Der Beginn hatte seinen Reiz
Die Geschichte der Uhrenmarke Jules Jürgensen ist überraschend und von längerer Dauer als man meint. Alles begann 1759, als sich ein junger Mann namens Jörgen J0rgensen einem jungen Handwerk zuwendete, das in Dänemark keine große Bedeutung besaß – der Uhrmacherei. Doch er tat dies mit großer Leidenschaft und die obligate Wanderschaft führte ihn selbstverständlich in die Schweiz, wo er seine große Begabung weiter entwickelte. Nur sein Name stieß in der französischsprachigen Region immer wieder auf Unverständnis. Deshalb wurde aus Jörgen Jürgen und J0rgensen mutierte zu Jürgensen.
Rückkehr in die Heimat
Nach seiner Rückkehr gründete er in Kopenhagen eine eigene Jürgensen Uhrenfabrik, die 1784 bereits 22 Menschen beschäftigte. Dessen Sohn Urban festigte das internationale Renomme des Namens Jürgensen Uhren weiter. Seine Taschenuhren, Marinechronometer und Präzisions-Pendeluhren standen auf höchstem technischen und handwerklichen Niveau. Da konnte es nicht ausbleiben, dass auch dessen Söhne Louis Urban und Jules I. das Uhrmacherhandwerk erlernten. Als sie die Firma 1830 übernahmen, gaben sie ihr den Namen Urban Jürgensen Sonner (Urban Jürgensen Söhne). 1834 trat Jules I. die übliche Studienreise an. Der abgeschiedene Jura faszinierte ihn so sehr, dass er 1836 beschloss, für immer dort zu bleiben. Traditionsgemäß kam auch für seine beiden Söhne nur der Uhrmacherberuf in Betracht. Ab 1872 lenkte in Folge Jules II. Frederic die Geschicke.
Wiederum nach dessen Tod nahm Bruder Jacques Alfred als letztes Mitglied der Jürgensen’schen Uhrmacherdynastie das Ruder in die Hand. Doch die Geschäfte liefen nicht mehr gut und 1912 endete die gut 150-jährige Familientradition.
Die Übernahme durch Charles Heuer II.
Bis 1916 hatte Alfreds Witwe das Sagen, dann verkaufte sie Inventar und Marke an den ehemaligen Betriebsleiter David-Auguste Golay. Bei ihm handelte es sich einem Brief Charles Heuers II. zufolge „um einen begnadeten Uhrmacher, aber alles andere als einen Geschäftsmann. … Mir scheint, dass Herr Golay seine Uhren mehr zum eigenen Ruhme denn für jemand anderen fertigt.“ Deshalb blieb ihm der nötige Erfolg versagt. Den Kollaps konnte er nur per Verkauf abwenden.
Dies war der Moment für Edouard Heuer & Co.. Er übernahm die Firma am 22. Juli 1919 mit einem Scheck über die erstaunlich hohe Summe von 90 000 Franken. Damit war Charles-A. Heuer in den Besitz der Namensrechte an Jules Jürgensen, Copenhagen gelangt. Neben dem immateriellen Wert erhielt Heuer jedoch auch einiges an Sachwerten: In Produktion befindliche Uhren (Repetitionen, Schleppzeiger-Chronographen, Kalendermodelle) für 66 728 Franken sowie fertige Uhren einschließlich 4,011 Kilogramm an Goldgehäusen für 47335 Franken. Schließlich gingen auch ein stattliches Museum, Dokumente, Diplome und zahlreiche Medaillen in Heuers Eigentum über. Sicherlich kein schlechter Kauf.
Aufschwung
Den ersten großen Jürgensen-Auftritt konnte Charles-A. Heuer im Rahmen der ersten Schweizerischen Uhrenausstellung feiern. In Genf trugen zwei Vitrinen den Schriftzug „Jules Jürgensen“. Neben eleganten ultraflachen Taschenuhren und Top-Chronographen gab es auch museale Stücke zu sehen. Und die erfüllten den neuen Firmeninhaber Heuer mit besonderem Stolz. Die gut betuchten Kunden lebten übrigens zumeist in den USA und hier hatte die Marke eine erhebliches Ansehen.
So berichtete der Agent Henry Freund aus der USA am 8. Dezember 1921 folgende Geschichte in die Schweiz:
„Gestern gegen Mittag rief mich ein Juwelier von der 41. Straße, Ecke 8. Avenue an. Er fragte nach einigen Jürgensen Schleppzeiger-Chronographen mit Minutenrepetition für einen Kunden namens George Rickard. Dabei handelte es sich angeblich um den Bruder des berühmten Tex Rickard, Promoter des Carpentier-Dernpsy-Fights, Eigentümer des Madison Square Gardens. Jener George Rickard wollte um zwei Uhr nach Havanna segeln.
Weil ich diesen Rickard gerne kennen lernen wollte, marschierte ich selbst mit vier Uhren los. Der Juwelier empfing mich in seinem winzigen Geschäft und sagte, der Kunde warte im Astor-Hotel auf ihn. Wenn er ihn dort nicht finden würde, solle er zum Madison Square Garden gehen. Der Juwelier bat mich, ihn zu begleiten, denn er hatte Angst, allein mit vier Uhren á 600 Dollar unterwegs zu sein.
Zu allem bereit – und bewaffnet
Also ging ich mit ihm, der eine Pistole in der Tasche trug, zu besagtem Hotel. Auch dort zeigte sich der kleine Juwelier sehr vorsichtig. Zuerst fragte er nach dem Hoteldetektiv, der schon nach kurzer Zeit zum Schutz erschien. Erst dann ließen wir George Rickard vom Boy ausrufen, doch der antwortete nicht. Danach fragten wir, ob ein Mann mit diesem Namen als Gast im Hotel registriert sei. Auch das war nicht der Fall. Also riefen wir bei Tex Rickard im Madison Square Garden an. Der teilte uns kurzerhand mit, dass er keinen Bruder dieses Namens besäße und die ganze Angelegenheit ein Missverständnis sein müsse. Ich vermute, dass der Schwindler sehr wohl in der Hotel-Lobby saß. Als er den Juwelier und seine Begleitung sah, ignorierte er jedoch den Ausruf.“
Das Ganze würde eine gute Anzeige in einer Zeitung abgeben!
Ob Henry Freund diese Story jemals publizierte, ist nicht bekannt. Dafür erschien 1927 im „Goldenen Buch der Uhrmacherei“ das abgebildete Inserat für eine der extraflachen Gold-Taschenuhren. „Der anspruchsvolle Sportsmann“ konnte sich damals an rechteckigen Armbanduhren in Platin, 18 Karat Gelb- oder Weißgold erfreuen. Den Damen der High Society offerierte Jürgensen feine, meist mit Brillanten besetzte Schmuck-Armbanduhren. Die Sonne strahlte unentwegt auf Heuer und Jürgensen. So hätte es durchaus weiter gehen können, wenn da nicht der 24. Oktober 1929 gewesen wäre. Der so genannte „Schwarze Freitag“ an der New Yorker Wall Street ließ die Aktienkurse beinahe ins Bodenlose sinken. Und damit neigte sich auch die Kurve der Jürgensen-Umsätze immer stärker nach unten. 1932 musste Heuer nicht nur das schlechteste Umsatzjahr in der Firmengeschichte, sondern auch ein kostspieliges Lager von mehr als 50 unverkäuflichen Jürgensen-Uhren verkraften. Ein Jahr später sah er sich gezwungen, 24 dieser wertvollen Zeitmesser bei der Bieler Volksbank als Sicherheit zu deponieren.
Königlicher Empfang
Den letzten Jürgensen-Höhepunkt hatte das Jahr 1930 markiert. Dazu das Blatt „Die Schweizer Uhr“:
„König Christian X. von Dänemark empfing am 12. Mai in Christiansborg, Kopenhagen, Herrn Hubert B. Heuer, Direktor der Jules Jürgensen Watch Co., Biel, in Audienz. Diese Ehre wird wohl selten einem ausländischen Uhrenfabrikanten zuteil. Bei dieser Gelegenheit überreichte Herr Heuer dem König zum Andenken an den 100. Todestag von Urban Jürgensen, dem berühmten dänischen Uhrmacher und Erfinder, einen Jules-Jürgensen-Taschenchronometer. Das 17-linige Jürgensen-Taschenuhrwerk von höchster Qualität (21 Steine) ist in ein 18-karätiges grüngoldenes Bassingehäuse eingepasst, der Deckel mit der königlichen Krone und dem Monogramm des Königs in Farben fein emailliert.“ Hubert B. Heuer schilderte seine diesbezüglichen Erlebnisse folgendermaßen: „Um zehn Uhr gingen wir zur Audienz. Wir hinterließen unsere Mäntel an der Garderobe und begaben uns in den Audienzsaal, wo bereits 60 Menschen warteten (Offiziere von Armee und Marine, Diplomaten und Ritter des Königlichen Ordens). Wir mussten uns am Empfang registrieren lassen. Nachdem wir zwei Stunden ausgeharrt hatten, wurden wir in die Zimmer vorgelassen, wo wir Hände schütteln mussten. Wunderbar, wie im Kino!!! … Zurück im Hotel tranken wir eine Flasche Pommery … Es war ein wunderbarer Tag, den ich niemals vergessen werde.“
Jules Jürgensen
Am 31. Oktober 1936 unterbreitete Louis Aisenstein, Vizepräsident der Aisenstein-Woronok & Sons Inc., New York, ein nahezu unwiderstehliches Angebot: Er wolle Jules Jürgensen samt Museum, Lager und in Produktion befindlicher Ware erwerben. Nach gerade einmal 15 Minuten war der Vertrag über einen Kaufpreis von 80000 Schweizer Franken unterzeichnet. Auch der Makler Billy Ogough ging nicht leer aus. Für seine Vermittlungsbemühungen erhielt er eine ultraflache Platin-Taschenuhr mit der Signatur „Jules Jürgensen“. Fortan residierte das Luxusuhr-Unternehmen im New Yorker Rockefeller Center.
Ob die Marke unter anderer Regie womöglich mehr Fortune gehabt hätte – wir werden es nie wissen.
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