Ein wenig Uhrentheorie vorweg
Um das Besondere der neuen Gravity Equal Force von Armin Strom und der verbauten Malteserkreuz-Stellung zu begreifen, muss man sich mit den funktionalen Abläufen in einem mechanischen Uhrwerk auseinandersetzen.
Als Energiespeicher konventionell tickender Armbanduhren dient in der Regel ein trommelförmig gestaltetes Federhaus. Der Aufzug, egal ob manuell oder automatisch, erfolgt über den zentralen Federkern, an dem das innere Ende der Zugfeder befestigt ist. Deren äußeres Ende hängt entweder starr oder mit Hilfe eines so genannten Schleppzaums an der inneren Wandung des Federhauses. Bedingt durch ihre Elastizität möchte sich die aufgewundene Zugfeder wieder entspannen.
Ein Gesperr mit Sperrkegel sorgt dafür, dass dies nur in Richtung des Räderwerks geschehen kann. Bei einem tickenden Uhrwerk zieht das Metallband besagtes Federhaus solange rotierend nach sich, bis es entkräftet an seiner inneren Wandung anliegt. Die Zähne des Federhauses greifen in den Trieb des zentral angeordneten Minutenrads, welches sich einmal pro Stunde um seine Achse dreht.
Das folgende Kleinbodenrad und das einmal pro Minute um 360 Grad rotierende Sekundenrad leiten die Energie weiter an das Ankerrad. Letzteres gehört zur Hemmung, welche das Räderwerk am ungebremsten Ablauf hindert. Eine weitere Aufgabe der Hemmung besteht darin, die Oszillationen des aus Unruh und Unruhspirale stehenden Gangreglers aufrecht zu erhalten.
Funktionsschema eine klassischen Handaufzugswerks mit 2,5 Hertz Unruhfrequenz
Möglichst konstante Antriebskraft dieser Armin Strom
Mit fortschreitender Entspannung der Zugfeder nimmt das von ihr zum Schwingsystem gelieferte Drehmoment ab. Dadurch reduziert sich die Amplitude der Unruhschwingungen, was sich wiederum negativ auf die Ganggenauigkeit auswirkt.
Diesem Sachverhalt können Uhrmacher auf unterschiedliche Art und Weise entgegen wirken:
Der heutzutage in nahezu allen Federkraft-Uhrwerken verwendete Sperrkegel (siehe oben) hält das anfänglich ausgesprochen hohe Drehmoment vom Räderwerk fern.
Ferdinand Berthoud, Kette-Schnecke-Antrieb mit zusätzlicher Malteserkreuz-Stellung
Weitestgehend konstante Antriebskraft bewirkt ein -allerdings sehr aufwändiger- Kette-Schnecke-Antrieb. Er nutzt die physikalischen Hebelgesetze.
Als eine Art Kompromiss bietet sich die oben abgebildete Malteserkreuz-Stellung an. Sie kompensiert die größten Unterschiede der Zugfeder-Kraftentfaltung. Zu diesem Zweck befestigen die Uhrmacher auf der Federwelle einen Finger. Selbiger greift in die Lücken des mit dem Federhausdeckel verschraubten Malteserkreuzes, welches sich bei jedem Umgang um einen Kreuzarm verdreht.
Und zwar so lange, bis ein speziell geformter Zahn Einhalt gebietet. Auf diese Weise werden die normaler Weise verfügbaren Umgänge des Federhauses auf jene mit relativ konstantem Zugfeder-Drehmoment reduziert.
Festes Federhaus
Das zum Üblichen und weit verbreiteten. Armin Strom und dort speziell Claude Greisler, der Partner von Firmengründer Serge Michel, zäumen das Pferd bei der neuen „Gravity Equal Force“ sozusagen von hinten auf. Will heißen: Der Antrieb des Mikrorotor-Automatikkalibers erfolgt vom Federkern aus und nicht vom verzahnten Federhaus. In seinem Inneren hat der Chefkonstrukteur ein „Aufzug-Hemmungs-Auskupplungssystem“ platziert. Ihm kommt die Aufgabe zu, das an die Unruh weitergeleitete Drehmoment zu stabilisieren. Auf diese Weise gibt der Energiespeicher die Antriebskraft weitgehend gleichförmig an das Hemmungs- und Schwingsystem ab.
„Wir haben die gesamte Funktionalität eines Uhrwerks mit Automatik-Aufzug neu erfunden, um die Präzision auf ein höheres Niveau zu heben und unseren Sammlern mehr Sicherheit beim täglichen Gebrauch der Uhr zu geben.“
Als Inspirationsquelle diente eine alte Taschenuhr mit festem Federhaus. Selbiges wird also nur beim Aufziehen bewegt. Dort und auch bei der Neukonstruktion erfolgt der Kraftfluss über die Federhaus-Welle. In diesem Fall ist sie in Rubinen gelagert. Auch das gab es früher schon, aber bei Uhrwerken mit drehendem Federhaus brachte und bringt der Aufwand keine wirklichen Vorteile. Schließlich dreht sich der Federkern nur beim Spannen der Zugfeder. Nach Auffassung von Claude Greisler führt das Ganze zu einer Verbesserung der Funktionalität bei gleichzeitiger Reduktion der Abnützung.
Hommage an das Malteserkreuz
Von Hexerei kann natürlich auch hier keine Rede sein. Es lebe die Tradition hochrangiger Uhrmacherkunst. Ihr folgend stattet Claude Greisler das Federhaus mit besagter Malterserkreuz-Stellung aus. Dieses konstruktive Detail reduziert, wie oben ausführlich beschrieben, die Zahl der vollständigen Umdrehungen des Federhauses oder eben des Federkerns. In diesem Fall sind es lediglich neun von möglichen 12,5 vollständigen Rotationen. Mathematisch entspricht das 72% der Zugfeder-Drehmomentkurve.
Und die verläuft somit weitgehend flach. Nach drei Tagen verhindert das Malteserkreuz ein weiteres Entspannen des Energiespeichers. Somit erhält der Gangregler für seine Schwingungen auf dem Weg über die Hemmung über 72 Stunden hinweg weitgehend gleiche Kraftstöße. Im Zuge dieses technischen Kniffs hat Armin Strom den vorne sichtbaren Teil des Federhauses direkt mit einer Gangreserveanzeige ausgestattet. Die Tatsache, dass ein Mikrorotor beim Tragen der Uhr für regelmäßigen Energienachschub sorgt, trägt übrigens auch zu einem gleichmäßigen Drehmomentverlauf des Manufakturkalibers ASB19 bei.
System 78
Dem neuen alten Denkansatz entspricht das asymmetrische Design der ganzen Armbanduhr. Das Zifferblatt vor dem zentral zwei Zeiger für Stunden und Minuten sowie bei „7“ ein weiterer für die Sekunden rotieren, beansprucht die linke Seite für sich. Rechts zeigt sich auf Kronenhöhe der Aufzugs- und Zeigerstellmechanismus. „Im Süden“ haben die Entwickler das Federhaus mit Gangreserveanzeige positioniert. Durch eine sektorförmige Öffnung ist die Malteserkreuz-Stellung erkennbar. Weil der Mikrorotor beim Tragen und dem damit verknüpften Aufziehen das Federhaus dreht, kann es sein, verschwindet die Gangreserveanzeige gelegentlich hinter dem Zifferblatt oder dem durchbrochenen Kloben. Die Schwungmasse agiert im oberen Teil des Uhrwerks.
Beim Blick durch den Sichtboden des neu gestalteten Edelstahlgehäuses zeigt sich die ebenfalls unter einem durchbrochenen Kloben gelagerte Unruh mit variabler Trägheit und 3,5 Hertz Frequenz. Weil Regulierung des Gangs mit Hilfe kleiner Masseschrauben erfolgt, kann die Unruh frei von einem Rückermechanismus schwingen. Für Armin Strom bildet die „Gravity Equal Force“ den Auftakt zu einer Neuen Uhrenkollektion namens „System 78.“ Die Zahl kommt das bei nicht von ungefähr. Sie weist hin auf das Geburtsjahr von Claude Greisler und Serge Michel, der die Marke von Altmeister Armin Strom erworben hat.
Es ist nicht selbstverständlich, dass wir unsere Werte als Uhrmacher und unser Innovations-Bestreben einem breiteren Publikum zugänglich machen können. Es war eine grosse Herausforderung, dieses Perfektionsniveau zu einem solchen Preis anbieten zu können.
Mit einem Preis von 16.900 Schweizerfranken oder vermutlich auch Euro verkörpert diese Armbanduhr eine Art Einstiegsmodell in die Welt von Armin Strom.
Uhrenkosmos Modell-Steckbrief
Hersteller |
Armin Strom |
Name |
Gravity Equal Force |
Referenz |
ST19-GEF.90.AL.M.35 |
Premiere |
November 2019 |
Uhrwerk |
Manufakturkaliber ASB19 |
Aufzug |
automatisch durch Mikrorotor |
Durchmesser |
35,52 mm |
Bauhöhe |
11,67 mm |
Komponenten |
202 |
Gangautonomie |
72 Stunden |
Unruhfrequenz |
3,5 Hertz (25.600 Halbschwingungen/Stunde) |
Anzeige |
Stunden, Minuten, Sekunden, Gangreserveanzeige |
Besonderheit |
Stehendes Federhaus, Antrieb über den Steingelagerten Federkern. Malteserkreuz-Stellung für weitgehend konstantes Drehmoment der Federkraft |
Gehäuse |
Edelstahl, Saphirglas, Sichtboden |
Durchmesser |
41 mm |
Höhe |
12,65 mm |
Wasserdichte |
drei bar |
Armband |
Alligatorleder mit Dornschließe |
Preis |
16.900 Schweizerfranken |
Limitierung |
keine |
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