Traditioneller Durchblick
Die gelegentlich auch positive Seite einer handfesten Krise zeigte sich in den frühen 1930-er Jahren in der Entstehung hochwertiger skelettierter Uhren. Damals beeinträchtigten die gravierenden Folgen des Börsenkrachs an der New Yorker Wall Street das globale Geschäft mit hochwertigen, handgemachten Uhren. Beim Grübeln über die Zukunft des Luxus und Wertvollen besannen sich findige Uhrmacher unter anderem auf die Handwerkskünste aus dem 18. Jahrhundert und fingen wieder verstärkt mit dem dem Skelettieren von hochwertigen Uhren und der sichtbaren Bearbeitung der Mechanik an.
Für ihr filigranes Tun verwendeten die unverhofft mit viel Zeit und Muse gesegneten Uhrmacher zunächst ganz normale Kaliber. Das Skelettieren geschah dabei wie folgt:
Zunächst markierten sie die Umrisse des geplanten Skeletts mit einer Nadel.
Nach dem Anbringen feiner Bohrungen entfernten sie dann das überflüssige Material mit einer speziellen Säge.
Anschließend schrägten sie beim Anglieren die Kanten.
Beim letzten Schritt wurden schließlich beim Gravieren Oberflächen mit Mustern, Inschriften oder Ornamenten versehen.
Weniger geht nicht mehr. Bei die Kaliber 17 Lépine haben die Uhrmacher von Patek Philippe entfernt, was ohne Beeinträchtigung der Funktion möglich ist. Links die Vorder- und rechts die Rückseite dieses filigranen Skelettwerks.
Hervorstechende Merkmale guter Handarbeit waren und sind nicht nur die sorgfältig ausgearbeiteten Winkel, sondern auch die Kongruenz der übereinanderliegenden Teile. Zum Zwecke eines ungetrübten Durchblicks sollten sie möglichst deckungsgleich sein. Allerdings mussten die Skeletteure stets darauf achten, dass die Festigkeit der tragenden Teile, also der Platine, Brücken und Kloben, unbedingt erhalten blieb.
Nur so konnten sie sicher stellen, dass ein durchbrochenes Uhrwerk über Jahre hinweg einwandfrei läuft und die Funktion keine Einbuße erleidet. In diesem Sinne verlangt derartiges Tun mehr als nur handwerkliche Fertigkeiten. Unabdingbar sind genaue Kenntnisse zur Struktur mechanischer Uhrwerke und zum Kraftfluss im feinen Getriebe.
Angewandte Kunst manuellen Skelettierens: links das skelettierte-Lémania Kaliber 8701 mit Minutentourbillon, rechts die unskelettierte Basisversion Kaliber 387
Obwohl klassisch tickende Uhrwerke die kostbare Zeit mit nur etwa 1/1.000.000.000 PS messen, gelten auch hier die unabänderlichen Gesetze der Mechanik. Die Qualität eines handskelettierten Mikrokosmos erkennen Fachleute deshalb in der Regel nach nur wenigen Blicken. Aufschlussreich sind meist die Bereiche, wo facettierte Kanten zusammenstoßen. Gerade in diesen Bereichen erkennen ausgewiesene Kenner die Qualität der Arbeit an den eingezogenen, vorspringende oder abgerundeten Ecken und Winkeln.
Die Abbildung oben zeigt das tonneauförmige Handaufzugskaliber 17 LEP SQU 144 in perfekt skelettierter Ausführung. Derartige Ecken lassen sich maschinell nicht erzeugen.
Audemars Piguet: Reminiszenz an die Vergangenheit
Einer der begabtesten Uhrmacher in diesem Bereich war Paul-Julien Audemars. Im Jahr 1934 hatte der 1881 geborene Sohn aus dem Hause Audemars Piguet infolge der wirtschaftlichen Verwerfungen auch wenig klassische Aufträge und der 1875 von seinem Vater Jules Audemars und dessen Partner Edward Piguet gegründeten Firma ging es folglich nicht sonderlich gut. Mangels einträglicher anderer Arbeit machte er sich so in besagtem Jahr daran, ein 17-liniges Uhrwerk eigenhändig zu skelettieren.
Das Ergebnis dieses zeitaufwändigen Tuns gefiel nicht nur. Die außergewöhnliche Uhr war vielmehr für viele weitere Uhrmacher wie Käufern Anlass, sich diesen skelettierten Uhren verstärkt zuzuwenden.
An diese aufwändige handwerkliche Leistung erinnert das komplizierte „Jules Audemars Tourbillon Openworked“ von Audemars Piguet.
Für vollkommenen Durchblick in das schlichte Platingehäuse sorgen dabei Saphirgläser auf Vorder- und Rückseite. Sie zeigen das aus 268 Komponenten assemblierte, natürlich manuell skelettierte und finissierte Automatikkaliber 2875 mit Minutentourbillon. Im Drehgestell oszilliert die Unruh mit drei Hertz, was stündlich 21.600 Halbschwingungen entspricht. Nach Vollaufzug stehen dem uhrmacherischen Glanzstück so 54 Stunden Gangautonomie zur Verfügung. Den aktuellen Energievorrat lässt die Gangreserveanzeige wissen.
Patek Philippe: Skelettierte Uhr mit Mikrorotor
Nach dem Auslaufen der Mikrorotor-Patente schritt auch Patek Philippe zur entsprechenden Tat und skelettierte besondere Uhrwerke. Kurz vor Beginn der Entwicklungsarbeiten hatte die Familienmanufaktur dazu Gérard Berret engagiert. Der Techniker brachte zwanzig Jahre Erfahrung speziell auf dem Gebiet des Skelettierens mit. Weil er dank seines Wissens potenzielle Schwachstellen bestens kannte, konnte er diese bei seiner Konstruktion für Patek nachhaltig vermeiden.
Das Kaliber 240 von Philippe Kaliber: links die skelettierte Version 240 SQU, rechts die klassische Ausführung
Im Jahr 1977 war die patentierte Patek Philippe Automatik-Ikone namens 240 mit ca. 48 Stunden Gangautonomie fertiggestellt. Die Daten waren beeindruckend. Das Werk war nur 2,53 Millimeter dick, ausgestattet mit massivgoldenem, einseitig wirkendem Planetenrotor erfüllte technisch alle Erwartungen. Allerdings schmälerte der heutzutage ideale Durchmesser von 31 Millimeter damals ein wenig die Verwendungsmöglichkeiten. Die Gehäuse mussten so etwas größer ausfallen als üblich.
Auf der Basis dieses Uhrwerks lancierte Patek Philippe 2008 so die „Calatrava Squelette“, Referenz 5180/1. Ihr Automatikkaliber 240 SQU zeichnet sich aus durch vollständig manuelle Skelettierung, Gravur und Dekoration auf höchstem handwerklichen Niveau.
Zum 40. Jubiläum der ultraflachen Manufaktur-Mechanik im Jahr 2017 präsentierte das traditionsreiche Genfer Familienunternehmen schließlich eine 39 Millimeter große Version der Referenz 5180 in Roségold, welche am Handgelenk lediglich 6,7 Millimeter aufträgt.
Vacheron Constantin setzt auf den Zentralrotor
Die Geschichte des von Vacheron Constantin in der „Traditionnelle Automatik extra-flach Skelett“ verbauten Automatikkalibers 1120SQ reicht dagegen bis ins Jahr 1967 zurück. Noch in den frühen 1960-er Jahren hatte die Devise gegolten, dass sich weniger als drei Millimeter Bauhöhe nur mit Hilfe von Mikrorotoren realisieren ließen.
Das von LeCoultre für Audemars Piguet und Vacheron Constantin entwickelte Automatikwerk widerlegte allerdings diese Meinung. Zentralrotor und nur 2,45 mm Höhe, das hatte es in der mechanischen Uhrmacherei bis dahin noch nicht gegeben.
Die zentral angeordnete und gelagerte Schwungmasse mit 21-karätigem Goldsegment lief unüberhörbar auf vier peripher angeordneten Rubinrollen. Anfangs vollzog in dem von Vacheron Constantin 1120 getauften Kaliber eine „Gyromax“-Unruh mit frei schwingender Flachspirale stündlich 19.800 Halbschwingungen. Beim Kaliber 1120/1 kam dann eine Glucydur-Ringunruh mit Rückermechanismus zum Einsatz. Einen Sekundenzeiger gab es allerdings nicht.
Die Handwerker, welche das mehr als 50 Jahre alte, inzwischen jedoch gründlich renovierte und mit neuen Werkzeugen produzierte Uhrwerk kunstfertig skelettieren und dekorieren, sind im Genfer Vorort Plan-les-Ouates tätig. Für eines dieser Automatikwerke mit massivgoldenem Rotorsegment müssen sie 144 Komponenten von Hand bearbeiten. Das schützendeWeißgold-Gehäuse mit 38 Millimetern Durchmesser baut insgesamt nur 6,82 Millimeter hoch. Für perfekte Transparenz sorgen Saphirgläser vorne und natürlich auch hinten. Natürlich findet jedes Exemplar dieser Armbanduhr mit dem Genfer Qualitätssiegel ans Handgelenk. Besagtem Poinçon de Genève zufolge, darf diese Armbanduhr wöchentlich nicht mehr als eine Minute falsch gehen.
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