Mechanik vor Augen
Erstaunlich, aber wahr: Die Idee zum Montblanc 1858 The Unveiled Secret Minerva Monopusher Chronograph stammt letzten Endes von einer Dreijährigen.
Eines Abends, als ich nach Hause kam, wollte meine damals 3-jährige Tochter die Uhr sehen, welche ich am Handgelenk trug. Es war ein Minerva-Modell. Sie drehte es um, ohne genau auf das Zifferblatt zu achten, warf einen langen Blick auf das Uhrwerk und sagte zu mir: „Qu’est-ce que c’est beau, papa!“ (Wie schön, Papa!).
Dies bestärkte mich in meiner Überzeugung, dass die Minerva-Uhrwerke dank ihrer technischen und ästhetischen Einzigartigkeit die Seele der Manufaktur sind. Warum versteckt man sie dann? Und so entschieden wir uns, zum ersten Mal seit 1858 die Uhrwerke auf der Zifferblattseite zu zeigen. Ich möchte betonen, dass es sich nicht um ein skelettiertes Werk handelt, sondern um das Manufakturwerk, das von der Rückseite auf die Zifferblattseite übertragen wurde.
Im Rahmen der Watches & Wonders 2023 stellt Montblanc 2023 eine neue, jugendlichere Edition mit Gehäuse aus gealtertem Edelstahl vor. Hinsichtlich der Schönheit hatte Laurents Tochter natürlich vollkommen Recht.
Und damit kommen wir in der Tat zu einem wunden Punkt klassischer Chronographen, namentlich solcher mit Handaufzug: Ihr faszinierendes Schaltwerk mit zahlreichen Hebeln, Federn und einem drehenden Säulenrad zeigt sich in aller Regel auf der Rückseite des Uhrwerks. Das jedoch war nicht immer so.
Zeitschreibender Blick zurück
1862 debütierte im Rahmen der Londoner Weltausstellung der bis heute gebräuchliche Nullstell-Chronograph. Zu verdanken ist er Henri Féréol Piguet, einem Mitarbeiter der im Jouxtal beheimateten Manufaktur Nicole & Capt. Noch im gleichen Jahr konnte Adophe Nicole das Patent entgegennehmen. Allerdings besaß dieser Stopper aus uhrmacherischer Sicht einen kleinen, aber keineswegs marginalen Schönheitsfehler.
Weil man lange Wellen noch nicht präzise durchbohren konnte, agierte das ausgeklügelte Schaltwerk als sogenannte Kadratur im Verborgenen unter dem Zifferblatt. Diese Anordnung erleichterte zudem die Produktion, weil die Geometrie des antreibenden Uhrwerks nur eine untergeordnete Rolle spielte. Andererseits verlangten Reparaturen und Justierung zunächst nach zeitraubender Demontage von Zeiger und Zifferblatt. Daran, für Neugierige das Zifferblatt zu öffnen, dachte im 19. Jahrhundert noch niemand. Dazu waren die Mechanismen aus wirklich nicht attraktiv genug.
Einen wichtigen Schritt in die Zukunft tat Auguste Baud. Diesem Uhrmacher ist der rückwärtig und damit servicefreundlich montierte Chronographenmechanismus zu verdanken. 1868 könnte die Genese des modernen Chronographen eigentlich als abgeschlossen betrachtet werden. Aber eben doch nur eigentlich. Bei Schleppzeiger-Chronographen blieb das Schaltwerk aus den genannten technischen Gründen noch weitere Jahre direkt unter dem Zifferblatt.
Um sich die kostenintensive Entwicklung eines Uhrwerks mit integriertem Chronographen zu sparen, entwickelten die Uhrmacher von Movado Ende schon der 1930-er Jahre eine Baugruppe, welche sich rückwärtig auf dem Handaufzugskaliber 90M befestigen ließ. Diesen Modul-Gedanken griff der Spezialist Dubois-Dépraz beim 1969 lancierten Mikrorotor-Automatikkaliber 11 für Breitling und Heuer wieder auf. Und er entwickelte ihn weiter, um gängige Automatikwerke vorderseitig mit einer Stopp-Kadratur bestücken zu können. Wirklich vorzeigbar waren diese Schaltwerke jedoch nicht.
Nach vorne gedreht
Inzwischen hat sich das Blatt bekanntlich gewendet. Gar nicht so wenige Connaisseurs mit Faible für Komplikationen möchten die aufwändige Mechanik sehen, ohne ihre Uhr von Handgelenk nehmen zu müssen. Und sie wollen Freunden zeigen, was sich im Inneren ihres Zeitmessers abspielt. Ergo ist die Offenlegung der Mechanik ein mehr als ein nur logischer Schritt.
Und damit kommen wir zurück zu Montblanc und der 2007 eingegliederten Manufaktur Minerva. Mit Fug und Recht kann man deren selbst entwickelte und gefertigte Kaliber als chronographische Delikatessen bezeichnen. Insofern hatte die Tochter von Laurent Lecamp ein wahrhaft ein gutes Auge. Früh übt sich. Und der Vater tat gut daran, einen Schritt weiterzugehen, als die feine Mechanik nur durch einen Saphirglas-Sichtboden zu zeigen.
Allerdings ist es bei Weitem nicht damit getan, die mit dem Schaltwerk bestückte Rückseite des ehemaligen Minerva Kalibers MB M16.29 einfach nach vorne zu kehren und die Zeigerwerks-Wellen nach hinten zu verlängern. In diesem Fall würden sich die Zeiger nämlich entgegen dem Uhrzeigersinn drehen. Also brauchte es über der Kadratur noch eine zusätzliche Getriebekette zur Drehrichtungsumkehr der insgesamt fünf Zeiger. Selbige besteht aus insgesamt 21 Komponenten. Damit besteht das Manufakturkaliber MB M16.26 aus 273 Teilen.
Nicht von ungefähr kommt übrigens die neue Kaliberbezeichnung. Wenn man die 9 auf den Kopf stellt, wird daraus eine 6.
Vor den Augen der Betrachter vollziehen die große Schraubenunruh samt ihrer Breguetspirale stündlich geruhsame 18.000 Halbschwingungen. Das entspricht einer Frequenz von 2,5 Hertz. Erkennbar ist ferner die speziell geformte Schwanenhals-Feinregulierung für den Rückerzeiger. Selbstredend verfügt der Chronograph über eine Schaltradsteuerung für Start, Stopp und Nullstellung. Die Bedienung erfolgt durch nur einen in die Krone integrierten Drücker. Additionsstoppungen sind deshalb nicht möglich.
Bei „3“ findet sich ein Totalisator, der die Umläufe des zentralen Chronographenzeigers zählt. Nach manuellem Vollaufzug tickt das Uhrwerk rund 50 Stunden am Stück. Logische Weise hat sich Montblanc diese chronographische Kehrtwende patentieren lassen.
Montblanc The Unveiled Secret Minerva Monopusher Chronograph
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Das gelüftete Geheimnis 2023
Für die dritte Edition haben Laurent Lecamp (von dem es hier ein sehr schönes Interview zu lesen gibt) und sein Team an Zifferblatt, Zeigern und Gehäuse gearbeitet. Das Stahlgehäuse mit 43 Millimetern Durchmesser durchlief einen künstlichen Alterungsprozess und findet nun von Anbeginn mit einer gewissen Patina ans Handgelenk. Dieses Finish entsteht schrittweise. Zunächst erfährt die mit einem geschlossenen Boden ausgestattete Schale eine spezielle schwarze Beschichtung. Danach erfolgt eine manuelle Waschung.
Der dritte Schritt besteht im Bürsten unter Verwendung von Quarzit aus dem Mont Blanc Massiv und Kalkstein aus der Combe Grède, einer V-förmigen Schlucht gegenüber der Manufaktur in Villeret. Das Zusammenspiel von Berg und Tal verleiht dem Chronographen seine jugendliche Individualität. Aus Weißgold besteht die fein geriffelte Lünette.
Wie gehabt zeigt der Boden ein Relief des historischen Minerva Gebäudes in Villeret und dazu das alte Minerva Logo. Das Armband entsteht in Italien aus schwarzem Nubuk-Alligatorleder. Ausgestattet ist es mit einer Dreifachfaltschließe aus gealtertem Edelstahl.
Vom Montblanc 1858 The Unveiled Secret Minerva Monopusher Chronograph Limited Edition, Referenz 131155, entstehen insgesamt 88 Exemplare zum unverbindlichen Preis von je 40.000 Euro.
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