Dumm gelaufen
Mit der neuen Patek Philippe Weltzeit 5330G-010 am Handgelenk wäre das Missgeschick womöglich nicht passiert. Inzwischen kann ich darüber schmunzeln, aber im Jahr 1995 war es uns, ich meine Gerd-Rüdiger Lang und mir ausgesprochen peinlich. Zwei Menschen, die sich seit Jahren mit Uhren und Zeitmessung beschäftigten, reisten mit United Airlines von San Francisco nach Tokio. Abflug 09:35, Ankunft 12.50 Uhr. Flugzeit 11 Stunden und 15 Minuten.
Was uns Spezialisten in der Prä-Smartphone-Ära entgangen war: Die Boeing 747 landete erst am darauffolgenden Tag in der japanischen Hauptstadt. Den unreflektiert für 10 Uhr mit Yosuke Saitoh vereinbarten Termin verschliefen wir in der Luft. Grund, und das hatten wir bei der Reiseplanung nicht bedacht, war das Überqueren der Datumsgrenze in westlicher Richtung.
Seit dieser Begebenheit ist mir bekannt, dass man dabei gemäß den Vereinbarungen der Internationalen Meridian-Konferenz vom Oktober 1884 einen ganzen Tag verliert, diesen bei Trips in östlicher Richtung hingegen gewinnt, sofern man beispielsweise in Hawaii verweilt.
Übrigens haben nur dann, wenn es in Greenwich bei London 12 Uhr mittags ist, alle Ortschaften auf unserem Globus das gleiche Datum. Die Internationale Datumsgrenze entlang des 180. Längengrads verläuft ausschließlich durch Gewässer, von denen der Pazifik das mit Abstand größte ist.
Der Grund für diese Regelung ist ganz einfach: Beim Fliegen über die Zeitzonengrenzen hinweg verschiebt sich die Zeit jeweils nach 15 Längengraden um eine Stunde. Und die solcherart angesammelten Stunden müssen natürlich irgendwie wieder eliminiert werden.
Fehler mit Geschichte
Bereits im frühen 16. Jahrhundert waren Ferdinand Magellan und seine Weltumsegler überrascht, dass ihre sorgfältig geführten Logbücher nach der Rückkehr in die Heimat um einen Tag vom dortigen Datum abwich. Aus den gleichen Gründen kam Jules Vernes Romanheld Phileas Fogg während seiner Reise um die Erde in 80 Tagen zunehmend ins Schwitzen.
Trotz generalstabsmäßiger Planung und Verwendung einer hochpräzisen Taschenuhr wähnte der Engländer die im Londoner Club eingegangene Wette am Ende verloren. Die Rettung brachte Diener Passepartout in Form der neuesten Tageszeitung. Beim Blick auf deren Datum fiel es dem Globetrotter wie Schuppen von den Augen: Von London aus war er achtzig Tage lang immer gen Osten gereist. Im Zuge dessen hatte er 81 Sonnenaufgänge gezählt und das gesetzte Zeitlimit scheinbar überschritten. Demgegenüber erlebte der in London verbliebene Freundeskreis im gleichen Zeitraum nur deren achtzig.
Dieser Stress wäre dem Abenteurer mit einer Taschenuhr erspart geblieben, welche neben der jeweiligen Ortszeit auch die Londoner Stunden samt dem zugehörigen Datum dargestellt hätte. Eine Alternative wären zwei Zeitmesser mit Datumsanzeige gewesen, einer davon auf die englische Ortszeit eingestellt. Das jedoch hätte die Pointe des Romans zunichte gemacht.
Watch Art Grand Exhibition Tokyo
Wieso überhaupt habe ich Ihnen im Vorspann von meinen unliebsamen Zeitzonen-Erfahrungen berichtet? Ganz einfach: Am 10. Juni 2023 durfte ich die Eröffnung der 6. Watch Art Grand Exhibition von Patek Philippe durch den rührigen Präsidenten Thierry Stern in Tokio erleben. Der Flug erfolgte mit sieben Stunden Zeitverschiebung jedoch ohne Datumsprobleme von München nach Haneda. Auf 2.500 Quadratmetern, und das sind deutlich mehr als in den fünf Ausstellungen zuvor, gestattet die Genfer Familienmanufaktur eindrucksvolle Blicke in ihre Geschichte, auf über 500 historische und aktuelle Zeitmesser sowie beeindruckende Kunstobjekte.
Besonderes Augenmerk gilt dabei unter anderem selten gewordenen Handwerkskünsten, welche das Unternehmen bis in die Gegenwart liebevoll pflegt, dazu Große Komplikationen und uhrmacherische Weltpremieren. Zu letzteren gehören auch frühe Weltzeit-Armbanduhren, welche in den 1930-er Jahre zusammen mit dem Genfer Meister Louis Cottier entstanden. Mehr dazu findet sich hier im Uhrenkosmos.
Das Spektrum umfasst in Gestalt der auf 15 Exemplare limitierten Referenz 5308P-010 eine neue Vierfach-Komplikation mit Minutenrepetition, augenblicklich springendem ewigem Kalender, Schleppzeiger-Chronograph und Selbstaufzug. Ebenfalls 15 Stück gibt es von der Weltzeit-Minutenrepetition Referenz 5531R-014. Die an Damen adressierte Mondphasen-Referenz 7121/200G-010 wird es 200-mal, die Calatrava Referenzen 6127G-010 und 7127G-010612 jeweils 400-mal geben.
Patek Philippe Weltzeit 5330G-010
Mein absoluter Favorit ist jedoch die bislang nicht genannte und in dieser Ausführung auf 300 Weißgold-Exemplare beschränkte Patek Philippe Weltzeit 5330G-010 Tokyo Edition. Erkennbar ist sie mit einem Blick am pflaumenfarbenen Zifferblatt mit handguillochiertem Dekor im Zentrum. Auf der Ortsscheibe präsentiert sich Tokyo in Rot. Ein ebenfalls roter Punkt zwischen Auckland und Midway markiert die internationale Datumsgrenze. Bleibt die rot aufgehende Sonne auf dem 24-Stunden-Ring mit Tag-/Nacht-Unterteilung.
Zu diesen äußeren Merkmalen der Weltzeit 5330G-010 von Patek gesellen sich innovative innere Werte, über die es ausführlicher zu berichten gilt. Meines Wissens gibt es sie bislang bei keiner anderen Armbanduhr mit Weltzeitanzeige. Gemeint ist das automatische und stets korrekt synchronisierte Ortszeit-Datum. Dazu einig erklärende Worte: Reist man von Los Angeles nach Tokio oder Peking und stellt bei der Ankunft die dortige Ortszeit ein, bleibt das Datum bei den bisher bekannten Weltzeituhren gleich.
Nachdem, was ist eingangs geschrieben habe, müsste die Datumsindikation korrekterweise jedoch um einen Tag vorspringen. Analog verhalten sich die Dinge bei der Überquerung des Pazifiks in östlicher Richtung. Hier wandert das Datum mit der Zeitverschiebung automatisch weiter, obwohl es in San Francisco wegen des Überquerens der Datumsgrenze gleichbleiben müsste.
Diesem Missstand hat Patek Philippe mit der durch das europäische Patent EP 2 790 069 B1 geschützten Konstruktion einen Riegel vorgeschoben. Ein neuartiges Differenzial-System mit übereinanderliegenden Schaltebenen vor- und rückwärts gestattet nicht nur die den Fakten entsprechende Abstimmung der Datumsanzeige auf die Ortszeit, sondern auch eine automatische Datumskorrektur bei jedem Zeitzonenwechsel. Das gilt insbesondere dann, wenn mit selbigem ein Datumswechsel in jedwede Richtung einhergeht.
Patek Philippe Referenz 5330G-010 Innovation
Das ausgeklügelte Differenzialsystem ist freilich nicht die einzige Innovation bei der Referenz 5330G-010 Limited Edition Tokyo 2023. Das auf dem altbewährten 240 basierende Kaliber 240 HU C mit Mikrorotor-Selbstaufzug stellt das Datum in analoger Form am Rand des aufwändigen Zifferblattes dar. Mit Blick auf das auch im Hause Patek Philippe Überlieferte könnte salopp von einem Zeigerdatum sprechen. Weil ein derartiger Zeiger der Gesamteindruck massiv stören würde, verwendet die Manufaktur ein hammerförmiges Gebilde aus transparentem Kristallglas mit rot eingefärbtem äußeren Ende.
Das Ganze schützen zwei Patente, welche Patek Philippe schon 2022 für den Silinvar-Zeiger des Zehntelsekunden-Chronographen 5470P-001, Kaliber CH 29-535 PS 1/10, erlangt hat. Das erste gilt dem Aufbringen von rotem Lack auf nichtmetallisches Material wie Glas, das zweite dem Befestigen des Zeigerrohrs am Glaszeiger durch Hartlöten.
Wie gehabt sind die Uhrzeiten in den 24 Weltzeit Standard-Zeitzonen unkompliziert ablesbar. Das praktizieren die Genfer im Grunde genommen schon seit der 1937 lancierten Referenz 542HU. Ein wichtiger Schritt in die Zukunft erfolgte 1999 beim exklusiven und deswegen ebenfalls patentierten Mechanismus, welcher den Orts- und 24-Stunden-Ring sowie den Lokalzeit-Stundenzeiger ohne Beeinflussung des Minuten- und Sekundenzeigers durch Betätigung eines Drückers bei „10“ schrittweise verändert. Indes sucht man bei der Referenz 5110 ebenso wie bei den Vorgängermodellen eine Datumsanzeige vergebens.
Gleiches gilt zum Beispiel für die Weltzeit-Referenzen 7130, 5130, 5231, 5930 mit Flyback-Chronograph oder 5531 mit Minutenrepetition. So betrachtet beginnt bei der Genfer Uhrenmanufaktur mit der Vorstellung der Referenz Patek Philippe Weltzeit 5330G-010 auch eine neue Weltzeit-Zeitrechnung.
Neue Kombination von Komplikationen
Was in Worten ausgedrückt einfach erscheint, erwies sich die Konstruktion der Patek Philippe Weltzeit 5330G-010 für die Genfer Uhrmacher jedoch als echte Herausforderung. Üblicherweise heißt es Ortszeit und Datum bei Weltzeituhren mit Datumsindikation separat korrigieren. Bekanntlich steht die Stadt der aktuellen Aufenthalts-Zeitzone immer ganz oben bei „12“. Der Ehrgeiz des beruflich viel fliegenden Präsidenten Thierry Stern bestand jedoch darin, dass sich das Datum ganz automatisch in jeder Reiserichtung dem Wechsel der Zonenzeit anpasst.
Das Problem lag in der Kombination zweier vermeintlich simpler Zusatzfunktionen in einem Uhrwerk. Logischer Weise dirigiert die unter dem Zifferblatt angeordnete Zeitzonen-Mechanik dabei auch das Datum. Der Wechsel in beiden Richtungen bedingt durchdachte Schaltvorgänge ohne Beschädigung der Komponenten. Allein das Datums-Modul verlangt dabei nach 70 Komponenten.
Die Synchronisierung des Datums der Patek Philippe World Time Uhr mit der jeweiligen Lokalzeit bewerkstelligt besagtes Zentraldifferenzial mit zwei konzentrischen Rädermechanismen. Dreht das größere äußere Rad allein nach rechts, bewegt sich auch der Datumszeiger in dieser Richtung. Wenn selbiges nur das kleinere innere Rad tut, vollzieht der Datumszeiger einen Schritt zurück. Sofern beide Räder im Uhrzeigersinn rotieren, heben sich die Bewegungen gegenseitig auf und der Datumszeiger hält inne.
Auf diese Weise bewirkt jedes Betätigen des Drückers bei „10“ – falls erforderlich – über das Bekannte hinaus auch eine Datumskorrektur. Trotz des beträchtlichen Mehraufwands baut das neue Automatikkaliber 240 HU C mit seinen insgesamt 4,58 Millimetern lediglich 0,7 Millimeter höher als das Basiskaliber 240 HU.
Uhrwerk und Gehäuse
Zum Bau der Patek Philippe Weltzeit 5330G-010 assemblieren die Uhrmacher das 30,5 Millimeter große Kaliber 240 HU C mit einseitig wirkendem Mikrorotor aus 21-karätigem Massivgold aus insgesamt 306 Komponenten. Seine Gangautonomie beträgt mindestens 38 und maximal 48 Stunden. Mit vier Hertz oszilliert die Gyromax-Unruh. Für den Rückschwung sorgt eine Spiromax-Unruhspirale aus Silinvar. (Über die streng abgeschirmte Werkstätte von Patek Philippe, in der die Silizium-Komponenten hergestellt werden, hatten wir hier auf Uhrenkosmos bereits ausführlich berichtet)
Natürlich findet das Oeuvre mit dem Patek Philippe ans Handgelenk. Die 40 Millimeter messende Gehäuseschale aus Weißgold baut 11,77 Millimeter hoch. Ihre Wasserdichte reicht bis zu drei bar Druck. Am Sichtboden steht Patek Philippe Tokyo zu lesen.
Ein offizieller Preis für die neue Patek Philippe Weltzeit 5330G-010 Tokyo Edition Armbanduhr war seitens Patek Philippe leider nicht in Erfahrung zu bringen, doch wird dieser andernorts mit 70.000 CHF plus Steuern angegeben. Zeit-Genossen außerhalb Japans bleibt am Schluss dieser Betrachtungen zur limitierten Referenz 5330G-010 auf jeden Fall der Trost, dass es über kurz oder lang auch Nicht-Limitiertes für den Rest der Welt geben wird.
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