Watches and Wonders 2024
Die 2024-er Watches and Wonders ist um. Für mich war es seit 1992 der 30. Frühjahrs-Messetrip in die Rhône-Metropole. Erst zum SIHH, dann zu besagter Watches and Wonders. Zwei Veranstaltungen fielen wegen der Corona-Pandemie aus.
Einmal mehr erfreute sich das Uhrenmarkt-Ereignis im Genfer Palexpo regen Zuspruchs. 49.000 Besucher zählten die Veranstalter. Das ist sei Plus von 14 Prozent gegenüber 2023. Zu den Gästen gehörten 5.700 Einzelhändler und rund 1.500 Journalisten aus aller Welt. Rein theoretisch waren die Produkte von 54 Ausstellern zu besichtigen.
Weil die Watches and Wonders die Zeit für Pressevertreter um einen Tag auf nur noch vier Tage gekürzt hatte, war es am Ende völlig unmöglich, alle Marken persönlich zu besuchen. Mehr als zehn Besuche pro Tag sind beim besten Willen nicht möglich. Keine Chance hatten ohnehin all jene, die während der Messezeit in verschiedene Genfer Hotels geladen hatten. Bei mir gingen sie leider leer aus.
Nach insgesamt vier Tagen heißt es konstatieren, dass gegenüber dem Vorjahr eine deutlich zurückhaltendere Stimmung zu spüren war. Die 2023-er Euphorie ist zwar keiner pessimistischen Stimmung gewichen, aber ausnahmslos alle Marken sind sich der Tatsache bewusst, dass die Vorjahres-Resultate keine Wiederholung finden werden.
Zurückhaltung nicht nur bei Uhren
So, wie die Verkäufe von Luxusyachten derzeit stark rückläufig sind, entwickeln sich im Uhrenmarkt auch die Umsätze bei den Luxusuhren. Wenn man Luxus als einen nicht zwingend notwendigen und zum persönlichen Vergnügen betriebenen Aufwand betrachtet, fallen nach meinem Verständnis alle Zeitmesser jenseits von rund 500 Euro in diese Kategorie. So gesehen ist alles, was vom 8. bis 15. April 2024 in Genf zu sehen und fühlen war, zeitbewahrender Luxus. Schließlich kann man die Stunden, Minuten und Sekunden von jedem Handy ablesen.
Andererseits gehören Armbanduhren der gehobenen Ausführung weiterhin zu einem kultivierten Lebensstil. Demonstrieren sie doch ganz offenkundig, welche Bedeutung man dem persönlichen Umgang mit der Zeit beimisst. Ich persönlich kann mir ein Leben ohne eine feine mechanische Armbanduhr schwerlich vorstellen. Aber das ist natürlich Ansichtssache.
Dass sich die Zeiten mitunter schnell ändern, konnte ich übrigens bei der Rückreise von Genf nach München in der Swatch Boutique am Genfer Flughafen feststellen. MoonSwatch kaufen? Kein Problem. Blancpain x Swatch erwerben? Kein Problem. Alles war reichlich vorhanden. Selbst die schwarze Fifty Fathoms Ocean of Storms (wir hatten darüber berichtet) stand reichlich zur Verfügung.
Uhrenmarkt
Sollte der Hype tatsächlich zum Erliegen kommen, sieht sich die Swatch Group mit einem weiteren Problem konfrontiert. Der Aktienkurs ist im Sinkflug, was den CEO allerdings nicht weiter kümmert. Aber der durch die Kooperations-Plastikuhren generierte Umsatz ist beträchtlich und wird dem Unternehmen fehlen. Zumal Blancpain, Breguet und Glashütte Original, die Luxusmarken des Konzerns ebenso schwächeln wie Longines, wo gerade das traditionell übermächtige China-Geschäft schwächelt. Apropos China:
Rückläufige Schweizer Uhr-Exporte
Die Uhrenexporte aus der Schweiz ins Reich der Mitte sind gemäß FH-Statistik stark rückläufig, jene nach Hongkong ebenso. Konkret sind die Ausführen nach Festlandchina im Vergleich zum Vorjahresmonat um 41,5 % geschrumpft. Noch misslicher sieht die Lage in Hongkong aus. Hier betrug der Rückgang 44,2 %. Selbst die USA, mit 17% Marktanteil der Primus unter den Uhrenimporteuren, verzeichneten ein Minus von 6,5% auf 340,5 Millionen Schweizerfranken im März.
Nach Singapur gaben die Ausführen um 14,8%, nach Deutschland 13,1%, Frankreich um 11,9%, Japan um 3,5%, ins Vereinigte Königreich um 13,2% oder in die Vereinigten Arabischen Emirate um 3,6% nach. Betrachtet man die 30 Top-Importeure für Schweizer Uhren, legten nur Saudi Arabien (+ 31%), Mexico (+ 9,3%), Indien (+ 9,2%) Israel (+5,8%) und Taiwan (+ 4,7%) zu.
Insgesamt schloss der März 2024 bei den Schweizer Uhrenexporten weltweit um 16,1% schlechter ab als der März 2023. Die Ausfuhren beliefen sich auf zwei Milliarden Schweizerfranken. Saldiert lag das erste Quartal 2024 um 6,3% unter dem des Vorjahres. Rückgänge verzeichnen die Statistiken durchgängig in allen Preissegmenten. Der Umsatz von Uhren mit einem Exportpreis jenseits 3.000 CHF gab um 9,9%, jener in der Preiskategorie 500 – 3.000 Franken um gravierende 38,2% nach. Bei den Produkten unter 500 CHF waren es -18,8%.
Besonders stark brachen die Ausfuhren bei Stahluhren ein. Minus 28,2% im Wert und minus 23,2% in der Stückzahl spielen im Monatsergebnis eine wichtige Rolle. Uhren mit Edelmetallgehäusen waren nicht ganz so stark betroffen. Hier betrug der Rückgang bei der Stückzahlen 19,1%, beim Wert 11,6%. Mengenmäßig verzeichneten Uhren mit Gehäusen aus anderen Materialien, und hier kommt die Swatch ins Spiel, einen Einbruch von 34,5 % auf nur noch 278.100 Stück. Alles in allem führen die Schweizer Uhrenhersteller von Januar bis März 2024 nur noch Uhren im Wert von 5,8 Milliarden CHF aus.
Uhrenmarkt
Unter diesen Vorzeichen müsste in den kommenden Monaten ein echtes Wunder geschehen, um die Verluste im Uhrenmarkt noch ausgleichen zu können. Aber daran glaubt in den Chefetagen der Schweizer Uhrenindustrie kaum noch jemand, wie in Genf zu hören war. 2023 hatte speziell die Wiederöffnung der fernöstlichen Märkte für einen Nachfrageboom gesorgt. Damit einher gingen 2023 sogenannte Hamsterkäufe, um in den jeweiligen Ländern auf jeden Fall lieferfähig zu bleiben. Das ist nun vorbei. Und es steht zu befürchten, dass die genannten Rückgänge erst den Beginn einer noch stärkeren Talfahrt andeuten.
Zum einen werden auch Superreiche nachdenklich, ob sie weiterhin Unsummen für Armbanduhren ausgeben sollen, bei denen sich die Kalkulation nicht so richtig nachvollziehen lässt. Aber auch auf dem Gebiet der Uhren mit Publikumspreisen ab rund 10.000 Euro stellt sich eine gewisse Sättigung ein. Wer schon drei oder mehr luxuriöse Zeitmesser der Oberklasse besitzt, stellt sich angesichts der globalen Wirtschaftslage und den nicht eben rosigen Aussichten in China sowie der durch die Auseinandersetzungen zwischen Israel und seinen Nachbarn angespannten geopolitischen Situation schon einmal die Frage, ob es aktuell noch eine weitere Armbanduhr braucht.
Einen Teil der aktuellen Probleme haben sich die Schweiz und die dortigen Uhrenfabrikanten freilich auch selbst zuzuschreiben. Mehrfache, teils mit dem starken Schweizerfranken, teils mit allgemeinen Kostensteigerungen begründete Preiserhöhungen innerhalb eines Jahres stoßen bei vielen Uhr-Konsumenten negativ auf. Die Käuferinnen und Käufer der Produkte im unteren und mittleren Preisbereich stöhnen nicht nur hierzulande über hohe Lebenshaltungskosten und gestiegene Zinsen. Entweder es ist gar kein Geld für einen Neuerwerb mehr da, weil man nicht auf den Urlaub verzichten möchte, oder man legt Übriges zur Sicherheit auf die hohe Kante.
Vorerst bleibt offen, wie die Uhrenhersteller auf das Marktgeschehen reagieren. Ein Rückblick auf die Lehman-Brothers-Krise vor 14 Jahren täte sicher gut. Vor allem sollten sich die Fabrikanten aufgeschlossener zeigen für die in den vergangenen vier Jahren herzlich wenig beachteten Kundenwünsche. Hier stellt sich die Frage, ob Erfolg blind macht oder zumindest den Blick auf das internationale Marktgeschehen vernebelt. Kunden in Fernost ticken anders als die in arabischen Ländern, den USA oder in Europa.
Wenn ein Uhren-CEO sagt, er fokussiere seine Neuentwicklungen primär auf die nordamerikanische Klientel, weil dort gerade das Wachstum stattfindet, dann gibt das schon zu denken. Unter diesen Vorzeichen darf er sich nicht wundern, wenn die Geschäfte in anderen Märkten kranken. Das Schielen auf den Mainstream und die Ausrichtung der Produktpalette daran, kann im Uhrenmarkt kurzfristige Erfolge zeigen, wird sich aber langfristig rächen. Kreativität lautet das Gebot der Stunde und die Rückkehr zu anscheinend vergessenen Tugenden. Das aggressive Verfolgen kommerzieller Zielvorgaben könnte sich in einer Lage wie dieser als nachteilig erweisen.
Die Zeiten ändern sich
Keineswegs optimistisch in die Zukunft blickend, brachte Morgan Stanley kürzlich zum Ausdruck, dass kleinere Schweizer Marken mit zweistelligen Umsatzrückgängen rechnen müssten. Und diese düstere Prognose ist definitiv nicht von der Hand zu weisen. Das stürmische Umsatzwachstum im Uhrenmarkt der vergangenen Jahre werden aber auch Branchengrößen wie Audemars Piguet, Cartier, Omega, Patek Philippe oder Rolex vorerst zu den Akten schreiben müssen. 2023 wird ein Jahr der Konsolidierung. Sicher auf hohem Niveau.
Aber die Boomphase ist vorbei. Kluge Markenlenker werden sich die Liefermengen an den Multimarken-Fachhandel nun sehr genau überlegen. Dort sind die Lager gut gefüllt. Und das bindet Liquidität. Was gegenwärtig niemand braucht, sind die aus früheren Zeiten sattsam bekannten Verkäufe über egal wie geartete Parallelmärkte. Wenn Konzessionäre damit beginnen, ihren Warenbestand mit Rabatten auf diesem Weg zu entsorgen, lassen sich die Folgen gut ausmalen.
Viele potenzielle Kunden sind inzwischen schlau genug, sich vor dem Kauf einer neuen Uhr im Internet über die dort aufgerufenen Preise für Neuware zu informieren. Diskontierte Modelle lassen sich dann im konzessionierten Ladengeschäft erfahrungsgemäß nicht mehr oder nur noch sehr schwer zum vollen Preis verkaufen.
Solcherart einsetzende Rabattschlachten stören das Gefüge. Selbst betriebene Marken-Boutiquen sind wegen ihrer strikten Preiskontrolle gewiss ein Gegenmittel. Außerdem steigern sie die Marge. Aber dorthin gelieferte Uhren bleiben so lange in der eigenen Bilanz, bis sie gegen Bezahlung den Laden verlassen haben. Im Gegensatz dazu spült die Veräußerung von Ware an Konzessionäre sehr kurzfristig Geld in die Firmenkasse. Dass sie Bäume durch Monobrand-Boutiquen nicht in den Himmel wachsen, merken mehr und mehr Uhrenmarken. Manche Marken, die lang gedienten Fachhandelspartnern den Rücken gekehrt haben, klopfen inzwischen wieder vorsichtig an, um die Möglichkeit erneuter Zusammenarbeit auszuloten.
Hinzu gesellt sich ein weiterer Aspekt: Seit April sind die Preise im Sekundärmarkt auch für gehypte Luxusuhren von Audemars Piguet, Patek Philippe, Rolex und anderen massiv gefallen. Das bleibt natürlich nicht ohne Einfluss auf die Lust, sich eine neue Armbanduhr zuzulegen. Inzwischen ist es durchaus schon an der Tagesordnung, dass selbst manche Patek– und Rolex-Modelle, auf die Kunden jahrelang gewartet haben, nach der Lieferung fürs Erste beim Konzessionär hängen bleiben. Der Kunde hat es sich inzwischen anders überlegt, eine alternative Konsummöglichkeit gefunden oder schlichtweg das Geld nicht mehr.
Gold fürs Handgelenk
Ein Übriges für den Rückgang im Uhrenmarkt tut der in den vergangenen Monaten massiv gestiegene Goldpreis. Hier sieht es nicht so aus, also ob der Aufwärtstrend bereits gestoppt sei. Manche Experten sehen die Feinunze bis 2030 sogar schon bei etwa 4.500 Euro. Allerdings ist das kein Grund dafür, völlig irrationale Preisaufschläge von mehr als 35.000 Euro zwischen ein und demselben Lederband-Modell in Titan und Gold aufzurufen. 50 Gramm Edelmetall rechtfertigen den in meinen Augen völlig irrationalen Aufschlag auf knapp 50.000 Euro nicht. Zumal sich Titan schwieriger bearbeiten lässt, als 18-karätiges Gold.
Da nehmen sich 53.200 Euro für die derzeit schwerste Gold-Taucheruhr am Markt nachgerade bescheiden aus. So viel kostet die neue, bis zu 390 bar wasserdichte Rolex Sea-Dweller Deepsea. Auf die Waage bringt der 44 Millimeter messende Unterwasserbolide mit Heliumventil und Titanboden nicht weniger als 322 Gramm. Zieht man ca. 50 Gramm für Glas, Werk, Titanboden, Ventil etc. ab, beträgt der reine Wert des verwendeten Edelmetalls beim gegenwärtigen Goldpreis immerhin etwa 14.500 Euro.
Natürlich erreicht Rolex mit diesem schweren Zeitmesser in erster Linie die Oberen Zehntausend. Aber sie wird garantiert ihre Käufer finden, denn es gibt keine andere Massivgold-Armbanduhr, mit der man so tief tauchen kann.
Aber ganz generell sollte sich die Uhrenindustrie wieder um etwas mehr Bodenhaftung bemühen. Es gibt Millionen Gutverdiener, die sich gerne einen neuen Zeitmesser ans Handgelenk schnallen möchten. In aller Regel erwarten sie sich einen ordentlichen Gegenwert fürs Geld. Ein grünes Zifferblatt, ein durchbrochen gestaltetes Zifferblatt oder ein exaltiert gestaltetes Gehäuse mit viel Tiefgang schaffen allein noch keine Kaufanreize. Es darf schon ein wenig mehr sein. Und dann muss am Erde halt auch noch die Preis-Leistungs-Relation stimmen.
Lieber Gisbert, vielen Dank für diesen ausführlichen Bericht! Ich schließe mich Deinen Worten und Deiner Einschätzung vollumfänglich an. Diese sich jetzt abzeichnende Krise kommt nicht überraschend. Wir haben bereits 2016/2017 erste dunkle Wolken aufziehen sehen und mit dem Ende der Baselworld in 2019 erreichte die Selbstüberschätzung und Arroganz der Branche ihren vorläufigen Höhepunkt. Die Corona-Jahre generierten für die Branche zunächst jedoch eine unerwartete Sonderkonjunktur. Geld für Reisen, gepflegtes Essen und sonstige Nettigkeiten des Lebens konnte nicht ausgegeben werden. Also hatten viele Uhren-Freaks rund um den Globus Zeit und Geld übrig, sich im digitalen Raum mit hochwertigen Uhren zu beschäftigen und auch einzukaufen. Dieser Bedarf – im Sinne eines einmaligen Sondereffektes – ist nun gedeckt. Jetzt rücken die über 3 lange Jahre brach gelegenen anderen Bedürfnisse wieder stärker in den Vordergrund. Jetzt sind wir und die Uhrenbranche wieder in der Realität angekommen Und eine Baselworld kehrt nicht mehr zurück. D.h. viele Marken – allen voran die der Swatch Group – aber auch viele andere kleinere Marken sind kaum noch sichtbar. Wer kennt oder kümmert sich schon noch um Blancpain oder Jaquet Droz? Beides m.E. nach mittlerweile tote Marken. Aber auch Certina verkümmert und selbst um Longines oder Glashütte Original wird es ruhig. Und mit den umgelabelten Plastikuhren schadet sich der Konzern auf längere Sicht ebenfalls nur selbst. So kommt es nicht von ungefähr, dass sich die Bewertung der Swatch-Aktien seit 2018 halbiert hat, auch wenn Herr Hayek das vordergründig nicht interessierten mag. Und dann kommt noch der China-Effekt. Wie bei den Autos zeichnet sich auch bei den Uhren der Trend ab, dass die Chinesen ihr Image der verlängerten Werkbank des Westens beginnen abzulegen und sich selbstbewusst mit eigenen Labels und Marken positionieren. Weshalb teuer aus dem Ausland zukaufen, wenn man im eigenen Land mittlerweile über Fähigkeiten verfügt es selbst – und dazu noch viel günstiger – zu machen. Und am Image wird jetzt auch fleißig poliert. Da dürfen sich viele Schweizer, aber auch deutsche Marken ziemlich warm anziehen. Der Showdown hat gerade erst begonnen.