Rückkehr ans Handgelenk
Nach etwas Ruhepause feiert die Uhrenlinie Parmigiani Fleurier Toric ihr erfolgreiches Comeback. Und zwar einmal als Toric Petite Seconde und zum anderen, deutlich komplizierter, als Toric Chronographe Rattrapante. Den tickenden Newcomern sieht man die Handschrift von Guido Terreni deutlich an. Unaufdringliche Eleganz bedeutet für den aus Norditalien stammenden CEO ungemein viel. Seine Philosophie des diskreten Luxus hat er konsequent von der ungemein erfolgreichen Tonda PF auf die komplett überarbeitete Toric übertragen.
Beim Rückblick auf die nunmehr 28-jährige Geschichte des 1996 von Michel Parmigiani ins Leben gerufenen Unternehmens, erkennt man schnell die Bedeutung der nun mit gründlich überarbeiteter Optik wiederbelebten Armbanduhr. In der Firmenbiographie gehört die Toric zu den Premierenmodellen. An den Verkauf seiner Uhren im etablierten Fachhandel dachte damals weder der Firmengründer noch die Sandoz-Stiftung, welche das Ganze finanzierte.
Die Vertriebsstruktur zielte darauf, zahlungskräftige Kunden im Rahmen gediegener und natürlich von Luxus geprägten Events einzuladen. Die erste Veranstaltung dieser Art ging in Lausanne über die Bühne. Und dort begegnete ich damals auch der Parmigiani Fleurier Toric mit automatischem Uhrwerk. Vergleicht man das runde Erstlingswerk mit dem, was Guido Terreni nun daraus gemacht hat, wird die beträchtliche Evolution der Uhr bemerkbar.
Mit der neuen Toric wollen wir keinen steifen ästhetischen Code vorgeben, der in die Vergangenheit zurückreicht. Wir müssen uns vorwärtsbewegen. Es gibt Herren, die sich elegant kleiden, aber dem Formellen keine überragende Bedeutung beimessen. Sie schätzen komfortable Anzüge, spielen mit Farben. Es ist keine Mode, sondern ein Langzeittrend. Man weiß sich zu kleiden. Das gilt eben auch für die Uhrmacherkunst.
Geblieben ist natürlich die augenfällige Kannelierung des Glasrands. Sie kann als wesentliches Charakteristikum dieser Uhrenlinie gelten. Unter anderem aus ihr leitet sich der Wiedererkennungswert ab. Anfangs stachen sogar zwei Ringe auf der Lünette ins Auge. Aber dieses Gestaltungsmerkmal zog ein relativ kleines Zifferblatt nach sich. Womöglich ein Missverhältnis, möchte man heute sagen und es war der Ästhetik des Ganzen nicht unbedingt zuträglich. Deshalb bekam die zweite Generation einen schmaleren Glasrand mit nur einem kannelierten Ring und ein größeres Zifferblatt.
Übrigens leitet sich der Modellname Toric ab von dorischen Säulen, deren Erscheinungsbild von Kanneluren geprägt ist. Zu den gestalterischen Merkmalen der ersten beiden Toric-Generationen gehörten des Weiteren guillochierte Zifferblätter, ein markantes querovales Logo sowie Stunden- und Minutenzeiger mit ausdruckstarken Spitzen. All das musste bei Guido Terreni auf den Prüfstand.
Ziel war eine von distinguierter Eleganz geprägte Armbanduhr für solche Zeit-Genossen, welche eine Alternative zur Tonda PF mit ihrem Gliederband suchen. Bei dieser Gelegenheit denkt man spontan an Menschen in Mailand, woher Guido Terreni (seine Philosophie erklärt er hier im Interview auf Uhrenkosmos) stammt, oder Turin. Dunkelgraue oder -blaue Anzüge spielen dort inzwischen keine dominierende Rolle mehr. Eher lässige Eleganz und der Mut zu Farben prägen in jenen gehobenen Kreisen das Geschehen, welche Parmigiani Fleurier zur Zielgruppe erkoren hat.
Parmigiani Fleurier Toric
Bei aller handwerklichen Wertigkeit passt die klassische Guillochierung nicht mehr zum Stil der Parmigiani Fleurier Toric Zifferblätter. Auf der Suche nach einer nicht minder anspruchsvollen Alternative wandte sich Guido Terreni an den einschlägig erfahrenen Michel Parmigiani. Von ihm erwartete er sich die in Gegenwart und Zukunft transferierbare Tradition. Und der CEO wurde fündig. Körnung lautet das Gebot der Stunde.
Aber keine Körnung der groben Art, sondern eine feine matte Textur, die sich dem Betrachter erst bei genauem Hinsehen erschließt. Beim angewendeten Verfahren bringen kunstfertige Handwerker manuell eine homogene Paste aus Weinstein, zerstoßenem Meersalz, Silber und entmineralisiertem Wasser sorgfältig auf.
Das Finish der Toric-Zifferblätter ist von besonderer Qualität. Es ist miniaturisiert und beinahe unsichtbar. Aber es ist da. Die von uns verwendete, manuell ausgeführte Technik führt zu einer diskreten Körnung. Das ist außergewöhnlich. Auf den ersten Blick meint man, ein glattes Zifferblatt vor Augen zu haben. Aber dem ist eben nicht so.
Die nach dem Facelift deutlich größere Scheibe des Zifferblatts besteht aus Massivgold. Selbiges scheint beim Modell mit kleinem Sekundenzeiger durch die vier kleinen Indexstriche im abgesetzten kreisrunden Feld oberhalb der „6“. Dass auch die neu gestalteten Zeiger und die kurzen Indexe aus Gold bestehen, ist fast keiner Rede wert. Bleibt das dezente, ebenfalls von Guido Terreni eingeführte PF-Logo. Es unterstreicht die inzwischen geübte Zurückhaltung. Wahre Connaisseurs brauchen keine große Signatur. Sie erkennen das Besondere auch ohne ein augenfälliges Emblem.
Edelmetalle
Gold an sich ist für Guido Terreni kein wahrer Luxus, sondern die Art, wie Parmigiani Fleurier damit umgeht. Wer durch den Sichtboden das aus 157 Komponenten assemblierte Handaufzugskaliber PF780 betrachtet, entdeckt ebenfalls das farblich warme Edelmetall, aus dem Schwester Vaucher die Platine, die große Federhausbrücke sowie den kleineren Räderwerkskloben fräst.
Auf einen klassischen Streifenschliff hat Parmigiani bewusst zugunsten eines moderneren Rautenmusters vom Typ Côtes de Fleurier verzichtet. Stündlich 28.800 vollzieht die Unruh mit variabler Trägheit. Das Schwing- und Hemmungssystem liefert AtoKalpa, eine weitere Parmigiani-Schwester zu. Energie für rund 60 Stunden Gangautonomie liefern zwei parallel wirkende Federhäuser.
Bei der überarbeiteten Toric haben wir uns entschlossen, ausschließlich Handaufzugswerke zu verwenden. Selbige sind ein Statement. Außerdem nutzen wir hier nur Uhrwerke mit Platinen, Brücken und Kloben aus massivem Gold.
Schutz bis zu drei bar Wasserdruck bietet das 40,6 Millimeter große und 8,8 Millimeter hoch bauende Roségoldgehäuse. Dessen klare, von Minimalismus geprägte Linienführung zeugt ebenfalls von gestalterischer Sorgfalt bei der Weiterentwicklung. Hervorstehende oder scharfgezogene Kanten lassen sich nicht erspüren. Optik und Haptik stehen aus jeder Perspektive im Zeichen fließender Geschmeidigkeit.
Bleibt das Armband. Hier musste Parmigiani Fleurier auf den üblichen Hoflieferanten Hermès verzichten, weil der sich weder auf Alligatorleder mit Nubuk-Oberfläche noch auf den feinen Schneiderstich versteht. Die „punto a mano“-Nahttechnik gilt als Domäne renommierter Schneidereien in Neapel. Übrigens ist diese Naht nicht nur ein optisches Erkennungszeichen, sondern sie steigert auch den Tragekomfort des Anzugs. Die verwendeten Pastelltöne sind durchaus überraschend. Aber sie passen zu den unaufdringlich disruptiven Farben moderner Kleidungsstücke.
Nun könnte es durchaus sein, dass die roségoldene Ausführung der Parmigiani Toric Petite Seconde, Preis 50 600 Euro, manchen Menschen trotz ihrer zurückhaltenden Erscheinung immer noch zu auffällig ist. Für sie hat Parmigiani Fleurier ein Pendant mit Platinschale geschaffen. Diese ist erhältlich für 58 400 Euro.
Stopper mit Zwischenstopp
Mindestens zwei Stufen über diesen Armbanduhren rangiert der ebenfalls völlig neu gestaltete Toric Chronographe Rattrapante. Von diesem Stopper mit Einholzeiger gibt es nur 30 Roségold-Exemplare. Für unverbindliche 151.600 Euro erhalten Komplikationen-Freaks eine Roségoldschale mit 42,5 mm Durchmesser. Am Handgelenk trägt sie wegen der aufwändigen Mechanik 14,4 Millimeter auf.
Die Geschichte des Handaufzugskalibers PF361 begann zum 20. Firmenjubiläum Jubiläum im Jahr 2016. 2017 erhielt Parmigiani für diese konstruktive und uhrmacherische Leistung eine Auszeichnung beim Grand Prix d’Horlogerie de Genève. Der insgesamt sechs Jahre währende Weg zu diesem komplexen Uhrwerk war unter anderem dem Perfektionsdrang von Michel Parmigiani geschuldet.
Einen integrierten Chronographen mit Schleppzeiger zu konstruieren und zur Serienreife zu entwickeln, ist fünf Mal schwieriger als ein Tourbillon. Bei einem Chronographen müssen nämlich unglaublich viele Komponenten funktional perfekt zusammenwirken. Fällt nur ein kleines Teil aus oder ist eine Baugruppe falsch justiert, versagt der Stoppmechanismus seinen Dienst.
Das runde Oeuvre besitzt eine stabile, in der Höhe justierbare Unruhbrücke, eine Unruh mit variablem Trägheitsmoment, eine frei schwingende Unruhspirale aus eigener AtoKalpa-Produktion, fünf Hertz Unruhfrequenz für präzise Zehntelsekunden-Stoppgenauigkeit sowie eine Permanentsekunde bei „6“.
Zu den technischen Merkmalen des integrierten Stoppers gehören je ein Schaltrad für den Chronographen und die zusätzliche Schleppzeiger-Funktion mit klassischem Zangenmechanismus, vertikale Friktionskupplung sowie 30-Minuten- und 12-Stunden-Zähler. Bei 30,6 Millimetern Durchmesser baut der Mikrokosmos mit durchbrochen gestaltetem Gestell aus 18-karätigem Roségold insgesamt 8,45 Millimeter hoch.
Nachdem Guido Terreni für die neue Toric aus ästhetischen Gründen auf das grundsätzlich vorhandene Großdatum verzichtet, genügen 285 Komponenten für ein Exemplar höchster Chronographenkunst.
Wunderschönes Design!