Blick in die Angelus Geschichtsbücher
Produktvielfalt und Technik, wie beim Modell Angelus Medical Chronograph gehörte zu den besonderen Stärken von Angelus, einer Uhrenmanufaktur, welche die Brüder Albert und Gustave Stolz 1891 ins Leben riefen. Zum Firmensitz hatten sie das aufstrebende Jurastädtchen Le Locle auserkoren.
Bereits 1914 bedachte die Jury der Schweizerischen Landesausstellung in Bern das Haus Angelus mit einem Grand Prix. Die Kollektion umfasste zu jenem Zeitpunkt schon Taschen- und Armbanduhren, darunter auch solche mit Zusatzfunktionen.
1942 trat das Unternehmen mit einem eigenen Schaltrad-Chronographen fürs Handgelenk auf, dessen Besonderheit in einem Zeigerdatum und einer digitalen Wochentagsindikation bestand. Mit dem erst Angelus Chronodate genannten und dann recht schnell in Angelus Chronodato umgetauften Newcomer punktete der Uhrenhersteller als echter Trendsetter, denn Armband-Chronographen mit Datums- und Wochentagsanzeige gehörten damals noch zu den Ausnahmeerscheinungen.
Anschließend erwies sich speziell diese Armbanduhr in verschiedenen Gehäuse- und Zifferblattausführungen als wichtiger Umsatzträger der Manufaktur.
Ganz im Gegensatz dazu ließ sich ein ambitioniertes Projekt in den 1950-er Jahren an. Da nämlich wagte sich Angelus an die Entwicklung einer exklusiven Automatik-Armbanduhr mit Viertelstunden-Repetition. Von dieser Weltpremiere auf der Basis des AS-Kalibers 1580 erhofften sich die Verantwortlichen neue Impulse. Allerdings kam die Konstruktion mit zifferblattseitig montiertem Schlagwerksmodul über das Versuchsstadium niemals hinaus. Zur Auslotung der Marktchancen entstand 1957 der so genannte Angelus Tinkler zunächst in einer Kleinserie von 100 Stahl-Exemplaren. Und dabei blieb es letztlich auch, weil sich der Erfolg aufgrund des relativ hohen Preises von rund 300 Schweizerfranken in engen Grenzen hielt. Dieses Faktum macht besagte Repetition zu einem ausgesprochen interessanten Sammlerstück.
Angelus allerdings stürzte die kostspielige und am Ende verlustreiche Kreation in finanzielle Turbulenzen. Selbige dürften ein Grund dafür gewesen sein, dass Angelus Anfang der 1960-er Jahre unter der Ägide von André, dem bereits 1926 in die Unternehmensleitung aufgenommenen Sohn von Albert Stolz, die Produktion eigener Uhrwerke einstellte. Damit endete auch die Geschichte der Chronographenkaliber 215, 216 und 217.
Angelus Medical Chronograph
Folglich beseelt den ebenfalls sehr gesuchten Medical Chronograph eine modifizierte Version des 32,6 mm großen und 6,4 mm hoch bauenden Kaliber 22 von Valjoux. Hiervon entstanden im Zeitraum von 1914 bis 1966, als Valjoux die Herstellung stoppte, exakt 129.010 Exemplare. In der Standardausführung besitzt dieses Handaufzugskaliber eine Permanentsekunde bei „9“ sowie einen 30-Minuten-Totalisator gegenüber bei „3“. Bis Ende der 1930-er Jahre verfügte das Werk nur über einen 3-Funktionen-Chrono-Drücker. Selbiger war in die Krone integriert. Start, Stopp und Nullstellung erfolgten also zwingend aufeinander. Additionsstoppungen gestattete erst die in den 1940-er Jahren lancierte 2-Drücker-Version. Für den um 1960 am Markt eingeführten Medical Chrono verwendete Angelus letztgenannte Ausführung das Kaliber Valjoux 22.
Bei ihm entfernten die Uhrmacher zum einen das Zählwerk für die Minuten, denn der zugehörige Zeiger und das zugehörige Feld im Zifferblatt wäre den beiden logarithmischen Skalen zur Messung der Puls- und Atemfrequenz im Wege gewesen. Andererseits brauchte es den Totalisator für diese Armbanduhr auch nicht wirklich. Gleiches gilt für den separaten Nullstelldrücker.
Mit Blick auf die beiden medizinischen Zusatzfunktionen des Angelus Medical ergibt die Verwendung nur eines 3-Funktionen-Drückers durchaus Sinn. Nicht zuletzt auch mangels Zähler gehören Additionsstoppungen nicht zum Aufgabenspektrum dieses Chronographen. Also ließ Angelus, wie die Fotos zeigen, im Zuge der Valjoux-22-Modifikation auch den jenen Nullstellhebel entfernen, auf den der zweite Drücker unmittelbar einwirkt.
Bei späteren Ausführungen dieses Chronographen verwendete Angelus, aus welchen Gründen auch immer, das Kaliber Valjoux 22 mit zwei Drückern aber weiterhin ohne Zähler. Die solcherart ausgestattete und deutlich seltener am Markt vertretene Referenz 10 A 25 findet sich im Angelus Jubiläumskatalog von 1966.
Das Lupenglas macht den Unterschied
Zu den Besonderheiten dieser Armbanduhr mit 35 Millimeter messendem Stahlgehäuse gehört definitiv das spezielle Plexiglas. Seine einzigartige sektorförmige Linse von der „12“ zur „3“ erleichtert das Ablesen der Pulsschläge zwischen 150 und 45 pro Minute. Im Gegensatz zu anderen Zeitmessern mit Pulsometerskala müssen die Nutzer des Angelus Medical Chronographen nach dem Starten lediglich zehn Pulsschläge zählen. Der Rest geschieht durch Hochrechnen. Ihren Tribut erfordern das schnellere Agieren und die deswegen auf 90 Bogengrade gestauchte Skala durch etwas geringere Messgenauigkeit.
Speziell durch die Lupe, welche stark zum ungemeinen optischen Reiz und letztlich auch zum permanent steigenden Preis dieses Vintage-Stoppers beiträgt, wird das ebenfalls vorhandene Asthmometer gerne übersehen. Schließlich rechtfertigt erst das Vorhandensein mehrerer Messfunktionen die Verwendung des Modellnamens Medical. Mit dem Begriff können in der Regel nur medizinische vorbelastete Menschen etwas anfangen. Konkret verknüpft sich Asthmometer mit dem griechischen Begriff asthma. Auf gut Deutsch spricht man bekanntlich von Kurzatmigkeit. Folglich verbirgt sich hinter der zweiten Zusatzskala am Zifferblatt ein Hilfsmittel zum raschen Ermitteln der Atemfrequenz pro Minute.
Ein gebogener Pfeil weist unübersehbar auf die kleinen roten Zahlen von 40 bis 10 hin. Wie die Beschriftung erkennen lässt, heißt es nach dem Starten des zentralen Stoppzeigers 5 Atemzüge zählen. Dann weist eine Spitze auf den gemessenen Wert hin. Pro Minute vollziehen gesunde Erwachsene durchschnittlich zwischen 12 und 16 Atemzüge.
Alternativen
Als Alternativen zum ausgesprochen seltenen und deswegen aktuell in gutem Zustand unter 10.000 Euro kaum noch erhältlichen Original Medical Chronographen bietet sich Ähnliches mit den Zifferblatt-Signaturen Vernal und Paul Portinoux an. Angelus fertigte sie ohne die berühmte Lupe als Private-Label-Armbanduhren. Vernal hatte sich Henrique Pfeffer schützen lassen. In Caracas, Venezuela, verdingte er sich als Juwelier und Importeur von Zeitmessern der Manufaktur Universal Genève.
Die Signatur Paul Portinoux nutzte hingegen Adolf Schwarcz, ein nach New York emigrierter Ungar für seine Angelus Watch. Er bezog von Angelus auch eine reine Pulsometer-Ausführung ohne Asthmometer-Skala. Dafür besaßen die Armbandstopper bei „3“ den üblichen 30-Minuten-Zähler. Das Geschäft des Fremd-Labelns war damals an der Tagesordnung, wenn nur die angenommenen Stückzahlen stimmten. Allerdings verlangten die Kosten fürs Herstellen der geätzten Stahlplatte zum individuellen Bedrucken des Zifferblatts nach der Mindest-Abnahme von vier Zwölferschachteln, also 48 Exemplaren.
Wirkliche Freaks schwören freilich auf den einzigartigen Medical von Angelus. Nur bei späteren Ausführungen dieser Hingucker-Armbanduhren findet sich die Modellbezeichnung am Zifferblatt direkt unter dem Markennamen.
Ob ausgestattet mit einem oder zwei Drückern, spielt beim Suchen nach der wirklich raren Armbanduhr eine eher untergeordnete Rolle. Viel wichtiger sind kritische Blicke auf das Plexiglas. Das Fehlen der langgestreckten Lupe mindert den Wert ganz beträchtlich. In Ermangelung passender Ersatzteile erfolgte der Austausch stark verkratzter Scheiben schlichtweg durch Standardware ohne dieses Merkmal.
Ende und Neubeginn von Angelus
1976 endete die Geschichte der ursprünglichen Angelus SA. 1977 folgte eine wenig ruhmreiche Fortsetzung unter dem Dach der Evaco SA, Neuchâtel. Dort debütierte 1978 eine Handaufzugs-Armbanduhr mit 5-Minuten-Repetion. Die Entwicklung des im Durchmesser recht großen Repetitions-Mechanismus auf der Vorderseite des Kalibers Eta 2801 hatte die Firma Kelek 1975 beim anerkannten Mechanik-Spezialisten Dubois-Dépraz im Vallée de Joux in Auftrag gegeben.
Das Aus für die traditionsreiche Signatur Angelus konnte jedoch auch dieser Zeitmesser nicht verhindern. Die Quarz-Revolution verlangte nach Opfern, und bekam sie auch. Eines davon hieß Mitte der 1980-er Jahre definitiv die Uhrenmarke Angelus. 2015 erfolgte eine Wiederbelebung des Namens durch die zur japanischen Citizen-Gruppe gehörende Manufacture La Joux-Perret in La Chaux-de-Fonds.
Autor Gisbert L. Brunner
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