Vom Achteck zum Zwölfeck
Keine Frage, Gérald Genta liebte die Synthese des Runden mit dem Vieleck wie etwa in Gestalt der Baume & Mercier Riviera. Den gestalterischen Wert dieses Miteinander hatte der Designer bei der 1972 von Audemars Piguet lancierten Royal Oak eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Der stylische Alleskönner, ausgeführt in edlem Stahl, beeindruckte aus guten Gründen. Zum Smoking ließ er sich ebenso gut tragen wie zum Business-Anzug oder zum Segeldress. Vom Computer, mit dem sich Entwürfe innerhalb kurzer Zeit adaptieren und modifizieren lassen, war noch keine Rede. Also bediente sich Gérald Genta der von ihm perfekt beherrschten Kunst des Zeichnens. Und bereits der erste Schuss traf beim AP-CEO Georges Golay im Vallée de Joux voll ins Schwarze.
Rund 60 Kilometer entfernt im nicht minder abgeschieden in La Côte-aus-Fées ging damals die Familie Piaget ihren Uhr-Geschäften nach. Anfang der 1960-er Jahre fand sie Gefallen an der Marke Baume & Mercier, deren Besitzer nach einem Käufer suchten. Nach längeren Verhandlungen setzten sich die Piagets gegen internationale Konkurrenz durch. Und 1965 gehörte ihnen die Aktienmehrheit. 1973 litt die westliche Welt unter einer massiven Ölkrise. Deren Auswirkungen spürte natürlich auch die eidgenössische Uhrenindustrie.
Gebeutelt von der nicht unbedingt einfachen Situation dachte das Management, darunter auch der damalige Verkaufsdirektor und spätere CEO Eugen A. Maier über die Struktur der Baume & Mercier-Kollektion nach. Eine Rolle dabei spielte auch besagte Royal Oak und deren erstaunlich positiver Start. Mit Blick auf die gleichfalls luxusorientierte, aber hinsichtlich ihrer finanziellen Mittel nicht ganz so hoch angesiedelten Klientel mochte man da nicht zurückstehen.
Im Hause Piaget existierte bereits ein Entwurf von Jean-Claude Gueit, einem nicht minder begnadeten Uhrendesigner, der seine Arbeit zum Beispiel auch in die Dienste von Audemars Piguet, Concord, Corum, Girard-Perregaux, Hermès, Omega, Patek Philippe oder Vacheron Constantin stellte. Die ursprünglich mit einem Tigerauge-Zifferblatt kreierte Armbanduhr erschien der Mutter jedoch zu wenig extravagant. Also gelangte das Modell zu Baume & Mercier, wo es für Eugen A. Maier trotzdem einen Kraftakt bedeutete, die Baume & Mercier Riviera Uhr im Jahr 1973 tatsächlich auch auf den Markt zu bringen.
Baume & Mercier Riviera
Riviera, der Name des Newcomers, welcher spontan Assoziationen zu Urlaub und Badefreuden weckt, gelangte rasch in vieler Munde. Und er avancierte zu einem Synonym für die Genfer Marke Baume & Mercier mit ihrer Fertigungsstätte am Feenhügel. Im Laufe der Jahre gelangten mehr als 200.000 Exemplare an maskuline und feminine Handgelenke. Der Grund für den Erfolg lag zum einen im hohen Wiedererkennungswert. Das auffallende Zwölfeck resultierte aus der Tatsache, dass Tag und Nacht jeweils zwölf Stunden dauern und Uhren-Zifferblätter deshalb zumeist 12 Ziffern oder Indexe aufweisen. Zum anderen bot Baume & Mercier dem traditionsgemäß auf erschwinglichen Luxus bedachten Kundenkreis viel Armbanduhr fürs Geld. Das betraf auch die sorgfältige Verarbeitung der Riviera.
Variationen der Riviera
Im Laufe der Jahrzehnte erlebte die Baume & Mercier Riviera mehrere Metamorphosen:
1973: Start der Riviera, Metall-Armband mit flachen Gliedern und elektronischem Stimmgabelwerk ESA 6192 mit Fensterdatum für eine avantgardistisch gesinnte Klientel. Von der Signatur Riviera ist am Zifferblatt noch nichts zu sehen.
1975: Erweiterung der Produktpalette um große, mittlere und kleine Modelle in Stahl, Stahl/Gold oder Massivgold. Das Gehäuse ist insgesamt 8,8 mm hoch. Im Inneren bewahren Quarz- oder Automatikwerke die Zeit.
1979: Die zweite Riviera-Generation mit flacheren Quarzwerken führte zu einer merklich geringeren Bauhöhe der Schale von nur noch 6,5 mm. Das flexiblere und dadurch auch komfortablere Armband erhielt eine neue Schließe. Fortan trug auch das Zifferblatt die Signatur Riviera.
1981: Baume & Mercier folgte dem Trend zu kleineren Armbanduhren durch einer Mini-Riviera aus den bekannten Materialien. Hinzu gesellten sich Spezialitäten wie die Taucheruhr Baume & Mercier Riviera Plongeur mit Drehlünette oder die Baume & Mercier Riviera World Time. Daraus resultierte auch eine Accessoire-Kollektion u.a. mit Reiseweckern und Manschettenknöpfen.
1985: Bei der dritten Baume & Mercier Riviera-Generation war das Facelifting unübersehbar: weicheres Design, runderes Gehäuse, Armband mit leicht schräg stehenden Außengliedern und integrierter Schließe. Die Schraubkrone garantierte ein höheres Maß an Wasserdichtigkeit. Die Quarzwerke verfügten über Batteriewechsel-Indikation und ein besser ablesbares Fensterdatum bei „6″. Letzteres ersetzte das eckige Feld der “3″. Unangetastet blieben die verschiedenen Größen und Materialien. An die Spitze der Kollektion katapultierte sich die Riviera Complication mit Quarzwerk, einfachem Vollkalendarium und Mondphasenanzeige.
1992: Ein großes Stahl-Modell mit Lederband rundete die Riviera-Linie ab. Außerdem kehrte Baume & Mercier im Zuge der Mechanik-Renaissance zur Mechanik zurück. Die großen Modelle gab es in den Ausführungen Bicolor und Stahl/Stahl fortan wieder mit Automatikwerk. Im Dienste der langen Uhrmachertradition entstanden 499 Exemplare von einer Complication Automatik in Gelbgold und 25 Stück in Weißgold.
1993: Zur Feier des 20. Geburtstags der Riviera präsentierte Baume & Mercier einen Quarz-Chronographen als großes und mittleres Modell in Gold sowie Gold mit Lederband (nur große Ausführung). Das von Piaget im Laufe mehrerer Jahre entwickelte Kaliber war mit nur 2,5 mm Bauhöhe das weltweit damals kleinste und flachste seiner Art. Seine Funktionen: Ewiger Kalender, elektronisches Zeigerstellen, Wechsel zu einer zweiten Zonenzeit, Rattrapante sowie Batteriewechselanzeige.
Im besagten Jubiläumsjahr 1993 trug die Riviera etwa ein Drittel zum Markenumsatz bei. Stückzahlmäßig entfielen rund 25 Prozent auf diese Linie. Unangefochtener Riviera-Bestseller war das Bicolor-Modell mit Quarzwerk. 60 Prozent der Produktion nahm ihren Weg an männliche, der Rest an weibliche Handgelenke. 1978 hatte es insgesamt nur 18 Riviera-Varianten gegeben. 1993 waren es circa 200 mehr.
An Sammler wandten sich 1997 insgesamt 499 Exemplare einer Automatik-Riviera in Gelbgold sowie 99 Exemplare in Weißgold. Erkennbar an einer Gangreserveindikation.
Ich schätze die diskrete, schlichte Seite, die Seite des ganz persönlichen Luxus. Ich glaube, diese Werte kann man mit anderen teilen. Und die Leute, die sich wie ich für eine Baume & Mercier entscheiden, lieben diese Uhren. Es macht Freude, eine schöne Uhr zu tragen. Ich liebe das! Was ich hingegen nicht mag, ist das Fehlen von Menschlichkeit, von Gefühlen.
Mit diesem Statement von Jacques Villeneuve, dem damaligen Markenbotschafter von Baume & Mercier endet dieser erste Teil der Riviera-Geschichte. Wie es nach 1993 weitergeht, erzählt der Uhrenkosmos demnächst an dieser Stelle.
„Eine Rolle dabei spielte auch besagte Royal Oak und deren erstaunlich positiver Start.“???
Die Royal Oak hat sich anfänglich nur sehr schlecht verkauft…
Der Start der Royal Oak im Jahr 1972 war in der Tat verhalten, was aber daran lag, dass die Uhr einfach komplett anders und innovativ war. Dazu kam die für damalige Verhältnisse große Größe von 39 mm und der für eine Stahluhr unverhältnismäßig hohe Preis.
Nachdem Patek Philippe im Jahr 1976 mit der weiteren sportlichen Stahluhr «Nautilus» kam, bzw. IWC das überarbeitete Modell „Ingenieur“ lancierte, waren Stahluhren stark angesagt und auch die Royal Oak wurde so in kurzer zum absoluten Erfolgsmodell.
Also in der Tat kein Blitzstart, aber aus heutiger Sicht wohl schon ein erfolgreicher Start… 🙂
Ölkrise?! Ach so. Ich dachte immer, das hätte was mit Japan und Quarz zu tun …