Der Weg ins Computer-Zeitalter
1936 begann Konrad Zuse mit der Entwicklung seiner ersten elektrischen Großrechenmaschine. Dabei konnte der deutsche Ingenieur die nachhaltigen Konsequenzen seines ambitionierten Handelns vermutlich noch nicht abschätzen, geschweige denn hatte er spätere Uhren wie die Amida Digitrend, Girard-Perregaux Casquette oder Heuer Chronosplit mit digitaler Zeitanzeige vor Augen.
Vorwiegend skeptisch begegneten US-Amerikaner auch dem so genannten Electronic Numerical Integrator and Computer ENIAC. 1946 trat der von John Presper Eckert und John William Mauchly entwickelte ENIAC Computer ans Licht der Öffentlichkeit. Diesen weltweit ersten Digital-Rechner zeichnete seinerzeit die fast unglaubliche Anzahl von 18.000 Elektronenröhren aus.
Insbesondere die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes schürte das Misstrauen bei der Bevölkerung in der Neuen Welt. 1952 kamen in den Industriestaaten der Erde gerade einmal 50 derartiger Rechner zum Einsatz. 1962 war die Zahl bereits auf rund 12.000 gestiegen, wovon 1.400 in Europa ihren Dienst versahen. Danach war der Siegeszug des Computers nicht mehr aufzuhalten.
Natürlich verfehlten die elektronischen Rechenmaschinen ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft nicht. Ohne sie hätte es 1957 in der UdSSR keinen Sputnik und anschließend in den USA keinen Sputnik‑Schock gegeben. Letztendlich ermöglichten auch erst Computer das erstmalige Betreten des Mondes durch Menschen am 21. Juli 1969.
Gegründet 1918 in Grenchen
1968 hatte in Montreux die in Grenchen, Kanton Solothurn gegründete Amida Watch Co. ihren 50. Geburtstag gefeiert. In den Jahren ab 1918 entstanden bei Amida vorwiegend Zeitmesser mit Zylinder- und Stiftankerwerken. Erst nach dem Fall des lähmenden Schweizer Uhrenstatuts durfte Amida auch hauseigene Werke mit klassischer Schweizer Ankerhemmung verbauen.
Das Spektrum der insgesamt rund 80 verschiedenen Amida‑Kaliber reichte vom 5¼-linigen Werk für Damenuhren (Kaliber 510) bis hin zur 12-linigen Adamatic (Kaliber 550) mit Klinkenrad‑Wechsler. Zum Produktspektrum gehörten ferner auch verschiedene Tischwecker namens Revox. Übrigens zählte der ursprüngliche Firmensitz mit seinen vier Flügeln zu den eindrucksvollen Industriebauten Grenchens.
Amida Digitrend
Im Angesicht der elektronischen Uhr-Revolution und in Ermangelung eigener Quarzwerke beschloss das mittlerweile in Montreux ansässige Amida-Management die Entwicklung des Modells Amida Digitrend. Einerseits sollte es den Geist des Computerzeitalters ausstrahlen. Zum anderen ging es aber auch darum, Autofahrern das Ablesen der Uhrzeit zu erleichtern. Daraus resultierte die höchst ungewöhnliche Konstruktion, für die der Techniker Joseph Barnat verantwortlich zeichnete.
Im abgebildeten Modell tickt das simple 10½-linige Stiftanker-Handaufzugskaliber 420 aus eigener Produktion, Durchmesser 23,69 Millimeter. Sein einziger funktionaler Stein, ein Deckstein fand sich auf der sichtbaren Seite des mit einer Stoßsicherung ausgestatteten Unruhwellenlagers. Stündlich 18.000 Handschwingungen vollzieht die billige Ringunruh. Grundsätzlich erfolgt bei der Amida Digitrend die Anzeige der Stunden und Minuten mit Hilfe drehender Scheiben.
Damit Chauffeure unterwegs die Hand nicht vom Steuer nehmen mussten, verfügte der durchaus futuristisch anmutende Amida Zeitmesser mit verchromtem Metallgehäuse in den Dimensionen 39 x 32 Millimeter über ein lichtreflektierendes Display, kurz LRD genannt. Im Gegensatz zu den populären, aber extrem Strom fressenden Lichtemissionsdioden (LED) kam diese Indikation ganz ohne elektrische Energie aus. Der Trick bestand darin, die Ziffern mit roter und damit an die damaligen LEDs erinnernder Farbe spiegelverkehrt auf die beiden Scheiben zu bannen. Ein aus Acrylglas gefertigtes und entsprechend bedrucktes Spiegel Prisma bewirkt die stehende Zeitanzeige.
Das Patent für die Amiga Digitrend hatte das Unternehmen aus Grenchen bereits 1970 bei den eidgenössischen Behörden eingereicht. Danach dauerte es jedoch noch weitere sechs Jahre, bis die Armbanduhr während der Basler Uhrenmesse ihren Einstand gab. Für anspruchsvollere Zeit-Genossen offerierte Amida auch eine Version mit dem ebenfalls hauseigenen Handaufzugskaliber 910. Selbiges verfügt über 17 funktionalen Steine.
Girard-Perregaux Casquette
Zufall, oder auch nicht: Während der Europäischen Uhrenmesse des Jahres 1976 präsentierte Girard-Perregaux eine neue Armbanduhr mit Quarzwerk und digitaler Zeitanzeige. Bei der Entwicklung des ebenfalls an Automobilisten adressierten Quarzuhr Girard-Perregaux Casquette nutzte die Manufaktur ihre einschlägigen Elektronik-Erfahrungen. Schon 1966 hatte der damalige CEO Charles-E. Virchaux einen jungen Mitarbeiter namens Georges Vuffray engagiert. Gemeinsam mit vier oder fünf Kollegen machte sich der Ingenieur im firmeneigenen Labor an die Entwicklung des Kalibers GP 350. Die Präsentation der Beta 1 mit 8.192 Hz Quarzfrequenz warf das Team nicht aus der Bahn. Ziel war nie der Launch der weltweit ersten Quarz-Armbanduhr gewesen. Mit US-amerikanischer Unterstützung entstanden digitale Schaltungen und ein stabförmiger, im Vakuum arbeitender Quarzresonator. Beides zusammen begründete den bis heute gültigen Digitaluhren Frequenzstandard von 32.768 Hertz.
Ab 1971 fand sich das solcherart oszillierende Kaliber 350 in der Girard-Perregaux Quartz, welche 1972 in Basel debütierte. Ihr Zifferblatt bildet die Struktur eines integrierten Schaltkreises ab. Der dadurch ausgelöste Erfolg ermutigte zur Kreation einer luxuriösen Armbanduhr mit digitaler Zeitanzeige. Dabei orientierte sich die Manufaktur am 1970 lancierten Modell Pulsar der amerikanischen Hamilton Watch Company. Dieser Zeitmesser besaß keine beweglichen Teile mehr.
1976 erregte eine außergewöhnlich gestaltete Armbanduhr mit rechteckigem Stahl-Makrolon-Gehäuse reichlich Aufsehen. Bei der Gestaltung des später Girard-Perregaux Casquette getauften Zeitmessers hatten die Techniker auch an Autofahrer gedacht, denn die Zeitanzeige erfolgte stehend wie bei Anzeigetafeln.
Das Manufakturkaliber 396 der Girard-Perregaux Quartz Uhr in den Dimensionen 25,9 x 25,6 x 7,3 mm verfügte über das damals weltweit kleinste LED-Display mit vier Stellen. Für die Quarzsteuerung und brauchte es zwei Batterien. Normaler Weise blieb die Anzeige wegen des hohen Stromverbrauchs dunkel. Ein Drücker in der rechten Gehäuseflanke aktivierte nacheinander die Indikation von Stunden und Minuten, dann Wochentag und Datum sowie schließlich die Sekunden. Zur Korrektur gab es links im Gehäuse einen weiteren Drücker.
Heuer Chronosplit
Jack W. Heuer besaß ein ausgeprägtes Faible für den technischen Fortschritt. Insofern lagen dem Ingenieur die Segnungen des elektronischen Zeitalters sehr am Herzen. 1975 präsentierte der junge Firmenchef des Hauses Heuer die in drei Ebenen aufgebaute Digitaluhr Heuer Chronosplit mit zeitgemäßen 32.768 Hz Quarzfrequenz. Seine Elektronik steuerte zwei unterschiedliche Displays an. Beleuchtbare Flüssigkristalle (LCD) stellten die Tageszeit und das Datum digital dar.
Für die im Normalfall seltener benutzte Zehntelsekunden-Stoppfunktion der Heuer Chronosplit mit Zwischenzeitspeicher kamen Lichtemissionsdioden (LED) zum Einsatz. Die unabdingbare elektrische Energie lieferten zwei Batterien. Trotz mehrstöckiger Konstruktion passte das Ensemble in ein erstaunlich flaches und dennoch funktionales Gehäuse mit ergonomisch geformten Drückern. Der 1975 veröffentlichte Katalog für den „weltweit ersten Solid State Chronographen mit doppelter Digitalanzeige” verhieß 99,9989% Präzision oder maximal eine Minute jährlich Gangabweichung. Der Preis lag bei beachtlichen 600 Dollar. Den Schauspieler Paul Newman hielt das bei Tiffany’s New York nicht von Kauf dieses Instruments ab.
Ungeachtet seiner Funktionalität besaß der innovative Chronograph auch seine Macken. Innerhalb von nur neun Monaten laugten die LEDs den Energiespeicher restlos aus. Jack W. Heuer hatte nämlich nicht damit gerechnet, dass die zahlungskräftigen Kunden ihre grell leuchtende Errungenschaft möglichst oft zur Schau stellen wollten. Außerdem bedingte die Elektronik viele Garantie-Reparaturen. Aber der optimierte Heuer Chronosplit LCD stand sozusagen schon in den Startlöchern.
Der später im Jahr 1976 vorgestellte Heuer Chronosplit LCD besaß denn auch zwei grau-blaue Flüssigkristall-Displays für Tages- und Kurzzeit. Nach Abschluss einer Stoppung konnte man sogar die Hundertstelsekunden aus dem Speicher abrufen. Üblich war die Ausführung mit 24-Stunden-Display. Speziell für den amerikanischen Markt gab es jedoch auch eine anders programmierte Variante mit 12-Stunden-Anzeige. Und beim Datum stand hier der Monat vor dem Tag.
Epilog
In den späten 1970-er Jahren glaubten nur noch wenige ans Überleben der konventionell tickenden Armbanduhr mit analoger Zeitanzeige durch Zeiger. Ab etwa 1985 begann die Renaissance der Mechanik. Und sie hat offenbart, was am Handgelenk nachhaltig Sache ist.
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