Geburtstagsgeschenk
Es ist mit Sicherheit nicht vermessen, Philippe Stern als eine der bedeutendsten lebenden Uhr-Persönlichkeiten zu bezeichnen. Deshalb gilt dem Ehrenpräsidenten von Patek Philippe, der am 10. November 2023 seinen 85. Geburtstag feierte, diese Uhrenkosmos Wochenschau und der Vorstellung der Patek Philippe Ref. 1838P-001.
Es ist auch kein Wunder, dass der aktuelle Präsident Thierry Stern seinem Vater aus diesem Anlass eine hoch komplizierte Armbanduhr widmet. Nur 30 Exemplare wird es von der Referenz 1938P-001 mit Minutenrepetition und Alarmfunktion geben. Als Preis ruft Patek Philippe 890.000 Schweizerfranken auf. Umgerechnet zu aktuellen Wechselkursen sind das rund 925.000 Euro.
Trotz des stattlichen Preises wird die Zahl der Interessenten das sehr beschränkte Angebot bei weitem übersteigen. Und wie üblich wird Thierry Stern höchstpersönlich entscheiden, wer aus dem weltweiten Kundenkreis in den Genuss eines der komplexen Zeitmesser kommt. Bevor ich näher auf das Geburtstagsmodell eingehe, gilt es natürlich die Lebensleistung des damit Geehrten ins richtige Licht zu rücken.
Philippe Stern und Patek Philippe
1977, also im Alter von 39 Jahren übernahm Philippe Stern beim Genfer Familienunternehmen die unternehmerische Verantwortung aus den Händen seines Vaters Henri Stern. Sein visionäres Denken und Handeln hatte er schon im Jahr zuvor, sprich 1976 durch das Lancement der sportlich-eleganten Nautilus unter Beweis gestellt.
In jenem Jahrzehnt, als schwingende Quarze die Uhrenwelt kräftig durcheinanderrüttelten, galt der Pflege überlieferter Mechanik auf höchstem Niveau ein besonderes Augenmerk. Die Vorstellung des ultraflachen Mikrorotor-Kalibers 240 im Jahr 1978 unterstreicht diese Aussage. Auf diese Weise war Patek Philippe bestens für die Renaissance der Mechanik in den 1980-er Jahren gewappnet. Schon beizeiten richtete der stets sehr zurückhaltend auftretende Chef seine Blicke konsequent auf den 150. Markengeburtstag im Jahr 1989.
Dieses Jubiläum ebnete den Weg zu einsamen Höhen. Neben einem Buch über die Marke und ihre Armbanduhren, dessen Text zu verfassen ich die Ehre hatte, sorgten limitierte Zeitmesser, darunter die legendäre Calibre 89 für Furore. Außerdem heizte eine exklusive Auktion beim Auktionshaus Antiquorum den Hype um das 1839 gegründete Familienunternehmen gewaltig an.
Philippe Stern betrachtete das Geschehen mit der ihm eigenen Zurückhaltung. Konsequent setzte er auf langfristiges Denken und Nachhaltigkeit. In diesem Sinne griff er bei Produktion und Verkauf rigoros durch. Rasant steigender Nachfrage begegnete Patek Philippe nur scheinbar kontraproduktiv durch die Drosselung der Produktion, Ausdünnung des Händlernetzes und dazu eiserne Disziplin. Ein weiterer Meilenstein war die Entwicklung der weltweit ersten Armbanduhr mit Jahreskalender, welche 1996 debütierte.
In die Zukunft gedacht
Im Frühjahr 1997 bezog die Manufaktur im Genfer Vorort Plan-les-Ouates einen mittlerweile durch Thierry Stern nochmals deutlich erweiterten Gebäudekomplex. Überdies durfte sich der Sohn durch die Kreation der immens gesuchten Aquanaut beweisen. 2001 ging das einzigartige Firmenmuseum im Genfer Stadtviertel Plainpalais an den Start. Im gleichen Jahr sah sich die Uhrenindustrie mit dem polarisierenden Werkstoff Silizium konfrontiert.
Der Präsident und heutige Ehrenpräsident beteiligte sich spontan an einem ambitionierten Forschungsobjekt. Damit legte er den Grundstein für Advanced Research. 2005 sorgte die limitierte Referenz 5250 als erste Highend-Armbanduhr mit Silizium-Ankerrad für Aufsehen. Die Silinvar-Unruhspirale Spiromax folgte 2006 in der Referenz 5350.
Seitdem gehört das leichte, harte und amagnetische Material zu Patek Philippe wie das Ticken zur mechanischen Uhr. In seiner Ära initiierte Philippe Stern die Herstellung eigener Gehäuse und Bänder. Er erwarb eine Zifferblattfabrik und belebte längst vergessene Handwerkskünste wieder. Kurzum: Der Jubilar agierte stets mit der ihm eigenen Souveränität und verhalf Patek Philippe zu beispiellosem Wachstum auf mehr als 60.000 Uhren per annum und fast schon sagenumwobenem Renommee.
Mit Blick auf die Entwicklung des Unternehmens unter der Ägide von Philippe Stern hätte es Sohn Thierry 2009 eigentlich Angst und Bange werden. In besagtem Jahr übernahm er die Leitung von Patek Philippe. 1977 war Philippe Stern mit 150 Angestellten und einer Jahresproduktion rund 10.000 Uhren an den Start gegangen. Seinem Sohn hinterließ er einen Stab von 1.000 Mitarbeitenden, eine Jahresproduktion von circa 35.000 Uhren sowie einen Umsatz von schätzungsweise 400 Millionen Euro per annum.
Zum Schutz seines Nachfolgers rückte der scheidende Präsident die Dinge während eines Interviews ins richtige Licht:
Als ich bei Patek anfing, waren wir sehr klein und nicht wirklich international aufgestellt. Ginge das Wachstum so rasant wie unter meiner Leitung weiter, wären wir in einigen Jahrzehnten im Umsatzbereich von mehreren Milliarden angelangt. Das halte ich persönlich für absolut unmöglich.
An dieser Aussage zeigt sich, dass auch ein großer Firmenlenker wie Philippe Stern schlicht und einfach irren kann.
Übrigens gab sich auch Sohn Thierry Stern zu Beginn seiner Karriere sehr bescheiden:
Natürlich kann ich Patek Philippe nicht so wachsen lassen, wie es mein Vater tat. Vielleicht schaffe ich fünf Prozent pro Jahr. Aber das ist nicht so essentiell. In erster Linie will ich Probleme reduzieren und die Qualität unserer Uhrwerke noch weiter steigern. Stehen bleiben darf man nie. Das ist gefährlich. Aber Wachstum ist eben auch durch Innovationen möglich. Unsere Kunden erwarten Innovationen bei Patek Philippe. Meine Zukunft bei Patek Philippe sehe ich keineswegs in einer Jahresproduktion von 100.000 Uhren.
So weit ist Patek Philippe definitiv noch nicht. Aber die Schwelle von 70.000 Uhren ist inzwischen ebenso nahe wie ein Jahresumsatz von zwei Milliarden Schweizerfranken. Und darüber dürfte sich auch Philippe Stern anlässlich seines 85. Geburtstags bei aller Bescheidenheit richtig freuen. Wir von Uhrenkosmos entbieten jedenfalls aus München unsere herzlichsten Glückwünsche nach Genf.
Minutenrepetition Alarm Ref. 1938P-001
Und damit kommen wir zum tickenden und klingenden Geburtstagsgeschenk von Thierry Stern an seinen betagten Vater Philippe. Der Sohn hätte es sich einfach machen und ein bestehendes Modell mit besonderer Ausstattung auf den Markt bringen können. Beispielsweise in einer Edition von 85 Exemplaren, die Patek Philippe mit Sicherheit aus den Händen gerissen worden wären. Aber das ist eben nicht der Stil des Hauses.
In der Referenz 1938P, die ans Geburtsjahr von Philippe Stern erinnert, agiert das neu entwickelte Mikrorotor-Kaliber R AL 27 PS. Sind die 30 Exemplare produziert, wird es dieses exklusive, aus insgesamt 561Komponenten assemblierte Automatikwerk nicht mehr geben. Somit kann sich definitiv glücklich schätzen, wer bei Patek Philippe zum Zuge kommt. Um Flippern entgegenzuwirken, wird Thierry Stern die Zuteilung höchstpersönlich steuern.
Wie die Kaliberbezeichnung andeutet, basiert das R AL 27 PS auf dem 1989 zum 150. Firmenjubiläum eingeführten R 27 mit Selbstaufzug und Minutenrepetition. Durch die Hinzufügung einer Alarmfunktion steigt die Komplexität jedoch kräftig an.
Nicht weniger als vier Patente und zusätzliche 227 Bauteile brauchte es, um ein uhrmacherisches Kunstwerk zu erschaffen, bei dem die Minutenrepetition oder der vorgewählte Alarmzeitpunkt durch Anschlagen traditioneller Tonfedern erklingen. Dieses Kunststück hat Patek Philippe zwar schon bei der 2014 zum 175-jährigen Manufakturjubiläum vorgestellten in der Grandmaster Chime, Referenz 5175, zustande gebracht.
Komplexe Technik
Im Fall der Referenz 1928 ging es um eine Weiterentwicklung des Automatikkalibers R 27 mit Minutenrepetition, bei dem der für diesen Typus Uhr charakteristische Auslöseschieber im linken Gehäuserand erhalten bleiben sollte. Nach dem Betätigen muss er sofort das Repetitionsschlagwerk auslösen.
Andererseits muss er in einer Art Warteposition verharren, bis die angezeigte Uhrzeit mit der per Krone einzustellenden Alarmzeit übereinstimmt. Die Kunst der Techniker und Uhrmacher bestand darin, das per Schieber zu spannende Schlagwerk-Federhaus von der komplizierten Schlagwerkskadratur mit seinen verschiedenen Hebeln und Rechen zu trennen.
Ferner muss sichergestellt sein, dass das Kaliber R AL 27 PS der Patek Philippe Referenz 1938P-001 die beiden Schlagwerks-Mechanismen nicht durcheinanderbringt. Aber Patek Philippe versteht sich ja bekanntlich seit Generationen auf Uhren mit Grand Sonnerie, also Selbstschlag und Minutenrepetition. Und da ist diese Entkoppelung im Grunde genommen gang und gäbe. Allerdings musste in diesem Fall die durchaus kniffelige Adaption auf ein Weckerwerk vorgenommen werden.
All das schlägt sich in vier Patenten für mechanische Lösungen der inhärenten Problemstellungen nieder. Eines davon dient dem sicheren Wechsel von einem zum anderen Schlagmodus. Ein weiteres dem Aufschieben des Alarm-Schlagwerks bis zum richtigen Zeitpunkt. Das dritte Patent gilt dem Sicherstellen der korrekten Schlagsequenz von Stunden, Viertelstunden und Minuten. Schließlich gewährleistet das vierte Patent ein vollständiges Aufziehen des Schlagwerk-Federhauses bei jeder Aktivierung des Repetierschiebers.
Nur so ist eine vollständige Wiedergabe der Alarmzeit beispielsweise auch um 12:58 Uhr sichergestellt. Da nämlich erfolgen zunächst 12 Stundenschläge, dann drei Doppelschläge für die Viertelstunden und 13 weitere Schläge für die verbleibenden Minuten.
Minutenrepetition Referenz 1938P
Um Schäden beim Aufziehen der Referenz 1938P-001 zu vermeiden, hängt das äußere Ende der Schlagwerk-Zugfeder an einem Schleppzaum. Der gleitet nach dem Erreichen eines vordefinierten Drehmoments an der inneren Wandung des Federhauses entlang. Somit lässt sich der Energiespeicher nicht abreißen.
Sicherheit geht bei dieser Armbanduhr in jedem Fall vor. Kapitale Schäden beispielsweise durch das erneute Betätigen des Repetierschiebers bei bereits aktiviertem Alarm oder das Verstellen der Uhrzeiger während des Repetierens der Zeit unterbinden ausgeklügelte Schutzmechanismen. Damit sich der per gezogener Krone in Viertelstundenschritten einstellbare Alarm ja nicht überhören lässt, tritt das Schlagwerk immer zwei Minuten vor der gewählten Zeit in Aktion. Auf diese Weise hört man um sieben Uhr morgens zunächst 6 tiefe Stundenschläge, dann wiederum 3 Doppelschläge und anschließend noch 13 hohe Minutentöne.
Patek Philippe Ref. 1938P
Die hohen äußeren Werte beginnen beim goldenen Zifferblatt, dessen Emaillierung ein in Miniaturmalerei ausgeführtes Portrait von Philippe Stern zeigt. In Weißgold ausgeführt sind die drei Zeitzeiger sowie die applizierten Breguetziffern. Im Kontrast dazu stehen der roségoldene Alarmzeiger sowie die zugehörige Indexierung am äußeren Rand. Durch ein glockenförmiges Fenster bei „3“ zeigt sich der Schaltzustand der Alarmfunktion. Die äußeren Werte setzen sich fort in Gestalt eines 41 Millimeter messenden und 14,2 Millimeter hoch bauenden Platingehäuses mit Scharnierboden.
Letzteren brachte Philippe Stern 1989 bei der Offiziers-Referenz 3960 zurück. Natürlich befindet sich unter dem massiven Klappdeckel ein Saphirglas, durch das die feine Mechanik sichtbar ist. Der rhodinierte und in einer Drehrichtung aufziehende Mikrorotor aus 22-karätigem Gold trägt die handgravierte Signatur des Geburtstagskinds. Stündlich 21.600 Halbschwingungen vollzieht die Gyromax-Unruh des Kalibers R AL 27 PS mit 30 Millimetern Durchmesser und 8,23 Millimetern Bauhöhe. Mindestens 43 und höchstens 48 Stunden beträgt die Gangautonomie des außergewöhnlichen Manufakturkalibers mit dem hauseigenen Patek Philippe-Siegel.
Wie bei allen Schlagwerksuhren von Patek Philippe erfolgt die Freigabe auch in diesem Fall höchstpersönlich durch Thierry Stern. Er setzt damit die Tradition seines Vaters fort, der den Klang jedes Exemplars durch ausgiebiges Hören überwachte.
Uhrenkosmos Wochenschau
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