50 Jahre und immer noch jung
Auch bei Audemars Piguet (AP) standen die Zeichen Anfang der 1970-er Jahre durch die aufkommende Quarz-Revolution auf Sturm. Seit 1966 wirkte der erfahrene Vollblutkaufmann Georges Golay im 1875 gegründeten Familienunternehmen als Generaldirektor. Aber auch er war erstaunt, als ihn im Jahr 1971 in seinem Büro ein Anruf von Signor Carlo de Marchi erreichte. Geschweige denn ahnte er, dass dieses Jahr als Geburtsjahr des Uhrenklassikers Audemars Piguet Royal Oak in die Geschichte eingehen sollte.
Aber zurück ins Jahr 1971. Nach einigen Höflichkeitsformeln kam der italienische Agent zum Punkt und verlangte nach einer vielseitig nutzbaren AP Armbanduhr. Selbige sollte sich fürs Wochenende auf der Yacht, wie zur Ausfahrt mit einem sportiven Flitzer eignen oder für eine Soiree aber auch für entspannte Stunden im Golfclub. Gegen Stahl als Gehäuse- und Bandmaterial hatte der Mann vom Apennin nichts einzuwenden.
Kurz vor Beginn der Basler Uhrenmesse bereitete dieses Verlangen dem durchaus innovations- und risikofreudigen Firmenchef allerdings einiges Kopfzerbrechen. Woher auf die Schnelle nehmen? Einschlägige Blaupausen existierten damals nämlich nicht. Hier konnte nur einer helfen: Gérald Genta.
Am Vorabend des Messebeginns der Basler Uhrenmesse bekam der gleichermaßen gewiefte wie geschäftstüchtige Produktgestalter Genta von Georges Golay den telefonischen Auftrag für einen kurzfristigen ersten Entwurf. Der Designer sah sich, wie er später einmal betonte, vor eine der größten Herausforderungen seines Lebens gestellt. Während er über die Optik des erbetenen Luxus-Tausendsassa nachdachte, kam ihm schließlich ein Kindheitserlebnis in den Sinn. In jungen Jahren hatte Genta einen Berufstaucher beim Anlegen und Befestigen des Helms beobachtet. Dabei stellten eine Gummidichtung und mehrere Bolzen die drucksichere Verbindung zum Taucheranzug her.
Diese und andere Eindrücke mündeten schließlich im berühmten Bullaugen-Uhrendesign. Die skizzierte Kreation einer Armbanduhr mit achteckiger Lünette passte zudem perfekt zu Gentas Faible für das Oktogon. Abgerundete Glasrand-Kanten huldigten wiederum dem favorisierten romanisch-lateinischen Stil. Ferner propagierte Genta ein innovatives integriertes Stahlarmband, dessen Glieder sich zur Schließe kontinuierlich verjüngten. Wie nicht anders zu erwarten, kam der nächtliche Entwurf bei Carlo de Marchi und Charles Bauty, dem Schweizer Markenrepräsentanten bestens an. Einer sukzessiven Realisierung der intern Safari getauften Armbanduhr bis zur folgenden Uhrenmesse im Jahr 1972 stand nun nichts mehr im Wege.
Uhr und Werk
Wie immer steckte der Teufel danach im konstruktiven Detail. Der Entwurf verlangte nach einem Monoblockgehäuse, bei dem acht Schrauben den Glasrand samt Gummidichtung am massiven Korpus halten. Zu den ästhetischen Aspekten der versenkten Sechskant-Köpfe gesellen sich auch funktionale. Sie verhindern das Drehen beim Festziehen der Verbindung von der Rückseite aus. Weil deutlich leichter form- und polierbar verwendete der Gehäusefabrikant für die Prototypen 18-karätiges Weißgold.
Natürlich brauchte es zum kompletten Glück auch noch ein passendes Uhrwerk. Hier kam Audemars Piguet die langjährige Partnerschaft mit dem ebenfalls im Vallée de Joux beheimateten Ebauchesfabrikanten LeCoultre. Dessen 1967 vollendetes Kaliber 2120 ohne Sekundenindikation war damals das flachste Kaliber mit Selbstaufzug mit Zentralrotor. Nur 2,45 Millimeter maß es in der Höhe. 1970 gesellte sich die Version 2121 hinzu. Die springende Datumsanzeige unter dem Zifferblatt begnügte sich mit weiteren 0,6 Millimeter. Alles zusammen ergab folglich 3,05 mm Bauhöhe.
Vier vernehmlich agierende Rubinrollen stützen den beidseitig aufziehenden Zentralrotor mit 21-karätigem Goldsegment. Funktionale Steine zeichnen auch besagte Datumsanzeige aus. Nachdem sich die Werkzeuge im Laufe der Jahre abgenützt und die Verantwortlichen bei LeCoultre die Produktion der Rohwerke eingestellt hatten, nahm Audemars Piguet das mit 2,75 Hertz tickende Werk (19.800 Halbschwingungen/Stunde) unter seine Fittiche. 1995 ging das Uhrwerk nach gründlicher Überarbeitung als hauseigenenes Manufakturkaliber 2121 in der ultraflachen Royal Oak erneut an den Start.
Start am Rhein
Zurück ins Jahr 1972: Während der Basler Uhrenmesse debütierte die seinerzeit einzigartige Royal Oak. Ihr Name erinnert an die englische Geschichte, die berühmte Königliche Eiche und mehrere britische Schlachtschiffe mit stahlüberzogenem Holzrumpf.
Beinahe unüberhör- und unübersehbar war das Feixen der Mitbewerber. Auf solche eine Armbanduhr mit knapp 39 Millimetern Durchmesser für 3.650 Schweizerfranken oder auch Deutsche Mark hatte der Markt vermeintlich nicht gewartet. Immerhin hab es fürs gleiche Geld auch goldene Zeitmesser.
Zur Einordnung – in Deutschland kostete ein Volkswagen Käfer Cabriolet 1302 LS damals 8.190 DM. Gemessen an heutigen Verhältnissen wären das gut 15.000 Euro.
Mit der Royal Oak brach für Audemars Piguet eine neue Ära an. Alles in allem produzierte das Unternehmen damals per annum rund 5.000 Zeitmesser. Zum Launch der stählernen Uhr-Revolution orderte Georges Golay auf einen Schlag 1.000 Schalen, bei den Gay Frères ebenso viele Armbänder und bei Stern die Zifferblätter mit dem legendären Tapisserie-Muster. Oberhalb des Stab-Index bei „6“ prangten unübersehbar die Buchstaben AP sozusagen als Monogramm.
1000 einst und jetzt
Exakt 400 Exemplare waren allein für den italienischen und weitere 400 für den eidgenössischen Markt gedacht. Die restlichen Exemplare der Initial-Referenz 5402ST/344 sollten ihren Weg in die übrige Welt nehmen. Bei diesen ersten Uhren trugen die Böden den Serien-Buchstaben A und dazu die Produktionsnummer. B, C und D kennzeichneten spätere Erzeugnisse dieser Art.
Audemars Piguet Royal Oak Preisentwicklung
Auch nach dem Einsetzten des Booms entstanden jährlich höchstens tausend Exemplare für die ganze Welt. Die Nachfrage überstieg das Angebot. Und damit setzte ein regelrechter 15202ST-Hype ein. Der 50. Royal Oak-Geburtstag im Jahr 2022 bringt eine Zäsur, denn im Zuge des Jubiläums endet die Geschichte der legendärsten aller AP-Referenzen. Wohl dem, der sich ein Exemplar in Edelstahl gesichert hat. Vermutlich werden Preise analog zur Patek Philippe Nautilus 5711/1A-10 noch weiter in die Höhe gehen.
Audemars Piguet Royal Oak
Im Rahmen der alle zwei Jahre stattfindenden Wohltätigkeitsauktion Only Watch am 6. November 2021 erbrachte die allerletzte Royal Oak Jumbo Extra-Thin Referenz 15202 nun den sagenhaften Betrag von 3,1 Millionen Schweizerfranken. Dabei besticht einerseits ihr Petite Tapisserie-Zifferblatt durch neue Grautöne, zum anderen bietet sie die ursprüngliche Typografie mit dem AP-Monogramm bei „6“, eingeführt mit der A-Serie, Referenz 5402.
Zukunftsweisend ist die Kombination aus Titangehäuse und -band sowie einer neuen Bulk-Metallic-Glass-Legierung auf Palladiumbasis für die Glasränder vorne und hinten. Der Materialmix findet vor allem in der Mikroelektronik Verwendung. Bei schneller Abkühlung zeichnet er sich aus durch hohe Festigkeit, Verschleiß- und Korrosionsbeständigkeit.
Auf der Oberseite sandgestrahlt und rückseitig satiniert ist das Titan-Gliederband mit polierten Kanten. Zur Kennzeichnung des Einzigartigen trägt der Gehäuseboden die Gravur „Unique Piece“ sowie die Materialpunze „Pd500″.
Neue Audemars Piguet Royal Oak?
Nun kann man ganz zum Schluss mutmaßen: Wird diese Kombination zeitgemäßer Werkstoffe die 2022 eingeführte Generation der Royal Oak mit 39 Millimeter Durchmesser künftig womöglich kennzeichnen? Wie bei der Patek Philippe Nautilus gehört das Thema Stahl auch bei Audemars Piguet und seiner ikonographischen Royal Oak der Vergangenheit an. Wer Lust verspürt auf eines der Royal-Oak-Jubiläumsmodelle, sollte sich also rasch auf den Weg machen.
tolle doku. vielen dank dafür. habe meine ap (A1663) im märz 19 für 30 k verkauft…