Geneva Watch Days 2023
Beginnen möchte ich die 6. Uhrenkosmos Wochenschau in Genf . Da gingen vergangene Woche die Geneva Watch Days über die Bühne. Mein Partner Wolfgang Winter und ich haben uns für ein paar Tage in die Rhône-Metropole begeben, um dort Neuvorstellungen anzusehen und haptisch zu erleben. Eine dieser Neuheiten, die Oris Aquis Pro 4000m möchte in dieser Wochenschau ausführlicher vorstellen. Den Dienstag des Trips in die Uhr-Schweiz nutzte ich aber auch für einen ausgiebigen Besuch bei Kenissi und Tudor.
Kenissi assembliert bekanntlich mechanische Werke für Tudor und derzeit sechs andere Uhrenmarken. Im angrenzenden Gebäude montiert, reguliert und testet Tudor per annum mehrere Hunderttausend Zeitmesser für den Weltmarkt. Über beide Fertigungsstätten werde ich in Kürze ausgiebig berichten.
Natürlich stellte ein Thema während der Genfer Watch Days alles in den Schatten: Der Erwerb des Uhren- und Schmuckhändlers Bucherer durch Rolex. In diesem Zusammenhang warten wir im Uhrenkosmos mit einigen erhellenden Zahlen und Grafiken auf.
Rolex, Bucherer, Swatch Group, LVMH und Richemont
Viele Gespräche drehten sich neben interessanten Neuheiten (wir hatten hier auf Uhrenkosmos ja bereits die Ulysse Nardin Blast Free Wheel Marquetry, die Frederique Constant Classic Power Reserve Big Date sowie die Maurice Lacroix Aikon Skeleton Urban Tribe bereits vorgestellt) in Genf um die künftige Vertriebspolitik des Genfer Uhrengiganten mit einem geschätzten Marktanteil von gut 30 Prozent.
Wie ich schon in der vergangenen 5. Uhrenkosmos Wochenschau zum Ausdruck brachte, wird Rolex nicht an seinen traditionellen Einzelhandelspartnern rütteln. Warum hier etwas verändern, was seit Jahrzehnten zum Wohl aller im Großen und Ganzen gut funktionierte. Wer sich an die natürlich von Rolex vorgegebenen Spielregeln hält, dürfte bis auf Weiteres grundsätzlich nichts zu befürchten haben.
Vielleicht erhöht Rolex die Allokationen für Bucherer, denn dort resultiert der mit Abstand größte Teil des erzielten Gewinns aus dem Verkauf von Rolex-Armbanduhren. Das solcherart verdiente Geld fließt ergo wieder zurück nach Genf. Außenstehenden bleiben die Zuteilungen an Rolex Uhren sowieso verborgen.
Meiner Meinung nach werden CEO Jean-Frédéric Dufour und seine Mannschaft ihre langjährigen unmittelbaren Kunden definitiv nicht verhungern und verdursten lassen. Man weiß um die Machtposition und geht deshalb behutsam damit um. Eine Reaktion gab es übrigens schon von Carl F. Bucherer. Die künftig dritte Uhrenmarke im Bunde wird ihr bisheriges Einstiegspreissegment verlassen und sich auf Produkte konzentrieren, die nicht mit Rolex und Tudor in Wettbewerb treten. Der Durchschnittspreis soll künftig bei 8.000 bis 10.000 Schweizerfranken liegen.
Sinkflug
Ganz anders gestalten sich die Dinge bei Uhrenfabrikanten, welche im Wettbewerb mit Rolex und der rapide aufstrebenden Tochter Tudor stehen. Die Namen Omega und Longines habe ich in der zurückliegenden Wochenschau bereits erwähnt. Beide Marken befinden sich unter dem Dach der Swatch Group, welche im Vergleich mit Rolex und anderen Gruppen geschäftlich eher mäßig abgeschnitten hat. Beim Marktanteil musste die Swatch Group ihre Pole Position durch den Verlust von rund zehn Prozent an Rolex abtreten. Mit knapp 20 Prozent rangiert der seit 2003 von G. Nick Hayek geleitete Konzern nur noch ganz knapp vor der Richemont-Gruppe.
Nicht nur in der Bieler Chefetage dürfte ein Artikel über den zigarrenrauchenden CEO für Aufregung gesorgt haben, welcher in Genf kursierte und dort zumeist mit Häme zur Kenntnis genommen wurde. Unter der Überschrift „Nick Hayek Jr: Jeden Trend verschlafen“ ging insideparadeplatz.ch mit dem meist recht disruptiv auftretenden Firmenlenker ins Gericht. Wer sich für die Meinung dieser Plattform interessiert, kann die ziemlich gnadenlose Abrechnung mit dem Sohn eines übermächtigen Vaters durch Klick auf den Link nachlesen.
Beim Blick auf die von Morgan Stanley und Luxe Consult ermittelten Zahlen der vergangenen fünf Jahre zeigt sich, dass Rolex 4,25 Milliarden Schweizerfranken gewonnen, die Swatch Group mit ihrem breit gefächerten Markenportfolio hingegen beinahe 800 Millionen Franken an Umsatz verloren hat. Rein rechnerisch beträgt der Gap also rund fünf Milliarden Schweizerfranken.
Gegenüber 2017 ist Omega nur um 130 Millionen Franken gewachsen. Tudor hat 290 Millionen Franken zugelegt, Patek Philippe 450, Breitling 500, Richard Mille 980, Audemars Piguet 1.020 und Cartier sogar 1.087 Millionen. Breguet, das Luxus-Flaggschiff der Swatch Group hat 215 Millionen Franken verloren. Bei Tissot sind es 300 und bei Longines stattliche 442 Millionen Franken. Demzufolge fällt die Bilanz für Nick Hayek und seine Swatch Group sehr ernüchternd aus.
Kein Wunder also, dass sich der Aktienkurs nach dem Tod des Vaters und der Übernahme durch den Sohn vor 20 Jahren im Vergleich mit anderen Luxusmarken ungenügend entwickelt hat. 2013 hatte die Swatch Group AG 8,82 Milliarden Schweizerfranken Umsatz ausgewiesen, 2022 waren es nur noch 7,5 Milliarden. Auch ohne Tudor liegt alleine Rolex 1,8 Milliarden Franken darüber.
Was tun, sprach Zeus
Nach dem sicher schon vor Jahren eingefädelten Deal zwischen Rolex und Bucherer dürfte der Swatch Group also nolens volens gar nichts anderes übrigbleiben, als ihre Marken abzuziehen. Nur allzu leicht kann Rolex unter Zuhilfenahme künstlicher Intelligenz anhand der verfügbaren Daten aussagekräftige Bilder zeichnen. Und das ist sicher ebenso wenig im Sinn der Swatch Group wie die weitere Bereicherung des deutlich größeren Mitbewerbers. Alternativen dürften beispielsweise für Omega in Deutschland gar nicht so leicht zu finden sein, nachdem die Zusammenarbeit mit Wempe, Rüschenbeck und anderen namhaften Fachhändlern wenig freundschaftlich geendet hat. Vielleicht müssen die Statthalter dort nun wieder zu Kreuze kriechen. Oder die Swatch Group baut ihr bisher wenig erfolgreiches eigenes Einzelhandelsgeschäft weiter aus. Wunder lassen sich auf diesem schwierigen Terrain jedoch von heute auf morgen nicht erwarten. So gesehen könnte es also gut sein, dass die Umsätze der Swatch Group im Geschäftsjahr 2023/2024 wieder sinken werden. Zumal das Potenzial der Moonswatch inzwischen ziemlich ausgereizt und der Hype merklich abgeflacht ist. Phantasiepreise gehören der Vergangenheit an. Mittlerweile bekommt man die Uhr mit Plastik-Keramik-Schale und Quarzwerk immer öfter zum normalen Ladenpreis. Wer am Parallelmarkt mehr zahlt, ist selber schuld.
LVMH und Richemont
Zum Schmunzeln brachte mich in Genf übrigens die wenig plausible Aussage eines Mitarbeiters der LVMH-Gruppe. Er, der seinen Namen aus verständlichen Gründen hier nicht lesen möchte, betonte allen Ernstes, dass sein Arbeitgeber das Haus Bucherer dem Primus Rolex beinahe vor der Nase weggeschnappt hätte.
Hier wird verkannt, dass es beim Verkauf von Bucherer an Rolex nicht um viele Milliarden Schweizerfranken ging, die der gesundheitlich angeschlagene Jörg G. Bucherer mit seinen 87 Jahren ohnehin nicht mehr ausgeben kann. Durch den Deal rückten zwei sehr traditionsreiche und aus eigener Kraft zu einsamer Größe gewachsene Schweizer Branchengrößen ganz eng zusammen. Franzosen haben dazwischen keinen Platz.
Chancenlos wäre auch Richemont gewesen. Im Genfer Campus wird sich CEO Jérôme Lambert ebenfalls Gedanken machen, wie er mit A. Lange & Söhne, Baume & Mercier, Cartier, IWC, Jaeger-LeCoultre, Vacheron Constantin oder Panerai in Zukunft verfahren will. Er muss entscheiden, ob er Bucherer/Rolex durch den Vertrieb seiner Marken zusätzlich die Taschen füllen soll.
Allerdings ist Richemont auf dem Gebiet eigener Boutiquen deutlich besser aufgestellt als die Swatch Group. Manche davon werden jedoch von Bucherer betrieben. Ob sie bleiben oder nicht, lässt sich derzeit schwer absehen. Mit Rolex im Rücken ist Bucherer auf jeden Fall in der weitaus stärkeren Position. Angesichts der Stärke der Krone wird der Verlust exklusiver Verkaufsstellen für Uhren von Jaeger-LeCoultre oder Vacheron Constantin das Haus Bucherer nicht in die Tiefe reißen.
Tauchbolide von Oris: AquisPro 4.000m
Echt in die Tiefe geht es dagegen bei Oris. Eine Neuvorstellung möchte ich unserer geschätzten Leserschaft in unserer Uhrenkosmos Wochenschau nicht vorenthalten. Im wahrsten Wortsinn taucht die AquisPro 4000m deutlich tiefer ab, als jede Oris zuvor. Wenn es um Stückzahlen und Umsatz geht, steht diese gleichermaßen markante wie zuverlässige Aquis-Kollektion beim unabhängigen Hölsteiner Unternehmen ganz oben.
Natürlich braucht niemand eine derart voluminöse Unterwasser-Begleiterin, der selbst 400 bar Druck nicht das Geringste anhaben können. Aber sicher ist bekanntlich sicher. Bis zu 4000 Metern Tauchtiefe ist das hauseigene Automatikkaliber so sicher aufgehoben wie das Gold in Fort Knox. Rein theoretisch hält die 49,5 Millimeter messende Schale auch noch deutlich mehr aus, denn Oris lässt die AquisPro zur Sicherheit auf einen höheren Druck prüfen.
Ein guter Teil der stattlichen Gehäusehöhe geht aufs Konto des beidseitig gewölbten und innen entspiegelten Saphirglases. Zusammen mit Profis hat Oris das Rotationssicherheitssystem der Titan-Lünette entwickelt. Analog zu Sicherheitsverschlüssen bei Flaschen lässt sich der Tauchzeit-Glasrand nur mit einigem Druck entgegen dem Uhrzeigersinn bewegen. Aus kratzfester Keramik besteht das blaue Inlay mit auffallender Minuten-Indexierung.
Von selbst mag sich verstehen, dass die Aufzugs- und Zeigerstellkrone mit dem Gehäusekorpus verschraubt und ein Heliumventil mit von der Partie ist. Angesichts des hohen Grades an Wasserdichtigkeit, gibt es auch keinen Sichtboden. Der hätte den Boliden am Handgelenk noch stärker auftragen lassen.
Hinter dem massiven Titan-Schraubboden, den eine Skala zur Umrechnung von Meter in Foot und umgekehrt ziert, kommt das hauseigene Oris Calibre 400 über und unter Wasser zum Einsatz. Die Werte des selbst entwickelten Langläufers mit fünf Tagen Gangautonomie hat der Uhrenkosmos in diesem Artikel ausführlich beschrieben. Nähere Erläuterungen sind also nicht nötig.
Zu den Ausstattungsmerkmalen der relativ moderate 195 Gramm wiegenden Armbanduhr gehört reichlich Super-LumiNova Leuchtmasse. Folglich bereitet das Ablesen bei widrigen Sichtverhältnissen keine Probleme. Mitgedacht hat Oris auch beim Kautschukband. Dank eines Verlängerungssystems der Sicherheitsfaltschließe lässt sich die Länge des Kautschukbands am Handgelenk ganz leicht anpassen. Freude kommt schließlich auch bei den 10 Jahren Garantie auf, welche Oris diesem Newcomer mit kunstvoll gestaltetem blauen Zifferblatt angedeihen lässt.
Nach dieser langen Zeitspanne wird der erste Service fällig. Erhältlich ist die Oris AquisPro ab sofort für 5.700 Euro. Die Tauchsaison ist schließlich noch nicht zu Ende. Am Bartresen oder im Flugzeug wird das Gerät ebenfalls für Gesprächsstoff sorgen.
Uhrenkosmos Wochenschau
In der 5. Uhrenkosmos Wochenschau war die dominierende Meldung natürlich die Übernahme von Bucherer durch Rolex und ein Einblick in echte und möglicher Hintergründe dieser außergewöhnlichen Transaktion, die die Uhrenbranche aufrüttelte. Zudem berichten wir über einen B-Uhr Chronographen der Watch Angels. Wer diese Wochenschau von Uhrenkosmos verpasst hat, der kann diese hier nachlesen.
Die besten Uhren aller Marken , die nicht wie Lemminge Rolex folgen sind doch Breguet Blancpain HarryWinston Glashütte Original Jac Droz
Lange& Sohn Omega Tissot und vieles mehr bis swatch . Was sagt mir das; Swatch Group deckt für alle etwas ab.
Wir schreiben gerne über Uhren und ihre Technik. Dabei haben wir hohen Respekt vor allen Swatch Marken und ihren Erfolgen – wobei Lange&Söhne wohl der Richmont Gruppe zuzuordnen ist. Gleichzeitig wollen und können wir nicht bewerten, was die „besten“ Uhrenmarken sind. Jedem das Seine, pflegt man zu sagen. Entsprechend soll jeder Uhrenliebhaber seine Uhr finden, die ihm zusagt.
Gleichzeitig gilt es jedoch auch den wirtschaftlichen Erfolg anhand der Zahlen neutral zu bewerten. Und da macht Rolex schon einen bemerkenswert guten Job.
🙂
Salü lieber Gisbert, danke für Deinen interessanten Artikel über Rolex/Bucherer und die Diagramme (PP immerhin auf Rang 5!).
Ich sitze im Liegestuhl in der Uhr-Schweiz (allerdings „nur“ im Berner Oberland), aber mit Blick auf die Jungfrau, beste Grüsse von Jürgen Trebin