Fliegen unter erschwerten Bedingungen
An Bordcomputer wagten Flugzeugpiloten in den 1930-er und 1940-er Jahren noch nicht einmal im Traum zu denken. Stattdessen verkörperten Uhren, darunter viele Hanhart Uhren, ein wichtiges Navigationsinstrument. Gleichwohl zählten speziell in Kampfflugzeugen vor allem Mut, Instinkt, Geschick und das persönliche Können. Weil Piloten in den unbeheizten Cockpits dicke Handschuhe trugen, gestaltete sich das Handling von Armband-Chronographen nicht unbedingt leicht.
In dieser Situation entlastete die Möglichkeit permanenter Nullstellung das Handling der Stoppfunktion ganz beträchtlich. Die so genannte Temposchaltung ersparte den Piloten das Anhalten mit Hilfe des Drückers bei „2“ und die Nullstellung per Drücker bei „4“.
Allerdings erfolgte bei den Chronographen durch Betätigung des unterhalb der Krone angeordneten „Stopper“- Bedienelements die Nullstellung direkt aus dem Lauf heraus und nach dem Loslassen zugleich auch den Neustart der gestoppten Zeit
Im Eifer des Gefechts vermochten Piloten mithilfe dieser Flyback-Chronographen also extrem genau agieren. Zum Beispiel konnten sie ihren Stopper pünktlich mit dem Ertönen eines Funk-Zeitsignals loslaufen lassen und die Flugrichtung bezogen auf den Feind mit geringstmöglicher Abweichung von der bestmöglichen Route bestimmen.
Bei widrigen oder schlechten Sichtverhältnissen unterstützte die Flyback-Funktion den Instrumentenflug. Der direkte Übergang vom laufenden zum neu gestarteten Stopper gestattete sekundengenaues Befolgen von Kursangaben.
Bleibt ein dritter, nicht minder essentieller Aspekt. Der naturgemäß limitierte Treibstoffvorrat definierte die Einsatzzeit. Schließlich musste der Sprit auch noch für den Rückflug reichen.
Rot gegen Versehen
Weil die unbeabsichtigte Nutzung der so genannten Temposchaltung durchaus gravierende Folgen nach sich ziehen konnte, schritt die besorgte Gattin eines Militärpiloten beherzt zur Tat. Kurzerhand färbte Sie den unteren Nullstelldrücker des Hanhart-Chronographen ihres Mannes mit signalrotem Nagellack ein. Damit erhielt der Nullsteller eine höhere Aufmerksamkeit und eine Verwechslung wurde unwahrscheinlicher. Und damit war flugs eine Chronographen-Legende geboren.
Übrigens war Hanhart in den frühen 1940-er Jahren noch vor Tutima Glashütte der bedeutendste deutsche Lieferant für militärische Chronographen.
Sinn ergibt auch die ebenfalls rote und damit unübersehbare Markierung auf der gerändelten und deshalb griffigen Drehlünette. Einmal erinnerte der Merkpunkt im Zusammenspiel mit dem kontinuierlich fortschreitenden Stunden- oder Minutenzeiger an den Ablauf eines längeren Zeitintervalls, welches der 30-Minuten-Totalisator des Stoppers nicht erfassen konnte.
Übrigens produzierte Hanhart auch militärisch nutzbare Zeitmesser ohne Chronograph. In den Hanhart Uhren tickte das 15½-linie Handaufzugskaliber 44 mit 2,5 Hertz Unruhfrequenz und kleiner Sekunde bei „9“. Dabei handelte es sich allerdings nicht um eine eigenständige Entwicklung, sondern um das vom Stoppmechanismus befreite Kaliber 40.
Hanhart Uhren
Die kriegsbedingt ab 1939 ausnehmend erfolgreichen Militär-Chronographen und die damals ebenfalls unverzichtbaren Stoppuhren führten im Laufe der Jahre zu einer stark reduzierten Produktion ziviler Zeitmesser. Dieser Umstand wiederum erwies sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs als Belastung. Militärbeauftragte veranlassten die Demontage des Hanhart Maschinenparks und seine Deportation ins französische Uhrenmekka Besançon. Dort sollte der französische Uhrenhersteller Lip Piloten-Chronographen produzieren, was aber nicht geschah. Auch Willy Hanhart, inzwischen Schweizer Staatsbürger, bekam die Folgen des verlorenen Kriegs massiv zu spüren. Obwohl er keine wirklichen militärischen Produkte oder gar Waffen hergestellt hatte, inhaftierte man ihn im Oktober 1945.
Die Hanhart-Geschichte nach dem Zweiten Weltkrieg erzählt der dritte Teil.
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