Lange Uhren & Corona
Im Frühjahr 2022 mündete die Corona-Krise in die Ukraine-Krise. Ich habe gelernt, dass erstgenannte Krise A. Lange & Söhne eigentlich gestärkt hat. Lässt sich das noch stärker in Worte fassen? Wie hat A. Lange & Söhne profitiert von der Corona-Krise?
Wilhelm Schmid: Dadurch, dass der Handel relativ schnell zusammengebrochen ist, waren wir drauf angewiesen, uns stärker selber um den Vertrieb zu kümmern. Wir hatten zwar schon eigene Boutiquen, aber nicht so viele. Also haben wir neue Boutiquen eröffnet. Wir haben digital Kontakt zu den Kunden aufgenommen, die Kontakte gepflegt, Zoom-Meetings veranstaltet, pay by link gemacht. All das hatten wir schon in der Pipeline, aber noch nicht ausgerollt. Vielleicht auch, weil die Kunden dafür noch gar nicht empfänglich waren.
Das hat offenbar gewirkt …
Wir haben das Instrumentarium eingesetzt, weil die Kunden nach drei, vier Monaten im Homeoffice, ohne zu reisen, einfach hungrig waren. Und so haben wir relativ schnell erlebt, dass, wenn wir uns mit den Kunden vernetzen und ihnen die Möglichkeit der Kommunikation mit uns bieten, eine ganz andere Verbindung zu unserer Organisation entsteht. Eine ganz andere Agilität, dazu ein ganz anderes Verständnis für anstehende Themen. Und das hat mächtig geholfen. Wir werden uns nicht verändern, was unsere Art der Uhrmacherei angeht, aber wir sind sehr wohl bereit dazu, alles andere auf den Prüfstand zu stellen.
Lange hat also auch Online-Verkäufe getätigt?
Ja, wir haben Uhren auch online verkauft. Aber sobald Besuche wieder möglich waren, sind die meisten Online-Käufer wieder zu Boutique-Kunden geworden. Die kamen als erstes zurück in unsere Ladengeschäfte.
Erzeugte die Corona-Krise eine Art Substituierungseffekt? Statt reisen oder Essen gehen im Sternelokal gönne ich mir jetzt eine schöne Uhr?
Das ging uns doch allen so. Man war viel zu Hause, hat sich im Internet umgesehen und sich auf einmal für ganz neue, andere Sachen interessiert. In derart dunklen Zeiten suchen Menschen Belohnung. Für manche ist das eine hervorragende Flasche Wein und für andere eine Uhr. Oder ein Gemälde, neue Möbel, ein Swimmingpool im Garten … Ich jedenfalls glaube, dass Lange davon profitiert hat.
Märkte im Wandel
Deutschland war und ist für Lange ein Schlüsselmarkt, oder täusche ich mich?
Deutschland wird immer der wichtigste Markt sein, weil es unser Heimatmarkt ist. Aber es ist nicht mehr unser größter Markt. Unsere Entwicklung in China ist schon ziemlich erstaunlich. Dazu Amerika, der Mittlere Osten und auch Singapur. Wir erleben im Moment überall eine Blüte. Allerdings hatten wir in Europa kaum große eigene Boutiquen. Dafür in Schanghai, New York und Dubai. In New York durfte ich unsere Boutique in der Madison Avenue eröffnen, auch in Tokio und Singapur war ich dabei. In Europa hatten wir erst einmal lange Zeit nur Dresden. Aber den wichtigen Heimatmarkt muss man selber bedienen.
Durch weitere Boutiquen …
Wir haben München. Hinzu kommen jetzt in eigener Regie Berlin und Frankfurt.
Was ist mit der Metropolregion Düsseldorf und Köln?
Das ist ein ganz schwieriges Pflaster. Ich komme von dort, darum kann ich das ganz gut beurteilen.
Fehlt im Ruhrpott das affine Publikum?
Nein. Dort leben halt 20 Millionen Menschen in Städten. Und man bekommt nicht mehr mit, wo die eine anfängt und die andere aufhört. Man hat also nicht diese Fokussierung. Bayern ist München, Hamburg ist Hamburg, Berlin ist Berlin und Hessen ist Frankfurt. In Nordrhein-Westfalen hast du zwar Köln und Düsseldorf, dazu aber auch Mönchengladbach, Dortmund, Duisburg, Bochum. Das ist eine ganz andere Situation. Diesbezüglich ist das also eine offene Angelegenheit. Mir als Rheinländer tut das natürlich besonders weh. Aber wir starten mit den genannten Städten jetzt erst einmal durch. Mit sehr repräsentativen eigenen Boutiquen. Genau das, was wir wollen.
Gibt es mit Blick auf das Produkt-Portfolio länderspezifische Prioritäten? Also Deutsche bevorzugen die klassische Lange 1, andere Märkte Komplikationen wie Tourbillons oder Chronographen?
Das ist echt erstaunlich. Uhrensammler, egal welchem kulturellen Umfeld sie entstammen, sind sich sehr ähnlich. Ich gehe sogar noch weiter. Früher hat man Japanern immer unterstellt, sie wollen eher kleine Uhren. Deshalb haben wir ja die Kleine Lange 1 nicht als Damenuhr, sondern eigentlich für den japanischen und asiatischen Markt entwickelt. Aber dort verkaufen wir heute genauso Zeitwerk Date wie in Amerika oder in Europa. Und das ist wirklich eine große Uhr. Bei Einmalkäufern muss es vielleicht die Odysseus oder die Lange 1 sein. Sammler lassen sich schwerer einschätzen. Da gibt es große Unterschiede bei den Prioritäten.
Kunden und Sammler
Ist Lange der bedeutendste Sammler bekannt?
Wilhelm Schmid: Ja, natürlich. Und er besitzt sehr viele Uhren.
Zwei- oder dreistellig?
Dreistellig.
Dann kauft er im Grunde genommen alles, was es gibt?
Schon seit langer Zeit.
Würdest du solche Menschen als offenkundige Lange-Botschafter bezeichnen? Oder sind solche Menschen eher diskret mit ihren Uhren?
Ich glaube, wer eine Lange trägt, ist ohnehin eher auf Diskretion bedacht. Ich habe noch keinen großen Lange-Sammler gesehen, der …
… laut mit seinen Uhren umgeht?
Zu diesem Zweck kauft man sich andere Uhren. Lange ist keine Marke, die sich potenziell dazu eignet, laut zu sein.
Also sind auch die Menschen, die sie kaufen, nicht laut, sondern eher zurückhaltend?
Marken ziehen ja Menschen an und stoßen auch Menschen ab. Wenn du ein klares Markenprofil hast, das ist schön für den, der es schätzt, und schlecht für den, der es nicht mag. Und da würde ich schon sagen, dass wir eher geeignet sind für Menschen, die sich wirklich selber etwas gönnen. Menschen, die gut verstehen, was sie sich kaufen. Menschen, die primär mit Gleichgesinnten teilen. Eine Armbanduhr von Lange ist keine Zufallsentscheidung.
Kommen wir zur Kollektion des Jahres 2022. Dazu gehören zwei Premieren in der neuzeitlichen Lange-Geschichte. Was hat die Manufaktur zu einer ganz klassischen und optisch reduzierten Minutenrepetition bewogen?
Nach der Grand Complication und der Zeitwerk Minutenrepetition haben wir nicht gesagt, jetzt bauen wir keine weitere Minutenrepetition mehr. Sondern wir wollten noch eins draufsetzen. Wie viele Häuser haben so grundsätzlich unterschiedliche Minutenrepetitionen? Ich kenne keines. Und das ist das Reizvolle. Wir wollten keine Konkurrenz im eigenen Haus, sondern etwas komplett anderes.
Richten sich die 50 Exemplare an die klassische oder eine neue, auf Understatement bedachte Zielgruppe?
Also ich glaube, dass die Richard Lange Minutenrepetition ein Fest sein wird für klassische Lange-Sammler. Das ist eine teure Uhr für Menschen, die nicht auffallen wollen. So eine Uhr kauft man nicht zum Angeben. Diese Uhr kaufst du, weil du sagst, da habe ich schon lange drauf gewartet.
Trotz des Preises von mehr als 400.000 Euro dürften die 50 Uhren rasch weg sein. Bekommen sie sehr gute Kunden, eure Sammler, schon vorab zu sehen?
Wilhelm Schmid: Wir müssen fair bleiben. Immerhin kennen wir nicht alle Sammler auf dieser Welt. Natürlich werden wir die Uhr interessierten Menschen zeigen. Die echte Einführung findet aber während der Watches and Wonders statt. Und danach werden wir uns genau anschauen, wer sich dafür konkret interessiert. Ich kann ausschließen, dass jemand diese Uhr bekommt, der mit uns keine Geschichte hat.
Erinnert mich an Patek Philippe. Da behält sich Präsident Thierry Stern auch die letzte Entscheidung vor, wer etwas Kompliziertes bekommt.
Das mache ich nicht. Wie gesagt, ich bin kein Freund davon, die ganze Firma von mir abhängig zu machen. Dafür haben wir interne Systeme. Ich bin ein großer System-Fan. Man braucht ein Vieraugen-Prinzip und ein System, das vor Willkür schützt.
Aber mal schnell in die Boutique schneien und eine derartige Uhr mitnehmen, geht ja wohl nicht, oder?
Selbstverständlich gibt es einen klaren Qualifizierungsbogen, der auch abgehakt wird. Wenn alles passt, bekommt man die Uhr.
Odysseus in Titan und andere Neuheiten
Noch schwieriger dürfte es bei der zweiten Neuheit 2022 werde, den 250 Exemplaren der Odysseus in Titan. Da werden vermutlich Kämpfe entbrennen.
Wir werden unsere bekannten Kunden bevorzugen, von denen wir auch wissen, dass sie ihre Uhren immer behalten und getragen haben, die uns in den guten wie in den schlechteren Zeiten geholfen haben.
Die gibt es aber auch bei euren Konzessionären und nicht nur in den Boutiquen
Die Odysseus in Titan wird nur über unsere Boutiquen erhältlich sein. Da kann ich mich nur bei allen entschuldigen. Ich weiß, dass es sehr viele Kunden gibt, die zeitlebens bei einem Konzessionär gekauft haben. Aber die kennen wir leider nicht persönlich.
Konzessionäre werden ihre Adressenliste schwerlich herausgeben
Stimmt. Ich kann immer nur dazu einladen, uns ein besseres System zu geben. Ich kenne derzeit keines, das mehr Fairness bringt. Bisher war unser Weg erfolgreich. Auch wenn ich weiß, dass der eine oder andere enttäuscht von oder auch böse mit uns ist. Aber ich kann immer nur sagen, irgendwie müssen wir zusammenkommen. Dann gibt es auch Möglichkeiten, Geschäfte miteinander zu machen.
Auf jeden Fall werden die 250 Titan-Odysseus verteilt werden müssen? Ich sehe keine Alternative
Ich vermute es mal, ja.
Verfolgt Lange eigentlich das Geschehen im Parallelmarkt. Auf Chrono 24 sind derzeit drei Stahl-Odysseus zu Preisen ab 88.000 Euro. Zwei davon sind nur mit Pressefoto abgebildet. Sieht so aus, als sollen die nach dem Eintreffen nur durchgehandelt werden.
Da sind wir schon extrem hinterher. Ich kann und will jetzt nicht sagen, dass wir jeden erwischen. Wenn sich zwei Privatleute zusammentun, der eine verkauft und der andere kauft die Odysseus mit Aufschlag, bekommen wir das schwerlich mit. Das stört allerdings auch nicht. Aber drei Uhren im Netz, da werden wir schon Anstrengungen unternehmen …
Nachsehen, wo die herkommen?
Oh ja.
Vor allen Dingen, wenn sie als neu und ungetragen angeboten werden…
Exakt.
Lange bringt 2022 nach 28 Jahren auch noch eine sichtbar überarbeitete Lange 1 auf den Markt. Was hat euch zur deutlich eleganteren Evolutionsstufe bewogen?
Mitunter treiben mich meine Leute schon in den Wahnsinn. Nie ist etwas gut genug, sondern immer erst der Anfang, noch etwas Besseres daraus zu machen. So ist das auch bei dieser neuen Lange 1. Irgendwann ging intern die Diskussion los, wie können wir denn die klassische Lange 1 noch mehr abheben von der Großen Lange 1. Was kann zur Differenzierung auf den ersten Blick beitragen. Selbst ich könnte beim Blick ins Schaufenster nicht spontan sagen, ob das eine Große Lange 1 oder eine klassische Lange 1 ist. Dafür sind die beiden Uhren zu ähnlich. Zweieinhalb Millimeter Unterschied im Durchmesser fallen kaum auf. Fortan sieht man es ohne Mühen, wenn beide Modelle nebeneinander stehen.
Zum Beispiel am Zifferblatt.
Die neue Lange 1 hat einen ganz anderen Auftritt. Und das war eigentlich der Grund für unsere Arbeit. Wie kriegen wir den neuen Auftritt hin, ohne wieder ans Uhrwerk gehen zu müssen? Das Uhrwerk haben wir ja erst 2015 komplett neu gemacht. Da gibt es nichts zu verändern. Wie also bekommen wir das jetzt hin? An dieser Stelle kamen viele neue Ideen ins Spiel. Sie haben nicht nur dazu geführt, dass die neue Lange 1 sichtbar flacher ist, sondern eben auch zu einer deutlichen optischen Differenzierung.
Künftig gibt es nur noch dieses Modell in verschiedenen Goldtönen?
Nein. Natürlich wird es die Kleine Lange 1 weiterhin geben, dazu die Standard-Lange 1 und die neue Große Lange 1. Für uns sind das drei gesetzte und unverzichtbare Armbanduhren in der Kollektion.
Konflikte und Ausblicke
Ein ganz trauriges Thema ist der Russland-Ukraine-Konflikt. Trifft A. Lange& Söhne die momentane Situation mit Lieferembargo und so weiter?
Also die trifft, glaube ich, jeden, und jeden sehr persönlich. Geschäftlich bekommen wir das schon alles irgendwie hin. Aber natürlich bedrückt uns das in Glashütte alle sehr stark. Von uns sind es 1000 Kilometer bis Tschernobyl oder Kiew.
Wie bedeutsam sind Russland und die Ukraine als Markt?
Wie gesagt, geschäftlich kommen wir damit klar. Aber das Geschehen ist traurig für die tollen Sammler vor Ort. Wir sprechen von Menschen, welche seit vielen Jahren Uhren von A. Lange & Söhne kaufen.
Auch in Russland?
Ja. Und nicht jeder ist eingebunden in das, was da gerade passiert. Das Geschehen bestürzt mich zutiefst, aber ich gehöre auch nicht zu den Menschen, die jetzt jeden Russen oder Russischstämmigen verurteilen. Wir haben Sammler, die wir sehr gut kennen und zu denen wir im Moment keinen Kontakt haben können.
Lange & Söhne plant, denke ich, schon jetzt für 2024, wenn die Manufaktur auf 30 Jahre Neuzeit-Kollektion zurückblickt.
Natürlich, da sind wir dran, und dafür kennst du uns gut genug.
Ergo können Lange-Fans in zwei Jahren mit spannenden Uhren rechnen.
Die können sich sogar schon nächstes Jahr auf eine spannende Geschichte freuen. Wir werden ja nicht nachlassen. Aber natürlich, 30 Jahre am 24. Oktober 2024, das wird für uns schon ein besonderes Datum.
Wenn nicht, wäre es traurig. Der 24. Oktober 1994 brachte in Deutschland eine echte uhrmacherische Zeitenwende.
Absolut.
Walter Lange, Gott hab ihn selig, wird das nur aus sehr weiter Ferne erleben. Fehlt er euch als Botschafter?
Seit Tod liegt schon wieder fünf Jahre zurück. Er fehlt mir zum Beispiel, weil ich einfach gerne einen Kaffee mit ihm getrunken und dabei von alten Zeiten gehört habe. Er hat die Neuzeit von A. Lange & Söhne so stark geprägt, dass die alten Werte für die Zukunft gelten. Die sind nicht weg, nur weil er verstorben ist. Und das ist eigentlich sein großer Verdienst.
Aber auch das von Günter Blümlein, der ja schon 2001 von uns gegangen ist. Wie stark ist sein retrospektiver Einfluss, denn Günter Blümlein hat zusammen mit Walter Lange die Lange Uhren GmbH und das Escheinungsbild von A. Lange & Söhne geprägt. Zwei starke menschliche Ikonen.
Nicht ohne Grund steht bei uns im Treppenhaus ein großes Bronze-Abbild von Günter Blümlein. Auf ihn zurück gehen unter anderem die Design-Formulierungen Lange 1, 1815 und Datograph. Jedes Mal, wenn wir diese Uhren anpacken und weiterentwickeln, greifen wir auf das zurück, was Günter Blümlein aufgebaut hat.
Ich sage immer, Walter Lange ist das Herz und Günter Blümlein ist der Kopf. Beides zusammen hat uns zu dem gemacht, was wir heute in der Uhrenwelt darstellen. Andere werden niemals auch nur in die Nähe kommen. Beide haben unsere Firma aufgestellt und weiterentwickelt. Manchmal möchte ich beide fragen, wie sie das Neue, Aktuelle sehen. Aber diese Möglichkeit gibt ja es leider nicht.
Letzte Frage: Was wünschst du dir ganz persönlich für die nächsten beiden Jahre?
Ganz ehrlich? Ich wünschte mir, ganz ohne Krisen einfach nur schöne Uhren zu entwickeln, zu bauen und zu vertreiben. Das wäre schon etwas unbeschreiblich Schönes. Das wäre ein perfektes Geschenk zu meinem 60. Geburtstag. (lacht)
Dafür, dass das klappt, drücke ich ganz fest die Daumen.
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