zeit.
Die Regulierung erfolgt freilich nur mit Hilfe eines der beiden Oszillatoren. Insgesamt acht Masselots dienen zur Veränderung des Trägheitsmoments. Das gegenläufig agierende Paar an Unruhspiralen kann unbehelligt von einem Rückermechanismus schwingen.
Vorteilhafte Konstruktion
Der andere Nutzen des Doppelunruh-Systems verlangt nach einem kurzen Blick in die Uhrmacher-Theorie. Bei tragbaren mechanischen Uhren gilt es, die Relation von Gewicht und Trägheit mit Blick auf Frequenz und Gangautonomie möglichst optimal zu bestimmen. Bekanntlich wächst das Trägheitsmoment mit steigendem Durchmesser.
Allerdings, und auch das sollte Liebhabern tickender Zeitmesser bekannt sein, lässt sich der Durchmesser konstruktionsbedingt nicht beliebig erhöhen. Maßgebliche Faktoren beim Entscheidungsprozess sind Frequenz, Gangautonomie und natürlich die vom Ankerrad auf das Schwingsystem übertragene Energie. Für Stabilität des Gangs spielen schließlich auch die erzielbare Amplitude der Unruhschwingungen und der damit verknüpfte Isochronismus eine wichtige Rolle.
Isochronismus ist, was gleichzeitig erfolgt. Für den Uhrmacher sind die Schwingungen einer Unruh isochron, wenn deren Dauer von der Schwingungsweite unabhängig ist.
„Die ganze Kunst des Feinstellens beruht“ gemäß Georges-Albert Berner, dem einstigen Direktor der Uhrmacherschule Biel, darin, „beim Regulierorgan der Zeitmessinstrumente den Isochronismus der Schwingungen zu erreichen. Die Hauptfaktoren, welche den Isochronismus Unruh-Spiralfeder zerstören, sind: die Hemmung, die Gleichgewichtsfehler der Unruh und der Spiralfeder, das Spiel der Spiralfeder zwischen den Rückerstiften, die Zentrifugalkraft, das Magnetfeld usw.“
Theoretische Aspekte
Bei tragbaren Uhren hat es sich als vorteilhaft erwiesen, die Unruh mit großer Amplitude von 270 Bogengraden oder mehr oszillieren zu lassen. Das dadurch erreichbare größere Tempo macht den Gangregler unempfindlicher gegenüber Störfaktoren, welche die Schwingungsdauer beeinflussen können. In Hängelage ist die Unruh-Amplitude prinzipiell geringer ist als in waagrechter Position.
Durch die Entscheidung für zwei konzentrisch auf einer Welle befestigte Unruhn erhöht Audemars Piguet das Trägheitsmoment im Rahmen des machbaren Durchmessers und damit auch die Stabilität des Gangs.
Andererseits beeinflusst die größere Masse beim Wechsel zwischen vertikaler und horizontaler Position der Uhr logischer Weise auch die Reibung der Unruhwellen-Zapfen in den Lagersteinen. Alle diese Aspekte haben die Uhrmacher von Audemars Piguet natürlich bedacht bei der Entwicklung des Kalibers 3132. Ihrer Meinung nach realisierten sie beim Doppelunruh-System einen sinnvollen Kompromiss zwischen den verschiedenen konstruktiven Determinanten.
Zwei Unruh und die Konsequenzen
Dass zwei am Schwingen gehaltene Unruhn infolge der höheren Masseträgheit mehr Energie benötigen, lässt sich aus der Gangautonomie des durchbrochen gestalteten Kalibers 3132 ablesen. Nach Vollaufzug durch den Rotor aus 22-karätigem Roségold stehen rund 45 Stunden zur Verfügung. Demgegenüber läuft die Basis 3120 mit nur einer Unruh etwa 60 Stunden am Stück. Ein weiterer Tribut an das schwingende Doppel besteht in der um ca. 1,3 auf 5,57 Millimeter anwachsenden Bauhöhe.
Zur Montage eines der Manufakturwerke vom Kaliber 3132 benötigen die Uhrmacher 245 Komponenten.
Audemars Piguet Royal Oak Double Balance
Im Corona-Jahr 2020 findet die 26,59 mm oder 11¾ Linien große Zeit-Mechanik als Royal Oak Double Balance Wheel Openworked Black Ceramic ans Handgelenk. Ihr tief schwarzes Outfit mit 41 Millimetern Durchmesser resultiert aus der Verwendung von kratzfester Keramik für Gehäuse und Gliederband. Aus diesem Werkstoff besteht auch die Schraubkrone.
Den Sichtboden fertigt Audemars Piguet aus Titan. Bis fünf bar Druck reicht die Wasserdichte.
Zu haben ist diese neue Armbanduhr, Referenz 15416CE.OO.1225CE.01, für 78.100 Euro.
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