Chrono Sapiens Thierry Stern

Thierry Stern: Ich kann nicht glücklich sein, wenn Leute enttäuscht sind!

Im exklusiven Uhrenkosmos-Interview spricht Thierry Stern, Präsident der Familienmanufaktur Patek Philippe, über das abgelaufene Jahr 2022, die große Verantwortung für die Marke, seinen persönlichen Spielraum in der Gestaltung wie seinen Wunsch, die Zukunft erfolgreich für kommende Generationen zu gestalten. Ein besonderes Interview, das aufzeigt, was Patek Philippe so besonders macht.

von | 21.07.2023

Uhren im Zeichen des Booms

Gisbert L. Brunner: Hand aufs Herz! Stimmt es Sie Thierry Stern zufrieden, wenn Patek Philippe, wie während der Watches & Wonders 2023 geschehen, bemerkenswerte Uhr-Innovationen lanciert, die Reaktion der Community positiv und die Nachfrage gewaltig ist, Sie aber nicht liefern können? Ist es ein gutes Gefühl, rund 70.000 Uhren pro Jahr zu produzieren, die eine schätzungsweise dreifache Zahl an Liebhaberinnen und Liebhabern kaufen möchte? 

Thierry Stern: Nein. Ich kann nicht glücklich sein, wenn die Leute enttäuscht sind. Aber was kann ich tun? Es tut mir leid, dass ich nicht mehr produzieren kann, denn ich habe nicht die Kapazität, ich habe nicht die nötigen Mitarbeitenden.

Jean-Frederic Dufour, seines Zeichens CEO von Rolex, hat mir gesagt, dass er jetzt bis zu 500 Uhrmacher ausbilden wird.  

Das hat er mir auch gesagt, ja.

Was denken Sie darüber? Ist das möglich? 

Es kommt darauf an, auf welcher Ebene. Reden wir von Werksmontage oder sind es 500 Uhrmacher, die irgendwann bereit sind, Jahreskalender, ewige Kalender oder Chronographen zu assemblieren. Dann ist das ein ganz anderes Segment.

2022 war das beste Jahr, welches die Schweizer Uhrenindustrie je erlebt hat. Ich denke, dass das auch auf Patek Philippe zutrifft.

Es war in der Tat ein gutes Jahr. War es ein Rekordjahr? Sagen wir mal ja. Aber es ist auch schwierig, denn es war für viele Unternehmen eines der besten Jahre. Auch, weil das Werbebudget niedriger war. Keine oder weniger Party, nicht dies, nicht das. Natürlich waren die Ausgaben geringer. Ja, sicher war das Endergebnis besser. Ohne sie war die Dividende sicherlich fantastisch.

Glauben Sie, dass sich dieses Wachstum in den nächsten Jahren fortsetzt?

Nun, ich denke, dass viele Menschen mechanische Uhren mögen und einen großen Respekt vor dieser Art von Arbeit haben. Das besonders in einer Welt, in der man mit der Fernbedienung des Fernsehers oder mit dem iPhone kämpfen muss, mit all diesen Apps, die immens kompliziert. Am Ende des Tages ist man dann froh, eine schöne mechanische Uhr zu besitzen, welche man versteht und leicht handhaben kann.

Schön und trotz Komplikation immer noch relativ einfach

Ja, sie ist einfach, sie ist klar, und ich würde sagen, sie holt einen auf den Boden der Tatsachen zurück. Und ja, ich glaube, dass es für uns alle ein Wachstum gibt, nicht nur für Patek. Es gibt viele talentierte Uhrmacher, viele schöne Unternehmen. Und ich meine, es gibt viele Kunden, denen das gefällt. Und das gefällt mir. Für mich ist Wettbewerb sehr gut.

Patek Philippe Präsident Philippe Stern

Thierry Stern: "Es gibt viele talentierte Uhrmacher, viele schöne Unternehmen." Bild Copyright Patrick Möckesch

Hype und seine Folgen

Philippe Stern mochte den Hype um Patek Philippe Uhren nicht wirklich. Er schätzt Menschen nicht, die eine Uhr nur kaufen, um sie am nächsten Tag mit Profit zu verkaufen. Was denken Sie über die aktuelle Situation auf diesem verrückten und teilweise schizophrenen Markt? Einerseits gibt es viele Liebhaber, die ihre Uhren anhimmeln. Und auf der anderen Seite sind Flipper nur auf den schnellen Gewinn aus …

Thierry Stern: Finde ich das gut? Nein, ganz sicher nicht. Aber es ist auch ein Teil des Erfolgs. Für mich muss ich das akzeptieren. Genau wie mein Vater. Und eigentlich wie wir alle. Natürlich mögen wir es nicht, wenn jemand aus dem Laden kommt, die neueste Nautilus oder sogar eine schöne Minutenrepetition hat und sie für ein Mehrfaches seines Preises weiterverkauft. Nein, das gefällt mir nicht, und das ist nicht fair. Es ist nicht fair für den Einzelhändler, es ist nicht fair für uns als Hersteller. Und es ist nicht fair für den nächsten Kunden, der auch auf diese Uhr gewartet hat.

Andererseits ist es sehr schwierig, das zu kontrollieren. Deshalb sind wir bei Patek Philippe intern sehr vorsichtig, an wen wir die Uhr verkaufen wollen. Wir bitten auch die Einzelhändler, sehr vorsichtig zu sein, an wen sie verkaufen. Und für sie ist das nicht einfach. Denn sie haben Angst, zu verkaufen. Sie sagen, wow, wenn ich an die falsche Person verkaufe, dann wird Patek Philippe kommen. Es ist schwierig, das weiß ich. Aber das ist auch ein Teil des Jobs.

Thierry Stern

Thierry Stern: "Es ist nicht fair für den Einzelhändler, es ist nicht fair für uns als Hersteller." Bild Copyright Patrick Möckesch

Wären Sie unglücklich, der Parallelmarkt zusammenbräche und niemand mehr überhöhte Preise für Patek Philippe Uhren zahlen würde. Wenn wir wieder auf ein normales Niveau kämen. Stimmte sie das traurig?

Thierry Stern: Keinesfalls. Ich würde anders denken. Wenn das passieren würde, würde es mich nicht stören, weil ich neue Produkte entwickeln würde. Das ist der Punkt, an dem man weiß, dass man klug genug sein muss. Wenn der Markt aus irgendeinem Grund einbricht, ist das in gewisser Weise traurig, weil der Bekanntheitsgrad von Patek Philippe vielleicht verletzt wird. Unsere eigenen Gefühle werden möglicherweise verletzt.

Aber ich würde es nicht so hinnehmen. Ich würde sagen, okay Leute, es ist an der Zeit, ein noch besseres Produkt zu machen. So würde ich arbeiten. Wenn der Markt zurückgeht, bedeutet das, dass unsere Produkte nicht attraktiv sind. Wir müssen ein neues, attraktiveres Produkt entwickeln. Wir wissen zum Beispiel, dass man nach jeder Krise besser mit einem sehr starken Produkt kommt. Und darauf bin ich vorbereitet. Ich habe immer ein paar Produkte auf der Seite, für den Fall, dass so etwas passiert.

Wirklich?

Ja, wirklich.

Patek Philippe fertigt doch ohnehin starke Uhren. 

Nein, das sind die leichten Produkte. (Lachen) Nein, nein. Aber man muss einige von ihnen behalten, das ist sehr wichtig. Wenn der Sekundärmarkt rückläufig ist (mehr zur Preisentwicklung des Sekundärmarktes gibt es hier zu lesen), okay, das kann viele verschiedene Gründe habe. Okay, das passiert. Aber etwas Neues zu schaffen, das die Leute wieder verführt, das würde ich in solchen Situationen tun.

Gestaltet von Thierry Stern: Patek Philippe Aquanaut, Referenz 5060A, 1997

Kreation Thierry Stern: Patek Philippe Aquanaut, 1997

Design

1997 haben Sie die Aquanaut kreiert. Trotz aller Modernität entdeckt man darin Ihr subtiles Gespür für traditionelle Designs, für den klassisch geprägten Geist von Patek Philippe. Wie sind Sie zu dieser Kreativität gekommen? War es Ihr Vater, der Sie dorthin geführt hat?

Thierry Stern: Nein, das glaube ich weniger. Natürlich hatte ich das Glück, all diese schönen Uhren seit meiner Jugend immer wieder zu sehen. Ich denke, dadurch gelangte die DNA in meinen Kopf. Die Idee war ja immer die gleiche, nämlich dass wir mit Patek eine bestimmte Linie bewahren. Ich kann also nicht wirklich mit Gimmicks spielen. Man muss also die Vergangenheit studieren, um die Marke, die Form und auch das Uhrwerk wirklich zu verstehen. Und wenn man das tut, bekommt man im Laufe der Zeit eine bestimmte Linie im Kopf.

Eine Linie zeigt in zwei Richtungen, vor- und rückwärts

Für mich war und ist es wichtig, dass man sich immer weiterentwickeln muss. Es ist ein bisschen wie beim Porsche 911. Der ist im Grunde genommen immer noch derselbe, hat sich jedoch immer wieder weiterentwickelt. Und genau das versuche ich auch mit Uhren zu machen. Man muss etwas Neues schaffen, ohne dabei das Image der Marke und einer Linie zu zerstören. Bei der Calatrava-Linie weiß ich zum Beispiel, wie weit ich gehen kann. Es gehört zu meinem Job, an die Grenzen zu gehen, ja.

Wann oder wie erkennen Sie, dass die Grenze erreicht ist?

Der Grenze muss man sich vorsichtig nähern. Und dann gibt es eine rote Linie, die man nicht überschreiten sollte. Das Schöne, die Herausforderung und die Motivation, welche ich habe, besteht darin, dass ich immer am Rande der Grenze bin. Es ist nur deine eigene Ausbildung, die dich verstehen lässt, wie weit du gehen kannst.

Sie haben aus der eigenen Anschauung gelernt

Ich habe mir wirklich viele Uhren angesehen, wissen Sie. Ich habe viele, viele, viele Stunden gebraucht, um mir Museumsstücke und Bücher anzuschauen. Aber nur die von Patek. Kataloge anderer Marken schaue ich mir übrigens nie an. Es ist keineswegs so, dass ich sie nicht mag, aber ich möchte mich nicht beeinflussen lassen. Und so versuche ich, meine Uhren zu entwickeln.

Haben Sie bei der Kreation der Aquanaut je in Erwägung gezogen, eine Ikone zu schaffen, die bis weit in die Zukunft Bestand haben wird? 

Das würde ich so nicht sagen. Wenn man eine Uhr kreiert, weiß man grundsätzlich nie, ob sie ein Leader sein wird oder nicht. Bei mir war das vor 20 Jahren so. Heute spüre ich es durchaus. Ich kann einschätzen, diese Uhr wird ein großer Erfolg werden, und sie wird in der Kollektion bleiben, und es wird Modifikationen geben, sie wird auf Dauer bleiben. Oder diese Uhr wir ein kurzfristiger einmaliger Hit, und dann muss ich aufhören, weil es nicht etwas ist, das zu lange aufhalten sollte. Also, ja, heute weiß ich es. Es ist vielleicht anmaßend, das zu sagen, aber auch das ist nur eine Frage der Erfahrung. Also, ich spüre schon, dass ich alt werde.

Patek Philippe Präsident Thierry Stern

Thierry Stern: "Ich spüre schon, dass ich alt werde." Bild Copyright Patrick Möckesch

Thierry Stern

Das mit dem alt werden merke ich noch nicht. Als Genfer Familienunternehmen ist Patek Philippe heute in sehr hohem Maße unabhängig in Sachen Design, Produktion von Komponenten und Werken, Gehäusen und auch Zifferblättern. Welche Bedeutung hat diese Unabhängigkeit angesichts der oft genannten Lieferkettenprobleme?

Uns geht es nicht um 100-prozentige Unabhängigkeit. Man kann nicht zu 100 Prozent unabhängig sein. Patek Philippe hat sich vor vielen Jahren dafür entschieden, wirklich außerhalb eines Konzerns zu bleiben, weil mein Vater an die Marke glaubte. Und das Ziel, alles zu vertikalisieren, war für uns ganz klar. Weil wir ein so hohes Qualitätsniveau erwarteten, dass es nicht möglich war oder ist, nur mit Zulieferern zu arbeiten, weil diese es so nicht erreichen können.

Ergo hatten wir keine andere Wahl, als bestimmte Produzenten zu kaufen, um jenes Qualitätsniveau zu erreichen, welches wir erwarten. Im Gegensatz zu Konzernen kauften wir nicht zu, um noch mehr Abteilungen im Hause zu haben. Uns ging es alleine um die von Patek Philippe benötigte und geforderte Qualität.

Gibt es Zukäufe, die Sie bereut haben?

Es war sehr klug, das so zu tun. Wir kaufen aber nicht alle Unternehmen komplett. Manchmal sind wir nur Anteilseigner neben Rolex, Richemont oder der Swatch Group. Wir müssen für uns herausfinden, welche der strategischen Unternehmen wir selbst besitzen müssen und welche nicht strategischen Firmen wir als Industrie gemeinsam brauchen und deswegen erhalten müssen.

Können Sie uns bitte ein Beispiel geben?

Ein einfaches Beispiel sind die Unruhspiralen. Alle Hersteller mechanische Uhrwerke benötigen solche. Wir mussten und müssen also sicher sein, dass diese Branche überleben wird. Deshalb haben wir alle darin investiert, deshalb funktioniert es heute. Es liegt also an Ihnen zu entscheiden, welche Firma Sie alleine haben wollen, weil sie strategisch ist, und welche Sie mit anderen teilen wollen. Dann muss man in sie investieren, weil sie von allen gebraucht werden.

Patek Philippe Referenz 6007G-001

Von Cadrans Fluckiger in Saint Imier: das Zifferblatt der neuen Patek Philippe Referenz 6007G-001

Zu Ihren Einkäufen gehört die renommierte Zifferblattfabrik Fluckiger. Wie wichtig ist es für Patek Philippe, bei diesem wichtigen Teil der Uhr unabhängig zu sein? 

Ich antworte in zweierlei Hinsicht. Die erste ist, dass wir in der Lage sind, eigene Zifferblätter zu haben. Nicht schnell, aber wenn ich sie bei einer anderen Fabrik bestellen müsste, könnte Patek Philippe nicht so viele Uhren herstellen, wie geplant. Die Lieferung verzögert sich, aus welchen Gründen auch immer. Das ist der erste Grund, warum wir uns damals für den Kauf von Cadrans Fluckiger entschieden haben. Denn wir wollten zwingend zum richtigen Zeitpunkt beliefert werden.

Und der zweite Grund?

Der bestand und besteht im Ausprobieren von Prototypen. Wenn es sich um eine eigene Fabrik handelt, kann man natürlich etwas mehr verlangen, kann man die Leute etwas mehr drängen. Es war immer mein Ziel, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an ihre Grenzen zu bringen. Das gilt auch für das Gehäuse, die Armbänder und sogar für die Schließe. Ich sage immer, hör zu, wir sind wie dieses kleine Kaninchen, ich nehme immer dieses Beispiel, weil es ein konkretes und einfaches ist. Damals gab es eine Werbung für eine Batterie namens Duracell. Und die Werbung mit Kaninchen war ziemlich lustig. Sie haben eine Trommel benutzt….

Daran erinnere ich mich sehr gut.  

Dort also gab es ein Kaninchen, das noch ein bisschen weiter ging. Und ich nehme das immer als Beispiel für Patek Philippe. So arbeite ich, das weiß jeder, weil es leicht zu merken ist. Gehen Sie noch ein bisschen weiter. Ist es wirklich schön, oder können wir es nicht doch noch besser machen? Versuchen wir es bitte. Wenn es nicht klappt, habe ich wieder etwas gelernt. Wenn es funktioniert, bin ich glücklich. Deshalb mache ich es ja auch so.

Bezogen auf Cadrans Fluckiger?

Fluckiger hat mir das ermöglicht, weil es heute mein Unternehmen ist. Als Eigentümer kann ich sagen, lasst es uns versuchen. Wenn es schief geht, akzeptiere ich den Verlust von Geld. Aber versuchen wir es. Denn das ist der einzige Weg, sich weiterzuentwickeln.

Patek Philippe Präsident Thierry Stern

Patek Philippe Präsident Thierry Stern: "Fluckiger hat mir das ermöglicht, weil es heute mein Unternehmen ist." Bild Copyright Patrick Möckesch

Führungsrolle

Bei Ihrem Vater Philippe Stern stand die Tür zu seinem Büro immer offen. Wie halten Sie es bei Patek Philippe? 

Genauso, weil ich das immer so erlebt habe. Wenn ich die Tür schließen müsste, wäre das sehr traurig. Man muss sie offenlassen, damit man die Mitarbeitenden sehen kann. Sie können kommen. Und ich denke, das ist sehr wichtig.

Ihr Vater ist mittlerweile nur noch im Firmenmuseum aktiv. Sind Sie heute der einsame Leiter von Patek Philippe?

Wenn es darum geht, Patek Philippe zu leiten, ist man nie allein, würde ich sagen. Und das finde ich sehr gut. Ich bin von professionellen Leuten umgeben. Sie alle sind die Hüter von Patek Philippe. Nicht ich. Selbst wenn ich morgen sterben würde, würde Patek Philippe weiterbestehen. Ich meine, all diese Menschen sind wirklich gut, sie wissen, was zu tun ist. Es wäre überhaupt keine Katastrophe.

Es ist also sehr wichtig zu sagen, dass man nie allein und emanzipiert sein kann. Das Team um einen herum ist auch der Lehrer und Beschützer. Sie arbeiten auch, um die DNA-Marke für das Publikum zu bewahren. Wir reden von einer Mischung. Ich bin die nächste Generation, mein Vater ist nicht mehr aktiv, aber ich arbeite immer noch mit dem Team zusammen, welches er zusammengestellt hatte. Es gibt vielleicht auch noch ein paar andere, natürlich. So funktioniert das bei Patek.

Man darf also nicht verrückt sein, weil die Leute es intern nicht erlauben, verrückt zu sein. Und ich denke, das ist sehr gut. Der Geist ist hoffentlich immer so offen, dass die Mitarbeitenden sagen können: Nein, Thierry, du liegst falsch, mach das nicht. Als Familienunternehmen ist es sehr wichtig, dass man sich auf die Leute verlassen kann, welche man kennt. Wenn man sagt: Ich bin der Eigentümer, ich mache, was ich will, dann ist das das Ende von Patek Philippe oder jeder anderen Marke.

Philippe Stern 2015 in seinem Genfer Büro

Ehrenpräsident Philippe Stern. Hier 2015 in seinem Genfer Büro

Ihr Vater hat tatsächlich losgelassen

Thierry Stern: Ich weiß nicht, ob Emanzipation das richtige Wort ist. Mein Vater sitzt mir nicht mehr im Nacken, aber er war stets ein sehr guter Berater. Und für mich habe ich viel von ihm gelernt, was sehr wichtig war.

Bezogen auf seine aktive Zeit erachte ich Ihren Vater als den besten CEO und Präsidenten bei Patek Philippe  

Ja, das stimme ich mit voll Ihnen überein. Er ist derjenige, der es wirklich geschafft hat, Patek Philippe so weit nach oben zu bringen, wissen Sie, mit seiner Vision, unabhängig zu bleiben und mit mechanischen Uhren zu arbeiten. Selbst in den 1970-er Jahren, als die Leute kein Vertrauen mehr in mechanische Uhren hatten. Die Vision war also da, das Geschäftsmodell war da. Mein Vater öffnete Patek Philippe für die Welt und übernahm den Vertrieb. Er hat also wirklich etwas sehr Beeindruckendes aufgebaut.

Wie verorten Sie sich da selbst?

Ich würde sagen, ich liege zwischen diesen beiden Typen. Aber mein Lieblingsteil ist immer noch das Produkt. Die Arbeit am Produkt und auch die Arbeit an der kommerziellen Seite. Ich weiß, wie man das macht. Ich weiß, wie man eine spezifische Markteinführung macht. Das ist etwas, das ich gelernt habe, und ich bin gut darin. Mit dem Rest bin ich nicht so gut, aber ich habe sehr professionelle Mitarbeitende um mich herum.

Als Marktführer in der Top-Uhrenindustrie sind Sie sehr fortschrittlich und denken folglich an die Zukunft …  

Ein echter Uhrmacher wird sich immer weiterentwickeln. Wie weit muss er gehen? Nun, je nach Marke muss man ein bestimmtes Niveau einhalten. Bei Patek Philippe zum Beispiel sind wir, würde ich sagen, auf diesem Niveau, was Qualität, Genauigkeit und Design angeht, kann ich keine Gimmicks machen, das ist nicht mein Gebiet. Aber ich kann mich weiterentwickeln, ich muss mich weiterentwickeln. Wenn ich in unsere Vergangenheit blicke, haben wir uns oft weiterentwickelt. Sogar die Krone wurde von Philippe entwickelt. Deshalb ist es für mich wichtig, immer weiter zu gehen, ohne Spielereien.

Ich verwende eine neue Technologie nur dann, wenn sie für die Genauigkeit und Langlebigkeit einer Uhr von Nutzen ist. Und flache Bauweise ist für mich auch sehr bedeutsam. Das also ist der Punkt, an dem wir uns weiterentwickeln. Aber ich werde mich niemals weiterentwickeln, nur um zum Beispiel ein ganzes Uhrwerk aus Silizium herzustellen. Ich wüsste nicht, warum. Das ist Marketing. Das ist also nicht das, was ich zu tun bereit bin.

Wie weit und wie schnell können Sie sich weiterentwickeln?

Das ist eine andere Geschichte. Das ist sehr schwierig. Nivarox brauchte zum Beispiel 160 Ingenieure, um die Hemmung zu entwickeln, ich weiß nicht, wie viele Jahre lang. Das ist also nichts, was man einfach so ändern kann. Die Entwicklung braucht Zeit. Bei dem, woran ich heute arbeite, wird man das Ergebnis erst in zehn Jahren sehen. Aber ich muss es tun, definitiv. Wenn man sich nicht weiterentwickelt, stirbt man.

Erfolg hat viele Väter, Misserfolg ist Waisenkind, sagt man in der Branche …

Als Unternehmer muss man dieses Risiko eingehen. Dafür werde ich auch bezahlt.

Bereiten Sie ihre Kinder in diesem Sinne auf ihre Zukunft bei Patek Philippe vor?  

Nein, ich bereite meinen Ruhestand vor. (Gelächter)

Gut, oder eher doch nicht. Also folgen Sie dem Beispiel Ihres Vaters?

Ich werde ihm folgen, aber genau genommen ist es ein schöner Kreislauf. Wir werden vielleicht mit einer Ihrer ersten Fragen abschließen. Ich werde ihm folgen, aber ich werde es etwas anders machen, weil wir uns anpassen und etwas anders arbeiten müssen. Die DNA wird die gleiche sein, die Ausbildung wird etwas anders sein. Die Ausbildung hat sich nämlich weiterentwickelt. Und ich muss mich auch in der Art und Weise, wie ich meine Kinder ausbilden werde, weiterentwickeln. Es wird besser sein, vielleicht aber schwieriger. Aber so ist Patek Philippe nun mal.

Ihre Kinder warten darauf, in das Familienunternehmen einzutreten?  

Ja, es gefällt ihnen. Beide werden sehr glücklich sein, Patek Philippe Uhren herzustellen und zu verkaufen, sie sind sehr motiviert. (Gelächter)

Vielen Dank, Herr Stern, für dieses Gespräch mit Ihnen.

Thierry Stern und Gisbert Brunner beim Interview in 2023

Thierry Stern: "Als Unternehmer muss man dieses Risiko eingehen. " Bild Copyright Patrick Möckesch

Kommentare zu diesem Beitrag

13 Kommentare

  1. Bravo Gisbert ! Sehr interessant !

    Antworten
  2. Die Bild-Auswahl an Uhren – es sind nur zwei – passt wie angegossen zum Text. Stern spricht ausführlich vom
    Neuen, vom Wagnis eingehen, und was sieht man? Die von ihm vor einem viertel Jahrhundert kreierte Aquanaut und – das neue „Wagnis“ – die Calatrava 6007 G.
    Die Geschichte wiederholt sich – Aquanaut und Nautilus waren bei ihrem Erscheinen höchst umstritten und sind
    heute die erfolgreichsten und bekanntesten Modell-Linien der Manufaktur.
    Die 6007 G, genauso umstritten, wird in ihre Fußstapfen treten und in einigen Jahren ein globaler Erfolg werden.
    Die Sterns sind Visionäre, die Produkte in die Welt setzen, die sich keine andere Manufaktur trauen würde. Und sie haben überragenden Erfolg damit.

    Antworten
    • Gisbert L. Brunner

      Absolut richtig, vielen Dank

      Antworten
  3. Lieber Gisbert, Deine Interviews und Berichte sind wie immer brillant und bleiben nicht an der Oberfläche.
    Denke gerne an unsere Zusammenarbeit bei GP und Pequignet zurück.
    Mach weiter so…
    Gerry

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    • Gisbert L. Brunner

      1000 Dank für deinen Kommentar. lieber Gerry. Alles Gute für dich

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  4. Sehr schönes Interview, das gekonnt offenbart, welche Verantwortung auf Stern lastet. Man könnte meinen, es sei der schönste Job der Welt – aber der Präsident von PP hat zugleich eine immense Bürde zu tragen. Bewundernswert, wie souverän, aber auch selbstironisch, er damit umgeht.

    Gleichzeitig wird klar und deutlich, wie frei und ungebunden ein konzernfreies Unternehmen agieren kann. Die Verantwortlichen von Konzernmarken, und seien sie noch so bedeutend, dürften neidisch nach Genf blicken!

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    • Gisbert L. Brunner

      Herzlichen Dank für den Kommentar. Alles Gute in Richtung Münster

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      • Danke sehr – und Ihnen weiterhin alles Gute! Kommen Sie gerne mal wieder zu uns in den Nordwesten.

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