Erste Begegnung
Erstmals begegnete ich Gerd-Rüdiger Lang am Ostersamstag des Jahres 1980. Im Bewusstsein, einen ausgewiesenen Chronographen-Spezialisten zu treffen, fuhr ich nach München Allach. Dem damals 37-Jährigen sagte man nach, konventionell Tickendes und Stoppendes schubladenweise zu horten. Obwohl wir uns nur vom Telefon kannten, nahm er sich im Untergeschoss seines Reihenhauses sehr viel Zeit.
Dies war jedoch zunächst eher nicht in meinem Sinn. Als passionierter Sammler war ich mit Bargeld und der Absicht in die Behringstraße geradelt, um dort die eine oder andere Armbanduhr erwerben zu können. Herr Lang hingegen hielt es, wie so oft bei unseren späteren, dann von Freundschaft geprägten Treffen mit dem Schweizer Philosophen Alexander Vinet: „Der am meisten beschäftigte Mensch hat am meisten Zeit.“ Wie es seinem, mir damals allerdings noch nicht bekannten Naturell entsprach, wollte Gerd-Rüdiger, der sich damals als selbständiger Uhrmacher um den Service für Heuer-Uhren kümmerte, erst einmal reden. Im Dialog wollte er ohne geschäftliche Absichten erforschen, wer da in seinen Uhrenkeller stand.

Also haben wir geplaudert, uns allmählich angenähert und Eindrücke voneinander gesammelt. Nach einigen Stunden zog ich mit vielen Worten im Hinterkopf aber keiner einzigen Uhr von dannen. Kaufen konnte und durfte ich später. Als eine Art Ausgleich kannte ich nun jedoch Hintergründiges zu Jack W. Heuer, dessen Marke, den von schwingenden Quarzen ausgelösten Problemen und Rüdigers Denken in die Zukunft.
Schon auf dem Heimweg reifte in mir das Bewusstsein, dass Eile nicht seine Sache ist. Hier scheint Jean de la Fontaine einer seiner Lehrmeister gewesen zu sein: „Eilen hilft nicht. Zur rechten Zeit aufbrechen, ist die Hauptsache.“ Rückblickend weiß ich, dass man dem französischen Schriftsteller mit Blick auf die von uns gegangene Uhr-Persönlichkeit zustimmen muss. So dachte und handelte Gerd-Rüdiger Lang. Und er lag damit sehr oft richtig.

Ein feiner Mensch
In der Tat brach der gelernte Uhrmacher rechtzeitig auf in den 1980-er Jahren, als nur noch wenige daran glaubten, dass Federkraft, ineinandergreifende Zähne und schwingende Unruhn in Sachen Zeitmessung eine Zukunft haben würden. Diesen Aufbruch hatte ich mit dem Kauf meines ersten Heuer Carrera Chronographen im Jahr 1964 ebenfalls vollzogen.
Auf diese Grundlage konnten wir eine lange Wegstreck im Dienst der Zeitmessung gemeinsam beschreiten. Jeder auf seine Weise, aber immer in freundschaftlichen Kontakt, welcher alsbald schon das Privatleben betraf. Retrospektiv sind alle schlauer. Auch diejenigen, welche uns seinerzeit noch für verrückt erklärt haben. Wer die Zeit verdrängt, den verdrängt die Zeit, sagt man. Auf Rüdiger Lang traf das nicht zu. Über Jahrzehnte hinweg war er in der Uhrenszene extrem präsent. Streckenweise verkündete er die Faszination der Mechanik sogar von Plakatwänden. In dem, was man heute Community nennt, war er der hochgeachtete Mann mit dem Tick.

Ohne den ungemein fotogenen Signore Cronografo wäre die Uhrenwelt um einiges ärmer. Bei Gerd-Rüdiger reichte ein Shot und das Bild passte. Andere hingegen brauchen ganze Sessions, um zu einem vernünftigen Photo zu gelangen. Aber Gerd-Rüdiger, ein wahrhaft feiner Mensch zeichnete sich ebenso durch Weltoffenheit sowie sehr viel Großzügigkeit gegenüber Freunden und Geschäftspartnern aus.
Letztere führten streckenweise aber auch zu großen Enttäuschungen und dem Verlust einigen Geldes. Rüdiger vertraute Menschen, und dieses Vertrauen wurde nicht nur einmal bitter enttäuscht.

Gemach, gemach
Für den Chronoswiss-Gründer Lang war ein Heute immer wichtiger als zwei Morgen. Er hatte zwar stets die Zukunft im Blick, lebte jedoch immer mit beiden Beinen auf dem Boden der uhrmacherischen Gegenwart. Zeit war für ihn nicht nur von Berufs wegen „eine sanftmütige Göttin”, wie es schon der griechische Philosoph Sophokles empfand.
Für viele Dinge des Lebens ließ er sich viel, mitunter leider aber auch zu viel Zeit, wie der nicht ganz freiwillige Verkauf seiner geliebten Marke im Jahr 2012 belegt. Das Streben nach Beschleunigung lehnte der am 3. März 2023 Verstorbene ebenso ab wie den permanenten Dauerlauf des Zeitgeists. Seiner besessenen Liebe zu kleinsten Details sind makellose Kreationen wie beispielsweise die Modelle Chronoswiss Regulateur, Orea oder Pathos zu verdanken.


Diese und andere Chronoswiss Armbanduhren besitze ich, und ich hege sie nach seinem Tod noch mehr als einen Schatz. In seiner durchaus genialen Fokussierung auf vergangene uhrmacherische Werte übersah Rüdiger meiner Meinung nach irgendwann leider aber auch jenen Wandel, welcher nun einmal zum Wesen der flüchtigen Zeit gehört. Gerd Rüdiger Lang gehörte, und das kann ich nach drei gemeinsamen Weltumrundungen bedenkenlos schreiben, nicht zu den von Rastlosigkeit, Ungeduld und Wettbewerbsdenken getriebenen Zeitgenossen mit ausgeprägtem Eile-Syndrom.
Es lag ihm fern, im Aufzug den Tür-zu-Knopf drücken, um die Abfahrt zu beschleunigen. Gelassen konnte Rüdiger warten, bis die Ampel endlich gehen zeigt. Konsequent lehnte er es ab, die New Yorker Fifth Avenue hektisch im Zick-Zack-Lauf zu überqueren. Und es brachte ihn auch keine Sekunde aus der Ruhe, als der Weckdienst im Hongkonger Furama Kempinski versagte und wir ungewaschen mit dem Taxi zum alten Kai Tak Flughafen eilen mussten, um in letzter Sekunde das Flugzeug nach Bangkok zu erreichen. Alle anderen Maschinen waren für diesen Tag nämlich ausgebucht.

Extreme Liebe zu Tradition und Detail
Nach außen hin gab sich Rüdiger Lang immer gelassen. Wie es im Inneren aussah, erfuhr auch ich nur mitunter bei privaten Abendessen im Kreis der Familie. So weit ich ihn über die Jahre hinweg kannte, gehörte er nie zu den sogenannten Multitaskern des Computerzeitalters, die so viele Aufgaben wie möglich simultan bewältigen wollen.
Wenn es um seine über alles geliebten Uhren ging, lebte Rüdiger Lang im Moment. Gerne erinnere ich mich an stundenlange Diskussionen um Zeigerlängen, Indexierungen und Proportionen. Sprichwörtlich ist das subtile Gespür für vermeintlich Unscheinbares. Ein Beispiel ist sein Chronometer, der in Erinnerung an Abraham-Louis Breguet mit sehr kurzem Stundenzeiger das Licht der Welt erblickte.


Den schnell verworfenen Prototypen mit Stahl-/Gold-Gehäuse durfte ich ihm Gerd-Rüdiger Lang dann zum Glück abkaufen. Unter all den vielen Episoden, die man hier erzählen könnte, fällt mir noch jene zum Namen Delphis für die 1996 vorgestellte Armbanduhr mit retrogradem Minutenzeiger und springender digitaler Stunde ein. Wochenlang sprachen wir über dieses Thema. Und es fiel schlichtweg nichts Passendes ein.
Dann, im Herbst des Jahres 1995, flogen wir mit United Airlines von Los Angeles nach Tokio. Übrigens hatte weder Rüdiger noch ich dabei bedacht, dass es den nächsten Tag in unserem Leben wegen Überquerung der Datumsgrenze in westlicher Richtung nicht geben würde. Also versäumten wir unentschuldigt den vereinbarten Termin in der japanischen Hauptstadt. Yosuke Saitoh nahm es mit Gelassenheit.

Geburt eines Namens
Zurück zum Flug. Irgendwann, es war bereits nach Mitternacht über dem Pazifik, kredenzte die Flugbegleiterin nach vier korkenden Flaschen Dom Perignon endlich Wohlschmeckendes. An Schlaf in den zwar breiten, aber nicht unbedingt komfortablen Recliner-Chairs der Ersten Klasse noch nicht zu denken. Also wühlten wir uns durch die aus Deutschland mitgebrachten Zeitschriften. Auf einer linken Seite mit Italien-Stillleben schwelgten wir in Gefühlen des Genießens und der Lebenslust.
Plötzlich fiel der Blick auf einen Kasten ganz rechts oben im Eck, wo Elke Heidenreich über große und kleine Sprünge des Lebens philosophierte. Zusammen lasen wir den launigen Text und nahezu gemeinsam kamen wir zu dem Punkt, den die alten Griechen mit Heureka umschrieben. Delphis stand da schwarz auf weiß. Und genau dieses Wort war es dann. Er passte vorzüglich zu GRLs persönlicher Philosophie, seinen Uhren möglichst griechische Namen zu verpassen. Darauf brauchte es dann vor dem zufriedenen Einschlafen zwei weitere Gläser des nicht verkorkten Champagners.

Exakt den genossen wir auch bei zwei gemeinsamen Flügen mit der legendären Concorde von New York nach Paris. Hoch über dem Atlantik diskutierten wir Mitte der 1990er Jahre bei Mach 2,3 einmal mehr über Kairos und die richtigen Momente im Leben. Momente beim Dixieland Jazz, den Rüdiger ebenso liebte wie englische Oldtimer oder kleine und große Uhren unterschiedlicher Bauart.

Bye, bye Rüdiger
Bis 2013 hatten wir davon beide eine ganze Reihe. Dann verloren wir uns irgendwie aus den Augen. Rüdiger hatte seinem Leben privat eine neue Richtung gegeben. Nach einem letzten gemeinsamen Abendessen, bei dem Tochter Orea ebenfalls zugegen war, sahen wir uns nur noch sehr gelegentlich und dann auch eher formal. 33 ersprießliche Jahre rund um die Uhr werde ich jedoch niemals vergessen.
In diesem Sinne rufe ich den drei Töchtern Christine, Natalie und Orea sowie seiner Frau mein aufrichtiges Beileid zu. Auf der letzten Seite des grünen Zeitzeichen Buchs mit dem Tick, an dem ich nach all den Chronoswiss Katalogen zuvor ebenfalls mitwirken durfte, hat Gerd-Rüdiger Lang etwas sehr Treffendes formuliert:
Alle bisher gebauten Uhren zeigen die Zeit an. Es wäre viel besser, eine zu haben, die uns sagt, war wir mit unserer Zeit tun können. Solch eine Uhr möchte ich einmal bauen.
Vielleicht gelingt dieses Vorhaben in jenem ewigen Kosmos, den Gerd-Rüdiger Lang nach seinem Ableben betreten hat. Mach’s gut, lieber Gerd-Rüdiger, du hast ein gutes Stück deutsche Uhrengeschichte geschrieben.


Thanks for sharing this wonderful story about GRL. A great homage.
Thanks a lot dear Robert-Jan. Kindest Gisbert
Hallo Gisbert. Bei 2 oder 3 Gelegenheiten durfte ich Herrn Lang kennen lernen. Als “Nicht-Uhrmacher” habe ich schon früh viel von GRL gelernt. Indirekt zwar, aber dennoch nachhaltig. Die Kombination der uhrmacherischen Schönheit und der Komplikationen von seiner Chronoswiss, hatte mich immer wieder fasziniert.
Abgesehen davon bedanke ich mich für Deinen schönen und ehrlichen Nachruf über GRL.
Beste Grüsse (aus Le Marche)
1000 Dank für deinen Kommentar, lieber Paul. Ich schicke euch meine besten Grüße und Wünsche in die Marken. Herzlich Gisbert
Ein sehr schöner, persönlicher und treffender Bericht, der Gerd-Rüdigers Persönlichkeit einfängt.
Besten Dank lieber Thomas und alles Gute. Herzlichst Gisbert
Danke für den sehr persönlichen Beitrag der mir sehr gefallen hat. Auch uns fehlt Rüdiger. Möge er in Frieden ruhen.
1000 Dank und beste Grüße
Ein sehr bewegender Artikel, der das Leben, Schaffen und die feinsinnige Person Gerd-Rüdiger Lang in besonderer Weise würdigt.
Merci vielmals lieber Rainer
Eine sehr schöne, bewegende Huldigung!
1000 Dank, war mir posthum ein echtes Anliegen
Great article and a worthy tribute, thank you Gisbert!
Thanks a lot for this nice comment, dear Hessel. Kindest Gisbert
Was für eine Hommage an diesen (eigenwilligen) aber faszinierenden Uhrenvisionär- und Pionier, lieber Gisbert!
Übrigens hatte ich noch das „Glück“, letzten November G-R in seinem Söckinger Domizil besucht zu haben, leider aber aus traurigem Anlass, nämlich im Rahmen einer Pflegebegutachtung anlässlich seiner kognitiven Defizite bei zunehmender Demenz…., aber er hat mir noch Uhren in seinem Atelier gezeigt, diese Momente werde ich nie vergessen!
Nun ist die Zeit, die in seinem Leben eine so grosse Rolle spielte, zu Ende gegangen (leider viel zu früh!).
Mit besten Grüssen und Wünschen an alle Uhren-Aficionados und nehmt Euch Zeit, bevor es irgendwann zu spät ist!
1000 Dank, lieber Jürgen, für deine netten Worte. Wir hatten uns zum Schluss leider ein wenig aus den Augen verloren. Eigentlich schade, aber …
Herzlichst Gisbert … und alles Gute dir
GR Langs Verdienste um die mechanische Armbanduhr sind weit größer als es sein ökonomischer Erfolg war. Deshalb haben alle, die im hochwertigen Uhrenbusiness tätig oder der Branche als Fan und / oder Kunde verbunden sind, allen Grund, sich vor ihm zu verneigen. Meine Delphis wird mich immer an ihn erinnern. RIP!
1000 Dank für die netten Worte und alles Gute nach Münster. Herzlichst Gisbert
Ein wirklich wunderbar geschriebener Artikel, welcher nur von einer Person verfasst werden kann, die ihn sehr gut gekannt haben muss. Der Text und Inhalt hat mich sehr berührt.
1000 Dank, lieber Herr Mau und herzliche Grüße
Eine private Geburtstagsfeier in Grünwald vor 1,5 Jahren ermöglichte uns GR Lang wieder zu sehen. Unvergessen bleibt uns sein Elan und Begeisterung, die auf einmal in seinen Augen aufblitzten als wir ihn ansprachen auf „die Uhr ohne reale Zeitangabe“, die er bauen wollte. – ich werde sie bauen- war seine Antwort.
Da wo er jetzt ist, ticken die Uhren ohne reale Zeitangabe.
Lieber Gisbert,
Wir haben uns etwa aus den Augen verloren, aber wir haber wir haben uns kennen gelehnt in den 80er Jahren
wo Gerd und ich, wir sind Contemporains, uns nach dem Sclamassel der Quartz Krise, an die mekanische Uhr
mit recht geglaubt haben. Ich habe auch mit Gerd zusammen gearbeitet, Werke gesucht und Kalibern abgeändert.
Ich bin jetzt 42 Jahre selbständig und habe meine Firma weitergegeben, bin aber noch mit 80 „Für das Foto da“
und um den jungen Uhrmachern zu motivieren.
Lieber Svend, danke für die netten Zeilen. Junge Leute sind so wichtig für die Branche. Alles Gute weiterhin, herzlichst Gisbert
Lieber Herr Brunner,
danke für den schönen Rückblick.
Die ersten vier Jahre nach meiner Ausbildung war ich von Herrn Lang ab Juli ’87 mit mechanischen Chronographen vertraut gemacht worden, durfte den Beginn der Regulateur mit erleben und bekam den richtigen Blick auf eine perfekte Zifferblattgestaltung gezeigt und beigebracht, daß es gilt, der Zeit, unserem höchsten und wahren Gut, in jeder Form Respekt zu zollen. Noch heute erinnere ich mich sehr gerne zurück an die diese prägende Zeit bei Herrn Lang.
Lieber Gisbert,
Danke für den wunderbaren Nachruf von Rüdiger. Bin auch sehr traurig
Ab 1989 habe ich für das Uhren Magazin sehr viele Reportagen fotografiert und war auch sehr oft mit Rüdiger im Kontakt
Mein Beileid für seine Familie
Rainer
1000 Dank, lieber Rainer, ein echter Verlust für uns alle.
Schönen Abend euch. Herzlichst Gisbert
Lieber Gisbert,
Ich durfte an der Gestaltung der Kampagne für das »Buch mit dem Tick« bei der Agentur Wensauer & Partner unter der Art Direktion von Jürgen Weber mit dabei sein. Ich habe Herrn Lang auch damals in München kennengelernt. War für ein charismatischer Mann und was für ein Verlust für die Uhrenbranche.
Wolfgang Pellicci
Besten Dank für deinen Kommentar, lieber Wolfgang. Gerd-Rüdiger war in der Tat sehr charismatisch. Alles Gute, Gisbert
Gestern in Ebay Kleinanzeige gestöbert. In der Nähe ein Angebot einer Timemaster D entdeckt. Chronoswiss hatte ich schon zwei. Aber diese Wuchtbrumme. Erst Mal nach GRL googlen. Was, Anfang des Monats verstorben. Da wird man nachdenklich. Erst mal die Uhr anschauen. Aber Money in the Sack. Man weiß ja nie. Uhr gesehen. Alles top. Verkäufer plaudert. Hat GRL persönlich gekannt. Hätte ich auch gerne. Was soll man machen. Uhr gekauft-breites Grinsen. Die haben auch wirklich geile Uhren gemacht. Danke für den schönen Nachruf.