Erinnerungen
Auch wenn es ein wenig arrogant klingen mag: Mechanische Armbanduhren unter 300 Euro wie die Citizen Tsuyosa Modelle sind eigentlich nicht meine Kragenweite. Aber im Fall der Citizen Referenzen NJ0151-xxx, bin ich kurzerhand über meinen Schatten gesprungen.
Aus dem Japanischen übersetzt, meint das Wort Tsuyosa übrigens Stärke. Nach einer aktuell nicht unüblichen Preissteigerung, in diesem Fall sind es 20 Euro, kostet diese Edelstahl-Armbanduhr mit Gliederarmband unverbindliche 299 Euro.
Die kraftvolle Farbigkeit erinnert mich ganz spontan an ganz unterschiedliche Protagonisten in der Uhrenszene. Zum einen ist da natürlich die 2021 lancierte und nach nur kurzem Auftritt aus unerfindlichen Gründen wieder eingestellte Rolex Oyster Perpetual 41 mm, Referenz 126000. Mit 5.350 Euro gehörte sie zum Günstigsten, was Männer und natürlich auch Frauen mit einem Faible für größere Gehäusedimensionen bei der Genfer Traditionsmanufaktur kaufen konnten. Das Spektrum an frischen Zifferblattfarben begeisterte möglicherweise mehr Menschen, als Rolex lieb war.
Des Weiteren weckt die 40-Millimeter-Schale der japanischen Armbanduhr bei Kennern Assoziationen an die lange verschmähte, mittlerweile aber sehr gesuchte Rolex Oysterquartz. Nördlich und südlich des Zifferblatts besitzt deren Schale eine ausdruckstarke Kante. Und dieser findet sich schon bei der 1972 vorgestellten Audemars Piguet Royal Oak.
Als Hommage an deren genialen Designer ist in der Szene gelegentlich vom sogenannten Genta-Knick die Rede. Das dreireihige Armband ähnelt dem Typ Präsident, welchen Rolex für die altbekannte Rolex Day-Date (die letzte Platinversion hatten wir ja hier vorgestellt) verwendet. Mit von der Partie ist schließlich auch das von Hans Wilsdorf erfundene Lupenglas, welches Zifferblatt und Zeiger schützt.
Für und Wider
Wegen all der genannten Ähnlichkeiten könnten böse Zungen spätestens jetzt von einem billigen Epigonen sprechen. Aber Marken, die sich gestalterisch den erfolgreichen Genfer Zeitmessern annähern, gibt es bekanntlich viele. Überdies hat Citizen die Aufzugs- und Zeigestellkrone handgelenksfreundlich zur „4“ gedreht. Dort hinterlässt sie weniger Abdrücke am Handrücken. In Sachen Krone gibt es aber auch einen kleinen Kritikpunkt.
Wer die Zeiger seiner Citizen Tsuyosa richten muss, und das ist angesichts einer täglichen Gangabweichung von bis zu 20 Sekunden gar nicht so selten der Fall, wird sich über deren Griffigkeit ärgern. Mit sehr kurz geschnittenen Fingernägeln gestaltet sich das Herausziehen mühsam. Eine bessere Griffkante wäre hier sehr hilfreich. In sollen Fällen frage ich mich mitunter, ob Produktgestalter ihre Kreationen nicht im Alltagsleben testen. Spätestens dann würde das Manko auffallen.
Natürlich muss man bei diesem Preis Abstriche machen und Kompromisse eingehen. Aber eine ergonomischer ausgeformte Krone kostet am Ende doch auch nicht mehr. Gleiches gilt für die Länge der drei Zeiger. Etwa ein Millimeter mehr hätte ihnen gutgetan. Dann würden die Spitzen bei gleichen Kosten bis an die zugehörige Indexierung reichen. Aber das wird den allermeisten Käuferinnen und Käufern ohnehin nicht auffallen.
Begehrt
Um den Absatz der 2021 vorgestellten Tsuyosa Produkte muss sich Citizen jedoch ohnehin keine Gedanken machen. Speziell die Variante mit gelbem Zifferblatt verkaufte sich wie geschnittenes Brot. Streckenweise war sie komplett ausverkauft und wurde am Parallelmarkt bis zum Doppelten des unverbindlichen Preises verlangt. Um die Citizen Tsuyosa entspann sich also ein regelrechter Hype.
Die Wasserdichte bis zu fünf bar Druck reicht zwar nicht für einen wirklichen Tauchgang, im Alltagsleben genügt eine Dichtigkeit von bis zu 50 Meter jedoch vollkommen. Saphirglas über Zifferblatt und Zeigern widersetzt sich allem, was unschöne Kratzer machen möchte. Auch beim Armband zeigen sich die budgetären Limits des Hauses Citizen. Handschmeichlerische Qualitäten besitzen seine Kanten definitiv nicht. Und die Schließe kommt etwas klapperig daher. Das Verstellen gelingt am besten mit einem dünnen Stift, Schraubenzieher oder in aller Not auch mit Hilfe einer aufgebogenen Büroklammer.
Mechanik von Miyota
Beim genannten Preis von aktuell 299 Euro heißt es mit solchen Aspekten leben. Für eine Ewigkeit ist diese Armbanduhr ohnehin nicht gemacht. Spätestens dann, wenn das hauseigene Automatikkaliber Miyota 8120 nach Ablauf der üblichen Garantiezeit wider Erwarten Probleme aufweisen sollte oder nach andauerndem Tragen gewartet werden möchte, steht eine Entscheidung an. Lohnt sich der finanzielle Aufwand überhaupt?
Zur Not kann man auch das komplette Uhrwerk im Internet kaufen. Dort habe ich es schon für rund 33 Euro als Neuware gefunden. Danach dürfte ein Uhrmacher den Tausch in höchstens einer Stunde erledigen. Apropos Uhrwerk. Logischerweise gibt es keine Uhrmacherkunst auf hohem oder gar höchstem Niveau. Beim Miyota 8120 handelt es sich jedoch um zuverlässige, seit 1977 millionenfach bewährte Hausmannskost, die Stunden, Minuten, Sekunden und das Datum anzeigt. Der Rotor spannt die Zugfeder in einer Drehrichtung und nach Vollaufzug stehen 40 Stunden Gangautonomie zur Verfügung.
Bei 25,6 Millimetern Durchmesser baut die 17-steinige Mechanik des Miyota 8120 Kaliber 5,35 Millimeter hoch. Ein Augenschmaus sieht sicherlich anders aus. Aber die ursprünglich für Entwicklungsländer ohne zuverlässige Versorgung mit Quarzwerk-Batterien gedachte Mechanik läuft und läuft und läuft wie ehedem der Volkswagen Käfer. Trotz der nicht unbedingt berauschenden Optik zeigt Citizen das mit drei Hertz oszillierende Uhrwerk durch einen Sichtboden. Auf diese Weise können auch Einsteiger ihren Stammtischfreunden die Faszination uhrmacherischer Mechanik näherbringen.
Edition 2023
Überwältigt von Erfolg und Nachfrageüberhang erweitert der japanische Uhrengigant die vielfarbige Modellpalette durch die neue Citizen Me Serie. Meiner Partnerin hat es spontan das von Tiffany inspirierte Hellblau der Citizen NJ0151-88M angetan.
Ein Zifferblatt in dunklem Blau besitzt die neue Citizen NJ0151-88L. Liebhaberinnen und Liebhabern grünlicher Farbe offeriert Citizen die Referenz NJ0151-88M.
Schließlich gibt es bei der Referenz NJ0153-82X nun auch eine goldfarbene Beschichtung von Gehäuse und Armband sowie ein weinrotes Zifferblatt. In letztgenanntem Fall liegt der Preis bei 349 Euro.
So oder so trägt das Gehäuse der hier vorgestellten Citizen Modelle (mehr Infos gibt es direkt bei Citizen) am Handgelenk 11,7 Millimeter auf. Auf die Waage bringt das tickende Ganze – natürlich immer abhängig von der Bandlänge – ca. 140 Gramm.
Die Belieferung des europäischen Markts soll ab Juni 2023 erfolgen. Natürlich ist dann auch die gelbe Citizen Tsuyosa wieder dabei. Letztere habe ich mir zugelegt. Sie wird mich da und dort beispielsweise an den Strand begleiten und dort mit Sicherheit als Hingucker wirken. Bei der Nennung des Preises von 299 Euro werden manche meiner Freunde gewiss ins Staunen kommen. Und genau das ist voll beabsichtigt. Mit den damit einhergehenden Kompromissen kann ich gut leben. Schließlich habe ich ganz bewusst keine Rolex gekauft.
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