Sistem51 Blick hinter die Kulissen

Swatch Sistem51 – ein Uhrwerk mit System

Im Swatch-Werk Boncourt wurde Unmögliches wahr gemacht. Ein Automatikwerk aus 51 Komponenten herzustellen. Mit dem Swatch Sistem51 die Produktion einer mechanischen Uhr zu automatisieren – dazu gehört eine gute Portion Wissen und Erfahrung. Hätten Sie gedacht, dass Vereinfachung so schwierig ist?

von | 19.10.2023

Swatch Sistem51

Spätestens nach dem großen Verkaufserfolg der Blancpain x Swatch Fifty Fathoms ist das Swatch Sistem51 Werk in aller Munde. Aber es ist nicht leicht, Näheres über den Bau und die Konstruktionsweise des Sistem51 Uhrwerks in Erfahrung zu bringen. Dies ist durchaus verständlich, möchte die Swatch Group möglichst lange vom Erfolg des mechanischen, vollständig automatisiert hergestellten Werks profitieren. Uhrenkossmos hatte bereits früh die Gelegenheit, das mächtige Fabrikgebäude am Ortsrand der Schweizer Stadt Boncourt, nahe der französischen Grenze zu besuchen.
Ins Allerheiligste der Produktion Swatch Sistem51 vorgelassen wird nämlich nur, wer über eine spezielle Einladung verfügt. Und selbst dann gibt es nur einen Teil dessen zu sehen, was in diesem riesigen Komplex vor sich geht. Schließlich möchte man ja nicht jedes Geheimnis an die große Glocke hängen. 

Aus 51 wird 1

Der Besuch des Sistem51 Werks beginnt im Erdgeschoss. Hier werden die tragenden Teile des aus den namensgebenden 51 Teilen des Automatikwerks hergestellt. Von hier geht es in die „weißen Räume“. In diesem Bereich werden die insgesamt fünf Baugruppen des 51 Werks zu einem funktionsfähigen Ganzen montiert. Das Erstaunliche dabei – hier geschieht alles vollautomatisch, ohne das in der mechanischen Uhrmacherei sonst übliche menschliche Zutun.

Letztere will man gleich aus mehreren Gründen nicht. Denn zum einen ist menschliche Arbeit insbesondere in der Schweiz ausnehmend teuer, was die Uhren mit Sistem51 Werk von ihrer Kalkulation preislich kaum hergeben. Zum anderen ist menschliches Handeln trotz größter Sorgfalt immer mit Fehlern behaftet. Maschinen arbeiten jedoch, sind sie gut eingestellt, gleichmäßig und fehlerfrei.

Automaten bauen die Sistem51 Werke

Möglich macht diese Bauart der technische Fortschritt. Denn hier in Boncourt kommen modernste computergesteuerter Roboter zum Einsatz, die sich vor und nach ihrem Tun konsequent selbst kontrollieren und nachjustieren. So sind Fehler weitestgehend ausgeschlossen. Mitarbeiter, zu einem beträchtlichen Teil mit Informatik-Ausbildung, schreiten in der Regel nur dann ein, wenn sie durch das Aufleuchten einer roten Lampe zu Hilfe gerufen werden.

Ein weiterer Vorteil der maschinellen Produktion liegt in der großen Bandbreite der Produktionsmenge. Verlangt es die Nachfrage, wie es etwa nach dem Verkaufserfolg der Swatch Fifty Fathoms Edition der Fall war (wir hatten die Uhr hier bereits vorgestellt) der Fall war, kann der computerisierte Maschinenpark wird er mit dem notwendigen Sistem51 Materialnachschub versorgt, problemlos rund um die Uhr arbeiten. Wobei auch die manuelle Bestückung der Maschinen über ausgeklügelte Systeme in letzter Zeit deutlich abgenommen hat. Was hingegen gestiegen ist, ist das große Investment, das der neue Bau der Werke und der starke Einsatz von Hightech-Maschinen und Robotern verlangt. Dass sich das Investment trotzdem bestens rechnet, davon ist auszugehen und sagt auch Nick Hayek, der CEO der Swatch Group immer wieder. 

Dass er damit richtig liegt, zeigt der enorm zunehmende Grad an Automatisierung im Werkbau, den die großen Wettbewerber der Swatch Group mit ihren neuen Werken praktizieren. Wir können hier auf unseren kürzlichen Besuch im neuen Tudor Werk oder die ausführliche Berichterstattung über die Produktionsstätten von Rolex in Biel verweisen. 

Vollautomatische Fertigung von A bis Z

Die Herstellung der Swatch Sistem51 hat er innerhalb der Gruppe auf mehrere Schultern verteilt. Nivarox-FAR, bekannt für Assortiments, also Schwing- und Hemmungssysteme bestehend aus Unruh, Unruhspirale, Anker, Ankerrad sowie weitere Kleinteile, kümmert sich im gleichen Gebäude, sorgfältig abgeschirmt von neugierigen Blicken, um exakt diese Baugruppe. Auch sie entsteht auf nicht preisgegebener Maschinerie vollautomatisch. Laser übernehmen die Regulierung des Ganzen in einer Bandbreite von minus zehn bis plus zehn Sekunden täglich. Spätere Justierung ist nicht vorgesehen und auch nicht möglich.

Ab zur Eta für die Werkemontage

Nach der Fertigstellung wandern diese Module in staubdichte Blister. Aneinandergereiht kommen sie auf Trommeln gewickelt in der Werkemontage an. Selbige verantwortet die Eta. Ihr obliegt die Fertigung aller Rohteile des Kalibers C10 111 mit drei Hertz Unruhfrequenz, Rotor-Selbstaufzug, rund 90 Stunden Gangautonomie und Fensterdatum mit Schnellkorrektur über die Krone. Und sie verantwortet alle Montageschritte bis hin zur fertigen Uhr. Für die selbsttätig agierenden Maschinen kooperierte die Eta unter anderem mit dem einschlägig erfahrenen Spezialisten Tornos Multiswiss. Die Plastikgehäuse treffen aus Bettlach kommend in Boncourt ein, die stählernen Irony-Schalen aus Grenchen. In Grenchen entstehen auch die Zifferblätter und Zeiger, während Universo die Zeiger beisteuert. Mit anderen Worten: In Sachen Sistem 51 hat die Swatch Group alles im Griff und damit selbstverständlich auch unter Kontrolle.

Fräsarbeiten am Fließband

Zurück zur Eta, dem Haupt-Akteur. Ausgangsprodukt für das Gestell, also die Hauptplatine und die Brücken sind lange Bänder aus Arcap, einem hoch korrosionsbeständige Legierung, die sich in besonderer Weise zur Bearbeitung mit Automaten eignet. Die gefrästen Komponenten bedürfen keiner Nachbearbeitung, was natürlich die kostenbewussten Controller freut. Schritt für Schritt entstehen auf rund zwanzig, wie Soldaten aneinander gereihten Robotern die tragenden Teile. Zwischendurch erfolgt die Oberflächenbearbeitung durch Sandstrahlen.

Toleranz gleich Null, fast jedenfalls

Fertigungstoleranzen sind ebenfalls auf ein Minimum reduziert. Sie bewegen sich im Bereich eines Tausendstel Millimeters, oder, besser verständlich, 1/20 des Durchmessers eines menschlichen Haars. Diese Präzision ist freilich unabdingbar, soll die spätere Montage des Automatikwerks problemlos über die Bühne gehen. Dorthin gelangt jedoch gar nicht erst, was diesem hohen Anspruch widerspricht.

Zu den Arbeitsschritten in dieser Halle gehört auch das ultragenaue Einpressen der Lagersteine. Fertiggestelltes gelangt auf lange Steifen, die zum Zweck der automatisierten Weiterverarbeitung aufgerollt werden. Auf diese Weise entstehen im ersten Stock die so genannten Furnituren, welche es zwingend braucht, um die Zeit messen, die Zeiger richten und das Datum einstellen zu können, also beispielsweise Zahnräder aus Messing und -triebe aus Stahl, Wellen oder Federn.

Ohne Nullserie zur Produktionsreise

Das Kaliber Eta C10 111 hat übrigens eine ganze Heerschar cleverer Techniker und Ingenieure entwickelt. Nick Hayek spricht von mehr als 200 Personen, die im Laufe von nur zwei Jahren das Kaliber genial entwickelt sowie direkt, das heißt, ohne die übliche Nullserie, zur Produktionsreife geführt. Die ehernen Gesetze der Mechanik konnten jedoch auch sie nicht auf den Kopf stellen.

Unter Reinraumbedingungen erfolgt in der obersten von drei Etagen die Montage der Teile zu insgesamt vier Baugruppen: Platine mit großem Federhaus und Räderwerk, Selbstaufzug, Datum sowie Zeigerstellung und Datums-Schnellschaltung. Das Modul mit Hemmung und Gangregler kommt, wie schon geschrieben, gleich von nebenan.

Auch hier zeigen aneinandergereihte Roboter, was Automatisierung heute leisten kann: Prüfen, Montage einer Komponente oder Ölen der Lager, Kontrolle und, sofern nötig, auch das Verschweißen per Laserstrahl. Erst das komplett fertiggestellte Uhrwerk ohne Rotor erhält eine der unterschiedlichen Dekorationen per ultrapräzisem Digitaldruck. Zuerst spritzen feine Düsen eine weiße Grundierung auf, dann erst kommt das endgültige Muster. Die Fixierung erfolgt mit Hilfe von UV-Licht.

 

Heilige Hallen, die niemand betreten darf

Nur im Film waren die restlichen Arbeiten zur Komplettierung der Swatch Sistem51 zu sehen: Einsetzen des Uhrwerks ins Gehäuse, Montage von Krone, Datumsring, Zifferblatt und Zeigern. Dann folgt der Rotor, den die einzige Schraube an der Automatik-Baugruppe hält. Nach dem hermetischen Verschließen, man könnte auch sagen „Versiegeln“ muss die Schale beweisen, dass sie einem Wasserdruck von drei bar standhält. Das Finale im automatisierten Entstehungsprozess einer Swatch Sistem 51 umfasst Endkontrolle, Anbringen des Armbands sowie die Komplettierung mit Papieren und Etui. Im Falle der Blancpain-Swatch Fifty Fathoms wird sogar dank des besonderen Gehäusebaus eine Wasserdichtigkeit von bis zu 93 Metern erreicht. 

Swatch Sistem51

Wie lange es dauert, eine dieser durchaus futuristischen Armbanduhren herzustellen, lässt sich wegen der vielen nebeneinander ablaufenden Prozesse nicht sagen. Aber die Kapazitäten der Fabrik sind darauf ausgelegt, jede Minute sechs Sistem51 zu produzieren. Übers Jahr kommen so rein theoretisch rund eine Million Exemplare zusammen. In der Praxis waren es zu Beginn deutlich weniger Uhren. Mit dem Wiedererstarken der Swatch Marke dürfte die Sistem51 Produktion von Swatch jedoch enorm zugelegt haben. 

Übrigens ist auch Ökologie, auch wenn die Werke im Falle einer notwendigen Reparatur immer komplett ausgetauscht werden, in Boncourt durchaus ein Thema. Auf dem Dach finden 1001 Solarzellen, welche zwar nicht die Maschinen mit Strom versorgen können, aber andere Mitarbeiterbereich. Kein Wunder, zeigt doch der Erfolg der Sistem51 Uhren, dass der Siegeszug der Technik kaum aufzuhalten ist. 

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Kommentare zu diesem Beitrag

4 Kommentare

  1. Rechtschreibung :Verschweißen, nicht „verscheißen“. Viele Grüße Ludwig Heisters

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    • Wolfgang Winter

      Oha, solch ein Rechtschreibfehler tut weh. Danke für den Hinweis, haben wir gleich geändert.
      Viele Grüße .-)

      Antworten
  2. Nachdem ich als passionierter Uhrensammler und Amateur-Uhrmacher mit eigener Werkstatt zu Anfang sehr skeptisch war, entschied ich mich dann doch, eine Swatch Sistem51 für grobe Situationen wie Gartenarbeit, Sport, Radfahren, etc. zu kaufen.
    Das wohl noch recht neue Kaliber ETA C10.511 mit direkter kleiner Sekunde bei 6 Uhr erwies sich bis jetzt als erschreckend genau, mit einem durchschnittlichen Gang von ca. +2 Sekunden/Tag.
    Wohlgemerkt, ich bevorzuge die klassische Uhrmacherei und seine Uhrwerke, bin aber neuen Techniken und Materialien gegenüber sehr aufgeschlossen. So finde ich es sehr gut, daß sich aus diesem (leider) Wegwerfkaliber die neuen ETA-Kaliber mit freischwingender Unruh, sowohl mit Kunststoff- als auch Stahlhemmung entwickelt wurden und in erschwingliche Uhren eingebaut werden.
    Waren doch bisher freischwingende Unruhen dem Luxussegment wie z.b. Rolex vorbehalten.
    Der Vorteile sind eine besser zu regulierende Ganggenauigkeit und vor allem eine größere Lagenstabilität.
    Insofern war die Swatch Sistem51 auch Vorreiter der neuen Generation der ETA-Kaliber.

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  3. Seit kurzem habe ich eine Sistim51 COL-ORA SUTB408 und eine Citizin CA7061-26X. Beide haben einen Gang von +1 Sekunde pro Tag. Die erste ist eine Automatikuhr, die zweite eine Quarzuhr. So etwas habe ich nicht für möglich gehalten! Es gibt einen wichtigen Trick: die Swatch Uhr muß „dial down“ während der Nacht abgelegt werden. In dieser Position hat der Automat wahrscheinlich die Uhr kalibiert.

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