Bei einer seiner Manufakturvisiten entdeckte Giorgio Corvo 1972 ein paar angestaubte Gehäuse der Reverso Uhren. Seine Beharrlichkeit förderte so insgesamt 200 lagernde Exemplare ans Tageslicht. Schnell erkannte die Administration den Wert eines derartigen Geschäfts in mageren Zeiten. Nach Fertigstellung und Lieferung der restlichen Reverso Uhren dauerte es weniger als einen Monat, bis eine neue Bestellung aus Italien eintraf.
Nun fiel den Produktstrategen vor Staunen die Kinnlade nach unten. Einem Comeback stand nichts mehr im Wege. Obwohl das Wende-Gehäuse dank inzwischen bruchfester Gläser keinen Mehrwert bot, avancierte die wiederbelebte Jaeger-LeCoultre Reverso erstaunlich schnell zum unangefochtenen Lead-Modell. Die stürmischen Erfolge rechtfertigten stattliche Investitionen in das gut 40 Jahre alte Konstrukt, seine fortan hausinterne Produktion und eine zukunftsweisende Produktentwicklung. Die stetig wachsende Nachfrage und intensive Pflege des neuen Bestsellers verlangten allerdings nach einer Alleinstellung.
Konsequent drängte Jaeger-LeCoultre unliebsame Mitbewerber wie zum Beispiel die Uhrenfabrik S. Kocher und ihre Marke Eska aus dem Markt, welche in den Jahren des Dornröschenschlafs optisch zwar gleiche, qualitativ jedoch eher minderwertige Wendeuhren angeboten hatten. Wenn nötig, erwarb die rasch gesundete und überraschend schnell zum Luxus-Globalplayer erstarkte JLC Manufaktur sogar derartige Altbestände, um sie einer Vernichtung zuzuführen.
Reverso Uhr
Unter der Ägide des visionären Günter Blümlein kehrte die Jaeger-LeCoultre Reverso während der Basler Messe des Jahres 1979 auf den Uhrenmarkt zurück.
Zusammen mit Henri-John Belmont, Blümleins Statthalter im Hause Jaeger-LeCoultre entstand im Zuge der Mechanik-Renaissance eine ungemein breite Palette mehr oder minder komplizierter Modelle der Reverso Uhr. Insgesamt entwickelte die Manufaktur mehr als 50 verschiedene Reverso-Kaliber. Sie alle aufzuzählen würde Bände füllen.
Beispielsweise brachte das Jahr 1993 ein Wende-Tourbillon mit dem aus 194 Komponenten zusammengefügten Manufakturkaliber 828. Erstaunlich zügig gingen insgesamt 500 Exemplare über die Ladentheke. 1994 wiederum war eine limitierte Edition der Reverso mit Minutenrepetition innerhalb kurzer Zeit vergriffen.
Nach Movado wartete auch Jaeger-LeCoultre 1996 mit einem Reverso Chronographen auf. Das innovative Schaltrad-Formkaliber 829 gestatteten das Stoppen auf die Achtelsekunde genau. Der Chronographenzeiger sowie der retrograde 30-Minutren-Totalisator zeigten sich nach dem Wenden des Containers.
Die Zeit-Seite hatte Jaeger-LeCoultre auf Zeiger für Stunden und Minuten, Fensterdatum und eine eher unscheinbare Indikation bei der „5“ reduziert. Letztere signalisierte den jeweiligen Schaltzustand des Chronographen: an oder aus. Auch hier endete die Edition nach 500 Stück.
Drei Zifferblätter für ein tickendes Halleluja
Drei Zifferblätter in einer mechanischen Armbanduhr, das gab es vor dem Start der Reverso Grande Complication à Triptyque im Jahr 2006 noch nie. Anlässlich des 75. Geburtstags der Reverso Uhr bewiesen CEO Jérôme Lambert und sein ambitioniertes Team bei Jaeger-LeCoultre, dass solches tatsächlich möglich ist. Vorderseitig im Wendegehäuse lässt sich die bürgerliche Zeit ablesen, rückwärtig Sternzeit, Sternenhimmel, Tierkreiszeichen, Zeitgleichung sowie die Zeiten des Sonnenauf- und Sonnenuntergangs, jeweils individuell berechnet für den Wohnort der Besteller. In der Bodenplatte befindet sich noch ein ewiges Kalendarium.
Isometer-Hemmung
Insgesamt verfügt das Handaufzugswerk vom Kaliber 175 über 18 verschiedene Komplikationen und einmalige konstruktive Details. Bis dato einmalig bei Armbanduhren ist auch das Tourbillon mit neuartiger Chronometerhemmung. Wie diese komplexe, in Armbanduhren bislang einmalige Isometer-Hemmung funktioniert, erläutert der Uhrenkosmos:
Die unabdingbare Schnittstelle zwischen den beiden Gehäuseteilen, also dem Dreh-Container und dem Boden verkörpert ein patentierter Hebelmechanismus. Ein kleiner Dorn, der von oben nach unten reicht, schaltet das Kalenderwerk jeden Tag um eine Position weiter.
Darüber hinaus existieren weitere fünf Patente für die 17,9 Millimeter hohe, auf 75 Exemplare limitierte und für 335.000 Euro erhältliche Reverso Uhr aus Platin. Diese Armbanduhr diente Jaeger-LeCoultre als Vorbild für die 2021 lancierte Hybris Mechanica Calibre 185, von der im dritten Teil dieser Geschichte ausgiebig die Rede sein wird.
Wer wissen möchte, warum und wie die Jaeger-LeCoultre Reverso überhaupt entstanden ist, wird hier fündig.
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