Retrospektive
Gisbert Brunner: Wie doch die Zeit vergeht. Zwölf Jahre bist du nun CEO von A. Lange & Söhne
Wilhelm Schmid: (lacht) Ach du Schande.
Am 6. Dezember 2010 sind wir uns erstmals im Dresdner Schloss begegnet.
Und das war auch wirklich mein erster Tag bei A. Lange & Söhne.
Du kamst ja als Branchenfremder zur deutschen Nobel-Uhrenmarke. Retrospektiv betrachtet: Wie sind deine Erfahrungen?
Also, das ist bis jetzt die beste Zeit meines Lebens gewesen. Das kann ich wirklich sagen
Ja, auf jeden Fall. Was ich unglaublich finde, ist, dass wir uns als Firma treu geblieben sind und uns doch immer wieder neu erfunden und permanent Neues gemacht machen. Ohne vermessen wirken zu wollen, möchte ich wirklich behaupten, dass die letzten zwölf Jahre die besten zwölf Jahre von A. Lange & Söhne waren.
Trotz Coronavirus?
Corona hat uns weitergebracht, hat vieles beschleunigt. Und das Wichtigste ist, jedes Mal, wenn ich den Prototyp einer neuen Uhr sehe, ist das ein unglaublich schöner Moment. Und solange das so ist, werde ich auch nicht aufhören, meinen Job zu lieben.
Das finde ich großartig. Würdest du denn jetzt, wenn du zurückblickst, zwei Höhepunkte erkennen?
Es gab schon absolute Höhepunkte. Dazu gehört das erste Ticken unserer Grand Complication. Also das war ein echtes Erlebnis. Wer hat denn schon die Chance, die komplizierteste je in Deutschland gebaute Armbanduhr zu präsentieren? Das werde ich nie vergessen. Ein anderes Highlight war, mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, Johann Rupert, dir und anderen, die neue Manufaktur 2015 an einem strahlenden Sommertag in ja auch nicht unkritischen Zeiten zu eröffnen. Ein Gebäude, von dem man weiß, dass das auch die nächsten 50 Jahre noch da und für die Zukunft dieser Firma wichtig ist. Das war schon ein wirklich erhebendes Gefühl.
Edelstahl fürs Handgelenk
In deine Ära fällt ja auch die sportive A. Lange & SöhneOdysseus mit Stahlgehäuse und Stahlband
Die Entwicklung der Odysseus, welche ja nicht abgeschlossen ist, sondern gerade erst angefangen hat, also einer ganz neue Uhrenfamilie mit all ihren Auf und Ab zu Beginn, geht mir durch und durch. Es ist ja nicht so, dass du solch eine Uhr baust und sagst, das wird schon klappen. Der Prozess verknüpft sich mit einem hohen Risiko. Da steckt viel Geld drin, viel Entwicklungsarbeit, viel Emotionalität. Und letztendlich gibt es für nichts eine Erfolgsgarantie, wie wir alle wissen. Also das ist sicher ein dritter Höhepunkt in den vergangenen zwölf Jahren.
Du hast ja die Odysseus im kleinen Kreis vor-vorgestellt. Und ich durfte dabei sein. Hast du den aktuellen Hype rund um diese Uhr auch nur ansatzweise vorhergesehen?
Ich kann mir ehrlicherweise bis heute nicht vorstellen, warum Leute ein Mehrfaches für eine Uhr ausgeben als sie bezahlen müssten, wenn sie ein bisschen Geduld haben. Das erschließt sich mir beim besten Willen nicht.
Aber Normalsterbliche können die stählerne Odysseus ja nicht einmal mit Geduld kaufen. Ohne Geschichte bei euch bekommen sie schlichtweg keine.
Ehrlich gesagt ist das schon ein wenig so. Wir reden von einer Art Teufelskreis. Wir von Lange möchten, dass die Uhr an die Handgelenke von Menschen findet, welche wir Sammler nennen, welche Spaß daran haben, Menschen, die sich seit Jahren für feinste Uhrmacherkunst begeistern und sich mit unseren Produkten identifizieren. Wir wollen keine leidenschaftslosen Leute, die nur ganz schnell Geld verdienen wollen.
Gegen letztere muss man in der Tat etwas machen
Zum Schutz davor musst du tatsächlich Mauern errichten. Und das Gemeine an Mauern ist bekanntlich, dass sie nicht nur schützen, sondern halt auch aussperren. Und das tut mir persönlich unendlich leid. Aber bis mir einer ein besseres System nennt, mit diesen Sachverhalten umzugehen, müssen wir bei dem jetzt Etablierten bleibe. Es funktioniert nämlich.
Wie viele kommen denn täglich mit der Odysseus-Frage in eine eurer Boutiquen? Diese Armbanduhr ist ja nur dort erhältlich.
Zahlen kenne ich ehrlich gesagt nicht. Aber wenn du heute die Boutique-Mitarbeiter diesbezüglich rund um die Welt befragst, dann ist die Odysseus eindeutig Nummer eins.
Um diese Begehrlichkeit zu steigern, verknappt ihr die Produktion?
Nein, aber wir haben einfach eine faszinierende Armbanduhr kreiert, die anders aussieht als alle anderen. Die Odysseus ist definitiv anders als alles, was wir bisher geschaffen haben. Der eine mag sie, der andere nicht. Aber es gibt eben mehr Menschen, die genau diese Uhr haben wollen, als wir Exemplare produzieren können.
Der hohe Wiedererkennungswert spielt eine wichtige Rolle, oder täusche ich mich?
Der Wiedererkennungswert ist zugegebenermaßen hoch. Aber die Odysseus polarisiert eben auch. Man kann keine Uhren bauen, die uneingeschränkt jeder mag. Wie soll das bei nur 5.500 Uhren pro Jahr auch funktionieren? Solches war und ist auch nicht mein Ziel.
Everybody’s darling gibt es nicht.
Stimmt. Unsere Odysseus ist so prägnant, ist so anders, ist so speziell und trotzdem eine echte A. Lange & Söhne, dass über sie von Anbeginn leidenschaftlich diskutiert wurde.
Begrenzte Produktion
Sind von euren jährlich rund 5.500 Uhren durch die Bank alle gleichermaßen begehrt? Nach welchen Kriterien definierst du die Zahl der jährlich produzierten Odysseus? 300, 400 oder 500 Stück? Und ist die Uhr eine Aufgabe für Uhrmacher-Einsteiger im Hause A. Lange & Söhne?
Nein, das ist schon eine Kategorie darüber. Basismodelle sind 1815 und Saxonia Thin. Die Lange 1 und die Odysseus, also Uhren mit Großdatum und springenden Anzeigen, verlangen nach höherer uhrmacherischer Qualifikation. Unterschätze bei der Odysseus nicht die drei Scheiben, welche akkurat springen müssen. Das handwerkliche Zeug dazu ist nicht jedem in die Wiege gegeben.
Ihr entscheidet nach Qualifikation der Uhrmacher?
Natürlich beschäftigen wir Uhrmacher in sämtlichen Leistungsstufen. Und so, wie du die Kapazität in den Leistungsstufen hast, teilst du auch die Uhrenfamilien auf. Hinzu gesellen sich die Gehäuse und Zifferblätter und so weiter und so fort. Also das ist ein relativ komplexes Thema.
Gehäuse, Bänder und Zifferblätter stammen ja von externen Lieferanten
Exakt. Wir kümmern uns ums Werk, aber du kennst ja unsere klare Ansage. Für alles andere sind wir zu klein, um das in einer Qualität zu produzieren, welche wir bei den besten Spezialisten einkaufen können.
Nicht zu vergessen eure internen Prozesse
Alles wird allokiert. Du kannst doch nicht deinen Design-Klassiker Lange 1 total vernachlässigen, nur weil du mehr Kapazität für die Odysseus benötigst. Daraus resultiert eine Zahl. Außerdem können wir insgesamt nur mehr Uhren auf einem bestimmten Anspruchsniveau bauen, wenn wir mehr Menschen in die dazu nötige Leistungsstufe trainieren können.
Und das scheint nicht ganz einfach zu sein?
Wir wachsen ja ständig. Wir haben immer so zwischen 12 und 15 neue Uhrmacher in Ausbildung. Nach drei Jahren gehen zwei oder drei davon irgendwo anders hin. Sie studieren oder besuchen eine Meisterschule. Der Rest fängt bei uns an. Gleichzeitig gehen ältere Uhrmacher in Rente, andere fallen gesundheitlich aus. Netto bleiben jedes Jahr also sechs, sieben oder acht Uhrmacher, mit denen wir allmählich wachsen können.
Das ist in der Tat sehr überschaubar
Umgerechnet sind das nur wenige hundert Uhren im Jahr. Du siehst also unsere Grenzen.
Modifiziertes Vertriebskonzept
Wie schon konstatiert, gibt es Odysseus und einige andere Modelle nur in eigenen Boutiquen. 1994 startete das Vertriebskonzept unter Günter Blümlein mit einem ausgesuchten kleinen Händlerkreis. Was hat euch zur Bewegung in eine andere Distributionsrichtung, weg von Facheinzelhandelspartnern, bewogen?
Ehrlicherweise hat die Covid-Krise diesen Prozess stärker beschleunigt, als wir uns das ursprünglich gedacht hatten. Für was steht A. Lange & Söhne? A. Lange & Söhne steht für die Art, wie wir Uhren bauen. Das wollen wir keinesfalls verändern. Wir möchten weder die zweite Montage aufgeben noch dieses spezielle Polieren und Dekorieren von Komponenten. Egal, ob man das sieht oder nicht. An all dem wollen wir nicht rütteln. Leider mussten wir aber auch feststellen, dass ganz vieles von dem, was wir tun, nicht richtig kommuniziert wird.
Warum?
Weil du in einem klassischen Geschäft mit vielen Mitarbeitern und Marken ein Problem hast. Der eine beherrscht sein Metier, der andere aber auch nicht. Unsere Geschichte und Philosophie kommen auf jeden Fall nicht homogen genug rüber. Und das war eigentlich der Ausgangspunkt für unsere Annahme, wenn wir uns als Marke weiterentwickeln und wachsen wollen, dann können wir das wichtigste Element, nämlich den direkten Kundenkontakt, nicht nur anderen überlassen.
Also habt ihr dementsprechend gehandelt
Diesen Kontakt zum Kunden haben wir ausgebaut. Erstaunlicherweise haben wir in der Corona-Krise durch digitale Medien, Zoom-Meetings, digitale Produktvorstellungen ein viel breiteres Publikum deutlich schneller erreicht als in der Vergangenheit. Seitdem haben wir wirklich einen Zugang zu Kunden, den wir in unserer Geschichte, oder wenigstens in der neueren Geschichte, noch nie hatten.
Hätte man nicht alternativ sagen können, man forciert die Ausbildung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei den klassischen Juwelieren? Oder haben sich die Fachhandelspartner trotz der immer stärkeren Position von A. Lange & Söhne gesträubt?
Die Frage ist ja, welcher von beiden Wegen führt eher zum Erfolg? Wir haben festgestellt, das Personal-Fluktuation im Handel ein großes Thema ist. Da hilft auch keine Ausbildung. Hinzu kommt die menschliche Kapazität. Wie viele Marken und Modelle kannst du in der heutigen Welt wirklich gut verstehen und im Bedarfsfall kompetent erläutern. Speziell der Lange-Liebhaber kommt ja in aller Regel schon sehr informiert in den Laden. Der weiß sehr genau, was er will. Und ich glaube, beide Welten in der vom Internet geprägten Zeit zusammenzubringen, ist unglaublich schwierig.
Ist denn die Fluktuation in Monobrand-Boutiquen geringer? Hält das Verkaufspersonal treuer zu einer Marke?
Die Fluktuation ist definitiv geringer. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind sehr viel näher an der Marke dran. Sie besitzen hohe Motivation und Loyalität. Aber wer nicht gut ist und unseren Ansprüchen nicht genügt, muss natürlich auch gehen.
Boutiquen und Sammler
Lange hat ja nur zwei Kategorien von Boutiquen, die von Partnern und die selbst betriebenen. Stellt ihr für die Boutiquen unter eigener Regie hinsichtlich der Qualifikation des Verkaufspersonals höhere Ansprüche?
Nein, unser Ziel ist es, unseren Kunden die bestmögliche Beratung und Service in allen unseren Boutiquen und Verkaufspunkten zu bieten.
Kundenorientierung steht aber stets im Fokus
Die erfolgreichen Unternehmen von morgen sind jene, welche sich auf ihren Kundenkreis konzentrieren, die ihren Kunden am nächsten stehen, die sie am besten verstehen und unmittelbar zu schätzen wissen. Wie aber willst du das machen, wenn du keinen direkten Kontakt zu den Kunden hast oder bekommst. Das geht nicht.
Ich stelle jetzt einfach mal sieben, acht Jahre in den Raum. Gibt es dann nur noch Lange-eigene Boutiquen?
So etwas würde ich nie prognostizieren. Was ich jedoch sicher weiß: Jeder Verkaufskanal muss seinen Mehrwert zeigen und erbringen. Besagter Mehrwert kann ja nur beim Kunden passieren. Wenn der Handel diesen Mehrwert zeigt und bringt, wären wir ja dumm, würden wir diesen Kanal nicht nutzen. Wo dies jedoch nicht der Fall ist, wo wir glauben, dass zu wenig für Lange-Kunden getan wird, werden wir unser Schicksal in die eigene Hand nehmen müssen. Das geht dann halt nicht anders.
Am Ende entscheiden doch immer die potenziellen Kunden
Du kannst ja die schönsten Paläste eröffnen. Wenn die Kunden sagen, das möchte ich aber nicht, ich will nach wie vor in ein anders geführtes Geschäft, dann ist das so. Die Kunden entscheiden auch mit ihren Füßen. Sie gehen dahin oder eben auch nicht.
Wie viele Hardcore-Sammler zählt man rund um A. Lange & Söhne?
Das lässt sich schwer sagen. Warum? Einige unserer Kunden bleiben uns zeitlebens treu. Die kaufen, kaufen und kaufen. Manche setzen mal ein halbes Jahr oder ein Jahr aus, kommen aber immer wieder zurück. Andere Menschen, die auch Sammler sind, kaufen über einen Zeitraum von fünf bis sieben Jahren fünf bis sieben Uhren. Irgendwann stellen sie fest, dass es im Leben auch noch etwas anderes gibt, Golf spielen, Segeln gehen, einen Sportwagen kaufen oder ein Apartment für die Kinder, oder die Ausbildung der Kinder finanzieren. Bleiben diejenigen, die sich eine einzige teure Uhr fürs Leben zulegen.
Sind letztgenannte auch wichtig für Lange?
Jeder Kunde, der so viel Geld ausgibt, ist wichtig für uns. Aber mit 5.500 Uhren jährlich kannst du den Fokus nicht darauf richten, jeden Tag neue Kunden zu aktivieren. Dazu haben wir gar nicht die Kraft. Das würde nicht funktionieren.
Hat die Odysseus eine Klientel angelockt, die sich vorher nicht für Lange-Uhren interessiert hat?
Natürlich hat uns der Odysseus-Hype geholfen, als Marke auch bei solchen Menschen interessanter zu werden, die in der Vergangenheit gesagt haben, Lange baut tolle Uhren, aber nicht für mich.
Klassisch elegant und nur Edelmetall …
Ja. Interessanterweise stellen wir aber fest, dass manche speziell wegen der Odysseus kommen, sich aber dann, weil diese nicht verfügbar ist, auch noch andere Uhren ansehen. Nach ausführlicher Erklärung einer Lange 1 verlassen sie das Geschäft dann damit, oder mit einer 1815 Auf & Ab, oder einem 1815 Chronograph oder, oder, oder. Das sind nicht Menschen, die uns nicht kannten. Für die existierten wir, aber wir waren als Marke nicht interessant.
Vielleicht auch zu weit weg und deshalb nicht zum Anfassen
Genau deshalb stellt sich die Frage, bauen wir mehr Odysseus? Aber das geht schon deshalb nicht, weil wir dann bei anderen Uhren reduzieren müssten, die wir aber auch nicht liefern können. Also da würde man nur das Loch rumschieben. Bringen tut das im Endeffekt gar nichts.
Im Orchester der Richemont-Maisons ist Lange ein Exot. Deutsch und noch dazu in Glashütte. Wie geht‘s dem CEO und der deutschen Marke in einer stark frankophil geprägten Gruppe?
Mit Jérôme Lambert haben wir einen Chef, der Lange sehr, sehr gut kennt und schätzt, sowie auch in der Tiefe versteht. Dasselbe kann ich auch vom Chairman Johann Rupert behaupten. Also ich fühle mich da nach wie vor wohl. Und unsere Uhren erfahren hohe Wertschätzung, auch von meinen CEO-Kollegen. Da kann ich mich nicht beschweren.
Der zweite Teil des Interviews mit Wilhelm Schmid folgt alsbald im Uhrenkosmos.
Wilhelm Schmid
CEO der Uhrenmanufaktur A. Lange & Söhne in Genf auf dem Watches & Wonders Stand der Uhrenmanufaktur im Jahr 2022
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