Handlungsbedarf
Raymond Weil, wer ist das? Diese Frage werden sich vor allem jüngere Leserinnen und Leser des Uhrenkosmos stellen? Und das durchaus zurecht. Schließlich ist es in Deutschland und Österreich recht still um die 1976 von Monsieur Raymond Weil und seiner ehemaligen Assistentin Simone Bedat gegründete Uhrenmarke geworden. Gründe dafür gibt es einige. Auf die wenig zielführende Diskussion verzichte ich zugunsten eines Blicks in die Vergangenheit und Zukunft. Letztere verknüpft sich zumindest teilweise mit der österreichischen Weiner Watch Group. Ihr obliegen fortan Vertrieb und Serviceleistungen in Deutschland, Österreich, Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei.
Dabei ist sich Alexander Seidl, der als CEO die Aktivitäten der Weiner Watch Group leitet, dem Faktum voll und ganz bewusst, dass der Relaunch von Raymond Weil vor allem im traditionell etwas schwierigen Deutschland kein Spaziergang wird. Fachhändler gibt es zwar noch. Welche in Zukunft die Marke weiterhin führen, welche ausscheiden und welche neu dazu kommen werden, steht momentan noch in den Sternen. Das Gewinnen neuer Konzessionäre in guten A-Lagen hängt von attraktiven Produkten ab. Auf die wiederum hat ein freier Agent naturgemäß wenig Einfluss.
Die Herausforderung Raymond Weil wieder zu neuen Höhen am deutschen Markt zu führen, besteht darin, durch eine Rundumbetreuung vom Vertrieb über Marketingaktivitäten bis hin zu professionellem Kundendienst alles zu bieten, was Kundinnen und Kunden der Marke erwarten. Die Kollektion ist sehr attraktiv und bietet speziell im Damensegment verglichen mit anderen Marken eine große Auswahl.
Raymond Weil
In meinen Augen muss die Marke, welche einst mit Maurice Lacroix, gegründet 1975, konkurrierte, noch jünger und spannender werden. Speziell im Preissegment bis 5.000 Euro herrscht dichtes Gedränge. Hinzu kommen die Smartwatches, welche nicht nur Raymond Weil zu schaffen machen. Über die Jahre ist das Erfolgsgeheimnis des charismatischen, 1926 in Genf geborenen und 2014 verstorbenen Monsieur Raymond Weil, dem ich 1988 als Journalist erstmals begegnet bin, anscheinend etwas verloren gegangen. Mich jedenfalls motivierte das Zusammentreffen zum Kauf eines Parsifal-Chronographen mit dem Kaliber Valjoux 7750.
Werte wie Bodenständigkeit, Kontaktfreudigkeit und menschliche Wärme schrieb Weil als Patron stets groß. Viele Agenten und Fachhändler galten als Freunde, mit denen er sich regelmäßig am Telefon unterhielt. In Genf war er auch noch im Alter von mehr als 75 Jahren oft mit seinem Motorroller unterwegs, weil das in der chronisch verstopften Rhône-Metropole einfach am schnellsten ging.
Bereits 1982 trat sein Schwiegersohn Olivier Bernheim ins Unternehmen ein. Zuvor hatte der Marketingspezialist Erfahrung in seiner Heimatstand Straßburg bei der Brauerei Kronenbourg und später bei Unilever gesammelt. Die 1996 erfolgte Berufung zum Präsidenten und CEO führte zu einem nachhaltigen, weil von deutlich größerer Distanz gekennzeichneten Wandel in der Unternehmenskultur. 2006 stießen schließlilch die Söhne Elie (aktueller CEO) und Pierre Bernheim (Vertrieb) zur Firma.
Raymond Weil im Wandel
Im Laufe der recht kurzen Firmenbiographie erfuhr die Kollektrionsstruktur von Raymond Weil vier grundsätzliche Metamorphosen. Anfang des 21. Jahrhunderts erlebte die Mechanik auch bei Raymond Weil eine Renaissance. Und 2007 verkündete der damals 53-jährige Jurist Bernheim eine Neuausrichtung der Marke.
Uns blieb nichts anderes übrig, als die Firmenpolitik an den aktuellen Herausforderungen auszurichten. Dabei war es natürlich einfacher, die modifizierten Strategien zunächst in neuen Ländern und nicht in bestens eingeführten Märkten umzusetzen. Im Zuge der angestrebten Neupositionierung rangiert Qualität vor Quantität, wie es enge Mitbewerber bereits erfolgreich vorexerziert hatten.
Im Zuge dessen debütierte 2007 die markante Uhrenlinie Nabucco. Sie zeichnete in der Tat ein ungewöhnliches Bild der Weil Uhrenmodelle. Dafür spricht allein schon der opulente Gehäusedurchmesser von 46 Millimetern. Die Abkehr vom bislang Üblichen unterstrichen auch der breite Glasrand mit Tachymeterskala, die Wasserdichtigkeit bis 20 Atmosphären und eine völlig andersartige Zifferblatt-Optik. Besonders eindrucksvoll präsentierte sich in diesem Zusammenhang die High-End-Variante mit augenfälligen Karbonfaser-Einlagen im stählernen Gliederband.
Grün ist die Hoffnung
15 Jahre später versucht man unter anderem mit einer neuen Ausführung des altbekannten Raymon Weil Freelancer Chronographen am deutschen Markt zu punkten. Der Stopper mit 43,5 mm Durchmesser und 13,7 mm Bauhöhe verfügt über ein Stahlgehäuse. Dessen Wasserdichte reicht bis zu zehn bar Druck.
Durch den Sichtboden blickt man auf das Automatikkaliber RW5030. Hinter dieser Bezeichnung verbirgt sich ein Klon des altbekannten, auch heute noch verwendeten Eta 7753 mit einseitig wirkendem Rotoraufzug, ca. 56 Stunden Gangautonomie, vier Hertz Unruhfrequenz, Kulissenschaltung, 30-Minuten- und 12-Stunden-Zähler.
Das Inlay der stählernen Lünette besteht aus Keramik und trägt eine Tachymeterskala. Mit Lederband kostet der Freelancer Chronograph 7741 unverbindliche 3.395 Euro. Um einen Tri-Compax Chronographen, wie angegeben, handelt es sich beim Freelancer trotz der v-förmigen Anordnung von Permanentsekunde und Totalisatoren übrigens nicht. Der Grund lässt sich hier im Uhrenkosmos nachlesen.
Musik für Damen
An Damen mit Sinn fürs Schmückende wendet sich die neue, mit unterschiedlichen Zifferblättern und Kalbslederband erhältliche Toccata in Edelstahl. Ihr Gehäuse misst 28,1 x 22,6 mm. Am Handgelenk trägt die bis fünf bar wasserdichte Schale 6,4 mm auf. Vor dem mit acht Diamantindexen besetzten Zifferblatt drehen Zeiger für Stunden und Minuten. Als Antrieb dient ein Quarzwerk. Erhältlich ist der feminine Zeitmesser für unverbindliche 950 Euro.
Musikalische Namen für Uhrenmodelle kamen bei Weil übrigens nicht von ungefähr. Diana Bernheim, geborene Weil, ihres Zeichens älteste Tochter des Firmengründers ist Pianistin. Schon als Kind betörte sie die Ohren ihres Vaters mit klassischer Musik. Deshalb debütierte 1983 bei Raymond Weil die Uhrenlinie Parsifal. Und weitere Modelle dieser Art folgten.
0 Kommentare