Ein Lob dem Handaufzug
Genau genommen handelt es bei mechanischen Uhren wie etwa der Nomos Tangente um mehr oder minder große Maschinen zum Messen der Zeit. Mechanische Uhren sind seit dem 13. Jahrhundert bekannt und im Jahr 1571 fand ein erstes Exemplar ans Handgelenk. Und zwar jene Uhr der englischen Königin Elizabeth I. Nachhaltige Fortschritte in der Konstruktion der Uhren sind in der Folgezeit dem Uhrmacher Christiaan Huygens zu verdanken. 1674 erfand der Holländer das gangregelnde Paar aus Unruh und Unruhspirale. Konsequente Materialforschung sowie ein breites Spektrum unterschiedlicher Optimierungen führten in den folgenden Jahrzehnten zu bemerkenswerter Zuverlässigkeit und Ganggenauigkeit. Übrigens haben schlaue Köpfe errechnet, dass zum Messen des kostbarsten Guts der Menschen ein Milliardstel PS völlig ausreicht.
Der dafür nötige Kraftstoff lässt sich sozusagen im Handumdrehen ohne negative Auswirkungen auf die Umwelt erzeugen. Beim manuellen Aufzug von Armbanduhren scheiden sich die Geister. Manche lehnen ihn im Automatik-Zeitalter konsequent ab, andere lieben es, nach dem Aufwachen zu ihrer Armbanduhr greifen und lrdiglich durch ein paar Drehungen an der Krone Energie für 24 Stunden oder mehr erzeugen zu können.
Glashütter Signatur mit Vergangenheit
Zu den unbestrittenen Handaufzugs-Klassikern unserer Tage gehört jene puristische Nomos Tangente, welche 2022 ihren 30. Geburtstag feiern kann. Von kosmopolitischem Charme war Glashütte nach dem Fall der Deutschland jahrzehntelang trennenden Mauer weit entfernt. Daran hat in den anschließenden Jahren auch die Entwicklung zum Uhrenmekka nichts geändert. Weil West-Fernsehen nicht zu empfangen war, bezeichnete man das das Müglitztal, in dem die sächsische Kleinstadt liegt, sogar als „Tal der Ahnungslosen“. Genau dort bescherte Roland Schwertner 1991 der so genannten Piratenmarke Nomos Glashütte eine Renaissance.
Besagter Name reicht zurück bis ins Jahr 1906, als Clemens Guido Müller und sein Schwager Karl Nierbauer einen Import und Vertrieb Schweizer Uhren mit der imageträchtigen Zusatz-Signatur Glashütte starteten. Weil das dem alteingesessenen Uhr-Establishment überhaupt nicht passte, erhob es Klage. 1910 endete das erste Kapitel der Nomos-Biographie mit einem Vergleich.
Trotz holpriger Anfänge zum Erfolg
Mit ähnlichen Problemen musste anfangs auch der EDV-Spezialist Schwertner kämpfen. Gleichwohl entwickelte sich die optisch auf das unabdingbar Notwendige reduzierte Tangente ab 1992 zu einer Art Nomos-Synonym. Gestalterisch huldigt die Ikone dem 1922 formulierten Postulat des Bauhaus-Gründers Walter Gropius: „Kunst und Technik, eine neue Einheit“. Sie basiert auf einem Entwurf der Designerin Susanne Günther, welche sich ihrerseits an einer ähnlichen Armbanduhr aus den 1930er-Jahren orientiert hatte.
Unzählige Auszeichnungen und schätzungsweise mehr als 35.000 verkaufte Nomos Tangente Exemplare belegen, dass alle Beteiligten irgendwie richtig lagen. Natürlich brauchte es für die tickende Debütantin ein passendes Uhrwerk. Nicht zu groß und nicht zu dick. Aber so etwas gab es in Sachsen nicht. Hingegen hatte die Schweizer Eta das 1971 lancierte und im Zuge der Quarz-Revolution vorübergehend eingestellte Peseux 7001 wieder im Programm. Für dessen Zuverlässigkeit sprach allein schon die Tatsache, dass das vom 10½-linigen Handaufzugswerk mit 23,3 mm Durchmesser und 2,5 mm Höhe bis dahin mehr als 2,2 Millionen Stück entstanden waren. Den intendierten Hauch Nostalgie brachte der kleine Sekundenzeiger bei „6” mit sich.
Evolution mit manuellem Aufzug
Mit dem spontan einsetzenden Erfolg der 36 Millimeter messenden und für umgerechnet rund 500 Euro wohlfeilen Edelstahl-Tangente wuchsen verständlicher Weise auch die Ansprüche. Der eidgenössischen Standardware überdrüssig, entwickelte Nomos unter der Bezeichnung 1 T eine aufgewertete Version. Zu ihren Kennzeichen gehörten unter anderem matt vergoldete Platine, Brücke und Kloben. Aus unvernickeltem Stahl fertigte das sächsische Start-up die Schrauben. Als Zeichen ausgeprägter Liebe zum Detail präsentierten sich u.a. Kanten-Anglierung, Sonnenschliff auf Sperr- und Kronrad sowie Triovis-Feinregulierung. Eine spezielle Zugfeder für etwa 43 Stunden Gangautonomie rundete das Modifikationen-Spektrum ab.
Der aus 99 Komponenten assemblierten Version 1 TS war auch ein Unruhstopp zu Eigen. Nach und nach folgten weitere Evolutionsstufen. 2001 ging das 1 TSD mit digitalem Fensterdatum auf separater Kadratur an den Start. 2003 brachte das in zwei Varianten hergestellte 1 TSP mit Glashütter Dreiviertelplatine. Sein Kronrad wurde entweder mit einer zentralen Schraube befestigt oder in Analogie zum alten Peseux 7001 von zwei Schrauben gehalten.
2004 stand im Zeichen des 1 TS Super 30, welches neben einer individuellen Nummer erstmals den griechischen Buchstaben α für Alpha auf der nun von Nomos selbst gefertigten Platine trug. Ab dem Folgejahr 2005 glänzte Nomos durch die eigenständige Fertigung des gesamten Gestells inklusive der signifikanten Glashütter Dreiviertelplatine.
Das seitdem erhältliche Einsteigerkaliber mit weiterhin drei Hertz Unruhfrequenz machte Nomos Glashütte endgültig zu einer Uhrenmanufaktur, die den Namen in jeder Hinsicht verdient. Mehr dazu findet sich hier im Uhrenkosmos.
Nomos Tangente
Natürlich ging mit besagter Mechanik-Aufwertung auch eine Anpassung der Publikumspreise einher. Aktuell kostet die bis drei bar wasserdichte Nomos Tangente 101 mit 35 Millimetern Gehäusedurchmesser 1.460 Euro. Wer das feine Manufakturkaliber Alpha durch einen Saphirglas-Sichtboden betrachten möchte, bekommt für 1.660 Euro die Referenz 139. Das Schöne daran: Am fortentwickelten Innenleben erfreuen sich primär die glücklichen Besitzerinnen und Besitzer.
Der Auftritt des weiterhin bezahlbaren Glashütter Klassikers am Handgelenk, also die Optik von Zifferblatt, Zeigern und Gehäuseform hat sich nämlich im Laufe von 30 Jahren nicht geändert. Die Nomos Tangente blieb und bleibt sich treu. Und sie wird es auch in den kommenden Jahren tun. Wer Nomos und die dort Verantwortlichen kennt, weiß um das dortige Traditionsbewusstsein.
Glückskauf 2020
Vollends glücklich kann und darf sich schätzen, wer 2020 eine der auf dreimal 175 Exemplare limitierten Nomos Lambda 175 Jahre Uhrmacherei Glashütte, Referenz 960.S1, 960.S1 oder 960.S1 mit Stahlgehäuse und dem Handaufzugskaliber DUW 1001 für 5.800 Euro erworben hat. Der Uhrenkosmos berichtete ausführlich darüber.
Innerhalb eines Jahres kletterte der Parallelmarkt-Preis für diese Armbanduhr auf mehr als 7.500 Euro. Aktuell steigt die Kurve sogar noch weiter nach oben. Trotzdem ist das Angebot beispielsweise auf Chrono24 extrem niedrig. Die Käuferinnen und Käufer wissen, dass sie viel Wert für ihr Geld bekommen haben.
Autor Gisbert L. Brunner
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