Dekonstruktion
Eine Uhrendesign Dekonstruktion erfasst formal wie inhaltlich alle Details und offenbart die vielen einzelnen Aspekte und Facetten, die eine Uhr wie ein sonstiges Objekt zu dem machen, was es ist. Hierzu gehören zum Beispiel Material, Form und Farbe, aber auch der historische Kontext, die Struktur und Technik lassen sich gesondert in ihrer jeweiligen Wirkung sehr konkret beschreiben. Über jeden dieser Aspekte lässt sich ein Objekt neu gruppieren und in einem neuen Zusammenhang oder Fokus betrachten.
Die Dekonstruktion von Uhrendesigns, die von Grund auf mit einer Vielzahl von Kriterien und Geschichten einhergehen, bieten besonders viele Analogien zu Bereichen der Gestaltung, wie Kunst, Mode, Architektur und Automobildesign. Das gedankliche Zerlegen einer Uhr und ihres Designs zeigt nicht nur, wie groß ihr Potenzial für Storytelling ist, sondern lässt Betrachter kleinste Details erkennen und ihn eine Uhr als komplexe Komposition aus Ästhetik und Technik neu entdecken.
Dekonstruktion über Kontrast
Der Black Bay Chronograph von Tudor ist eine durch und durch sportliche Uhr, die nicht nur durch die markanten Drücker und Krone, sowie Abmessungen von 41mm Gehäusedurchmesser sehr präsent am Handgelenk ist. Das Wesen dieses Chronographen ist der auffällige Schwarz-Weiß-Kontrast zwischen Zifferblatt, Totalisatoren und Lünette. Neue Farb- und Materialkombinationen, die für den Chrono in den vergangenen Jahren vorgestellt wurden (Varianten in Edelstahl und Gelbgold), verkörperten ebenfalls Kontraste, die aus der Gegenüberstellung von hell und dunkel resultierten.
Im März 2024 hat Tudor eine kleine Edition des neuen Black Bay Chronograph Pink vorgestellt. Pink ist eine Farbe, die in der Welt der sportlichen Territorien und Botschafter der Marke eine wiederkehrende Rolle spielt. Erneut ist es auf den ersten Blick der farbliche Kontrast zwischen blassem Rosa und hartem Schwarz, der den Chrono charakterisiert. Aber viel interessanter ist der Kontrast zwischen den Konnotationen mit diesen Farben, mit denen das Design spielt. Die Dekonstruktion dieser Uhr öffnet den Blick auf eine interessante Parallele in der Welt der modernen Kunst.
Gary Schlingheider ist ein deutscher Künstler, der sich durch Malerei und Skulptur ausdrückt. Die 2022 entstandenen Werke unter dem Titel THE BLAST verkörpern ein grundlegendes Motiv seines Schaffens. Mit Minimalismus, kräftigen Farben, monochromen Flächen und Vielschichtigkeit setzt er sich mit dem System aus Form und Farbe auseinander. Es entstehen Assoziationen zu moderner Streetart, Graffiti und gleichzeitig zu zeitloser Klarheit. Er beschränkt sich im gezeigten Werk auf die Farben Schwarz und Rosa und erzeugt so eine Eleganz, die von strenger Abgrenzung zur sanften Basis getragen wird.
Man meint Statur und Form in dem fetten schwarzen Strich zu erkennen, der aber durch die verlaufende Farbe aufgelöst wird und dabei die Spontaneität, die Wucht der Entstehung unterstreicht. Das blasse Rosa spielt hierbei für den Kontrast eine wichtige Rolle, da es einst mit Kindheit, zarter Weiblichkeit, Unschuld und sanfter Schönheit assoziiert wurde, was wiederum Kraft, Sportlichkeit und Mut besonders stark unterstreichen kann.
Die Gegenüberstellung der Detailansicht des Zifferblatts der neuen Version des Chronos und des Farbauftrags im Bild THE BLAST, zeigen im Sinne der genaueren Betrachtung des gewählten Kontrasts beider Objekte feine Details und Gemeinsamkeiten der vermeintlich völlig unterschiedlichen Objekte. Die Zartheit der Farbe Rosa wird in beiden Fällen durch die markante Kombination mit Schwarz akzentuiert.
Die Art und Weise, wie die Strenge der schwarzen Farbe konturiert wird, ist auf dem Zifferblatt und der Leinwand besonders bemerkenswert. Bei Gary Schlingheider franst das Schwarz aufgrund des Farbauftrags aus, verläuft und zeigt förmlich impulsiv erzeugte Spritzer, die im Rahmen der Dekonstruktion den filigranen Indizes auf dem Zifferblatt des Chronos ähneln.
Weniger filigran sind die markanten Totalisatoren und die Lünette, die gemeinsam mit der Tachymeterskala auf der Lünette, der Krone und den Drückern, die Sportlichkeit sowie kühle Technik des Tudor Black Bay Chrono „Pink“ hervorheben, die umso ausdrucksstärker in der Kombination mit Rosa wirken. Am Ende ist es der Überraschungseffekt, der in beiden Fällen die Spannung bewirkt.
Uhrendesign Dekonstruktion – Symmetrie und Skalierung
Uhren sind Werkzeuge. In der Welt der professionellen Luftfahrt, des Tauchens und des Motorsports sind Präzision und Zuverlässigkeit von größter Bedeutung. Aus diesem Grund sind auf diese anspruchsvollen Bereiche zugeschnittene Spezialuhren zu einem wichtigen Teil der Ausrüstung geworden. Uhren, die für die Luftfahrt entwickelt wurden, verfügen über komplizierte Flugcomputerskalen und Chronographenfunktionen, die Piloten bei der Navigation und Zeitmessung unterstützen. Taucheruhren, ausgestattet mit drehbaren, spezialisierten Lünetten und Leuchtmarkierungen, sorgen für Sicherheit und Genauigkeit unter Wasser.
Die Struktur und die Skalen auf dem Zifferblatt dieser Spezialuhren weisen eine harmonische Mischung aus Form und Funktion auf, die oft durch dezente geometrische Muster, perfekte Symmetrie und präzise Markierungen gekennzeichnet ist, wie zum Beispiel die Tachymeterskala, die die Motorsportkultur mitgeprägt hat. Das geometrische Design verbessert nicht nur die Lesbarkeit, sondern sorgt auch für einen ästhetischen Reiz, der die Präzision und Raffinesse widerspiegelt.
1952 hat Breitling die Navitimer als Weiterentwicklung des Chronomaten vorgestellt. Mit ihrer eingebauten Rechenschieber-Lünette etablierte sich die Uhr schnell zu einem unverzichtbaren Werkzeug für Piloten. Die Bedeutung von Breitling für die Luftfahrt wurde durch Partnerschaften und innovative Weiterentwicklung der Funktionen in den folgenden Jahrzehnten kontinuierlich gestärkt und machten die Navitimer zu einem Klassiker in der Uhrenwelt und einer Ikone, die für Piloten und Uhrenliebhaber auf der ganzen Welt Abenteuer und Präzision symbolisiert.
2024 hat Breitling die Navitimer Automatic GMT lanciert, die in der hellblauen Variante die technische Anmutung der Uhr besonders elegant und klassisch erscheinen lässt. Besonders hervorzuheben ist die mittig platzierte 24-Stunden-Skala und der Rechenschieber, der das Zifferblatt filigran, aber komplex dominiert. Das blasse, elegante Blau, erinnert vor diesen feinen Details auf dem Zifferblatt, an den Blick durch ein rundes Fenster mit Sprossen und weckt Assoziationen zum Rotunden-Glasdach der Pinakothek der Moderne in München.
Architektonisch ist die Rotunde ein Meisterwerk der Symmetrie und Proportion. Im Mittelpunkt der Rotunde steht das runde Fenster oder Oculus, das die Kuppel krönt. Atmosphärisch ermöglicht das Oculus, dass natürliches Licht in die Rotunde eindringt, das Innere beleuchtet und eine monumentale Atmosphäre schafft.
Die Strukturierung des Fensters in der Rotunde der Pinakothek der Moderne zeichnet sich durch klare Linien und geometrische Präzision aus und spiegelt modernistische, aber auch historische Architekturprinzipien wider.
Ebenso verfügt die Breitling Navitimer über ein Zifferblatt mit aufwendigen Skalen, die sorgfältig auf Präzision und Funktionalität ausgelegt sind. Sowohl das Fenster als auch das Zifferblatt der Navitimer Automatic GMT veranschaulichen die Bedeutung präziser Skalierung und Geometrie in ihren jeweiligen Bereichen, sei es im architektonischen Design oder in der Uhrmacherkunst.
Das runde Fenster, versehen mit symmetrischen Streben und Ringen, lässt sich mit dem Blick auf das komplexe Zifferblatt der Navitimer Automatic GMT in hellblau verblenden und zeigt in beiden Fällen die vielschichtige Wirkung einer Skalierung.
Dekonstruktion über Farbe und Form
Purismus ist eine hohe Kunst der Gestaltung. Es geht um Reduktion auf das Wesentliche eines Objekts, um ihm dadurch gleichzeitig größten Ausdruck zu verleihen. Klarheit durch Farbe und Form und der Verzicht auf Dekorationselemente sorgen für eine besonders ästhetische Harmonie, die vielen Designklassikern zugrunde liegt. In der Mode ist es zum Beispiel das sogenannte Kleine Schwarze. Besonders gut veranschaulichen lässt sich der Purismus auch über Designikonen im Bauhaus-Stil. Der Barcelona Chair von Ludwig Mies van der Rohe oder Stahlrohrmöbel, wie der Adjustable Table von Eileen Grey, zeigen klare Linien und Form, Farbe, die Fläche und Material inszenieren.
Ein solcher Verzicht auf Verzierung und Verspieltheit ist nicht die erste Assoziation, die man mit der Designsprache großer Luxusuhrenmanufakturen hat. Luxuriöse Uhren sind bekannt für kunstvolles Dekor, kleinteiliges Kunsthandwerk und Opulenz. Anders macht es die Uhrenmmarke Ressence. Hergestellt werden die Uhren in der Schweiz, entworfen in Anwerpen, wo man selbst von der „Dekonstruktion der traditionellen Uhr“ spricht. Es ist der für Ressence charakteristische Ansatz „die herkömmlichen Uhrzeiger durch rotierende Scheiben zu ersetzen, die ein intuitives Ablesen der Zeit ermöglichen.“
Die Ressence Type 1° Round in Night Blue zeigt, wie konsequent sich der Leitsatz des Hauses in den Produkten widerspiegelt. Das Design verfolgt konsequent das Ziel, eine puristische, glatte Fläche zu schaffen, die die raffinierte Technik der Uhr von der starken Wirkung von Form und Farbe verbergen lässt. Dabei ist es gerade die innovative Uhrmacherkunst, die die reduzierte Ästhetik erst möglich macht. Auch bei der Ressence Type 1° Round in Night Blue geht es beim Design um die Inszenierung der Fläche. Keine Krone, keine Drücker, keine Elemente, die die Linie der Uhr unterbrechen. Eine Ressence soll Wiedererkennung durch ihr Design kreieren, das auf eine maximal glatte Oberfläche setzt und durch ein einzigartiges Verständnis der Armbanduhr vielleicht ikonisches Potenzial hat.
Uhrendesign Dekonstruktion
Ein Designklassiker, der dieses Verständnis von Purismus verkörpert, ist der Porsche 911 GT3 in Enzianblaumetallic. Seine Linie geht auf den ursprünglichen Porsche 911 zurück, der in den 1960er Jahren auf den Markt kam. Obwohl er im Laufe der Jahrzehnte große technologische Updates erfahren hat, ist seine einzigartige Formsprache geblieben. Also eine Evolution, die die klassische Silhouette und Proportion immer beibehalten hat und in seiner Unverkennbarkeit zu einer Ikone wurde.
Wie die Ressence TYPE 1° ROUND ist der Porsche 911 von puristischem Design geprägt, das Klarheit und Funktionalität vor unnötige Verzierung stellt und die Farbe maximal wirken lässt. Das Ethos des 911 ist Aerodynamik, ergänzt um Stilelemente, die den Maßstab weniger ist mehr verfolgen und damit die Sportwagenkultur stark geprägt haben. Jeder Aspekt des Designs erfüllt einen funktionalen Zweck und schafft es bei geradezu radikaler Sportlichkeit eine sanfte Sinnlichkeit auszustrahlen. Jede Kurve und Kontur ist aerodynamisch optimiert und trägt so zur Verbesserung der Stabilität und Performance bei. Die leichte, auf das Wesentliche reduzierte Konstruktion bei höchster Qualität aller Materialien runden das Bekenntnis zu Perfektion und Exzellenz ab.
Die Ressence TYPE 1° ROUND und der Porsche 911 GT3 schaffen es durch gekonnte Reduktion, die Essenz dessen einzufangen, was ein von perfekter Technik getriebenes Objekt zu einer wahren Ikone macht: die unverkennbare Form und größte Bühne für Farbe. Diese kompromisslose Ästhetik ist das vereinende Element und der Grund, warum die Dekonstruktion, ob Uhr oder sonstiges Objekt, über Farbe und Form interessante Gemeinsamkeiten offenlegt.
Was bleibt
Das Dekonstruieren oder Zerlegen einer Sache in die vielen, oft minuziös konzipierte Einzelteile, macht es möglich, Gemeinsamkeiten und Parallelen in Konstruktionen zu entdecken, die man in der Oberflächlichkeit des Alltäglichen nicht vermuten würde. Es macht die Details deutlich, die uns ein Objekt schätzen und einzigartig finden lassen und wir sehen gerade auch bei Uhren durch die Dekonstuktion des Uhrendesigns das Wesen und die Idee, die dem Entwurf zugrunde liegt.
Gleichzeitig sagt die Dekonstruktion viel über den eigenen Geschmack aus und zeigt auf, über welche Aspekte man sich einer Gestaltung interessiert oder begeistert nähert. Dekonstruktion schafft neue Perspektiven. Auch noch nach Jahren lassen sich so neue Facetten entdecken, in die man sich neu verliebt. Es ist nicht zuletzt dieses Entdecken, das die Magie von Armbanduhren ausmacht.
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