Seltene Seiko Chronometer aus Japan

Seiko Astronomischer Chronometer: Die 226 fast vergessenen Seiko Uhren mit Schweizer Chronometerprüfungen

Von 1968 bis 1970 erhielt Seiko insgesamt 226 Genauigkeits-Zertifikate für Uhrwerke, die das Observatorium Neuenburg nach strengen Regeln geprüft hatte. Am Zifferblatt tragen die Exemplare die Aufschrift Astronomical Observatory Chronometer Officially Certified. Eine der seltenen Seiko Astronomischer Chronometer Uhren gehörte Hans Kocher.

von | 31.10.2022

Große Präzision mit Tradition

Nach Toko muss reisen, wer, mit dem Modell Seiko Astronomischer Chronometer, eine ganz besondere Armbanduhr aus der durchaus illustren Präzisionsgeschichte des Hauses Seiko mit eigenen Augen sehen möchte. Das Exponat befindet sich seit kurzem im neuen Seiko Museum im Einkaufsviertel Ginza. Selbstverständlich ist der Eintritt dort frei.

 

Seiko Museum Tokio

Uhrengeschichte auf fünf Etagen: Seiko Museum Tokio Ginza

Der neu in die Sammlung aufgenommene astronomische Chronometer, in dem das Handaufzugskaliber 4520A tickt, verkörpert das Seiko Thema „Große Präzision“ in ganz besonderer Weise, obwohl von Grand Seiko zumindest per Signatur keine Rede ist.
1960, als die erste Grand Seiko (mehr zur Grand Seiko Gründung gibt es hier zu lesen) das Licht der Welt erblickte, endeten just in Japan die offiziellen Genauigkeitswettbewerbe.

Seiko Observatoriums-Chronometer Hans Kocher von 1969

Zurück aus der Schweiz: Seiko Astronomischer Observatoriums-Chronometer, 1969, aus dem früheren Eigentum von Hans Kocher

Als nachgerade genialer Vater wollte Tsuneya Nakamura die Leistungsfähigkeit seiner Grand Seiko gleichwohl unter Beweis stellen. Daher entwickelte Suwa Seikosha im Gegensatz zu Daini Seikosha im Jahr 1960 ein internes, sehr aufwändiges Testsystem für Uhrwerke. Voraussetzungen zur Durchführung der akribischen Genauigkeitsprüfungen waren viel Zeit, Geschick und vor allem entsprechende Fachkenntnisse. Die gewählten Kriterien korrespondierten im Großen und Ganzen mit denen der Schweiz. Diese Normen erfüllten die Grand-Seiko-Produkte.

Grand Seiko 1960 Kaliber 3180 und Tsuneya Nakamura

Die erste Grand Seiko von 1960. Tsuneya Nakamura von Suwa Seikosha, wo das Handaufzugskaliber Kaliber 3180 entstand und die Uhren ausgiebig getestet wurden.

Im Zuge der Genauigkeits-Initiative wurde der spätere Seiko Epson-Präsident auch auf die jährlichen Chronometerwettbewerbe des Observatoriums Neuchâtel aufmerksam. Der weltgewandte Japaner und sein Team beschäftigten sich intensiv mit dem umfassenden Reglement. Als fernöstliche Mitbewerber gingen ab 1964 tickende Erzeugnisse der 1959 gegründeten Suwa Seikosha (heute Seiko Epson) an den Start. Die ersten Werke, Suwa Superellipse S-36, kamen jedoch nicht über einen enttäuschenden 144. Platz hinaus. Überdies erlangte keiner der japanischen Kandidaten das Prädikat Chronometer.

Suwa Seikosha Wettbewerbskaliber S-36

Wettbewerbskaliber S-36 von Suwa Seikosha, 1964

Nach der Devise „jetzt erst recht“, gingen beide Fabriken, die der Familie Hattori gehörten, also auch ältere Daini Seikosha im Tokioter Kameido-Viertel der misslichen Sache gemeinsam auf den Grund. Gründliche Recherchen ergaben, dass die Misserfolge wohl nicht aus schlechter Qualität in punkto Konstruktion, Fertigung oder Regulierung resultierten, sondern aus der Flugreise von Japan in die Schweiz. Unterwegs erfolgte offenbar eine Magnetisierung der Unruhspiralen. Auch andere Einflüsse beeinträchtigten die ursprünglichen Gangleistungen. Abhilfe schafften u.a. Experimente mit amagnetischen Werkstoffen und die Entwicklung spezieller Transportgehäuse. Durchaus beflügelnd wirkte auch die von der Familie Hattori ganz bewusst herbeigeführte Wettbewerbssituation zwischen den beiden Schwestern.

Daini-Suwa-Seikosha-Wettbewerbskaliber-1967

Wettbewerbskaliber von Daini und Suwa Seikosha, zweite Hälfte der 1960-er Jahre

Seiko Chronometer

1965 erhielten drei Seiko Werke den Titel Chronometer. Für mehr als einen 114. Rang reichte es dennoch nicht. Immerhin konnte Daini Seikosha einen ehrenvollen sechsten Platz in der Gesamtwertung aller Hersteller erringen. 1966 qualifizierten sich bereits 32 Werke. Das bestbewertete Kaliber belegte Rang neun.
In der Herstellerwertung kletterte Daini Seikosha auf den dritten Platz. 1967 ging es weiter nach oben. Unter insgesamt 62 eingereichten Werken mit festgestelltem Chronometerstatus belegte eines der ungewöhnlich geformten Daini Seikosha „Kartoffel“-Kaliber 052 den vierten Rang. Im Wettbewerbsranking erreichten Daini Seikosha und Suwa Seikosha die Plätze zwei und drei.

 

Seiko Resultate Observatorium Neuchatel 1966-1967

Seiko Resultate beim Observatorium Neuchatel 1966-1967, Auszug aus der Liste

Dani Seikosha Werk 052 688 Kartoffelkaliber

Daini Seikosha Werk 052 688, Gangzeugnis Neuchatel 1967

1967 endeten in Neuchâtel die Genauigkeitswettbewerbe für mit extrem hohem Aufwand getunte mechanische Uhrwerke. 1968 fand in Neuenburg zwar noch eine Prüfung statt. Aber kurz nach Beginn der 45-tägigen Tests kam es zum Abbruch. Schnell kursierte das Gerücht, die Schweizer wollten einen Sieg der japanischen Konkurrenz verhindern.

Die Wahrheit war jedoch eine ganz andere: Gegen die ebenfalls eingereichten Quarzwerke hatte die gute alte Mechanik schlichtweg keine Chance. Genau das hatten die Prüfer der Neuenburger Sternwarte erkannt und in dem Sinn, dass sich Äpfel nicht mit Birnen vergleiche lassen, einem unfairen Wettbewerb vorgebeugt. Nach dieser weisen Entscheidung schickte Seiko seine Uhrwerke zum Genfer Observatorium, wo Suwa Seikosha mit dem fünfeckigen Hochfrequenz-Kaliber R-67 im Jahr 1968 tatsächlich einen Sieg erringen konnte. Und zwar auf dem Gebiet der Mechanik.

Gangscheine fuer Seiko Chronometer 1967 Neuchatel und 1968 Genf

Zertifikate für Seiko Chronometer: 1967 Neuchatel und 1968 Genf

Die ersten drei Ränge belegten quarzgesteuerte Prototypen des Centre Electronique Horloger (CEH). Plätze vier bis zehn gingen an Suwa-Seikosha. Das beste mechanische Exemplar des Wettbewerbs errang 58,19 Punkte. Bei einer Berechnung nach dem Neuenburger N-Score-System hätte sich eine Punktzahl von 1,33 ergeben. Und die bewegte sich deutlich unter dem bisherigen Rekord für mechanische Uhren. Im Wettbewerb des Genfer Observatoriums lag die zuvor erreichte Bestmarke bei 56,42. Erzielt hatte sie Omega im Jahr 1967. In Neuchâtel verlegte man sich auf offizielle Chronometerprüfungen nach strengen Normen. Und davon machte Seiko regen Gebrauch.

Seiko Observatoriums Chronometer Hans Kocher 1969 VS RS

Seiko Observatoriums-Chronometer aus dem früheren Eigentum von Hans Kocher, 1969

Seiko Astronomischer Chronometer

Zunächst sandte Daini Seikosha insgesamt 103 Exemplare seines Hochfrequenz-Handaufzugskalibers 4520 zur 45 Tage währenden Genauigkeitsprüfung nach Neuenburg. 30 davon verfehlten die Qualifikation und 73 kehrten zertifiziert zurück nach Japan. Dort bekamen sie ein Goldgehäuse im Stil der Epoche sowie ein Zifferblatt, das unübersehbar von der erreichten Präzision kündete. Die 1968 abgeschlossene Entwicklung des bis 1974 produzierten Handaufzugskalibers 4520A resultierte aus den positiven Erfahrungen des Hauses Seiko mit fünf Hertz Unruhfrequenz oder stündlich 36.000 Halbschwingungen.

 

Uhrwerk der Seiko Observatoriums Chronometer Hans Kocher von 1969

Seiko Observatoriums-Chronometer, Handaufzugskaliber 4520A, 1969

Damals waren die prinzipiell konkurrierenden Schwestern Daini und Suwa Seikosha mit unterschiedlichen Hochfrequenz-Uhrwerken präsent. Neben dem 3,5 mm hoch bauenden Daini Seikosha 4520 mit 25,94 mm Durchmesser gab es die von Suwa Seikosha hergestellte Kaliberfamilie 61xx Automatic.

Grand Seiko Hi-Beat Automatic Kal. 6145 1968

Grand Seiko Hi-Beat Automatic, Kaliber 6145, 1968

Grand Seiko (Suwa Seikosha) Automatikkaliber 6145

Grand Seiko Automatikkaliber 6145, hergestellt von Suwa Seikosha

Beide fanden sich auch in Seiko Armbanduhren mit der Zusatzsignatur Grand Seiko. Teilweise trug nur die Aufzugs- und Zeigerstellkrone ganz diskret das GS-Logo. Hinsichtlich der Regulierung eingeschalter praktizierte Grand Seiko übrigens drei unterschiedliche Standards. Die Klasse GS 2A für konventionelle Grand Seiko Modelle musste eine tägliche Rate von – 3 bis + 5 Sekunden erfüllen. Höhere Genauigkeit verlangte GS 3A mit -/+ 3 Sekunden pro Tag.

Grand Seiko VFA 1969 Kaliber 4580

Spitzenklasse in Sachen mechanischer Präzision: Grand Seiko VFA, Kaliber 4580, 1969

Die absolute Spitze in Sachen mechanischer Präzision, welche auch beim Observatorium-Chronometer angewandt wurde, verkörperte V.F.A. Die drei Buchstaben meinen Very Fine Adjusted und verlangen dem ausgesuchten Regleur eine maximale Gangabweichung von -/+ einer Sekunde pro Monat ab. Das erreichten die Suwa-Automatikkaliber 6185 und 6186 sowie die Daini Seikosha 4580, ein optimiertes 4520.

Hans Kocher (Mitte) Seiko Astronomischer Chronometer 4520A

Hans Kocher, technischer Direktor bei der Büren Watch SA (Mitte) und sein goldener Astronomischer Chronometer von Seiko

Seiko Chronometer

Zurück zum Astronomischen Observatoriums Chronometer von Seiko. Alle 73 Exemplare fanden 1969 ihren Käufer. Einer davon war Hans Kocher von Büren Watch, dem bzw. der die Entwicklung flacher Mikrorotor-Automatikkaliber zu verdanken ist. In dessen Besitz blieb sie bis zu seinem Tod im Jahr 1999. Seine Familie boten die Uhr 2021 dem Seiko Museum an. Dort ist sie, wie gesagt, zu bewundern.

Bei den 73 Uhren blieb es nicht. 1969 und 1970 ließ Seiko in Neuchâtel weitere 25 bzw. 128 V.F.A Uhrwerke vom Kaliber 4580 zertifizieren. Unter dem Strich gibt es also 226 Armbanduhren mit strengem Observatoriums-Zertifikat. Auf dem Zifferblatt findet sich die Zahl 4520.

Seiko Astronomischer Chronometer

Werbung für den goldenen Seiko Astronomischer Chronometer 4520A von Seiko. Preis 180.000 Yen

Wer sich einen geprüften Seiko Astronomischer Chronometer Zeitmesser der Referenz 4520-8020 ans Handgelenk schnallen wollte, musste tief in die Tasche greifen. 180.000 Yen verlangte Seiko damals für einen der Seiko Präzisions-Chronometer. Gehäuse, Krone, Zifferblatt, Indexe und Zeiger bestanden hierbei aus massivem Gelbgold. Der Betrag entsprach etwa dem Fünffachen einer normalen Grand Seiko. Und die war in Japan ebenfalls schon reichlich teuer.

Grand Seiko 61GS 1968

Grand Seiko 61GS im Seiko Katalog 1968

Seiko 5 Automatik 1968

Seiko 5 Automatik im Seiko-Katalog 1968

Ab 37.000 Yen gab es 1968 eine Grand Seiko 61GS mit automatischem Aufzug. Weniger als ein Drittel davon kostete die Seiko 5 Automatic. Die konnte sich ein japanischer Staatsangestellter mit monatlich 25.000 Yen Anfangsgehalt schon eher leisten.

Grand Seiko 45GS

Grand Seiko 45GS ohne Schweizer Chronometer-Zertifikat

Stellt sich abschließend die Frage, ob Grand Seiko im Zuge ihrer Wachtsums- und Internationalitätsstrategie nicht ein goldenes Grand Seiko Astronomischer Chronometer Retromodell auf den Markt bringen sollte, dessen Optik mit feinem Leinenfinish dem des Observatoriums-Chronometers weitgehend entspricht. Ein aktuelles Hangaufzugswerk gäbe es bereits in Gestalt des 9S64. Um den Verkauf einer sollten Armbanduhr müsste sich Grand Seiko auch keine Gedanken machen.

Im Monat Juni 2022 haben wir beispielsweise in Europa 15 Prozent unseres Umsatzes mit Armbanduhren über 50.000 Euro Publikumspreis gemacht. Ich denke, diese Zahl spricht für sich.

Frédéric Bondoux

Geschäftsführer, Grand Seiko Europe

Kommentare zu diesem Beitrag

1 Kommentar

  1. Danke für diesen kostbaren Beitrag!

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