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Fleurier, ein Ort mit großer uhrmacherischer Tradition
Zugegeben, die Ortschaft und Wirkungsstätte von Michel Parmigiani ist nicht ganz leicht zu finden. Von Neuenburg, der Hauptstadt des gleichnamigen Schweizer Kantons kommend, folgt man am besten den Wegweisern mit der Aufschrift „Pontarlier“. Nach etwa fünfzig landschaftlich höchst abwechslungsreichen Kilometern, teilweise entlang an der beschaulich dahinfließenden Areuse, bis man in die französische Stadt dieses Namens gelangt.
Doch so weit soll der Weg gar nicht führen. Auf halber Strecke durchquert man die Ortschaft Travers, nach der das malerische Val de Travers benannt ist. Seitlich fungiert die imposante Bergkette des Schweizer Jura als beeindruckende Kulisse. Nun heißt es aufgepasst. Bald schon gilt es die geschäftige Verbindungsroute zwischen der Schweiz und Frankreich zu verlassen. Auf einer kleinen, nach Sainte-Croix, dem Mekka der Spieluhren und mechanischen Automaten führenden Seitenstraße erreicht man nach kurz darauf den Ort Fleurier und damit auch das Ziel der Reise.
Bei Kennern weckt der Name Fleurier ganz spontan Erinnerungen an wunderbare Email-Taschenuhren u.a. für den chinesischen Markt oder an Rohwerke für Taschen- und Armbanduhren. Mitte der 1970-er Jahre war es auf einmal mit der chronometrischen Idylle vorbei. Quarzuhren waren in Fleurier zwar ein Gesprächsthema, fertigen mochte man sie aber nicht. Deshalb musste man sich nicht über einen beispiellosen Absturz wundern.
1979 stellte die renommierte Rohwerkefabrik FEF ihren Betrieb ein und die Uhrmacher erhielten blaue Briefe. Was blieb, waren Erinnerungen an bessere Zeiten im Dienste der mechanischen Zeitmessung. Fleurier und die dort beheimatete Uhrmacher-Kompetenz zählten scheinbar nicht mehr wirklich.
Die unangenehmen Seiten dieser Krisensituation blieben auch Michel Parmigiani nicht erspart. Nach dem Besuch der Uhrmacherschule in eben jener Ortschaft Fleurier, des Technikums in der Uhrenmetropole La Chaux-de-Fonds und der Ingenieurschule im Städtchen Le Locle erlebte der Sohn italienischer Eltern den sukzessiven Niedergang traditioneller Handwerkskünste.
In jenem schicksalsträchtigen Jahrzehnt verdingte sich Michel Parmigiani zeitweise als Assistent des technischen Direktors einer nicht eben im Rampenlicht stehenden Uhrenfabrik. Diese eher frustrierende Schaffensperiode von 1973 bis 1975 offenbarte dem versierten und erfahrenen Uhrmacher, warum das Überlieferte in der Uhr-Schweiz anscheinend keinen goldenen Boden mehr hatte. Funktionalität rangierte vor Ästhetik, Kommerzdenken vor Qualität, mentale Beharrlichkeit vor Kreativität. Und das mochte er selbst unter keinen Umständen mittragen.
Restaurieren ist mehr als reparieren
Im Bewusstsein, dass ihm andere Marken ebenfalls keine jener Perspektiven bieten konnten, welche sich Michel Parmigiani immer wieder gedanklich ausmalte, zog er in seinen Geburtsort Couvet im Kanton Neuenburg zurück. Berufliche Selbständigkeit schien der einzige Weg zur Realisierung seiner hehren handwerklichen Vorstellungen. Weil die Mechanik auf dem Sektor neuer Uhren nur noch ein Schattendasein führte, widmete sich der 1950 geborene Parmigiani fortan den liebenswerten mechanischen Objekten aus vergangenen Epochen. Hier gab es in der Tat mehr als genug, die einer gleichermaßen liebevollen wie fachkundigen Restaurierung harrten. An ihnen konnte der Mechanik-Enthusiast seinen ausgeprägten Hang zur Perfektion ungehemmt ausleben.
Faszinierende Aufträge ließen nicht lange auf sich warten. In machen, eher seltenen Fällen brauchten die Michel Parmigiani anvertrauten Zeitmesser nur eine gründliche Überholung. Meistens fehlte jedoch mehr, weit mehr sogar. Mitunter verlangten gleich ganze Schaltwerke nach originalgetreuer Rekonstruktion und rein manueller Neuanfertigung. Manchmal hatte der Zahn der Zeit die antiken Stücke förmlich verstümmelt. Mitunter hatten aber auch unkundige Kollegen mehr Schaden als Gutes angerichtet.
Das Atelier Parmigiani, in dem Michel Parmigiani bis 1980 ganz alleine wirkte, schreckte vor keinem Auftrag zurück. Ans Licht der Öffentlichkeit durfte er damit indes nur selten gehen. Aus verständlichen Gründen wollten die Auftraggeber mit ihren hochrangigen Schätzen anonym bleiben. So gestaltete sich die perfektionistische One-Man-Show in Couvet über Jahre hinweg als Geheimtipp.
Nachdem Michel Parmigiani im Laufe von rund 1600 Stunden eine extrem kostbare, von Experten als irreparabel bezeichnete Breguet Montre Sympathique samt Taschenuhr zu neuem Leben erweckt hatte, sprach die Branche immer lauter und respektvoller über Parmigiani. Immerhin erlöste die zu neuem Leben erwachte Sympathique Nr.257, welche jede Gangabweichung der zugehörigen Taschenuhr automatisch korrigieren kann, am 14. April 1991 im Rahmen einer Versteigerung des Genfer Auktionshauses Antiquorum beachtliche 1,1 Millionen Schweizerfranken.
Ein Meisterwerk der Uhrmacherei zu restaurieren, ist eine wahre Freude. Indem es der Restaurator von Verschleiß und den Folgen menschlicher Unachtsamkeit befreit, verleiht er ihm wieder ein zeitloses Dasein und schreibt seine Geschichte weiter.
Mit der gleichen Sorgfalt und Perfektion restaurierte Michel Parmigiani fürs Mailänder Museo Poldi Pezzoli ein wertvolles Tourbillon von Abraham-Louis Breguet aus der Zeit um 1815.
Einen entscheidenden Beitrag zur weiteren Karriere des eher bedächtig und gar nicht italienisch auftretenden Uhrmachers leistete das uneingeschränkte Vertrauen der kunstsinnigen Pharma-Familie Sandoz. In teilweise sehr mühevoller Kleinarbeit verhalfen Michel Parmigiani und seine ab 1980 kontinuierlich wachsende Mitarbeiterschar den tickenden Kostbarkeiten zu neuem Glanz. Und darüber durfte der Meister mitunter sogar reden. Vornehm zurückhaltend, wie es dem Naturell des eher introvertierten Handwerkers entspricht. Hinter vorgehaltener Hand nannte Michel damals auch den Namen Patek Philippe.
Im Kreise seiner Mitstreiter verstand sich Michael Parmigiani als primus inter pares, als Erster unter einem Stab vielseitig talentierter Kollegen. Ausgeprägte Hierarchien gehen ihm völlig gegen den Strich. Zeitmesser von höchstem Niveau vertragen allein schon deshalb keine Großspurigkeit, weil diejenigen, welche sie einstmals schufen, grundsätzlich keine Männer großer Worte waren.
Durch die anspruchsvollen Restaurierungsarbeiten eignete sich das Atelier Parmigiani im Laufe von mehr als zwei Jahrzehnten außergewöhnliche Kenntnisse über gut vier Jahrhunderte höchster Uhrmacherkunst an. Restaurieren bedeutet in diesem Zusammenhang übrigens sehr viel mehr als nur reparieren. Nicht ohne Grund verlangt der Titel „staatlich geprüfter Restaurateur” in der Schweiz nach einem zweijährigen Studium, welches sich an die Ausbildung zum Uhrmacher anschließt. Diese Möglichkeit der Zusatzqualifikation gibt es erst seit rund 60 Jahren.
Beredte Beispiele für besagte Perfektion sind drei Tierautomaten aus dem frühen 19. Jahrhundert. Die aus kostbarsten Materialien gefertigten Objekte gehören zur Sammlung Maurice Sandoz und imitieren detailgetreu das Aussehen und die Bewegung einer Maus, einer Raupe und eines Frosches: laufen, kriechen, springen und sogar quaken.
Die Maus
Die 120 Millimeter lange Maus ist aus graviertem Gold gefertigt und mit Perlen verziert. Für die Augen fanden Rubine Verwendung. Der Schwanz aus geflochtenem Gold löst einen kinetischen Mechanismus aus. Dadurch bewegt sich das Tier mehrere Zentimeter, hält an, richtet seinen Oberkörper auf, hebt und senkt den Kopf.
Die Maus
Die Seidenraupe
Diese 75 Millimeter große Raupe besteht aus mehreren rot emaillierten Goldringen. Grüne und blaue Farbtupfer kombiniert mit rosa Diamanten, Rubinen und Smaragden runden das raffinierte Dekor ab. Durch einen Auslöser am Bauch beginnt die Raupe zu kriechen, wobei sich Kopf und Hinterteil abwechselnd auf und ab bewegen.
Die Seidenraupe
Der Frosch
60 Millimeter nisst der mit funkelnden Perlen und Rubinen besetzte.Frosch. Mit seinem Körper aus grün emailliertem Gold ist er ein markantes Beispiel für den Trompe-l’œil-Effekt. Nach mehreren Sprüngen beginnt der Frosch zu quaken. Dann hüpft er weiter.
Der Frosch
Mit Blick auf die Mühen und den immensen Aufwand wird schnell klar, dass die teilweise monatelang dauernde Restaurierung einer antiken Uhr oder eines Automaten im Atelier Parmigiani ebenso viel kostet, wie die Anfertigung eines neuen Exemplars mit den gleichen Funktionen.
Die (ganz) andere Seite des Michel Parmigiani
Das Bemühen um historische Zeit-Zeugen ist freilich nur eine der vielen Facetten des perfektionsbesessenen Uhren-Künstlers Michel Parmigiani. Die weiteren gelten einer engagierten Fortentwicklung der Zeitmesskunst. Und zwar in eigenen wie auch fremdem Namen. Natürlich sprach es sich in der überschaubaren Uhr-Schweiz relativ schnell herum, dass man im eleganten Palais zu Fleurier, welches die Manufaktur Parmigiani Fleurier beherbergt, geballter technischer, technologischer und handwerklicher Kompetenz begegnet.
Bereitwillig leisteten der naturalisierte Schweizer und seine Mitarbeiterschar Entwicklungshilfe bei der Realisation interessanter Projekte. Sei es die Konstruktion eines neuen Kalibers oder die Gestaltung komplexer Schaltwerke. Allerdings gaben nicht alle Uhrenmarken freimütig zu, dass das Atelier Parmigiani als Geburtshelfer eines ihrer Prachtstücke fungierte.
Echte Rückenfreiheit brachte Michel Parmigiani das Jahr 1994. Pierre Landolt, seines Zeichens passionierter Uhrensammler, einflussreiches Mitglied der eidgenössischen Industriellenfamilie Sandoz (Chemie, Pharma) und Vorsitzender der finanzkräftigen Sandoz-Stiftung wirkte auf Michel Parmigiani ein, künftig doch verstärkt für sich selbst zu arbeiten. Ohne das nötige Kapital war solches freilich leichter gesagt als getan. Die regelmäßigen Restaurierungsaufträge bildeten zwar ein gutes Fundament, reichten jedoch nicht zur Kreation und Fertigung einer eigenen Luxusuhren-Kollektion.
Also setzte Pierre Landolt den erklärten Willen des Stiftungsgebers Edouard-Marcel Sandoz nach gezielter Förderung des Kunst-Mäzenatentum in die Tat um. Nach Akzeptanz der Forderung, dass der Name und die Ansprüche des Gründers erhalten bleiben, beteiligte sich die Fondation 1995 zunächst mit insgesamt 51 Prozent. In den folgenden Monaten entwickelten Michel Parmigiani und sein Team ein Spektrum eigener Zeitmesser, das am 29. Mai 1996 in Lausanne erfolgreich debütierte.
Den Weg zur Parmigiani Manufaktur und den weiteren Werdegang von Michel Parmigiani zeigen wir im folgenden Artikel auf.
Beeindruckende Karriere! Es geht einem das Herz auf wenn man diese Erfolgsgeschichte liest. Gottseidank gibt es noch solche Künstler und ihre Einstellung zu Qualität in vollendeter Form. Vielleicht gelingt es mir, mit einer schönen Armbanduhr aus dem Hause Parmigiani meine kleine Sammlung an Zeitmessern zu bereichern. Respekt und Hochachtung für die Leistungen des Künstlers und seines Teams!