Stahluhr von Swatch

Swatch Irony Stahluhren: Die eisernen Ladies aus dem Kunststoffladen

Wussten Sie, wie die Kunststoff-Quarzuhr das Laufen lernte und warum die neue Swatch Irony in ein stählernes Korsett gepackt wurde? Nun, es gilt dem neuen Umweltbewusstsein der Kunden entgegen. Doch gut Ding will immer Weile haben. Das gilt es über die Swatch Uhr mit Stahlgehäuse zu wissen.

von | 10.06.2018

„Delirium vulgaris“ oder warum Swatch erfunden wurde

Betrachtet man heute schicke moderne Stahluhren wie die Swatch Irony kann man sich kaum vorstellen, welch dramatische Wendungen die Uhrenindustrie in den letzten Jahrzehnten zu überstehen hatte, bzw. welch Revolution eigentlich die Erfindung der Swatch Uhr auslöste.
Man schrieb das Jahr 1978. Schwingende Quarze setzten der eidgenössischen Uhrenindustrie mittlerweile mächtig zu, als die Eta SA das Projekt DELTREM aus der Taufe hob. Das Kürzel stand übrigens für „Delirium très mince“ oder ultraflaches Delirium und zielte ganz klar auf Weltrekorde. Am 12. Januar 1979 war die mit nur 1,98 Millimeter Bauhöhe weltweit flachste Analog-Quarzuhr fertig. Möglich machte das hauptsächlich die Abkehr von überlieferten Konstruktionsprinzipien. Bei dieser Armbanduhr, die beispielsweise Longines unter dem Namen „Golden Leaf“ für stolze 9.000 Schweizer Franken offerierte. diente der Gehäuseboden gleichzeitig als Werksplatte.  Nach der Montage des Uhrwerks und der Zeiger setzten geschickte Hände nur noch den Glasrand samt Glas auf.

Die Chancen, welche diese „Reduktion der Ebenen“ bot -normaler Weise bestehen Uhren ja bekanntlich aus Werk, Gehäusemittelteil, Boden sowie Lünette mit Glas-, nutzten die Techniker in Grenchen natürlich konsequent weiter. Am 21. Juni 1979 waren bereits 1,5 Millimeter Gesamthöhe unterschritten. Den absoluten Gipfel stellten aber schließlich 0,98 Millimeter dar,vorgestellt am 19. April 1980 während der Basler Uhrenmesse. Mit diesem Rekord hatte die eidgenössische Uhrenindustrie ihre Kompetenz auf dem Sektor der elektronischen Zeitmessung mehr als deutlich unter Beweis gestellt.

Das „Delirium tremens“ wie Neider auch spöttisch zu sagen pflegten, trug zwar viel Ruhm und Ehre ein, reichte trotz erstaunlich guter Verkäufe jedoch nicht zum Überleben. Daher tüftelte intern man am „Delirium vulgaris“ (für Lateiner: korrekt natürlich „Delirium vulgare“).

Das große Ziel

Im Pflichtenheft zum Volks‑Delirium fanden sich schließlich folgende Zielsetzungen:

  • Quarzuhr aus Kunststoff
  • Anzeige der Stunden, Minuten und Sekunden analog mittels Zeigern
  • Datums‑ und Wochentagsindikation durch Zifferblattausschnitt
  • Vorrichtung zur Schnellkorrektur der Datumsanzeige
  • Handhabung mittels konventioneller Aufzugswelle, drei Positionen
  • Wasserdichtigkeit bis 30 m
  • unproblematisch auswechselbare Batterie
  • Batterie‑Lebensdauer länger als drei Jahre
  • hohe Zuverlässigkeit
  • hoher Tragekomfort
  • sehr robuste Ausführung
  • ein gelungenes Design, das viele Varianten zulässt und
  • ein, gemessen an der hohen Qualität, günstiger Preis (ab etwa 40 Schweizer Franken)
Das ambitionierte Entwicklungsprojekt „Referenz ESA 500″ mündete indes in eine futuristische Plastik-Armbanduhr, welche dann als „Swatch“ Geschichte schrieb.  Gegenüber einer herkömmlichen Analog‑Quarzuhr, die aus 91 Komponenten (55 Bauteilen) besteht, kommt die elektronische Swatch indes mit 51 Einzelteilen (29 Bauteile) aus. Die Montage der ganzen Uhr von oben sowie die Verwendung vorgefertigter Module bringt zudem eine gewaltige Kostenminderung mit sich.

Die Swatch lernt das richtige Ticken

Am 1. März 1983 fand in der Schweiz endlich mit großem Tam-Tam die Präsentation der ersten Frühling‑/Sommer‑Kollektion statt. Das Produkt- und Marketingkonzept hatte Nicolas G. Hayek entworfen: „Swatch passt zu einem aktiven, unkomplizierten Lebensstil; sei es als modisches Accessoire oder als funktionelle Uhr zu Freizeitaktivitäten und Sport. Wir werden immer nur zwölf verschiedene Modelle einsetzen und der Produktgestaltung höchste Priorität einräumen. Da es sich um ein modisch‑sportliches Accessoire handelt, werden wir jeweils eine Herbst‑/Winter‑ und eine Frühlings‑/ Sommer‑ Kollektion offerieren.“

Die ersten 100 Millionen

Als am 24. September 1991 im prunkvollen Palazzo Ca’ Vendramin Calergi am Canale Grande in Venedig anlässlich der Ausstellungseröffnung „Swatch – modelli, varianti, prototipi“ das Lancement der neuen Mechanik-Modelle über die Bühne ging, kratzte Swatch unterdessen bereits an der 100-Millionen-Stück-Marke. Im Gegensatz zu den elektronischen Zeitmessern ließen sich die bis drei bar wasserdichten Gehäuse der „Swatch-Matic“ zum Regulieren des Gangs öffnen. Eine Reparatur sah der Hersteller indessen nicht vor. Die Ringunruh des 23-steinigen Kalibers Eta 2840 vollzog stündlich 21.600 Halbschwingungen. Der Kugellagerrotor zog in beiden Drehrichtungen auf. Die maximale Gangautonomie lag bei etwa 46 Stunden. Gut Lachen hatten an besagtem Tag unterdessen die Swatch Konzessionäre in Venedig: Alles, was sie an „Rubin“, „Blue Matic“ und „Black Motion“ bekommen hatten, war im Handumdrehen ausverkauft.

Swatch goes iron

Die beiden Begriff können schon fast als Synonym gelten: Swatch und Kunststoff. Zum faszinierenden schweizerischen Uhr-Wunder gehört seit elf Jahren das bunte Kunststoffgehäuse wie das Salz zur Suppe oder der Mozzarella-Käse zu den Tomaten. Kunststoff machte die Swatch zum Welterfolg, weil er dank seiner unproblematischen Verarbeitung und der Verwendung des Gehäuses als Werksplatine eine kostengünstige Produktion und damit die kreative Modeuhr für jedermann ermöglichte. Freilich musste das farbige Kunststoff-Konzept im Zuge aktueller Umwelt-Diskussionen immer wieder auch Kritik über sich ergehen lassen.

Dagegen wehren sich der SMH-Konzern und Swatch nun auf Ihre Weise. Indes: Völlig verblüffend ist die Antwort aus der Swatch-Heimatstadt Grenchen nicht. Im Grunde genommen beherrscht sie die Uhrenindustrie seit rund sechzig Jahren. Außerdem lässt sie sich in jedem Lexikon nachlesen: Man nehme Stahl und legiere ihn entsprechend dem Anwendungszweck mit Nickel, Chrom, Molybdän, Wolfram oder ähnlichen Materialien. Heraus kommt ein Metall, das sich „edel“ im wahrsten Sinne des Wortes nennen darf, nämlich Edelstahl. Festigkeit, Korrosionsbeständigkeit und beinahe unbeschränkte Alltagstauglichkeit gehören zu seinen vorzüglichsten Eigenschaften. Der aktuelle Trend zum Understatement und das allgemeine Gerede von Luxusaskese haben dem Edelstahl selbst bei Luxusuhren einen ungeahnten Boom beschert.

Die Herausforderung, neue Wege zu beschreiten

Für die Swatch-Techniker jedoch stellte die Auseinandersetzung mit dem hochaktuellen Gehäusematerial Edelstahl freilich eine Herausforderung besonderer Art dar. Konventionelle Wege der Gehäusefertigung, nämlich Stanzen, Drehen und/oder Fräsen schieden gleich aus mehreren Gründen aus.  Zum einen hatten die Marketingstrategen klare Preisgrenzen gesetzt. Zum anderen erforderten auch die beabsichtigten Stückzahlen das Beschreiten alternativer Wege.

Das Nachdenken hat sich hingegen offensichtlich gelohnt. Seit nunmehr Anfang Dezember ist die Edelstahl-Swatch unter dem provokant-zweideutigen Namen „Irony“ in den Schaufenstern ausgesuchter Konzessionäre zu finden. Gleich zwölf neue Modelle haben sich die Designer einfallen lassen, jeweils sechs in „big“ und sechs in „medium“.

 Intelligente Mechanik hört auf den Namen SISTEM51

Gleich zu Beginn der Baselworld 2013 am 24. April 2013 hatte der Swatch Group-CEO wissen lassen, was die Zukunft bringen wird. Nick Hayek verkündete bei dieser Gelegenheit aber auch, dass der SISTEM51 noch die Serienreife fehle. Weihnachten 2013 hatte das Warten dann aber zumindest in der Schweiz ein Ende. Die Swatch SISTEM51 lag endlich in den Geschäften. Für umgerechnet 130 Euro bietet diese Automatik-Armbanduhr mit Kunststoffschale unterdessen erstaunliche Präzision. Vergleiche mit der Funkuhr ergaben eine durchschnittliche tägliche Gangabweichung von acht Sekunden. Und damit sollte Mann gut leben können.

1 Uhr, 17 Patente, 51 Komponenten

Die aufs Minimum reduzierte Zeit-Mechanik mit drei Hertz Unruhfrequenz entsteht vollautomatisch unter Reinraumbedingungen auf einer zwanzig Meter langen Fertigungsstraße. Und zwar komplett in der Schweiz. Das 42 Millimeter große Kunststoffgehäuse ist hermetisch versiegelt, hält also Staub und Feuchtigkeit vom Uhrwerk mit seinen 19 Steinen fern und lässt deshalb auch keine Wartung zu. Wie der Name auch schon andeutet, besteht das völlig neu entwickelte und durch insgesamt 17 Patente geschützte Selbstaufzugskaliber der SISTEM51 aus insgesamt 51 Komponenten. Für klassische Automatikwerke braucht es mehr als doppelt so viele Teile. Sein Durchmesser beträgt nur 30, die Höhe 4,8 Millimeter. Die Reduktion auf ein Minimum an Bauteilen kommt natürlich nicht von ungefähr. Sie resultiert aus einer intelligenten Zusammenfassung von Komponenten zu insgesamt fünf Baugruppen.

Uhrwerk mit kleinen Einschränkungen

Als Basismaterial für das Uhrwerk verwendet die Eta eine harte und vor allem amagnetische ARCAP-Legierungaus Kupfer, Nickel und Zink. Unter normalenBedingungen lässt sie sich auch bestens ver- und bearbeiten, also stanzen, zerspanen, prägen, schweißen, löten und vor allem auch galvanisch veredeln, was bei Swatch ja bekanntlich wegen der Produktgestaltung besonders wichtig ist. Natürlich kommt auch ein futuristisch anmutendes Uhrwerk wie dieses nicht ohne Schwing- und Hemmungssystem, also Unruh, Unruhspirale, Anker und Ankerrad aus. Den üblichen Rücker zur Veränderung der aktiven Länge der Unruhspirale oder eine Unruh mit variablem Trägheitsmoment sucht man in diesem Uhrwerk allerdings vergebens. Die Regulierung auf maximal +/- 10 Sekunden täglich erfolgt selbsttätig mit Hilfe eines Lasers. Somit sind manuelle Eingriffe und Veränderungen nicht möglich.

Über dem tickenden Opus bewegt sich derweil der Zentralrotor, und zwar befestigt durch die einzige Schraube dieses Kalibers. Alles andere ist derweil gesteckt, geklebt oder verschweißt. Damit die Schwungmasse den optischen Eindruck jedoch nicht trübt, besteht sie aus einer transparenten Scheibe. Ein ganz außen montiertes, mit bloßem Auge kaum sichtbares Schwermetallsegment bewirkt effizientes Agieren. Nach Vollaufzug steht Energie für rund 90 Stunden Gangautonomie zur Verfügung, gespeichert in einem großen Federhaus mit ca. 15 Millimetern.

Verbesserungswürdig: Die Lesbarkeit

Ein kleiner Kritikpunkt muss am Ende aber auch sein: Das Fensterdatum ist bei meiner roten SISTEM51 so gut wie nicht ablesbar. Die weinrote Druckfarbe auf schwarzem Grund liefert schlichtweg zu wenig Kontrast. Hier dominierte das Design wohl über die Funktion. Weiß auf Schwarz wäre in diesem Fall deutlich besser gewesen.

Die erste Kollektion besteht übrigens aus vier Modellen: blau, rot, schwarz und weiß. Nun heißt es nur noch entscheiden, was persönlich am besten gefällt.

Zu konservativ?

Die aktuelle Irony-Optik wirkt erstaunlicher Weise eher konservativ. Die Zifferblattdesigns lassen darauf schließen, dass Swatch mit „Irony“ auch Käuferkreise ansprechen möchte, die sich für die Kunststoffuhr aus Grenchen bislang nicht erwärmen konnten. Einige der neuen Modelle erwecken -vermutlich beabsichtigt und eigentlich gar nicht unangenehm- Assoziationen zur guten alten Rolex „Bubble Back“. Andere erinnern an die begehrten Flieger-Armbanduhren aus den dreißiger bis fünfziger Jahren.

Fürs Erste gibt es „Irony“ ausschließlich mit -hoffentlich austauschbarem- Quarzwerk. Das auf rationelle, kostengünstige Fertigung ausgelegte Konstruktionsprinzip der Swatch-Quarz erforderte jedoch einen Kunstgriff: Im Edelstahlgehäuse sitzt das bekannte Werkmodul aus Kunststoff. Der stählerne Monocoque-Gehäusekorpus selbst wird in einem präzisen, neuartigen Sinter-Verfahren hergestellt. Die Oberflächen sind entweder poliert, matt oder gelbgoldfarben.

Der Preis ist heiß!

Kompromisslos zeigte sich Swatch wie immer auch beim Preis: Mit Lederband und Stahl-Schnalle bleibt die wasserdichte „Irony Sistem 51“ mit Sichtboden deutlich unter der magischen 200-Euro-Grenze. Ganz genau deren 175,– wird man demnächst die Theke ausgewählter Swatch Boutiquen und ab September 2016 auf die Ladentheke der Konzessionäre blättern müssen, um in den Besitz einer „eisernen Lady“ zu gelangen. Mit stählernem Gliederband sind es 210 Euro. Und bei diesen Beträgen wird wohl niemand seine eisernen Reserven anknabbern müssen.

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