Schul-Armbanduhr Ecole d'horlogerie de Genève

Genfer Schuluhr – aber mit Uhrwerk von Patek Philippe

Ob Groß-, Taschen- oder Armbanduhren: Bei Sammlern stehen Schuluhren hoch im Kurs. Dieses wunderschöne, feingearbeitete Exemplar einer Schuluhr überrascht mit ihrem Kaliber

von | 16.12.2020

Schülerarbeiten, wird mitunter böswillig behauptet, sind im allgemeinen Produkte auf Anfängerniveau. Dies könnte leichtsinnigerweise auch für diese Schuluhr angenommen werden. Dass dieser Gedanke beileibe nicht für alle “Schularbeiten” gilt, beweisen gesuchte und hochbezahlte Erzeugnisse der Absolventen von Uhrmacherschulen.
So auch in Le Locle, das eine ausgeprägte Uhrmacher-Tradition besitzt. Denn schon gegen 1630 fertigte dort ein Mechanikus namens Perret die vermutlich erste jurassische Uhr. Etwa fünfzig Jahre später brachte ein Pferdehändler aus England eine Uhr mit, die vielleicht auch ob der langen Reise eines Tages ihren Dienst quittierte. Der schlaue Mann vertraute sein Aufsehen erregendes Objekt dem Hufschmied Daniel JeanRichard an. Dem gelang es nicht nur, den Defekt zu ermitteln und zu beseitigen. Er ging sogar noch einen beträchtlichen Schritt weiter. Nachdem JeanRichard alle Bestandteile genau nachgezeichnet hatte, fertigte er innerhalb von 18 Monaten ein ähnliches Gebilde an. 1705 etablierte sich Daniel JeanRichard als Uhrmacher in Le Locle und unterwies seine fünf Söhne im gleichen Handwerk. Als der Pionier 1741 starb, beschäftigte die durch ihn eingeführte Uhrmacher-Industrie bereits 400 Menschen.

DER WUNDERSAME UHRMACHER

Knapp drei Jahrzehnte später ersann der uhrmacherische Autodidakt Abraham-Louis Perrelet wiederum in Le Locle die vermutlich ersten Taschenuhren mit automatischem Aufzug durch Pendelschwungmasse oder Rotor. In dieser Epoche war die Arbeitsteilung im Uhrmacherhandwerk bereits sehr weit fortgeschritten. An der Produktion beteiligten sich u.a. Finisseure, Vergolder, Emailleure, Ketten-, Feder- und Zeigermacher, Rohwerkefabrikanten sowie Gehäusehersteller. Im ausgehenden 18. Jahrhundert fertigten rund 4000 Handwerker in Le Locle und dem benachbarten La Chaux-de-Fonds jährlich bereits 40.000 bis 50.000 Uhren.

Ohne gezielte Uhrmacher-Ausbildung war dieser rapide Aufschwung auf Dauer nicht durchzuhalten. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts war die individuelle Lehre vollständig in den Händen der Zünfte und ihrer Meister gelegen. Dann verlangten der Zerfall des strengen Zunftwesens und die Aufweichung des Reglements nach neuen Formen der Ausbildung. Zunächst sprangen die Familien und die industriell ausgerichteten Betriebe in die Bresche, wodurch das theoretische Fundament allerdings beträchtlich litt. Der Unterricht kam vielfach zu kurz. Die Produktionszwänge dominierten. Gewinnorientierte Serienfertigung rangierte ganz oben.

DAS AUFKOMMEN QUALIFIZIERTER UHRMACHERSCHULEN

Mitte des 19. Jahrhunderts wurden Klagen über “die Unzulänglichkeit des öffentlichen Unterrichts in Bezug auf die Uhrmacherei” immer lauter. Weil Uhren nicht irgendwelche Gegenstände sind, wurde die Errichtung qualifizierter Ausbildungsstätten, am besten institutionalisierte Lehren im Rahmen von Schulen gefordert.
Bereits 1823 war deshalb im qualitätsbewussten in Genf die “Ecole des Blancs” ins Leben gerufen worden. 1865 kam es zur Gründung der Uhrmacherschule in La Chaux-de-Fonds, 1866 folgte St. Imier und 1868 schloss sich Le Locle den leuchtenden Beispielen an. Die Qualität der dort geleisteten Arbeit zeigte sich schon bald. Bereits 1878 nahmen die Uhrmacherschulen von Genf, La Chaux-de-Fonds, Le Locle und Fleurier (gegründet 1875) an der Weltausstellung in Paris teil, wo sie mit Medaillen und  Ehrungen überschüttet wurden. Die Schulen stiegen so enorm in ihrer Achtung und Wertschätzung und eine Ausbildung in einer dieser Schulen war damals wie heute eine solide Grundlage für beruflichen Erfolg.

Schuluhr

Zum Abschluss Ihrer Ausbildung mussten Absolventen einer Uhrmacherschule, ihr Können mit einer Schuluhr sichtbar unter Beweis stellen. Wesentlichste Merkmale derartiger “Schuluhren” sind u.a. von den Absolventen selbst angefertigte Werkskomponenten, die eigenhändige Veredelung der Oberflächen und Politur von Stahlteilen, das Zusammenfügen zu einem funktionsfähigen Ganzen sowie die Regulierung des Gangs im Hinblick auf bestmögliche Resultate. In aller Regel bestätigt das Zeugnis einer offiziellen Institution (Observatorium, Prüfstelle) die Qualität des Gangs.
Im Allgemeinen basieren derartige Zeitmesser, welche im 20. Jahrhundert an Schweizer Uhrmacherschulen entstanden, auf Rohwerken namhafter Hersteller. Von dort stammten häufig auch sonstige Furnituren wie z.B. Steine, Zugfeder, Schwing- und Hemmungssystem. Dies schmälert den Wert in keiner Weise. Selbiger resultiert neben der handwerklichen Qualität insbesondere aus der Tatsache, dass Schuluhren am freien Markt überaus selten käuflich zu erwerben sind. Der Grund liegt auf der Hand: Von solch einem Zeugnis seiner erfolgreich abgeschlossenen Ausbildung trennt sich ein Schüler nur im äußersten Notfall. Die Schuluhr ist Ausweis und wichtiger Bestandteil im Lebenslauf eines qualifizierten Uhrmachers zugleich.

Ecole d'Horlogerie de Genève Schuluhr Nr 79 Patek Philippe offen Kaliber 12'''-400

Handaufzugskaliber Patek Philippe 12'''-400, Nr. 79, in der Schuluhr der Ecole d'Horlogerie de Genève

Ecole d'Horlogerie de Genève Schuluhr Nr. 79 Patek Kaliber 12'''400 mit Genfer Siegel

Zwei Genfer Siegel finden sich auf dem Patek Philippe-Kaliber 12'''400 in der Schuluhr mit der Nummer Nr. 79

An Genfer Uhrmacherschule entstand in der ersten Hälfte der 1950er-Jahre die hier gezeigte Armbanduhr mit der Nummer 79. Das vom leider unbekannten Schüler verwendete Rohwerk stammt von Patek Philippe. Und zwar handelt es sich um das bewährte Handaufzugskaliber 12″‘‑400, welches die Manufaktur von 1950 bis 1961 mit den Nummern 720.000 bis 729.999 produzierte. Nicht bekannt ist hingegen, ob alle diese Nummern verwendet und im Laufe von elf Jahren  tatsächlich 9.999 Exemplare dieses Uhrwerks entstanden sind. Seine Bauhöhe beträgt vier Millimeter. Pro Stunde vollziehen die Glucydur-Schraubenunruh und  ihre autokompensierende Breguetspirale 18.000 Halbschwingungen, was einer Frequenz von 2,5 Hertz entspricht. Das mit einem Genfer Streifenschliff dekorierte Uhrwerk besitzt 18 funktionale Steine, Schwanenhals-Feinregulierung für den Rücker und eine Parechoc-Stoßsicherung. Von höchster Qualität zeugt bei dieser Schuluhr auch noch ein weiteres Merkmal: der Poinçon de Genève auf Platine und Federhausbrücke oder auf gut Deutsch das Genfer Siegel.

Die schlichte wasserdichte „Vacuum“-Schale mit 34,8 Millimetern Durchmesser bezog Patek Philippe ausweislich der Punze im Schraubboden von Taubert & fils, Manufacture des boites Borgel. Ab 1891 hatte sich der Genfer Francois Borgel mit wasserdichten Uhr-Gehäusen beschäftigt. Produkte aus seiner Fabrik trugen als Erkennungszeichen die beiden Buchstaben F.B. und darunter einen Schlüssel. 1924 erfolgte der Verkauf an die Familie Taubert, angesiedelt im Genfer Stadtteil Plainpalais. Sie zählte zu den besten Genfer Gehäusefabrikanten und konnte dank Borgel auf dem Gebiet der Wasserdichtigkeit punkten. Nach der Übernahme warb das Familienunternehmen mit folgendem Slogan: „Nur das Borgel-Schraubgehäuse schützt das Uhrwerk ihrer Uhr hermetisch.“ Nach dem Tod von Paul Taubert folgte 1938 die Umbenennung in Taubert Frères SA. Bei Patek Philippe war die Referenz 2509, deren Nummer neben den Buchstaben F.B. ebenfalls auf der Innenseite des Gehäusebodens dieser Schuluhr verewigt ist,  ab 1951 erhältlich. Nach gegenwärtigem Kenntnisstand belieferte Taubert die Genfer Nobelmanufaktur bis in die Mitte der 1960-er Jahre mit unterschiedlichen Gehäusen, darunter auch solche für Armbandchronographen.

Ecole d'Horlogerie de Genève Schuluhr Nr 79 Patek Philippe offen Schutzdeckel

Neben dem Schraubboden besitzt das Gehäuse dieser Schuluhr auch noch einen Schutzdeckel für das Handaufzugswerk

Wer eine Schuluhr sein Eigen nennen möchte, muss lange suchen. Insbesondere Exemplare mit Uhrwerken und Gehäusen allerbester Provenienz, wie in diesem Fall aus dem Haus Patek Philippe kommen nur in Ausnahmefällen auf den Markt.  Am 11. November 1999 gelangte bei Antiquorum Genf ein Exemplar von J. Abdoo als Los 586 für 13.800 Euro unter den Hammer. Wiederum Antiquorum versteigerte 2005 die von Freddy Meylan angefertigte Schuluhr mit der Nummer 289 als 165 erstaunlich günstige für 9.660 Schweizerfranken. Den bisherigen Top-Preis für eine Schuluhr dieser Art erlöste am 8.Mai 2022 bei Antiquorum das Los 472. Auf 8.000 -14.000 Franken taxiert, folgte der Zuschlag für den ca. 1966 von Daniel Gras hergestellten Zeitmesser bei stolzen 50.000 Schweizerfranken,

Schuluhr Ecole de Geneve Patek Philippe Ref 2509, Antiquorum 19991114, CHF 13.800

Am 11. November 1999 erlöste die Schuluhr der Ecole de Genève mit Werk und Gehäuse Ref. 2509 von Patek Philippe bei Antiquorum 13.800 Schweizerfranken

Schuluhr Ecole de Geneve, Daniel Gras, ca. 1966, Patek Philippe, Antiquorum 08.05.2022, CHF 50.000

Bei Antiquorum die bislang zum höchsten Preis versteigerte Schuluhr der Ecole de Genève. Am 08. Mai 2022 erfolgte der Zuschlag für CHF 50.000

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Kommentare zu diesem Beitrag

2 Kommentare

  1. Bonjour,
    La montre est-elle toujours disponible à la vente? Si oui à quelle prix?
    Merci pour votre retour et meilleures salutations
    Fabien

    Antworten
    • Gisbert L. Brunner

      Hello Fabien, unfortunately this rare watch is not for sale.
      Kindest Gisbert

      Antworten

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