Jaeger-LeCoultre

Wendezeit – so kam es zur Reverso

Ein Stoß mit Folgen! Denn dieser war für die Entwicklung der kantigen Armbanduhr Jaeger-LeCoultre Reverso mit ihren zwei Gesichtern verantwortlich. Der Uhrenklassiker erfreut sich heute nach langem Dornröschenschlaf wieder bester Vitalität. Ein kurzer Streifzug.

von | 24.05.2016

Vor 90 Jahren in Indien

Die lange Geschichte der Uhrmacherei ist gespickt voller Mythen und Märchen. Aber es gibt auch jede Menge Begebenheiten, die sich tatsächlich so abgespielt haben, wie immer wieder erzählt wird. Dazu gehört auch die Saga der Jaeger-LeCoultre Reverso Armbanduhr, welche 2021 ihren 90. Geburtstag feiert. Mit anderen Worten, sie ist Jahrgang 1931 und seitdem in Intervallen präsent und erfolgreich. Streckenweise zwar nur bei Sammlern historischer Armbanduhren, meist jedoch aus aktueller Produktion. So oder so besitzt der längst schon legendäre Jaeger-LeCoultre „Zeitmesser mit dem Dreh“ einen durchaus pragmatischen Hintergrund. Selbigen liefert der indische Subkontinent unter britischer Kolonialherrschaft, wo viele Offiziere einem rasanten Ballsport zu Pferde nachgingen.

Erfahrung Nummer eins: Polo ist kein uhrenfreundlicher Sport

In mehr als 150 Polo-Clubs drehten sich die Diskussionen nicht nur um die besten Ponys, sondern auch um die passenden Accessoires. In Sachen Uhren spalteten sich zwei Lager: Einerseits die Konservativen, welche die gute alte Taschenuhr in Ehren hielten, und andererseits die Progressiven mit unstillbarem Faible für Armbanduhren, den neuen Stern am Uhrenhimmel. Speziell Polospieler konnten der leichter handhabbaren Armbanduhr viel abgewinnen, aber sie hatte Nachteile. Speziell die damals noch alternativlosen Kristallgläser boten zum Beispiel immer wieder Anlass zu Kritik. Unsanfte Begegnung mit harten Gegenständen ließen sie in Windeseile zerbersten. Dadurch kamen oftmals auch Zifferblatt und Zeiger zu Schaden. Irgendwann 1930, als der Uhrenimporteur César de Trey in Indien weilte, hielt ihm ein Offizier nach dem Polomatch das Wrack seiner Armbanduhr erbost unter die Nase. Vielleicht könne sich der Schweizer um eine Lösung des keineswegs einmaligen Problems bemühen. De Trey versprach nicht nur, sondern handelte auch.

Ein Stoß, ein Schlag, eine kaputte Uhr, eine innovative Idee

Bereits auf dem Weg von Indien zurück nach Europa ließ er seiner Phantasie freien Lauf. Durch seinen Kopf schoss derweil das gesamte Spektrum unterschiedlichster Möglichkeiten zum Schutz des bruchgefährdeten Glases. Angefangen bei den bekannten, aber martialisch wirkenden Schutzgittern wie etwa von Cartier bis hin zum ebenfalls bewährten Sprungdeckel. Der jedoch machte den prinzipiellen Vorteil der Armbanduhr, die Zeit im Handumdrehen ablesen zu können, auch gleich wieder zunichte. Die überlieferten Möglichkeiten schieden also aus. Als Alternative schwebte dem auf Funktionalität bedachten Ästheten dann eine revolutionäre Wende-Armbanduhr vor, die allerdings erst noch der technischen Realisation bedurfte. Diesbezüglich besaß Cesar de Trey einen weit gefächerten Bekanntenkreis, zu dem auch der mit allen Wassern gewaschene Uhrmacher Jacques-David LeCoultre gehörte.

Endlich der richtige Dreh dank Jaeger-LeCoultre

An ihn wandte sich der Geschäftsmann auch nach seiner Rückkehr. Der wiederum brachte zunächst Monsieur Paul Lebet ins Spiel. Als Chef der Pariser „Division d’horlogerie“ des 1920 verstorbenen Edmond Jaeger wusste um den Einfallsreichtum von René-Alfred Chauvot. Der Techniker war Rationalist und handelte nach der Maxime, dass nicht im Leben unmöglich ist. Wie und mit welchen Mitteln er den Job anpackte, lässt sich heute nicht mehr nachvollziehen. Auf jeden Fall präsentierte er dem Ministerium für Handel und Indus­trie am 4. März 1931 einen Patentantrag. Der betraf „eine Uhr, die in der Lage ist, aus ihrem Gestell zu gleiten und sich ganz umzudrehen“.

Nach Zahlung der Gebühr von fünf Französischen Francs befasste sich die Behörde unter der Antragsnummer 712.868 mit der Prüfung eines stählernen Gehäuses, „das sich mit Hilfe von Führungsnuten, vier Führungszapfen und Rasten auf seiner Grundplatte verschieben und vollständig herum drehen lässt“. Kurz gefasst handelte es sich um eine intelligente Konstruktion, bestehend aus zwei völlig getrennten Teilen. Der sicheren Befestigung am Handgelenk diente eine Grundplatte mit Bandanstößen. Hieran konnte ein quadratischer Werkscontainer befestigt werden. Die Form kam übrigens nicht von ungefähr. Sie zielte auf die Verwendung jener runden Uhrwerke ab, die LeCoultre seinen Kunden damals offerierte. Formkaliber standen noch nicht zur Verfügung. Damit sich die Schale auf ihrer Plattform drehen ließ, verfügte sie über zwei federnd montierte und exakt gegenüberliegend positionierte Stahlzapfen. Selbige korrespondierten mit zwei länglichen Führungsnuten, gefräst in die erhabenen Partien der Bodenplatte.

Von oben nach unten, und andersrum

Die späteren Nutzer konnten den kantigen Behälter auf seinem Fundament also nicht nur drehen, sondern auch seitlich verschieben. Somit zeigten entweder das zerbrechliche Glas, das Zifferblatt und die Zeiger nach oben, oder während sportlicher Aktivitäten der metallene, kräftigen Stößen problemlos gewachsene Gehäuseboden. Die sichere Fixierung in der jeweiligen Position oblag zwei kleinen, federnd gelagerten Kugeln. Nach dem Wenden glitten sie nach sanftem Druck in passend geformte Vertiefungen. „Dank dieser Erfindung kann die Uhr wahlweise in der einen oder anderen dieser beiden Positionen getragen werden, und der Wechsel von der einen in die andere Position ist extrem einfach und leicht“ postulierte der Erfinder.

Erfahrung Nummer zwei: Vernachlässige nicht die Mode!

Grundsätzlich gab er an der ersten Kreation vom März 1931 technisch nichts auszusetzen. Aber in Sachen Design überzeugte die herausragende Ingenieurleistung noch nicht. Die Art-Déco-Epoche verlangte nach einem Rechteck statt dem gewählten aus Kaliber-Gründen gewählten Quadrat. Dem trug ein abgeänderter Patentantrag Rechnung. Nach dem Unterzeichnen eines umfassenden Vertragswerks und Publikation der Schutzschrift am 14. Oktober 1931 ging der Newcomer ohne Jaeger und LeCoultre, die sich aus Angst vor einem Misserfolg zurückhielten, an den Start.

Die Engländer sind very amused

Zur Produktion des Gehäuses wandten sich César de Trey und sein Sohn Pierre an den Genfer Fabrikanten Wenger, der versprach, die  Erstorder von 5.000 Wende-Schalen noch rechtzeitig vor Beginn des Weihnachtsgeschäfts auszuführen. Die nötigen Form-Uhrwerke lieferte der LeCoultre-Konkurrent Tavannes in Gestalt des kleinen 050 und des 064 für Herrenuhren. Erst Ende 1932 stand Vergleichbares von LeCoultre zur Verfügung: Kaliber 404 (ohne Sekundenzeiger), 410 mit kleiner Sekunde und 411 mit Zentralsekunde. Bezüglich des Namens hatte sich Vater de Trey schon beim Studium erster Skizzen Gedanken gemacht: „Reverso“ kam dem angepeilten englischen Kundenkreis sehr entgegen. Dort meint reverse nichts anderes als umgedreht oder auch Rückseite.

Sehr zur Freude aller avancierte die „Reverso“ bald auch schon dort zu einem echten Gesprächsthema, wo die sie eigentlich gar nicht brauchte: bei Konzerten, Abendgalas oder Veranstaltungen der besseren Gesellschaft. Der Grund: Sie repräsentierte ein diskretes Schmuckstück und umgekehrt eine Uhr. Und umgekehrt. 1937 kreierte Jaeger-LeCoultre sogar eine komplizierte „Reverso calendrier rétrograde“ mit ewigem Kalender und dem komplexen Formkaliber 11 U, die mangels Nachfrage jedoch nie in Serie ging.

Der Dornröschenschlaf

Zu den Sargnägeln der „Reverso“ gehörten in den 1940-er Jahren nicht nur die unzerbrechlichen Gläser, sondern auch der Trend zu runden, wasserdichten Uhren. Hier kämpfte das nur schwer abdichtbare Rechteck auf verlorenem Posten. Ergo beendete Wenger die Gehäuseproduktion. Zu allem Überfluss vernichteten die Genfer auch noch die Werkzeuge. Die Abwicklung nur noch gelegentlich eintrudelnder Bestellungen und Serviceleistungen bewerkstelligte Jaeger-LeCoultre mit Hilfe vorproduzierter Komponenten.

Plötzlich Retter in höchster Not

Im Vallée de Joux geriet die Jaeger-LeCoultre Reverso allmählich in Vergessenheit. 1972, als niemand mehr an das einstige Erfolgsmodell dachte und Jager-LeCoultre gegen den drohenden Konkurs kämpfte, entdeckte der italienische Agent Giorgio Corvo ein paar angestaubte Reverso-Gehäuse. Auf hartnäckiges Nachfragen spürte man in den Lagern noch rund 200 nagelneue Gehäuse auf, aus denen nach einschlägiger Order fertigen Uhren wurden. Der Mailänder Partner verkaufte sie quasi im Handumdrehen und begehrte mehr davon. Günter Blümlein, mit der Sanierung des Traditionsunternehmens beauftragt, erkannte das Potenzial, initiierte die Renaissance des mehr als 40 Jahre alten Klassikers und entwickelte ihn zum unangefochtenen Leader der Jaeger-LeCoultre-Kollektion. Was für eine Geschichte!

Die Jaeger LeCoultre Reverso Squadra Hometime ist so technisch anspruchsvoll wie im Bedarfsfall geschützt durch ihre Reverso Mechanik Bild Jaeger LeCoultre

Die Jaeger LeCoultre Reverso Squadra Hometime ist so technisch anspruchsvoll wie im Bedarfsfall geschützt durch ihre Reverso Mechanik Bild Jaeger LeCoultre

Jaeger-LeCoultre Reverso

2016, im Jahr des 85. Geburtstags der Reverso hatte Jaeger-LeCoultre unter der Ägide des damaligen CEO Daniel Riedo die seit Jahrzehnten erfolgreiche Kollektion neu strukturiert:

Ans weibliche Geschlecht wendete sich die Reverso One. Dazu gehören die klassische Jaeger-LeCoultre Reverso One Réédition, zweitens die eher verspielte Reverso One Cordonnet mit nostalgisch anmutendem Kordelband und drittens die Reverso One Duetto Moon mit dem Handaufzugskaliber 842 und zwei Zifferblättern. Eines davon besitzt zudem eine Mondphasenindikation.

In mehreren Größen und Ausführungen ist seither ebenfalls die Linie Jaeger-LeCoultre Reverso Classic erhältlich. Puristen mit ausgeprägtem Hang zur geschichtlichen Seite dieser Armbanduhr, kommen bei den in drei Größen erhältlichen Ausführungen mit nur einem Gesicht auf ihre Kosten. Wenn es dagegen etwas mehr sein soll, empfiehlt sich die feminin angehauchte Reverso Classic Duetto. Das Modell kommt in der kleinen Version (34,2 x 21 mm) mit Handaufzug, Kaliber 844, und in der mittleren Ausführung (40 x 24,4 mm) mit dem Automatikkaliber 968A. In der Jaeger-LeCoultre Reverso Classic Large Duoface47 x 28,3 mm, tickt das 20 Millimeter große Automatikkaliber 969. Das, was auf der Vorderseite wie eine kleine Sekunde aussieht, ist eine 24-Stunden- oder Tag-/Nacht-Indikation.

Die „Tribute“-Modelle

Die Spitze der neuen Reverso-Kollektion markieren die so genannten „Tribute“-Modelle mit ausnahmslos zwei Gesichtern, welche Jaeger-LeCoultre ebenfalls mit komplexen mechanischen Manufaktur-Kalibern ausstattet.

Den Einstieg markiert die Reverso Tribute Duoface mit dem Form-Handaufzugskaliber 854A/2(17,20 x 22 mm, Höhe3,8 mm) mit drei Hertz Unruhfrequenz und 45 Stunden Gangautonomie, das die Uhrmacher aus 180 Einzelteilen zusammenfügen. Auf ihrer Vorderseite zeigt die Uhr Stunden, Minuten und (kleiner Zeiger) Sekunden. Die Rückseite bildet darüber hinaus eine zweite Zonenzeit ab. Dazu gibt es noch eine Tag-/Nacht-Indikation.

Der Komparativ heißt Reverso Tribute CalendarVorne besitzt er neben den Zeitzeigern auch ein einfaches Vollkalendarium mit Zifferblattausschnitten für Wochentag und Monat, Zeigerdatum und Mondphasenanzeige. Einer zweiten Zonenzeit mit Tag-/Nacht-Indikation ist dagegen die Rückseite gewidmet. Das Einstellen ist denkbar einfach: Den Werkscontainer in die Senkrechte klappen und den in die obere Flanke eingelassenen Schieber so lange betätigen, bis die Zeiger das Gewünschte anzeigen. Das Handaufzugskaliber 853 besteht aus 283 Komponenten. Weitere Merkmale sind:

  • Unruhfrequenz: drei Hertz
  • ein Federhaus
  • Gangautonomie:45 Stunden
  • Dimensionen 17,20 x 22 mm, Höhe: 5,15 mm

Gehäuse:

  • 18 Karat Rotgold
  • Abmessungen: 49,4 x 29,9 mm
  • Höhe: 12,06 mm
  • wasserdichtbis drei bar Druck

Die Flache mit den zwei Gesichtern: „Tribute Gyrotourbillon“

Wer meint, dass Jaeger-LeCoultre den Superlativ „Tribute Gyrotourbillon“auf 85 Exemplare beschränkt, irrt. Von dieser Platin-Armbanduhr, in der sich die vierte Generation des sphärischen Drehgangs findet, entstehen nur 75 Stück. Durch sein komplexes Bewegungsschema gleicht dieses Tourbillon die negativen Auswirkungen der Erdanziehungskraft auf die Ganggenauigkeit in praktisch allen Lagen des mit 12,4 Millimetern erstaunlich flach bauenden Zeitmessers aus. Der äußere Titankäfig rotiert einmal pro Minute um seine Achse. Das innere, um 90 Grad versetzt drehende Gestell benötigt für einen flotten Umlauf lediglich 12,6 Sekunden.

Ganz im Inneren vollzieht die exklusive zweiarmige „Gyrolab“-Unruh stündlich 21.600 Halbschwingungen. Vielseitigkeit gewährleisten dazu zwei unterschiedliche gestaltete Gesichter des Wende-Containers. So oder so zeigt sich jedoch besagtes Gyrotourbillon. Vorne findet sich auch ein klassisches Zifferblatt mit Zeigern für Stunden und Minuten. Die skelettierte Rückseite bietet hingegen tiefe Einblicke ins 5,97 Millimeter hohe Handaufzugskaliber 179 mit 38 Stunden Gangautonomie. Von ihr lässt sich unterwegs die Heimatzeit ablesen. Dazu gibt es zur Vermeidung von Missverständnissen  bei der „2“ eine Tag-/Nacht-Indikation.

Erfolg will geplant sein. Entsprechend präzise war die Planung und der Bau der Uhren

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Die Jaeger LeCoultre Dame ist eine klassische Schönheit, aber auch ein Klassiker schlechthin

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