Kampf dem Schlüssel
Gäbe es ihn nicht schon seit rund 250 Jahren, hätte er sich nicht bereits millionenfach bewährt, müsste ein automatischer Aufzug für Uhren schleunigst erfunden werden. Schließlich konnte selbst König Quarz die Automatik für mechanische Uhren nicht aus dem Reich der Zeitmessung vertreiben. Und Smartwatches beißen sich an hochwertigen mechanischen Uhren ebenfalls seit Jahren die Zähne aus.
Wir haben keine großen Abenteurer hervorgebracht und keine Genies, aber wir haben Menschen guten Herzens unter uns, und wir lieben Ordnung und Arbeit.
Abraham-Louis Perrelet, der heute allgemein anerkannte Erfinder, wirkte zwar in Le Locle. Ganz offensichtlich wussten die braven Einwohner des beschaulichen Jurastädtchens im Kanton Neuenburg jedoch herzlich wenig über Perrelets bedeutungsvolles Wirken für die Uhrmacherkunst. Jenem 1729 geborenen Mann, dem man nachsagt, er habe sich nach nur 15-tägiger Uhrmacherlehre selbst zum Meister erkoren, gebührt ganz zweifellos der Titel Genie. Unermüdlich rückte er den Schwächen der Taschenuhr und hier insbesondere dem Aufzug, einer vielfach angeprangerten Schwachstelle herkömmlicher Taschenuhren zu Leibe.
Allerdings resultierte dessen Mangelhaftigkeit keineswegs aus unzureichender Funktion. Als regelmäßiger Stein des Anstoßes erwiesen sich vielmehr die kleinen Schlüssel zum Spannen der Zugfeder und Richten der Zeiger. Mit schöner Regelmäßigkeit gingen diese verloren. Außerdem drang Staub durch die Gehäuseöffnungen zum empfindlichen Uhrwerk vor und beeinträchtigte die Zuverlässigkeit des kostbaren Instruments.
Selbst sei der Aufzug
Während Zeitgenossen Perrelets mit Lünetten- oder Pumpaufzügen experimentierten, setzte der unkonventionell denkende Autodidakt auf eine verwegene Lösung: Das bewegte Uhrwerk solle sich gefälligst selbst aufziehen. 1770 oder womöglich auch erst 1771 debütierte seine neuartige Erschütterungsuhr. Analog zu den bekannten Pedometern bewegte sich deren Pendelschwungmasse während des Gehens rhythmisch auf und ab. Ein intelligentes Zusatzwerk wandelte die solcherart erzeugte kinetische Energie in ein Energiepotential um.
Aber bei seiner Beschäftigung mit der kniffligen Materie hatte Perrelet schon weitergedacht. Über dem Basiswerk einer alternativen Konstruktion rotierte eine segmentförmige Masse unbegrenzt und nahezu lautlos rotierte. Per Wechsel- und Reduktionsgetriebe spannte sie die Zugfeder sogar schon in beiden Drehrichtungen.
Erfahrungen mit dem Selbstaufzug
Geradezu euphorisch, nach heutigem Kenntnisstand aber auch reichlich übertrieben konstatierte 1777 Professor Horace Benédict de Saussure von der Genfer Société des Arts, dass ein nur 15-minütiger Spaziergang stattliche acht Tage Gangautonomie bewirkt habe. Gleichwohl musste Perrelet nachbessern. Warum, das steht in de Saussures Notizbuch Voyage dans les Alpes: Auf dem Weg zur Post hatte ein Mann diese Uhr im Hosensack mit sich geführt. Nach der Rückkehr wies sie ernsthafte Beschädigungen auf.
Mangels Schutz gegen das Überspannen der Zugfeder kam es durch den permanenten Energienachschub zum Bruch derselben. Der Meister schaffte das Problem durch eine ausgeklügelte Blockiervorrichtung aus der Welt. Bei prall gefülltem Federspeicher stoppte sie die Schwungmasse. Nach dem Absinken des Drehmoments unter einen definierten Wert durfte sie sich wieder drehen. Parallel zu Perrelet experimentierte übrigens auch der Lütticher Uhrmacher Hubert Sarton mit Selbstaufzugs-Taschenuhren. Ein konkretes Beispiel ist bislang jedoch noch nicht aufgetaucht.
Natürlich gab es auch die berühmte Achillesferse. Weil distinguierte Herren ihre kostbare Taschenuhr sicher in Jacke, Weste, Hose oder Gürtel zu verstauen pflegten, fehlte ihnen zumeist die für Selbstaufzüge unabdingbare Bewegung. Von einer Erfolgsgeschichte lässt sich daher beim besten Willen nicht sprechen. Diese Erkenntnis gilt auch für Abraham-Louis Breguet und seiner Kollegen, darunter Louis Recordon, Jaquet-Droz, Jonas Perret-Jeanneret, Jean Romilly, James Cox, Robert Robin, Charles Oudin und Les Frères Godsman.
Mitte des 19. Jahrhunderts schaffte der moderne Kronenaufzug das Schlüsselproblem auf vergleichsweise simple Weise aus der Welt.
Die Modenarrheit, die Uhr an der unruhigsten Körperstelle, im Armbande, zu tragen, verschwindet hoffentlich bald wieder.
Automatischer Aufzug
Exakt das, was der Hamburger Ingenieur Herrmann Bock im Jahr 1917 anprangerte, sollte der Automatikuhr zum Durchbruch verhelfen. Aber auch hier dauerte es eine ganze Weile, bis das Misstrauen und die Vorurteile gegen den Selbstaufzug überwunden waren.
Retrospektiv betrachtet waren die weltweit ersten Automatik-Armbanduhren eher „Abfallprodukt“ bei der Entwicklung konventioneller Selbstaufzugs-Zeitmesser für die Tasche. Entstanden sind sie in den Pariser Werkstätten des Uhrmachers Léon Leroy. 1914 hatte der Nachkomme einer berühmten Uhrmacherdynastie gemeinsam mit seinem Bruder Louis die Firma Leroy & Fils gegründet. Und die beschäftigte sich grundsätzlich mit dem Selbstaufzug für mechanische Uhren. Ganz nebenbei reifte dabei auch die Idee zum Selbstaufzug für weibliche Handgelenke. 1921 tickten erste Prototypen einer spitzovalen Damenarmbanduhr.
Bei ihnen bewegt sich eine navetteförmige Pendelschwungmasse, welche fast das ganze Gehäuse ausfüllt, über einem runden Uhrwerk. Schaltklinken übertragen die Bewegungsenergie auf das Federhaus. Sperrklinken verhinderten die Entladung.Eine kleine Serie dieser ersten Armbanduhr orderte der große Sammler David Salomons. Auf Wunsch stattete Leroy auch sieben Exemplare mit einer Datumsindikation aus. Ein Durchbruch blieb diesen Bemühungen ebenso verwehrt wie John Harwood.
Sechs Jahre mühevolle Entwicklungsarbeit führten 1929 zur Produktion des von der AS SA produzierten Harwood-Kalibers 648. Für den Vertrieb der fertigen Uhren zeichneten Fortis und Blancpain verantwortlich. Aber die Konstruktion mit extrem vielen Schrauben, die geringe Gangautonomie von nur etwa 12 Stunden und kein Handaufzug brachten 1931 im Zuge der Weltwirtschaftskrise das endgültige Aus für die Harwood.
Rotoraufzug for ever
In genau jenem Jahr arbeiteten Hans Wilsdorf, seines Zeichens Generaldirektor der Genfer Montres Rolex SA und Emil Borer, technischer Leiter der in Biel beheimaten Manufacture des Montres Rolex SA fieberhaft einem Zeitmesser, der den Selbstaufzug salonfähig machen sollte. Im Rolex Vademecum heißt es dazu:
„Die Idee der Perpetualuhr gehört nicht in das weitläufige Gebiert der Philosophie. Sie ist ein mechanischer Gegenstand, der sich in normalen Lebensverhältnissen ohne direktes Dazutun des ihn benützenden menschlichen Wesens von selbst aufzieht, das heiß, seine Antriebskraft wiedergewinnt.“
Die Ausstattung der in erster Linie von Frauen getragenen wasserdichten Rolex Oyster-Modelle mit einem Automatikwerk diente übrigens weniger der Bequemlichkeit. Primär ging es darum, das tägliche Öffnen der Schraubkrone zu vermeiden. Nachlässigkeit beim Verschließen nach dem Handaufzug, was bedauerlicher Weise recht oft geschah, führte zum Eindringen des nassen Elements. Mit allen negativen Konsequenzen, wie man sich leicht vorstellen kann.
Mit Hans Wilsdorf und Emil Borer lebte bekanntlich auch die 160 Jahre alte Idee von Abraham-Louis Perrelet wieder auf: der unbegrenzt drehende Rotor, welcher seitdem als Weltstandard für Automatikuhren gilt.
Danke!
Interessanter Artikel, aber kann man Rolex als Erfinder bezeichnen?
Wenn man es streng im Sinne des ersten automatischen Aufzugs versteht, nein. Betrachtet man hingegen das Funktionsprinzip heutiger Automatikwerke, kann man Rolex und seine Partner durchaus als Erfinder des automatischen Aufzugs moderner Prägung bezeichnen. Meinen Sie nicht?
🙂