Nicht zwingend nötig aber schön und sein Geld wert
Natürlich, und das sei zu Beginn dieser Betrachtungen ausdrücklich erwähnt, braucht heutzutage niemand wirklich einen tickenden Chronographen mit integriertem Schleppzeigermechanismus wie den Montblanc 1858 Split Seconds Chronograph LE 100. Das simultane Stoppen zweier zeitgleich beginnender Ereignisse oder das Erfassen von Zwischenzeiten bei einem Wettrennen erledigt moderne Elektronik quasi nebenbei. Hingegen benötigt die überlieferte Uhrmacherei für ein derartiges Funktionsspektrum in aller Regel mehr als 250 teilweise sehr filigrane Komponenten.
Warum also, wie im Fall des neuen, auf 100 Exemplare limitierten Montblanc „1858 Split Seconds Chronograph Limited Edition 100“, knapp 40.000 Euro ausgeben und für dieses Betrag eine Armbanduhr mit nur einem Titangehäuse bekommen? Die Antwort fällt erstaunlicher Weise gar nicht schwer. Für den zugegebenermaßen stattlichen Betrag gibt es sehr viel Gegenwert in Gestalt von traditionsgeprägter Uhrmacherkunst auf allerhöchstem handwerklichen Niveau.
In diesem Sinne versteht sich diese von ausdruckstarkem Retrolook geprägte Armbanduhr als Lustobjekt für voyeuristisch veranlagte Kenner der gleichermaßen anspruchsvollen wie komplexen Materie.
Durchs Feuer gegangen: das Zifferblatt
Die Werte des 44 Millimeter großen Oeuvre sind äußerer und innerer Natur. Wie es sich gehört, fällt der Blick zuerst aufs Zifferblatt, vor dem insgesamt sechs Zeiger drehen: insgesamt vier im Zentrum sowie zwei weitere auf waagrechter Achse von „9“ zur „3“. Allein schon wegen seiner strahlend blauen Farbe mit orangefarbenen Akzenten ist es ein wahrhaftiger Hingucker. Genauere Betrachtung lässt erkennen, dass es sich um ein echtes Emailzifferblatt handelt. Selbiges wird sozusagen aus dem Feuer geboren, weshalb man auch von „Grand-Feu-Email“ spricht. Als Grundlage dient den Handwerkern geschmolzenes und gemahlenes Glas.
Als Grundlage des Emails dient den Handwerkern geschmolzenes und gemahlenes Glas. Der augenfällige farbliche Auftritt entsteht durch Zugabe entsprechender Metalloxide. Im Zuge des Herstellungsprozesses beschichten Spezialisten eine metallene, äußerst sorgfältig geschliffene Trägerplatte mit Pulver. Selbst geringste Unebenheiten können das Gesamtkunstwerk unbrauchbar machen. Brennen in einem Spezialofen bringt das zustande, was man auf gut Deutsch Glasfluss bezeichnet. Die strahlenden Eigenschaften beruhen auf mehrfachem Materialauftrag, jeweils gefolgt von einem Brennvorgang. Weil die Hitze eine Veränderung des Tons nach sich zieht, heißt es, das farbliche Geschehen genau zu antizipieren.
Wer sich aufs Glatteis dieser einzigartigen Email-Technik begibt, muss nicht nur eine sichere Hand mitbringen, sondern auch subtile Kenntnisse der Farbenchemie. Fehler sind endgültig, Korrekturen nicht möglich. Derartige Zifferblätter verlangen übrigens nach rückwärtigem Konteremail. Es bewirkt die nötige Stabilität. Ohne würde sich die Metallplatte bedingt durch unterschiedlich starke Wärmeausdehnung beim Abkühlen des Emails verziehen. Risse oder ein Bruch der Emailschicht und damit die Vernichtung der gesamten Arbeit wären die unliebsame Folge.
Von diesen Problemen weiß der Managing Director des Montblanc Geschäftsbereichs Uhren Davide Cerrato ein Lied zu singen:
Der Ausschuss an nicht einwandfreien und daher unbrauchbaren Zifferblättern ist bemerkenswert.
Skalen für Tachy- und Telemeter
An die Vergangenheit der Chronographenspezialisten Minerva, der seit 2006 zu Montblanc gehört, erinnert unübersehbar das Zifferblattdesign.
Die spiralige Tachymeterskala im Zifferblattzentrum gestattet das Erfassen von Durchschnittsgeschwindigkeiten im Bereich zwischen 20 und 400 Kilometern oder Meilen pro Stunde. Somit lässt sie sich beispielsweise auch von Radfahrern nutzen. Ganz außen findet sich die für Kilometer geeichte Telemeterskala. Sie nutzt die unterschiedliche Ausbreitungsgeschwindigkeit von Licht und Schall. Somit man unter anderem die Entfernung eines Gewitters ermitteln, wenn man den Chronographen beim Aufleuchten des Blitzes startet und beim Ertönen des Donnerhalls wieder anhält.
Mit Super-LumiNova ausgelegt sind die arabischen Stundenziffern des aktuellen Schleppzeiger-Modells sowie die wuchtigen Stunden- und Minutenzeiger vom Typ „Skelett“.
Mechanische Augenweide
Nach dem Umdrehen des Gehäuses zeigt sich durch den Sichtboden eine weiterer Leckerbissen in Gestalt des 17-linigen Handaufzugskalibers MB-M 16.31 mit 38,4 Millimetern Durchmesser und 8,13 Millimeter Bauhöhe. Die Uhrmacher assemblieren das vom ehemaligen Minerva-Kaliber 17/29 abgeleitete Kleinod aus 262 Komponenten.
Dass sich vor der Montage ausnahmslos alle einer sorgfältigen, von Hand ausgeführten Finissage unterziehen müssen, mag sich an dieser Stelle von selbst verstehen. Das Feinbearbeitungs-Repertoire deckt alle Facetten von Schliffen, anglierten Kanten, polierten und satinierten Oberflächen bis zu edelsten Schraubenköpfen ab. Zur Reibungsminderung besitzen die Lochsteine olivierte Bohrungen. Die Breguetspirale des mit klassischen 2,5 Hertz oszillierenden Schwingsystems entsteht übrigens im eigenen Haus.
Der über dem eigentlichen Chronographen-Schaltwerk thronende Schleppzeigermechanismus mit zusätzlichem Säulenrad und elegant geformter Zange besitzt im Hause Minerva übrigens kein originäres Vorbild. Taschen- wie Armbandchronographen mit dieser Funktion gelangten seinerzeit mit hochwertigen Valjoux-Innenleben, zum Beispiel dem 19-linigen Schleppzeigerkaliber 9 auf den Markt.
Beim Kaliber Montblanc MB-M 16.31 handelt es sich hingegen um echte Manufakturarbeit, deren Wert sich beim Blick auf den Preis erschließt. In streng limitierter Edition und dieser handwerklichen Qualität dürfte man am Markt neuer Armbanduhren für konkret 39.500 Euro schwerlich etwas Vergleichbares finden. Mit einer Lupe bewaffneten Mechanik-Liebhabern wird dieser komplexe Zeitmesser viele vergnügliche Momente bescheren. Und Geschichten lassen sich obendrein erzählen. Beispielsweise die, dass die Offiziellen Zeitnehmer der Olympischen Winterspiele 1936 in Garmisch-Partenkirchen Minerva-Taschenuhren mit Chronograph-Rattrapante nutzten.
Uhrenkosmos Modell-Steckbrief
Hersteller |
|
Name |
1858 Split Seconds Chronograph Limited Edition 100 |
Referenz |
126006 |
Premiere |
April 2020 |
Uhrwerk |
Manufakturkaliber MB-M 16.31 |
Aufzug |
manuell |
Durchmesser |
38,4 Millimeter |
Bauhöhe |
8,13 Millimeter |
Gangautonomie |
ca. 50 Stunden |
Unruhfrequenz |
2,5 Hertz (18.000 A/h) |
Komponenten |
262, davon 25 funktionale Steine |
Anzeige |
Stunden, Minuten, Permanentsekunde |
Zusatzfunktionen |
Chronograph mit Einholzeiger und 30-Minuten-Zähler |
Gehäuse |
Titan mit Sichtboden |
Durchmesser |
44 Millimeter |
Höhe |
14,55 Millimeter |
Wasserdichte |
drei bar |
Armband |
Blaues Sfumato-Alligatorleder mit Titan-Dornschließe |
Preis |
39.500 Euro |
Limitierung |
100 Exemplare |
Wenn Sie „alte“ Uhrenbeschreibungen nochmals versenden, dann sollte zumindest der aktuelle Preis genannt werden und nicht der historisch Preis.
Wir versuchen jede Woche nicht nur neue Uhren, sondern immer auch alte Modelle oder einen Artikel über Uhrentechnik vorzustellen.
Wobei Sie mit dem Punkt der Preise Recht haben – diese sollten wir immer wieder mal anpassen. Was aber stets mit einem hohen Aufwand verbunden ist, da es bei manchen Uhrenmarken sogar zu mehreren Preiserhöhungen im Laufe des Jahres kommen kann. Wir werden uns des Themas aber annehmen.
Danke für das Feedback.