Die Münchner Inhorgenta im Aufwind
Nach einem Aussteller-Tief im Uhren–Segment war die Uhren-Halle A der Inhorgenta im Jahr 2020 wieder gut gebucht. Neben vielen Einsteiger-Marken präsentierten in erfreulichem Maße auch Repräsentanten des gehobenen und sogar höheren Segments ihre Zeitmesser am Münchner Messegelände. Und noch wichtiger – am Ende zeigten sie sich zufrieden mit den Resultaten. Über die Präsenz eines kleinen aber feinen Salon Suisse mit herausragenden Uhren hat der Uhrenkosmos bereits berichtet.
Rund 26.000 Fachbesucher aus mehr als 80 Ländern kamen 2020 zur Münchner Inhorgenta
Getrübte Aussichten
Im Zusammenhang mit dem gegenwärtig vor allem in China grassierenden Coronavirus stellte sich allerdings da und dort die Frage, ob Ende April/Anfang Mai in der Uhr-Schweiz die Watches & Wonders und Baselworld stattfinden werden oder nicht. Eine Entscheidung sollte oder besser müsste bis Ende Februar fallen.
Die durch den Einbruch des chinesischen Markts stark gebeutelte Swatch Group hat ihre Veranstaltung „Time to Move“ bereits abgesagt. Ebenso wird Seiko den 60. Geburtstag der Grand Seiko in Japan feiern. So ganz ungeschoren kam allerdings auch die Inhorgenta durch das Fernbleiben einiger chinesischer Schmuckhersteller nicht davon. Es bleibt also spannend im Jahr 2020.
Aller Elektronik zum Trotz
Ungeachtet dessen schreitet die Zeit unbeeindruckt fort. Im Zeitalter ungestümer Elektronik-Fortschritte haben mechanische Chronographen scheinbar keine Existenzberechtigung mehr. Wenn es ums Stoppen der Zeit geht, kann jedes Smartphone definitiv mehr. Und smarte Mini-Computer in Uhrenform von Apple oder Samsung fürs Handgelenk stehen ihnen kaum nach.
Der Pferdefuß all dieser digitalen Lösungen zeigt sich in den verdammt kurzen Halbwertszeiten dieser digitalen Tausendsassas. Heute gekauft, morgen gerade noch nutzbar und übermorgen kommt die veraltete Hardware mit dem neuesten Software-Update schon nicht mehr zurecht.
Derartige Probleme kennen überlieferte Chronographen nicht. Auch im 21. Jahrhundert ist ihr Ticken der Herzschlag der menschlichen Kultur. Jeder Blick aufs vielfältige Zifferblatt lädt zum sinnierenden Verweilen ein. Hier rangiert Emotionalität vor dem Nutzwert. Solch Langlebigkeit taugt auch zum Vererben, da können Schwingquarze schlichtweg nicht mithalten. Entsprechend ist man geneigt, trotz aller digitalen Errungenschaften Chronographen auch künftig eine rosa Zukunft vorherzusagen.
Erschwinglicher Manufakturstopper
Im „Flyback Chronograph Manufacture“ verbaut Frédérique Constant das selbst entwickelte und gefertigte Automatikkaliber FC-760. Für die unter dem Zifferblatt agierende Chrono-Kadratur braucht es gerade einmal 95 Bauteile. Zum Starten und Anhalten dient der Drücker bei „2“. Das Nullstellen auch ohne Zwischenstopp ermöglicht ein Pendant bei „4“. Folglich kann man von einer Temposchaltung sprechen.
Das hierzu nötige Bewegungsschema vollzieht sich auf direkter Linie vom Drücker zum Kupplungshebel. Vergebens sucht man unter dem Zifferblatt nach einem konventionell ausgeführten Schaltrad.
An seine Stelle tritt ein sternförmiges Gebilde, dem die Start-/Stopp-Drücker und Schalthebel die Kommandos erteilen. Bei der Kupplung, welche Uhrwerk und Kadratur verbindet, beschreitet die in Genf beheimatete und mittlerweile zur japanischen Citizen-Gruppe gehörende Manufaktur gleichfalls unkonventionelle Wege.
Die konstruktive Kreativität des „Flyback Chronograph Manufacture“ bringt Frédérique Constant durch ein neuartiges schwenkbares Bauteil mit zwei Zahntrieben zum Ausdruck. Diese Zahntriebe verbinden auf Knopfdruck die beiden „Stockwerke“ miteinander. Im unteren Uhrwerk nimmt es die Drehungen der Zentralsekunde auf, um sie nach oben zu übertragen. Per Zwischenrad wird auch die Permanentsekunde bei „9“ angetrieben.
Bis zu 30 Minuten, also 30 Umläufen des Chronographenzeigers zählt der Totalisator bei „3“. Schließlich findet sich bei „6“ auch noch ein Zeigerdatum.
Die Größe der Uhr mit dem stählernen Sichtboden ist mit 42 Millimeter groß, jedoch nicht zu ausgesprägt. Gleiches gilt für den Preis, denn den Manufaktur-Chrono gibt es bereits für rund 3.700 Euro.
Meister Sportler
Betont sportlich gibt sich Junghans beim neuen Chronographen „Meister S Chronoscope“. Für diese ausgefällige Armbanduhr haben die Techniker ein ganz neues, nach ergonomischen Gesichtspunkten gestaltetes Gehäuse entwickelt. Es besteht aus PVD-beschichtetem Edelstahl, besitzt einen massiven Schraubboden und misst stolze 45 Millimeter. Rein theoretisch könnte man mit diesem sportlichen Chronographen bis zu 200 Meter tief tauchen. Für sicheren Halt am Handgelenk im Wasser wie an Land sorgt ein aus Kautschuk und Leder gearbeitetes Armband.
Im Inneren verbaut das deutsche Traditionsunternehmen hingegen eidgenössische Mechanik. Das Uhrwerk ist entweder von der Eta, wo es 7750 heißt, oder es ist das weitgehend baugleiche Sellita. Hier trägt das Automatikkaliber mit Rotor-Selbstaufzug, Stoppfunktion, Kulissenschaltung, 30-Minuten- und 12-Stunden-Zähler die Bezeichnung Sellita SW500. Insgesamt fertigt Junghans vom Meister S Chronoscope Referenz 027/4025.00 exakt 888 Stück. Jeder dieser Chronographen kostet dabei etwa 2.490 Euro.
Chronographen Stopper mit Durchblick
Das Aushängeschild von Maurice Lacroix trägt den Namen „Aikon“. Diese Armbanduhr mit sportlich-luxuriösem Touch hat die Schweizer Uhrenmarke zurück auf die Erfolgsspur geführt. Von Verkauf an einen anderen Inverstor ist offenbar derzeit keine Rede mehr. Neu in der Kollektion ist nun der 44 Millimeter große „Aikon Chronograph Skeleton“.
Wie der Name unschwer erkennen lässt, besitzt dieser Chronograph ein durchbrochen gestaltetes Uhrwerk. Kenner identifizieren das verbaute Automatikkaliber mit einseitig aufziehendem Kugellagerrotor als Valjoux 7753 Kaliber. Bei der skelettierten Version handelt es sich jedoch um einen Klon, den Concepto aus La Chaux-de-Fonds zuliefert.
Dank durchbrochen ausgeführtem Zifferblatt geben sich die Zahnräder der Maurice Lacroix „Aikon Chronograph Skeleton„gut erkennen, welche den 30-Minuten-Zähler von der üblichen Position bei „12“ zur „3“ verlagern. Konsequenter Weise sollte der dort drehende Zeiger auch blau sein, denn diese Farbe besitzt auch der zentrale Chronographenzeiger.
Das Uhrwerk im Maurice Lacroix „Aikon Chronograph Skeleton“ stammt von Concepto
Das natürlich beidseitig verglaste Stahlgehäuse dieses markanten Chronographen ist immerhin bis zu 20 bar Druck wasserdicht. Jedes Exemplar schlägt dabei mit moderaten 6.900 Euro zu Buche.
Retro-Chronograph von Sinn
Die Kalender zeigten das Jahr 1967, als Leonidas an Militärflieger der Deutschen Bundeswehr eine „Armbanduhr mit Doppelstoppeinrichtung“ lieferte. Gemeint ist ein Chronograph mit Flyback-Funktion mit dem Handaufzugskaliber Valjoux 222. In späteren Exemplaren von Heuer arbeitete hingegen das Kaliber Valjoux 230. Die Erklärung ist einfach – unter der Bezeichnung 155 Bw verkaufte Spezialuhren Sinn überarbeitete Restbestände des Chronographen mit eigener Signatur.
Nun feiert dieser ausdruckstarke und bei Sammlern sehr begehrte Zeitmesser mit 60-Minuten-Drehlünette in gestalterisch leicht modifizierter Weise eine Art Comeback. Nachdem es die klassischen Handaufzugswerke nicht mehr gibt, verbaut Sinn im Modell 158 das neue Automatikkaliber Sellita SW 510 mit 30-Minuten-Zähler bei „3“. Die Gestaltung des Zifferblatts mit den beiden Totalisatoren erleichtert das Ablesen. Mitunter wird diese Form des Zifferblatts umgangssprachlich als „Bicompax“ bezeichnet. Kenner der Materie wissen allerdings, dass diese Bezeichnungsweise nicht ganz zutrifft. Näheres dazu findet sich hier.
Die 500 nummerierten Exemplare kommen mit 43 Millimeter großem und bis zu zehn bar wasserdichtem Stahlgehäuse. Über Zifferblatt und Zeiger wölbt sich ein schlagfestes Acrylglas. Der Preis des Sinn Chronographen 158 liegt bei etwas 2.590 Euro.
Zeitschreibendes Präludium
Über Yvo Staudt und seine Akkordeon-Passion war im Uhrenkosmos schon ausgiebig die Rede. Für seine musikalisch inspirierte Uhrenlinie „Praeludium“ arbeitet der kreative Holländer mit verschiedenen Spezialisten zusammen.
Die kunstvollen, während des Instrumentenstudiums im italienischen Siena entwickelten Uhren-Zifferblätter liefert ein englischer Betrieb zu. Normaler Weise bedrucken die Briten auf lithografische Weise Tachometer für edle Automobile. Dass sie auch bei Uhren ausgesprochen schöne Ergebnisse liefern, zeigen die Staudt Uhren. Die in klassischen Schalen verbauten Uhrwerke stammen hingegen ursprünglich von der Eta.
Wem die Handaufzugsmodelle aus Enschede zu wenig sind, dem stehen auch Automatik-Chronographen zur Verfügung. Hierfür veredelt Staudt Twenthe das altbekannte und albewährte Eta 7753 mit 30-Minuten-Zähler bei „3“. Gestalterisch rangiert bei Yvo Staudt die Eleganz durchweg vor der Sportlichkeit.
Von selbst mag sich verstehen, dass das beschichtete und bis zu drei bar wasserdichte Gehäuse der neuen Staudt „Black Edition“ einen Sichtboden zur Begutachtung des Edel-Eta besitzt. Wohlfeil ist sie zum Preis von circa 3.000 Euro zudem.
Großer Flieger aus Glashütte
Tutima Glashütte wertet seinen „Grand Flieger Airport“-Chronographen auf. Und zwar durch eine Drehlünette mit kratzfestem Keramik-Inlay. Zur Wahl stehen beim Nachfolger des beliebten Fliegerchronographen aus den 1940-er Jahren zwei Farben: klassisches Blau oder militärisches Grün.
Optimierungsfähig ist die nicht ganz logische Farbgebung der drei Chronographenzeiger. Aus unerklärlichen Gründen ist jener des 30-Minuten-Totalisators bei „12“ in Weiß ausgeführt. Passend zum zentralen Chrono-Zeiger und dem Stundenzähler bei „6“ müsste er jedoch rot sein.
Weil das einst genutzte Schaltrad-Handaufzugskaliber Urofa 59 Geschichte ist, verbaut Tutima das so genannte Automatikkaliber 310. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich entweder ein Valjoux/Eta 7750 oder ein SW500 von Sellita. Das Familienunternehmen nutzt beide Uhrwerke mit Day-Date-Indikation.
Die stählerne Sichtboden-Schale widersteht dem nassen Element bis zu 20 bar Druck. Beinahe selbstverständlich ist auch die Super-LumiNova Leuchtausstattung. So ausgestattet und mit Faltschließen-Armband aus textilem Material kostet der Newcomer schließlich rund 3.300 Euro.
Fortsetzung folgt
Die beiden Chronographen aus dem Salon Suisse der Münchner Inhorgenta 2020 folgen demnächst an dieser Stelle. Sie stammem von Czapek & Cie. und Parmigiani.
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