Gisbert L: Brunner: Nathalie, du bist jetzt Chefin von POINTtec. War es für dich von Anbeginn eine Option, die Firma eines Tages zu leiten und sogar ganz zu übernehmen?
Nathalie Birk: Eine Option, klar. Aber nicht von Anfang an mit dem festen Vorsatz, dass ich das eines Tages auch konkret mache. Mit meinem Wirtschaftsstudium war der Weg vielleicht ein wenig vorgezeichnet, dass ich das Familienunternehmen weiterführe. Aber ich habe Wirtschaft studiert, weil es mich zunächst einmal erfüllte, weil es dem entspricht, was ich machen will und wo ich dann meinen Weg finde.
Willi, POINTtec ist mit Fliegeruhren groß geworden, im Retrolook.
Willi Birk: Retrolook ja, denn wir haben damals auch schon die Lufthansa beliefert. Die Schweizer haben viel Werbung gemacht mit mechanischen Uhren. Und dann habe ich mir die Frage gestellt, Mensch, welche Traditionsmarken, die mit der Fliegerei zu tun haben, gibt es denn in Deutschland? Wir brauchen einen deutschen Namen. Im Zuge dessen fiel mir Junkers ein.
War der Name denn frei?
Zunächst einmal bin ich zu Bosch gefahren. Dort hatte man das Jubiläum von Junkers im Blick. Bosch war bekanntlich schon vor dem Zweiten Weltkrieg an Junkers beteiligt. Dort habe ich die Erlaubnis erhalten, ein paar Tausend Uhren mit dem bekannten Logo produzieren. Für das Jubiläum hat man von mir, wenn ich mich recht entsinne, 1000 Chronographen fertigen lassen. So hat sich das mit Junkers ergeben. Anschließend haben dann in zwei, drei Jahren sehr erfolgreich den Namen im Zusammenhang mit Uhren aufgebaut. Irgendwann haben wir festgestellt, dass Junkers nicht im Handelsregister oder Warenverzeichnis eingetragen war. Diesen Schritt hatte ich als Anfänger leider versäumt, und Herr Junkers hat es dann getan.
Mit welchen Folgen?
Unschön. 20 Jahre lang haben wir die Marke aufgebaut und sie dann verloren.
Es kam zum Bruch und zum Rechtsstreit, der schließlich zu unseren Ungunsten endete. Schuld war das Fehlen eines kleinen Beisatzes im Vertrag mit Herrn Junkers. Demzufolge hatte POINTtec das Recht, den Namen so lange zu verwenden, wie wir damit Umsatz machen. Danach hätte noch ein Ergänzungssatz stehen müssen, dass eine einseitige Kündigung ausgeschlossen ist. Aber so ist es halt in jungen Jahren, wenn man kein Geld hat und alle Verträge selber macht. Dann achtet man halt nicht auf ein derartiges Detail. Wenn geschrieben steht, „solange man mit der Marke Umsatz macht“, dann ist das für einen normalen Menschen logisch. Die Rechtsprechung sieht das jedoch anders, weswegen wir den Rechtsstreit und die Marke Junkers verloren haben.
So etwas ist fürwahr ein Schock. Wie ist es dir, Nathalie, denn gegangen, als du erfahren hast, dass eure bedeutendste Marke Junkers einfach wegbricht? Damals warst du ja noch extern, Hast du die Lust an POINTtec verloren, oder gesagt jetzt erst recht?
Nathalie Birk: Das ist tatsächlich eine gute Frage. Ich muss ein wenig ausholen. So extern war das damals nämlich gar nicht, denn es folgte alles recht rasch aufeinander. Eigentlich war ich für meinen MBA schon in den USA. Während dieser Zeit suchte mein Vater das Gespräch mit mir, mit dem Inhalt, dass er doch schon ein wenig älter sei, und das alles nicht mehr so richtig alleine schaffe. Seine Frage war, was wir denn mit dem Thema Firmenübernahme nun machen. Er meinte, dass er mich durchaus an der Spitze von POINTtec sehen würde, dass ich den Charakter dafür hätte und dazu auch noch eine passende Ausbildung. Ob wir das nicht angehen wollen?
Wie war deine Reaktion?
Ich habe mir das durch den Kopf gehen lassen und prinzipiell ja gesagt. Aber vor diesem Schritt zu POINTtec wollte ich gern noch ein anderes Unternehmen in der Branche kennenlernen. Zu diesem Zeitpunkt zeichnete sich der Junkers-Verlust noch nicht ab. Ich bin also erst einmal aus Amerika zurückgekommen und habe in der Schweiz bei der ETA ein Praktikum gemacht. Kurz bevor ich in die Schweiz ging, tauchten besagte Schatten am Horizont auf. Nach meiner Rückkehr nach Deutschland begannen diese ganzen gerichtlichen Auseinandersetzungen. Genau da bin ich ins Unternehmen eingetreten. Und da erlebte ich dann tatsächlich eine Art Tsunami, wenn ich ehrlich bin. Es stand mehr als die Hälfte des von meinem Vater Erschaffenen auf dem Spiel. Unsere mit Abstand stärkste und bekannteste Marke drohte wegzubrechen. Es gab Gerichtsverhandlungen und so weiter. Das war wirklich eine schwierige Zeit.
Nein, denn ich habe einen unglaublich starken Willen, und ich habe auch einen Kampfesgeist. Deshalb gab es für mich eigentlich nur eine Devise: Vollgas, und wir schauen, dass wir das alles trotzdem irgendwie hinbekommen. Dass wir die bestehende Kostenstruktur und unser Mitarbeiter halten können, dass wir das Aufgebaute auf keinen Fall verlieren. Irgendwie fühlte ich mich da schon in der Pflicht, obwohl die Leitung noch bei meinem Vater lag. Ich habe wirklich alles, meine Kraft, mein Wissen und mein Knowhow eingesetzt, um den Dingen eine positive Wendung zu geben.
Alle Kraft auf die Marke Zeppelin, vermute ich
Nathalie Birk: Genau. Zeppelin war schon damals eine Marke mit viel Potential, das wir nach und nach freigesetzt haben. Gleichzeitig sind wir viele Marketing- und IT-Projekte angegangen, um die Firma grundlegend zu modernisieren und die Zusammenarbeit mit unseren Kunden auf eine neue Ebene zu heben. Allein das komplett neue Warenwirtschaftssystem einzuführen, war ein Großprojekt, dazu kam eine neue, zeitgemäße Website, den Aufbau unserer Social-Media-Präsenzen, vielfältiges Schulungsmaterial für den Facheinzelhandel, neues Display-Material, unser Nachhaltigkeitskonzept und Vieles, Vieles mehr.
Nathalie Birk: Ich würde schon sagen, dass wir das auch gemeinsam diskutiert haben. Als ich im Bereich Marketing, IT und Vertrieb angefangen habe, bekam ich sehr schnell, auch weil ich musste, einen guten Überblick über das Marktgeschehen. Ich bin sehr viel gereist, in alle wichtigen Länder, hauptsächlich in Europa. Das hat meine Augen geöffnet.
Willi Birk: Darf ich ergänzen? Der Gedanke war von Anbeginn, und das unterstreichen die Statistiken, dass Kunden, wenn sie einmal bei einem Fachhändler gekauft haben, dort auch erneut kaufen. In diesem Sinne war unsere Überlegung, dass der Fachhändler, der Rolex, Omega oder eine andere High Class-Marke verkauft, auch Uhren im Eingangssortiment und Produkte Made in Germany benötigt. Als wir aus Frankreich nach Deutschland zurück sind, hatten wie sofort und ganz gezielt die Uhrenfabrik Ruhla im Blick. Dort machen wir Uhren Made in Germany.
Wann war das?
Willi Birk: Made in Germany startete 1992/93 nach Made in France mit Charles Fabien. Weil wir in Frankreich produziert haben. Unser Schaffen zielte auf wertige Produkte, auf ein Qualitätsniveau, mit dem wir als Hersteller im Einstiegsbereich im Fachhandel neben gehobenen Marken bestehen und trotzdem angemessene Margen bieten konnten. Wir haben gesagt, unsere Uhren müssen im Facheinzelhandel die Schwellenangst nehmen. Dann kommen die Kunden zurück und kaufen dort später auch teurere Produkte.
Willi Birk: Wir hatten immer gehobene Fachhändler mit wirklich teuren Marken. Einer davon hat mir vor längerer einmal gesagt: Willi, weißt du was, wenn ich eine teure Uhr verkaufe, dann verkaufe ich auch gleich zwei, drei von deinen Uhren zum Beispiel als Geschenk mit, denn die gefallen und besitzen ein hervorragendes Preis-Leistungs-Verhältnis.
Ist das immer noch so?
Leider nein. Der Sohn dieses Fachhändlers meint, nur ganz oben verkaufen zu müssen. Und das ist, wie schon gesagt, ein großer Fehler. Die Meinung, dass man sich nur mit teuren Uhren distanzieren kann, ist nicht richtig. Man muss stets auch an die Folgegeneration denken.
Euer höchster Preispunkt liegt bei ungefähr 3000 Euro.
Willi Birk: Richtig. Aber dafür gibt es bei uns natürlich schon die in unserer Kollektion aufwändigsten und teuersten Uhrwerke. Zum Glück bekommen wir alle. Mit ihnen können wir auch Kleinserien oder Einzelstücke anfertigen, zum Beispiel mit einem Chronometer-Zertifikat der Sternwarte Glashütte.
Aber beim Gros eurer Uhren müsst ihr meiner Meinung nach sehr scharf und kundenfreundlich kalkulieren. Große Marketing-Aufschläge sind da wohl eher nicht drin.
Willi Birk: Du sagst es. Wir leben nicht von unseren teuren Uhren. Die sind ein Zusatzgeschäft, wo wir auch sagen, mit denen verknüpft sich ein Statement. Wie du weißt, Gisbert, schaffen es nicht viele, Chronometer nach den strengen Glashütter Anforderungen und Bedingungen herzustellen.
Nathalie Birk: Ich beschäftige mich sehr stark mit unserem USP. Also wo sind wir stark, wo können wir uns positionieren? Und ich weiß, dass wir den eingeschlagenen Weg konsequent verfolgen müssen. Ich habe gesagt, in diesem Sektor sind wir stark, hier bieten wir etwas, was andere nicht bieten. Nach dem Verlust von Junkers habe ich darauf hingearbeitet, dass wir mit Zeppelin reinspringen und diese Marke im bewährten Preissegment bekannter machen. Wir schaffen neue Vertriebskanäle, gewinnen neue Vertriebspartner für unsere Marken und für POINTtec als Familienunternehmen.
Willi Birk: Richtig. Das andere sind unsere Sahnehäubchen, welche alles überstrahlen. Damit zeigen wir, was wir alles können. Durch unsere großen Mengen kaufen wir die Komponenten natürlich entsprechend günstig ein. Somit können wir auch gehobene Serien zu einem erschwinglichen Preis fertigen.
Nathalie, wie beurteilst du als Marketing-Frau die Klientel. Unterscheidet sich die Zielgruppe, welche ihr mit 3000-Uhren ansprecht, von jener, die 500 oder 600 Euro für eine Zeppelin, Bauhaus oder Ruhla ausgeben?
Nathalie Birk: Die Zielgruppen unterscheiden sich natürlich in gewissen Aspekten, wobei Wertigkeit „Made in Germany“ und ansprechendes Design die Kunden von uns in jedem Preisbereich erwarten können. Mit unseren Uhren in den höheren Preissegmenten holen wir zusätzlich noch die besonders technikinteressierten Kunden ab, die außergewöhnliche Uhrwerke mit besonderen Funktionen wertschätzen und denen Uhrmacherkunst und das Wissen um das mechanische Meisterwerk an ihrem Handgelenk emotional wichtig ist. Hier reden wir über mechanische Chronographen, Regulator-Uhren und andere Highlights. Unsere Topmodelle sind mit dem Chronometerzertifikat Sternwarte Glashütte ausgestattet und erfüllen besonders strenge Anforderungen an die Präzision. Aber auch im Preisbereich um 500€ haben wir Automatikwerke mit Gangreserve-Anzeigen, mit Flyer-GMT und mehr und damit technisch einiges zu bieten
Willi Birk: Wobei man nicht vergessen darf, dass eine Uhr die bei uns 500 Euro kostet, woanders mit dem gleichen Uhrwerk durchaus bei einem Tausender liegen kann. Man bekommt, ich muss das wirklich so sagen, bei uns eine Qualitätsuhr zum Wahnsinnspreis. Mit dem Zeppelin-Kontext erhält man obendrein auch noch ein Abenteuer-Feeling. Wegen der Kombination aus Abenteuer, Schönheit, Leistung und so weiter haben wir schließlich diesen Namen auch gewählt.
POINTtec gebietet ja auch über Ruhla.
Die Uhrenwerke Ruhla gehen zurück auf die Gebrüder Thiel und das Jahr 1862. Vor circa fünf Jahren haben wir sie mit Museum sowie allem Drum und Dran gekauft.
Ein guter Kauf aus meiner Sicht
Willi Birk: Das Gebäude, in dem wir jetzt unser Geschäft betreiben, war der letzte Neubau von 1929. Deswegen schreiben wir auch 1929 und nicht 1862 ins Logo. Und in diesem denkmalgeschützten Gebäude ist die Uhrenproduktion und das Museum. Gestaltet wurde es von zwei berühmten Bauhaus-Architekten aus Jena. Daher ergibt sich die Kurve zum Bauhaus. Wir fertigen schon seit 2010 Uhren mit dem Namen Bauhaus. 2020 haben wir den Namen angemeldet und schützen lassen.
POINTtec produziert auch noch in Pforzheim.
Willi Birk: Das tun wir schon seit vielen Jahren. Wir suchten damals nach einer Möglichkeit, mehr Uhren zu produzieren und das Aus der Swatch-Group in Pforzheim hat Kapazitäten freigesetzt, die wir dann genutzt haben. Das ist inzwischen 20 Jahre her. Wir haben die nötigen Werkzeuge gekauft und dem Team zur Verfügung gestellt.
Reden wir von unterschiedlichen Anspruchsniveaus in Ruhla und Pforzheim?
Willi Birk: Nein, wir differenzieren grundsätzlich nach Uhrwerkstypen. Da können die Mitarbeiter ihre einschlägigen Erfahrungen einbringen. Aber in Ruhla machen wir mittlerweile auch schon alles.
POINTtec ist mittlerweile international schon recht gut aufgestellt, Nathalie. Ihr seid ja fast schon eine global agierende Firma oder?
Nathalie Birk: Ja, das ist richtig. Aktuell sind wir in 35 Ländern aktiv. Und wir haben einen aktiven Vertrieb. In mehreren Märkten bauen wir unsere Marken auf.
Läuft es in anderen Ländern besser als in Deutschland, wo man von Depression oder German Angst spricht?
Nathalie Birk: Ich würde sagen, ja. Es ist tatsächlich so, dass in einigen europäischen Ländern die Stimmung eine andere ist. Obwohl die Länder teilweise noch näher dran sind am Ukraine-Krieg, herrschen dort nach dem Coronavirus eine deutlich erkennbare Aufbruchstimmung und mehr Gegenhalt. Die sagen sich „Mensch, wir handeln und machen Geschäfte. Und wir agieren.“ Der Optimismus ist ungleich höher.
Zurückhaltung am deutschen Markt also. Menschen überlegen, kaufe ich mir jetzt eine Uhr oder gebe ich das Geld jetzt für meinen Gaskonsum oder spare ich mir etwas für schlechtere Zeiten an?
Nathalie Birk: Du hast die Stimmung genau beschrieben. Irgendwie herrscht eine Vorsicht. Jeder Kauf wird detailliert überlegt. Das gilt übrigens auch für unsere Fachhandelspartner.
Kannst du dem mit deinem Charme entgegenwirken? Oder rennst du momentan gegen beim Fachhandel gegen Mauern?
Nathalie Birk: Ich weiß nicht, ob das was mit Charme zu tun hat. Wir bieten wirklich klassische, wertige Uhren in einem erschwinglichen Preissegment. Deswegen können wir ganz generell auch eine positive Entwicklung verzeichnen. Unsere Zahlen gehen seit geraumer Zeit nach oben. Vielleicht kommt uns und unseren Produkten die schwierige Zeit sogar etwas entgegen.
Ein sehr schönes und interessantes Interview, vielen Dank, lieber Herr Brunner. Man kann der Familie Birk nur alles Gute und viel Erfolg wünschen!
Sie tun übrigens sehr viel für die high-end-Marken, weil sie bei jungen Leuten oder denen, die sich (noch) keine teure Uhr leisten können, die Begeisterung für mechanische Zeitmesser wecken und hochhalten, jährlich über 100.000-mal. Das ist allein für sich eine große Leistung.
Absolut!
Wieder einmal eine Interessante Hintergrundinformation.
Danke