Ein Drehgestell gegen die Schwerkraft
Auch ein Tourbillon kann nur abbilden, was wir Menschen wahrnehmen. Unser kostbarstes Gut, die Zeit, verstreicht geräuschlos und absolut gleichförmig. Will man die Zeit nun messen will, muss man den Ablauf der Zeit in kleine gleich lange Abschnitte unterteilen, addieren und darstellen. Dabei stören selbst winzige Abweichungen die gewünschte Präzision.
Bei tragbaren Uhren ist insbesondere die Erdanziehungskraft eine der limitierenden Faktoren. In senkrechter Lage beeinflusst sie die Ganggenauigkeit insbesondere dann, wenn der Schwerpunkt des aus Unruh und Unruhspirale bestehenden Gangreglers nicht exakt im Zentrum der Unruhwelle liegt,
Dieses Sachverhalts war sich Abraham‑Louis Breguet bereits gegen Ende 18. Jahrhunderts bewusst. Ferner hatte der Uhrmacher und Erfinder herausgefunden, dass man besagte Problemfelder durch sorgfältiges Feinstellen allenfalls vorübergehend eliminieren kann. Also kreierte er eine technische Konstruktion, die die schwerkraftbedingte Abweichung in einem Uhrwerk kompensieren sollte. Im Jahr 1801 war es soweit und der findige Uhrmacher erhielt für sein schwerkraftausgleichenden Nullsummenspiel ein Patent. Es war die Geburtsstunde des Tourbillon.
![Tourbillon-Patent Abraham-Louis Breguet Patentschrift von Abraham-Louis Breguet für das von ihm erfundene Tourbillon](https://www.uhrenkosmos.com/wp-content/uploads/2022/03/Tourbillon-Patent-Abraham-Louis-Breguet.jpg)
![Breguet Tourbillon Werk von 1801 Breguet Tourbillon](https://www.uhrenkosmos.com/wp-content/uploads/2022/03/Breguet-Tourbillon-Werk-von-1801.jpg)
Tourbillon
Als zeitteilende Akteure sind Unruh, Unruhspirale und Hemmung in einem filigranen und dadurch möglichst leichten Drehgestell angeordnet. Das Drehgestell rotiert – in der Regel einmal pro Minute um seine Achse. Auf diese Weise geht dank des Tourbillons das Uhrwerk beispielsweise in der ersten Minutenhälfte etwas nach und in den anschließenden 30 Sekunden vor. So gleicht der Drehgang den Einfluss der Schwerkraft auf die Ganggenauigkeit aus.
Der Lauf eines Tourbillons in seinem Käfig
Perfekt funktioniert die vom Erfinder Tourbillon oder zu Deutsch Wirbelwind genannte Konstruktion in den meist senkrecht getragenen Taschenuhren. Schließlich wurde sie hierfür entwickelt.
Traditionell oszilliert die Unruh im Zentrum des Drehgestells. Ihre Lagerung erfolgt wie üblich mit Hilfe einer Welle, deren beide Zapfen in Lochsteinen drehen. Beidseitig Zapfengelagert ist überlieferter Weise auch das ganze Tourbillon.
Den Antrieb des Tourbillons besorgt das Kleinbodenrad als letztes Mobile des normalen Räderwerks. Der Hemmungstrieb rotiert um das starr im Käfig befestigten Sekundenrad. Per Anker erhält die traditionsgemäß mittig oszillierende Unruh regelmäßige Impulse.
![Tourbillon-Konstruktion mit exzentrisch angeordneter Unruh Tourbillon mit exzentrischer Unruh](https://www.uhrenkosmos.com/wp-content/uploads/2022/03/Tourbillon-Konstruktion-mit-exzentrisch-angeordneter-Unruh.jpg)
Zentraltourbillon versus exzentrisches Tourbillon
Grundsätzlich gibt es keinen funktionalen Unterschied zwischen einem Zentraltourbillon und einem exzentrischen Tourbillon. Maßgeblich für die Präzision ist allein der Antrieb des Tourbillons. Hierbei ist die Rotation des Käfigs unverzichtbar für das Hin- und Herschwingen der Unruh und damit die Funktion des ganzen Werks. Ruht das Drehgestell, steht das ganze Uhrwerk.
Außermittig angeordnete Unruhn müssen naturgemäß kleiner ausfallen als konzentrisch positionierte. Exzentrische Tourbillons bauen in der Regel etwas flacher und funktionieren in Kombination mit einem klassischen Anker. Zentraltourbillons hingegen verlangen nach einem Anker mit seitlich angeordneter Gabel verlangen.
Ebenso egal ist die die Anordnung des Drehgestells im Uhrwerk. Als Standard hat sich der Tradition folgend die exzentrische Positionierung im Uhrwerk eingebürgert. Als Alternative gibt es das Zentral-Tourbillon.
Erste Tourbillons
Soweit die theoretischen und praktischen Hintergründe von Tourbillons zur Steigerung der Ganggenauigkeit von Taschenuhren für einen elitären Zirkel. Nachdem über viele Jahrzehnte ausgewiesene Meister ihres Fachs jedes Tourbillon in reiner Handarbeit aus ungefähr 50 Teilen fertigten und danach feinjustierten, entstanden während der ersten rund 180 Jahren gerade einmal circa 500 Exemplare.
Am Ende stellte sich die intendierte Präzision des ganzen Uhrwerks nur bei möglichst geringer bewegter Masse und maximaler Sorgfalt auf allen Gebieten ein. Nachlässigkeit oder konstruktive Mängel ließen Taschenuhren mit Tourbillon dagegen sogar noch ungenauer gehen als konventionell ausgeführte Zeitmesser.
Verbreitung des Tourbillons
An diesen Seltenheit änderten auch jene Armbanduhren nichts, in denen ab 1945 ein Tourbillon, oft in Verbindung mit der Teilnahme an Chronometer-Wettbewerben – ins Werk eingebunden wurde.
Eine echte serielle Fertigung von Tourbillons in Armbanduhren debütierte erst im Jahr 1986 bei der Uhrenmarke Audemars Piguet. Sie war der Startschuss für eine ungestüme Verbreitung dieser Komplikation. Und das, obwohl der Nutzen eines Tourbillons in Wirklichkeit eher optischer denn präzisionssteigernder Natur ist.
In aller Regel gehen Armbanduhren mit Drehgang nicht genauer als hochwertige und gut regulierte Pendants konventioneller Bauweise. Hierfür spricht allein schon die Tatsache, dass offiziell chronometerzertifizierte Tourbillons ausgesprochen selten sind. Am Handgelenk wechseln Zeitmesser sehr oft ihre Lage. Daher entfaltet ein Drehgang seine Wirkung nur begrenzt. In waagrechter Position, also flach auf einem Tisch liegend, hat die Gravitation, wie jeder Marinechronometer mit kardanischer Aufhängung des Uhrwerks bestens demonstriert, ohnehin keinen nennenswerten Einfluss.
Was kostet ein Tourbillon
Einen extrem wichtigen Beitrag zur Demokratisierung des Tourbillons seit Mitte der 1980-er Jahre leisteten die rasanten Fortschritte auf dem Sektor numerisch gesteuerter Produktionstechnologie. Computer ermöglichen die Präzisions-Massenfertigung selbst winzigster Komponenten. Ihnen ist es zu verdanken, dass die filigranen Tourbillons nicht mehr wie einst nur aus Stahl hergestellt werden. Leichtes, hoch belastbares Titan, Aluminium oder auch Karbon sind beliebte Werkstoffe eines heutigen Drehgangs.
Derartige Hochtechnologie und der Verzicht auf tradierte Handwerkskunst machen es inzwischen sogar möglich, solide Tourbillons zu Preisen von weniger als 1.000 Euro anzubieten. Solche Produkte entstammen jedoch, wie man sich leicht vorstellen kann, chinesischer Herstellung. Ein Tourbillon der Schweizer Uhrenindustrie verlangt gegenwärtig ein Investment ab 4.000 Euro aufwärts.
![A Lange und Söhne Tourbillon pour le Merite 1994 und Parmigiani Tonda Tourbillon Galaxy 2016 A Lange und Söhne Tourbillon pour le Merite 1994 und Parmigiani Tonda Tourbillon Galaxy 2016](https://www.uhrenkosmos.com/wp-content/uploads/2022/03/A-Lange-und-Soehne-Tourbillon-pour-le-Merite-1994-und-Parmigiani-Tonda-Tourbillon-Galaxy-2016.jpg)
Quellen:
Autor Gisbert L. Brunner
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- Tourbillon Modelle: Welche Tourbillon Typen und Bauweisen gibt es - […] geben und deren wesentliche Konstruktionsmerkmale beschreiben. Die generelle Entwicklung des Tourbillons und seiner Funktionsweise hatten wir ja bereits unter…
Freut mich dass deutlich geschrieben wird, dass ein Tourbillon bei einer Armbanduhr nur ein amüsanter Gimmick ist, der teuer bezahlt wird. Habe genug Freunde die eine Uhr mit Tourbillon haben und es mir einfach nicht glauben wollen, und sich offenbar selbst noch nie mit der Technik auseinandergesetzt haben. Einst saß ich mit einem Mann im Skilift, der einen Breguet Tourbillon zum Skilaufen trug. Hätte gerne gewusst was seine feine Uhr war, die er nicht der Gefahr eines großen Sturzes aussetzen würde…
Danke für den Kommentar. Leider kursieren viel zu viele Mythen rund um das Tourbillon. Alles Gute
Herzlichen Dank für diese wertvolle Dokumentation des Tourbillons.