Zeitmesser für Bürger
The Citizen tituliert die Citizen Watch Co. ihre mechanischen Top-Modelle. Diese Taufe hat natürlich mit der Vergangenheit der japanischen Uhrenmanufaktur zu tun. Sie kann sich rühmen, ihren Namen von einem veritablen Bürgermeister erhalten zu haben. Und das ist in der globalen Uhrenszene aller Wahrscheinlichkeit nur ein einziges Mal geschehen.
Dieses Ereignis hat natürlich einen handfesten Hintergrund. Gotō Shimpei, seines Zeichens Stadtoberhaupt von Tokio, wünschte sich nicht weniger als dass die Erzeugnisse des 1918 gegründeten Shokosha‑Uhrenforschungsinstituts „von allen Bürgern geschätzt und immer gerne genutzt würden”. Um sein Begehren nachdrücklich zu unterstreichen, nannte er die Zeitmesser schlicht und einfach Citizen.
Auf gut Deutsch meint das nichts anderes als Bürger. In eben diesem Sinne kann Goto San, ein studierter Mediziner, der die japanische Hauptstadt von 1911 bis 1925 regierte und 1929 in Kyoto starb, als Taufpate der Uhrenmarke Citizen gelten.
Signatur Citizen
Bei besagtem Shokosha‑Institut hatte das Thema Uhr ab 1918 lediglich im Arbeitsprogramm gestanden. Konkrete Resultate in Gestalt von Taschenuhren mit der Signatur Citizen folgten im Dezember 1924. Nicht ohne Stolz erhielt der japanische Kaiser eines der ersten Exemplare.
Taishō Tennō zeigte sich nicht nur tief beeindruckt, sondern benützte die Uhr fortan auch regelmäßig. Zuvor hatte sich der Monarch immer daran gestört, dass er auf Zeitmesser nichtjapanischer Provenienz blicken musste. Eines Tages ließ er den Hersteller sogar schriftlich wissen, dass „die erste Citizen eine gute, präzise Uhr“ ist.
Gleichwohl dachte in Japan damals noch niemand an die Errichtung einer Uhrenfabrik dieses Namens. Daher dauerte es weitere sechs Jahre bis zur Gründung der Citizen Watch Co. Ltd. Exakt am 28. Mai 1930 legte Yosaburo Nakajima das Fundament für ein weltumspannendes Uhren‑ und Handelsimperium.
Von Anbeginn zeigte sich das junge Unternehmen innovativ. Schon 1931 waren gleich mehrere Armbanduhren zur Serienreife gediehen. Im April 1956 lancierte Citizen überdies die erste japanische Armbanduhr mit patentierter Stoßsicherung. Die Wirksamkeit der Parashock Stoßsicherung bewies ein, natürlich beabsichtigter, Sturz aus dem dritten Stock.
1959 folgte die erste wasserdichte Armbanduhr japanischer Provenienz. Im Rahmen eines so genannten Trans‑Pazifik‑Tests setzte Citizen seine Parawater im Pazifischen Ozean aus. Und sie überlebte. Ab 1973 spielten vibrierende Quarze bei Citizen eine immer größere Rolle. Die überlieferte Mechanik geriet zunehmend ins Hintertreffen. Inzwischen feiert sie auch bei Citizen ein Comeback.
Der Unterschied
Die Top-Produkte The Citizen sind in Japan seit 1995 erhältlich. Da nämlich feierte die Citizen Watch Co. Ltd. ihr 65. Gründungsjubiläum. Zum 100. Geburtstag im Jahr 1924 ist The Citizen fortan auch auf dem europäischen Markt zu haben. Davon, dass die Lancierung einer Luxuslinie kein Selbstläufer wird, kann schon Seiko ein Lied singen. Denn der große japanische Mitbewerber strebte ab 1960 mit der Uhrenlinie Grand Seiko höhere Sphären an. Und es dauerte letztlich viele Jahre, bis diese Produkte ein eigenes Markenprofil erlangen konnten. Folglich wird Citizen ohne langen Atem nicht sehr weit kommen.
Das trifft insbesondere dann zu, wenn sich Armbanduhren wie die Citizen Tsuyosa für rund 350 Euro und The Citizen für 8.500 Euro aus weiterer Distanz optisch durchaus ähneln, und die Zifferblatt-Signatur bei näherer Betrachtung nahezu gleich ausfällt. Ein kleiner stilisierter Adler als dezentes Unterscheidungsmerkmal bei The Citizen fällt da kaum ins Gewicht, und das Vermitteln des hohen uhrmacherischen Aufwands verknüpft sich mit einigem Erklärungsbedarf.
Damit sollte klar sein, dass es Geduld und Ausdauer braucht, eine Luxus-Kategorie mit hohem uhrmacherischem und handwerklichem Anspruch unter dem Dach von Citizen am Markt durchzusetzen. Anderseits demonstriert Grand Seiko, dass ein Erfolg mit entsprechendem Engagement mittel- oder langfristig durchaus möglich ist. Aber der Weg dorthin ist steil und anstrengend.
Die Angebote von Citizen einer- und The Citizen andererseits richten sich zunächst an zwei völlig unterschiedliche Welten. Aber zumindest in Europa verknüpfte sich der Name Citizen bislang eher nicht mit chronometrischem Luxus.
The Citizen
Die Namensproblematik und die Frage der Positionierung sind eine Sache. Bei näherer Beschäftigung unter Einbeziehung einer Lupe sehen die Dinge etwas anders aus. Hausintern knüpft The Citizen beispielsweise an die Citizen Chrono-Master und Citizen Chronometer aus den 1970-er Jahren. Auch sie ließen sich schon am kleinen Adler ober- oder unterhalb des Herstellernamens identifizieren. Allerdings waren diese Produkte eine rein japanische Angelegenheit. Gestalterische Ähnlichkeiten bestehen zur Series 8 870, über die der Uhrenkosmos in diesem Artikel berichtete.
The Citizen Details
Nun aber ist The Citizen in Gestalt einer Armbanduhr an der Reihe. Während der Münchner Uhrenmesse Inhorgenta im Februar 2024 konnte man die beiden Modelle erstmals sehen und am Handgelenk zu erleben war.
Haptisch gibt es an The Citizen absolut nichts auszusetzen. Gehäuse und Armband lassen jenen Grad an Sorgfalt erkennen, den man von Top-Produkten dieser Art erwartet. Scharfe Kanten und taktil unangenehme Stellen gibt es nicht. Wie es um den anhaltenden Tragekomfort bestellt ist, lässt sich nach einer Viertelstunde logischerweise nicht final beurteilen, aber die Uhr liegt auf jeden Fall angenehm am Handgelenk. Kurzum: Die Ergonomie stimmt.
Auch die Krone lässt sich gut greifen. Im Gegensatz zur Citizen Tsuyosa (mehr dazu gibt es hier zu lesen) befindet sie sich an allgemein gewohnter Stelle bei „3“. Benötigt wird sie wohl in erster Linie zum Einstellen der Uhrzeit. Der Blick auf Zifferblatt und Zeiger zeigt, dass hier nichts dem Zufall überlassen blieb. Länge und Proportionen der beiden Dauphin-Zeiger für Stunden und Minuten stimmen perfekt in Bezug auf die Indexierung.
Das gilt auch für die kleine Sekunde bei „6“. Die Größe des runden Felds, vor dem der schlanke Zeiger dreht, weist auf ein großzügig dimensioniertes Uhrwerk hin. Hinsichtlich seiner Oberflächenstruktur setzt es sich deutlich ab vom dezenten, aber deutlich wahrnehmbaren Korneffekt, der das Zifferblatt ansonsten überzieht. Er entsteht durch ein galvanoplastisches Verfahren und erzeugt beim Bewegen der Armbanduhr ein Wechselspiel von Licht und Schatten. Mir gefällt die von den Designern erzeugte Harmonie.
Großes Automatikwerk 0210
Letztendlich lässt sich auch das gut ablesbare Fensterdatum zurückführen auf das im Stahlgehäuse verbaute Kaliber 0210 mit großzügigen 30 mm Durchmesser. Die Bauhöhe dieses Uhrwerks beträgt 5,3 Millimeter. In dieses Automatikwerk, welches auf dem 2021 in Japan lancierten uns 0,3 mm flacheren Kaliber 0200 ohne Datumsanzeige basiert, ist einiges Knowhow der 2012 erworbenen Schweizer Tochter La Joux-Perret eingeflossen.
Selbige betrifft primär die Architektur, Ästhetik sowie die Dekoration. Demgegenüber erfolgt die Herstellung beider Kaliber am Stammsitz in Tokio.
Den Zeittakt liefert eine Unruh mit variabler Trägheit. Mit Hilfe von vier kleinen Masselots auf den Speichen nehmen Uhrmacher die Regulierung vor. Zusammen mit der selbst gefertigten Flachspirale vollzieht die Unruh stündlich 28.800 Halbschwingungen. Mit von der Partie ist auch eine Schweizer Ankerhemmung. Das bei “12” angeordnete Federhaus speichert Kraft für rund 60 Stunden Gangautonomie. Beim Tragen befüllt ein einseitig wirkender Kugellagerrotor den Energiespeicher.
Auf den Einfluss von La Joux-Perret dürften die polierten Senkungen für die Lagersteine und die Schraubenköpfe zurückzuführen sein. Ebenso wie hochglanzpolierte Zapfen und Unterseiten der Schraubenköpfe sind solche Details heutzutage eher rar geworden.
Zur augenfälligen Optik tragen anglierte und diamantierte Kanten der Brücken und des Unruhklobens bei. Ihr Glanz steht im Kontrast zu den feingebürsteten sonstigen Oberflächen.
Groß, erhaben ausgeführt und unübersehbar steht am durchbrochenen Rotor Citizen Watch Co. Natürlich ist diese Herkunftsbezeichnung korrekt. Aber hier hätte The Citizen mit Blick auf die Intentionen vermutlich eine bessere Wirkung.
Strenger als die Schweizer Chronometernorm
Wie bei Grand Seiko erfolgt die Regulierung des Uhrwerks während 17 Tagen im maximalen täglichen Delta zwischen -3 und +5 Sekunden. Das ist sogar jeweils eine Sekunde besser als die Schweizer Chronometernorm maximal erlaubt. Zur Präzision der ausschließlich manuell assemblierten Fertiguhr liefert Citizen keine Daten.
Bis zu zehn bar widerstehen die natürlich mit Sichtboden ausgestatteten The Citizen Referenzen NC1000-51E und The Citizen NC1001-58A aus Edelstahl dem Wasserdruck. Der Unterschied besteht allein in der Zifferblattfarbe Schwarz oder Weiß.
Preise und Fazit
Erhältlich sind die Top-Armbanduhren aus dem Hause Citizen ab Spätsommer 2024. 8.500 Euro lautet die unverbindliche Preisempfehlung. Damit liegt die The Citizen auf einem Niveau mit der Rolex Datejust 126300, die aktuell 8.550 Euro kostet. Grand Seiko verlangt für die Heritage SBGH301 mit den Hi-Beat Kaliber 9S85 unverbindliche 7.400 Euro. Ein weiteres spannendes Hi-Beat Modell mit rotem Zifferblatt stellen wir hier auf Uhrenkosmos vor.
Den Vergleich mit den genannten beiden Modellen muss The Citizen keineswegs scheuen. Mit dem Kauf erhält man hochwertige und dazu auch ins Auge stechende Uhrmacherkunst fürs Geld. Zum Schluss dieser Betrachtungen wird aber auch klar, dass potenzielle Kundenkreise im europäischen Raum mit viel Geduld und Engagement für die neue The Citizen Premiumlinie gewonnen werden müssen. Aber die Voraussetzungen sind gegeben. Und an Ausdauer beim Erreichen gesetzter Ziele hat es der traditionsreichen japanischen Uhrenmarke bekanntlich noch nie gefehlt.
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