Ein besonderes Jahr
Die letzten 12 Monate waren für die gesamte Uhrenindustrie herausfordernd. Auch für Karl-Friedrich Scheufele, seines Zeichens Co-Präsident Chopard, waren es herausfordernde Zeiten, in denen sich die Märke in nie dagewesener Weise veränderten und der digitale Wandel das Geschäft wie die Messen prägten. Gleichzeitig war es eine Zeit, in der sich starke Marken erfolgreich behaupten konnten und sich im Falle von Chopard das Engagement in die eigene L.U.Chopard Kaliber-Manufaktur bezahlt machte. Wir wollten von Karl-Friedrich Scheufele wissen, wo Chopard in diesen unruhigen Zeiten steht und wie er auf 25 der Chopard-eigenen Kaliberproduktion zurückblickt.
Uhrenkosmos: Starten wir mit einer zeitgemäßen Frage, lieber Herr Scheufele: Wie sind Sie durch die Krise gekommen mit Chopard und mit L.U.C?
Karl-Friedrich Scheufele: Also den Umständen entsprechend haben wir die Krise, ich sag es mal so, ganz gut gemeistert. Wir haben keine Federn gelassen.
Sie haben ja viele Boutiquen, von denen Sie wahrscheinlich einige vorübergehend schließen mussten während der Corona-Zeit.
Ja, wir hatten viele Boutiquen, die zeitweise geschlossen waren. Und wir hatten geöffnete Boutiquen. Es war ein bisschen chaotisch. Trotz Homeoffice hatte ich noch mehr zu tun als sonst.
Sie sind ja eh ein unermüdlicher Schaffer. Der Wahnsinn, kann ich nur sagen.
Ja, es war wirklich eine besondere Zeit, in der man sich auch noch mit Hausbesitzern rumschlagen musste, welche nicht unbedingt sehr sympathisch waren.
Wenig kulant?
Sie sagen es. Insbesondere in München an der Maximilianstraße
Ist das ein privater Vermieter ….
…. nein es ist ein Investment-Fonds, mehr brauche ich dazu nicht sagen.
Hyänen also, oder Heuschrecken oder so was Ähnliches?
Exakt. Aber wir haben es soweit ganz gut geschafft. Und Gott sei Dank sind wir in China gut unterwegs. Dort haben wir auch einen Teil der hier rückläufigen Verkäufe kompensieren können.
Wie waren die Auswirkungen bei Schmuck und Uhren? Gleichermaßen betroffen?
Die Uhren waren auf jeden Fall stärker betroffen, Andererseits haben dieses Jahr schon mehr Schmuck verkauft als 2019.
Und bei den Uhren?
Da sind wir jetzt schon wieder ganz gut im Rennen. Wir haben auf jeden Fall viel gelernt.
Zum Beispiel?
Wir haben gelernt, digital zu arbeiten. Dabei haben wir gesehen, dass man eigentlich nicht mehr so viel reisen muss wie früher.
Das ist doch ein positiver Aspekt vor allem für Sie, der ja sehr viel in aller Welt unterwegs war.
Richtig. Man kann so viel wirklich digital machen und manche Reisen sind wirklich überflüssig geworden. Diesbezüglich glaube ich auch, dass wir einiges aus diesen Erfahrungen beibehalten werden. Wir haben gelernt mit Blick auf Digitalisierung.
Apropos digital: Wie ist den retrospektiv betrachtet Ihr Eindruck von der virtuellen Watches & Wonders Uhrenmesse. Waren Sie grosso modo zufrieden? Ich habe einige negative Kommentare gehört.
Also die Erwartungshaltung war wahnsinnig hoch die Realität konnte dann nicht im gleichen Maße überzeugen. Das Programm war viel zu gedrängt. Ich bin zusammen mit Jean-Fred Dufour ja auch Beirat von der Watches & Wonders. Ja, was soll ich sagen, man hat die Möglichkeiten irgendwie überschätzt. Man kann nicht davon ausgehen, dass das Auditorium jeden Tag 24 Stunden vor dem Bildschirm sitzen mag?
Da gebe ich Ihnen recht. Irgendwann habe ich auch abgeschaltet, wenn mir der ganze Marketing-Sprech zu viel wurde. Am Ende kamen die wirklich interessanten Aspekte zu kurz.
Es war definitiv ein Lernprozess. Und ich hoffe natürlich, dass nächstes Jahr wieder eine echte Messe stattfinden kann. Das Virtuelle kann natürlich keine klassische Messe ersetzen.
Haben Sie denn die Intention, 2021 noch Road Shows durchzuführen? Uhren und Schmuck sind emotionale Produkte, die man auch haptisch erleben muss. Dieses Element fehlt bei einer virtuellen Messe total.
Wir haben die Kollektion, wo immer möglich, in die verschiedenen Länder und Regionen geschickt. Dort haben sich unsere Teams um Produktvorlagen bei unseren Geschäftspartnern und bei Journalisten bemüht.
Hoffentlich kommen die Uhren auch noch nach München.
Die Anregung nehme ich gerne auf. Wir werden eine Lösung finden.
Kommen wir zu 25 Jahren L.U.C. Sie feiern heuer ein großes Jubiläum, obwohl Sie ja schon vor 28 Jahren mit der Entwicklung Ihrer eigenen Kaliber begonnen haben. Wie sehen Sie Ihre Manufaktur-Aktivitäten retrospektiv? Haben sie dieses ambitionierte Projekt irgendwann bereut? Oder spreche ich mit einem glücklichen Menschen?
Weder das Engagement noch das Projekt selbst habe ich auch nur einen Tag bereut. Alles war grundsätzlich richtig. Vielleicht hätte man die eine oder andere Entscheidung rückblickend nicht oder nicht mehr so mehr getroffen, vielleicht wäre man da und dort schneller vorangeschritten. Was weiß ich. Aber alles in allem bereue ich absolut nichts. Ganz im Gegenteil, ich bin sehr glücklich, dass wir das alles so durchgezogen haben, und dass ich mich dabei nicht beirren ließ.
Die Zukunft auf zugekaufte Werke zu bauen, wäre doch wirklich nicht der richtige Weg für Chopard gewesen
Anfangs war noch die Möglichkeit gegeben, Uhrwerke problemlos einzukaufen. Aber die Lage hat sich bekanntlich im frühen 21. Jahrhundert sehr stark geändert. Und spätestens da lagen wir mit unserem Projekt absolut richtig. Wir sind nicht den einfachen, sondern den deutlich schwierigeren Weg gegangen. Und der hat sich als der richtige erwiesen. Intern war es nicht immer ganz einfach zu erklären, warum man sich die Mühe macht, das alles so und nicht anders aufzuziehen. Aber mit Blick auf den Fluss von technischem Knowhow, die gewonnene Unabhängigkeit oder auch die Authentizität, welche wir in unsere Produkte einfließen lassen konnten und können, haben wir vor mehr als 25 Jahren die richtige Entscheidung getroffen.
Wenn Sie sagen, manchmal hätte es schneller gehen können, muss ich Ihren größten Respekt zollen, welche Vielfalt an Basiskalibern und Derivaten Sie während nur 25 Jahren auf die Beine gestellt haben. Schneller kann man das doch fast nicht machen. Sie sind mit Sieben-Meilen-Stiefeln vorangeschritten. Andere brauchen da viel länger.
Sie kennen mich, ich bin halt immer ein bisschen ungeduldig.
Ja, das weiß ich, aber dennoch glaube ich, dass es keinen Grund gibt, auch nur einen Moment zu hadern. Irgendwann war mal von 8 000 L.U.C Uhrwerken die Rede. Wo stehen wir heute?
Also die Kapazität bei L.U.C hat sich hat sich nicht verändert. Aber was sich natürlich unglaublich verändert hat, ist die Kapazität bei Fleurier Ebauches. Da sind wir heute bei jährlich 50 000 Uhrwerken angekommen.
Und die entstehen auch tatsächlich nebenan in der neuen Manufaktur?
Ja, die entstehen. Aber das ist natürlich eine andere, parallele Schiene. Wir sprechen von industrialisierter Produktion, welche wir im Laufe der Jahre systematisch optimiert haben. Dieses Projekt war im Nachhinein genauso spannend wie die Errichtung der traditionell handwerklichen Schiene bei der L.U.C Manufaktur.
L.U.C Fleurier Ebauches
Chopard haben ja viele sportliche Uhrenlinien angefangen bei Alpine Eagle über Happy Sport bis hin zu Mille Miglia. Früher haben Sie die mit Eta-Uhrwerken ausgestattet. Heute finden sich in vielen Uhren eigene Werke. Wie ist die Resonanz bei Ihren Kundinnen und Kunden?
Vor allem bei der neuen Linie Chopard Alpine Eagle kommen die eigenen Uhrwerke sehr gut an. Auch den Damen-Versionen, in denen unser kleines Automatikwerk zu finden ist. Dazu kommt der Chronograph mit Manufakturkaliber. Außerdem werden wir im Lauf des Jahres etwas aufleben lassen, wonach Sie mich schon oft gefragt haben.
Acht Hertz, acht Hertz, liege ich da richtig?
Lassen Sie es mich so sagen: Sie werden überrascht sein. Es wird auf jeden Fall eine spezielle Serie bei der Alpine Eagle geben.
Können Sie eine Hausnummer nennen? In wie viel Prozent Ihrer mechanischen Uhren finden sich noch zugekaufte Werke?
Es sind 20 bis 25 Prozent.
Wow, das ist eine erfreuliche Entwicklung.
Schauen wir nochmals auf L.U.C. Wie viele Basiskaliber und Derivate davon sind In den letzten 25 Jahren entstanden?
Wenn Sie mal wieder nach Fleurier kommen, werden Sie eine große Wand zu sehen bekommen, wo wir alle unsere Uhrwerke zeigen. Bei den Derivaten sind wir in der Größenordnung von etwa 100 angekommen. Die Zahl der Basiskaliber ohne irgendwelche weiteren Zusatzfunktionen liegt bei rund zehn.
Sie haben bei L.U.C ja ein Kaliber mit GMT-Funktion. Kommt so etwas eigentlich auch bei Fleurier Ebauches?
Also jetzt muss ich aufpassen, denn ich darf ja nicht zu viel erzählen. Aber Sie können sicher sein, dass wir an so etwas schon arbeiten.
Aber denken Sie bitte daran, dass Sie einem solchen Kaliber von Fleurier Ebauches einen unabhängig verstellbaren 12-Stunden-Zeiger spendieren. Dieses Merkmal müssen die Techniker einmal in ein Basiswerk integrieren, dann war es das. So etwas könnte ein für Vielflieger sinnvolles Standard-Feature werden.
Eine gute Idee, ja
Ferdinand Berthoud
Wie sieht es denn bei Ihrem dritten Kind, dem Ferdinand Berthoud aus? Da haben Sie in den letzten Jahren ebenfalls eine großartige Entwicklung hingelegt.
Nächstes Jahr steht ein Kaliber an, welches einerseits etwas erschwinglicher sein wird, zum anderen aber technisch und uhrmacherisch nicht minder interessant.
Wo wollen Sie hin? Ich würde auf etwa 100.000 tippen.
Im Moment bewegen wir uns bei Ferdinand Berthoud in der gehobenen Sportwagenklasse. Mit dem neuen Werk wollen wir in die Klasse gehobener Limousinen. Sie liegen mit Ihrer Vermutung also richtig.
Es bleibt also weiterhin sehr exklusiv, Herr Scheufele, wenn ich Sie richtig interpretiere?
Ja, denn das ist ja das grundlegende Konzept von Ferdinand Berthoud. Wir haben keine Ambitionen, jedes Jahr Hunderte von Uhren zu bauen. Wir bewegen uns im Moment immer noch zwischen 30 und 40, höchstens aber 50. Mit dem neuen Werk werden wir dann bei etwa 80 pro Jahr liegen.
Können Sie was zur Berthoud-Zielgruppe sagen?
Auf jeden Fall sind das sehr Uhr-affine Menschen, die sich in irgendeiner Weise mit der Geschichte und der Biographie dieses berühmten Uhrmachers auseinandergesetzt haben. Aber es sind definitiv keine show-off-Typen, die mit ihrer zugegebenermaßen recht teuren Armbanduhr angeben wollen.
Wenn ich Berthoud z.B. mit einer Marke vergleiche, die sich mit ihren Uhren auch an Lamborghini Fahrer wendet – das sind definitiv nicht unsere Kunden.
Das denke ich mir auch. Wir reden von zwei Welten. Berthoud ist etwas für den distinguierten Kenner, der sich eine Berthoud wegen ihrer technischen Raffinesse und der handwerklichen Sorgfalt bis ins letzte Detail kauft.
Sie sprachen eben von Autos. Hat sich bei Ihrer Oldtimer-Sammlung etwas getan?
Ja, in Frankreich habe ich mir eine Ente gekauft. Eine von 1957. Sehr spartanisch.
Hatte ich auch mal. 13 PS, wenn ich recht erinnere
Ja, man muss immer rechtzeitig runterschalten. Das Auto besitzt ganz spartanische Sitze und ganz dünnes Blech. Aber um ein bisschen um die Weinberge zu kurven, ist dieses Auto einfach ideal.
Apropos Weinberge: Wie ist der letzte Jahrgang ausgefallen?
Das einzig Gute an 2020 war der Wein.
Wann liefern Sie die ersten Flaschen?
Die sind schon erhältlich.
Und natürlich alles biodynamisch erzeugt, ganz nach Ihrer Philosophie.
Seit 2018 ja.
Wo sehen Sie den Unterschied zwischen Uhren und Wein?
Bei den Uhren können Sie die Produktion irgendwie steuern, beeinflussen. Da liegt alles in Ihrer Hand und der Ihrer Mitarbeiter. Beim Wein haben Sie einen sehr speziellen Mitarbeiter. Und der heißt Natur. Dem sind Sie komplett ausgeliefert. Der ist nämlich in jeder Hinsicht stärker als Sie.
Reden wir zum Schluss noch ganz kurz über Ihren Sohn Karl-Fritz. Der hat ja bei der Alpine Eagle einen sehr bemerkenswerten Start hingelegt. Wann sehen wir mehr von ihm?
Karl-Fritz muss jetzt erst einmal seine Hotelfachschule beenden. Ich glaube, im Juni hat er wieder ein Examen. Und dann überlegt er sich, noch ein Jahr zusätzlich zu studieren. Ich will ihn pro-aktiv nicht davon abhalten, aber ich fördere das Ganze auch nicht, weil ich hoffe, dass er dann vielleicht doch ein bisschen schneller in die Firma kommt.
Ich hatte den Eindruck, dass Ihr Sohn ganz klare Vorstellungen und Visionen besitzt. Ausbildung schadet ja nie. Aber Sie werden den richtigen Weg finden. Wichtig ist letzten Endes, dass Ihr Sohn Spaß an Uhren und der Uhrmacherei hat. Ganz so, wie sein Vater.
Danke für das Gespräch, Herr Scheufele.
Karl-Friedrich Scheufele
Wieviele Leidenschaft und Sorgfalt Karl-Friedrich Scheufele der Chopard Kollektion angedeihen lässt, war bei der letzten physisch stattgefundenen Basler Uhrenmesse zu spüren.
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