Als am 21. Oktober 2011 auf der kleinen Isle of Man die Totenglocke für George Daniels schlug, waren sich Uhrenliebhaber wie die Konstrukteure aller großen Uhrenmarken in seltener Form einig: Mit dem 85-jährigen englischen Uhrmacher, war einer der größten Uhrmacher der letzten 100 Jahre gestorben. Denn Daniels, der seit dem Jahre 1982 etwas zurückgezogen auf der rauen Isle of Man lebte, beherrschte nicht nur als einer von wenigen Uhrmachern alle 34 einzelne Handwerke, die für den Bau einer mechanischen hochwertigen Uhr erforderlich sind. Er hinterließ mit der Erfindung der Co-Axial-Hemmung ein epochale Erfindung, die den Bau moderner Uhrwerke nachhaltig prägte.
Dabei mutet die Anzahl der von ihm gebauten Uhren eher bescheiden an. Da Daniels jedoch seine Uhren, unabhängig vom Grad der Komplexität oder der verwendeten Materialien, von Anfang bis Ende selbst baute, war jede seiner Uhren eine Meisterleistung.
George Daniels
Geboren wurde George Daniels in Edgware, Middlesex im Jahre 1926. Sein Vater, ein eher derber Zimmermann, hatte seine liebe Not, seine Frau und die 11 Kinder über Wasser zu halten. Insbesondere, da der aufbrausende Mann das Wenige, was er verdiente, im Pub durchbrachte. Folgerichtig genoss Daniels nur eine einfache Schulbildung und suchte sich seine Inspirationen selbst.
Darunter befand sich, oft zitierten Quellen nach, eine einfache, eingeschränkt funktionsfähige Taschenuhr, die er im Hause fand und öffnete. Es war ein neuer, komplexer, gleichwohl geordneter Kosmos, der sich vor Daniels auftat und seine Neugierde wie Leidenschaft für Uhrwerke war geweckt.
Von nun an beschäftigte er sich über Tage und Wochen mit Uhren wie anderen technischen Dingen, indem er sie auseinanderbaute und wieder zusammensetzte. Trotz seines Talents lag jedoch ein höherer, teurer Schulabschluss für Daniels in weiter Ferne. Vielmehr hatte er, wie für arme Familien nicht unüblich, mit 14 die Schule zu verlassen und durch Jobs das Einkommen der Familie zu verbessern.
Ausbildung
Bevor sich George Daniels weitere Gedanken um seine Zukunft machen konnte, brach der II. Weltkrieg über das Land herein und als junger Mann hatte er seinen Wehrdienst zu absolvieren. Er wurde im Jahr 1944 eingezogen und in den Mittleren Osten versetzt. Doch selbst dort ließ ihn die Uhrmacherei nicht los und im Nu durfte er sich in seiner Einheit um die Reparatur von Technik wie Uhren kümmmern. Nach dem Ende des II. Weltkriegs kehrte Daniels nach London zurück und fand eine Anstellung in einem Uhrmachergeschäft. Allerdings war Daniels von Anbeginn an kein klassischer Uhrmacherlehrling, vielmehr reparierte er als Mitte Zwanzigjähriger bereits wie ein gelernter Uhrmacher die Uhren, die zur Revision oder Reparatur gebracht wurden.
Er hatte sein geregeltes Einkommen und einen sicheren Job. Daniels erkannte jedoch, dass er zwar viel Arbeit hatte, jedoch kaum noch etwas hinzulernte. Deshalb buchte der Autodiktat am Northampton Institute einen Kurs in Uhrmacherei. Es war keine einfache Zeit. Daniels musste neben seiner gewöhnlichen Tätigkeit drei Jahre lang an drei Abenden die Woche die Schulbank drücken. Doch im Jahr 1953 war es schließlich so weit. Daniels baute aus Komponenten mit eigenem Input seine erste Uhr, einen Marine Chronometer, und bestand die Abschlussprüfung. Nun konnte er sich fortan „Watchmaker“ nennen.
Dieser Abschluss blieb übrigens die einzige formale Uhrmacherausbildung, die Daniels je abgeschlossen hat.
The British Horological Institute
Der Wissensdurst des jungen Uhrmachers war durch diese Ausbildung noch lange nicht gestillt und so wurde George Daniels „Fellow“ am renommierten British Horological Institute. Schließlich war dem jungen Uhrmacher der Unterschied zwischen einem „Watchmaker“, jemandem, der Uhren reparierte, und einem „Clockmaker“, jemandem, der Uhren baute, sehr wohl bewusst.
Dieser Schritt, Fellow des 1858 in Newark, Nottinghamshire gegründeten The British Horological Institute zu werden, brachte viele Vorteile mit sich. Denn die berufsständische Organisation, die sich auf die Förderung und die Erhaltung der Uhrmacherkunst in Großbritannien konzentrierte, bot nicht nur die Möglichkeit der Ausbildung und Weiterbildung sowie umfangreiche Fachliteratur. Das Institut veranstaltete auch viele Kongresse und Fortbildungen, bei denen George Daniels seine Kenntnisse vertiefte, bzw. sich schnell einen Namen unter Uhrenliebhabern und Sammlern machte.
George Daniels Uhrengeschäft
Entsprechend war es keine Überraschung, als Daniels drei Jahre später den Weg in die Selbstständigkeit suchte und ein eigenes Geschäft für Uhrenreparaturen aller Art eröffnete. Insbesondere die Restaurierung alter Uhren eröffnete George Daniels einen neuen Kosmos. Er lernte beim Restaurieren dieser Uhren, wie die berühmten Uhrmacher vor seiner Zeit Uhren konstruierten und welche technischen Lösungen sie hierbei ersannen. Die Instandsetzung nicht mehr hergestellter Uhren und Uhrwerke brachte außerdem mit sich, dass Daniels neue Teile oft von Hand anfertigen musste, da für viele alte Uhren keine Ersatzteile erhältlich waren.
Schnell hatte Daniels den Ruf, auch komplizierteste Uhren perfekt wiederherstellen zu können und die Sammler historisch wertvoller Uhren gaben sich in Daniels Uhrengeschäft die Klinke in die Hand. Daniels wiederum perfektionierte seine uhrmacherischen Fähigkeiten und sparte das notwendige Kapital an, um weiter an seinem großen Traum zu arbeiten: Der Herstellung eigener George Daniels Uhren.
Sein großes Vorbild war Abraham Louis Breguet. Er studierte dessen Uhren und Arbeitsprinzipien und eiferte dem berühmten Uhrmacher nach, nachdem er sich im Zuge der Restaurierung einer historischen Breguet Uhr intensiv mit dessen Arbeit auseinandersetzte.
George Daniels Uhren
Nachdem der begnadete Uhrmacher und Restaurator sich einen Namen in der Szene gemacht hatte, bzw. er genügend Kapital für den Bau seiner ersten Uhr zusammen hatte, machte er sich ans Werk. Zugutekam Daniels, dass er mit dem gleichermaßen leidenschaftlichen wie vermögenden Uhrensammler Sam Clutton einen Uhrenliebhaber an der Hand hatte, der ihm im Jahre 1969 seine erste, gänzlich von Hand hergestellte Uhr für den für damalige Verhältnisse ausnehmend hohen Preis von 2.000 Pfund abkaufte. Er öffnete Daniels, der mit ihm die Leidenschaft für Oldtimer teilte, überdies die Türen in die Kreise der potenten Sammler, die sich schnell für diese Uhren interessierten, bei denen jedes Teil von Hand gefertigt wurde und jede Uhr ein Unikat blieb.
In den Jahre 1969 bis zur Jahrtausendwende erschuf George Daniels so insgesamt die erstaunlich kleine Anzahl von 27 Uhren, wobei noch knapp 10 weitere Prototypen hinzuzuzählen wären. Diese Modelle waren fast ausschließlich Taschenuhren, darunter einige Modelle mit großen Komplikationen. Wenn man jedoch berücksichtigt, dass George Daniels für jede dieser Uhren im Schnitt ein knappes Jahr brauchte, erscheint die Zahl fast schon wieder viel.
Durch den enormen manuellen Aufwand war der Preis für eine George Daniels Uhr hoch. Gleichwohl konnte sich der Uhrmacher, der sich im Jahre 1981 auf die Isle of Man zurückgezogen hatte, die Kunden auswählen, denen er bereit war, einen Uhr anzufertigen. Überdies bot die Isle of Man, abgesehen von einer vorteilhaften steuerlichen Konstellation, den Vorteil, dass sich Daniels seiner zweiten Leidenschaft intensiv widmen konnte – der Restaurierung und dem Fahren von seltenen Oldtimern.
Co-Axial Hemmung
Auch wenn George Daniels keinem klassischen Bildungskanon entsprach, war er doch ein leidenschaftlicher Leser und späterer Autor von profunden Uhrenbüchern. Er beschäftigte sich zudem intensiv mit der technischen Weiterentwicklung von Uhrwerken. So gelang ihm im Jahr 1974 die Erfindung einer neuen, wirklich revolutionären Hemmung, die er im Jahre 1976 in dem Modell Atwood der Öffentlichkeit vorstellte. Im Jahr 1980 erfolgte dann die Patentierung.
Allerdings blieb die Skepsis der Uhrenindustrie hoch und es dauerte bis in die späten 80er Jahre, bis Nicolas Hayek das Potential der Co-Axial-Hemmung genannten Erfindung erkannte und George Daniels das Patent abkaufte. Das Optimieren und die industrielle Umsetzung der Fertigung dauerte dann noch bis ins Jahr 1999. Dann war es schließlich so weit und die erste hochpreisige Omega mit Co-Axial-Hemmung wurde bei der Basler Uhren- und Schmuckmesse einem weiten Kreis von Uhrenliebhabern vorgestellt. (Einen Beitrag über die neue Omega Constellation Master-Chronometer mit Co-Axial-Hemmung gibt es hier.)
Diese erkannten bald die Vorteile der innovativen Co-Axial-Hemmung. Denn da die George Daniels Hemmung die Reibung der Ankerradzähne und Ankerpaletten verringert, benötigt eine Co-Axial-Hemmung weniger Öl im Werk und bietet überdies eine höhere Präzision. Ein Nebeneffekt dessen ist der Umstand, dass die Alterung des Werks durch eine Co-Axial-Hemmung verlangsamt wird.
Es lässt sich somit mit Fug und Recht behaupten, dass die Erfindung der ausnehmend genauen und beständigen Co-Axial-Hemmung einer der größten Erfindungen des letzten Jahrhunderts war.
Berühmte George Daniels Uhren
Auch wenn es in Summe inklusiv der Prototypen je nach Quelle nicht mehr als 37 oder gar nur 34 Uhren waren, die Daniels herstellte und diese meist direkt an Sammler verkauft wurden, haben es doch einige George Daniels Uhren zur Berühmtheit geschafft. Darunter vor allem die Space Traveller’s Watch, oder Modelle mit Tourbillon-Minutenrepetition und Zeitgleichung. Bei all diesen Modellen besticht nicht nur ihre technische Komplexität und Perfektion, sondern auch der Umstand, dass alle Teile vom Gehäuse bis zur kleinsten Schraube von George Daniels einzeln von Hand hergestellt wurden.
Es war eine fast unglaubliche Leistung und womöglich auch die Erklärung dafür, wie aus dem Autodidakten Daniels einer der größten Uhrmacher seiner Zeiten wurde. Der Erfolg von Daniels hatte jedoch eine weitere, höchst erfreuliche Begleiterscheinung. Viele jungen Uhrmacher sahen die unglaublichen Uhren und ihren Erfolg bei Sammlern und Uhrenliebhabern. Es war der Beweis, dass es auch in der Neuzeit Platz für kleine, kreative und vor allem unabhängige Uhrmacher geben konnte.
Ab Ende der 90er Jahre und nach seinem Tod wurden auch Kleinserien von George Daniels Uhren gebaut, die zwar das die Konstruktionsform von Daniels nutzten, jedoch nicht von ihm persönlich umgesetzt wurden. So entstanden insgesamt 60 George Daniels Millenium Modelle, bei denen eine automatisches Kaliber mit einer von Omega gelieferten Co-Axial-Hemmung ausgestattet wurden. Ebenso 35 George Daniels Anniversary Modelle, die ebenfalls aus der Hand des Uhrmachers Roger Smith stammten.
Dieser wurde von Daniels ausgebildet und sorgte dafür, dass weitere Daniels Modelle in Umlauf kamen. Smith erhielt jedoch auch die Aufgabe, mit den Erlösen der Versteigerungen seiner Automobil- und Motorradsammlung wie der außergewöhnlichen Uhrensammlung von Daniels sein Vermächtnis zu wahren. Diese von Smith hergestellten Modelle sind in den letzten Jahren bei Versteigerungen von Christies und Phillips gehandelt worden. Und obwohl es keine Einzelstücke waren, erzielten selbst diese Uhren bei den Versteigerungen erstaunliche Ergebnisse.
Vermächtnis
Daniels selbst war sich seiner herausgehobenen Position durchaus bewusst. Umso wichtiger war ihm, als sein persönliches Erbe, weiter für die unabhängige Uhrmacherei einzutreten. Er sorgte dafür, dass nach seinem Tod sein Vermögen einer Stiftung zuteilwurde. Die George Daniels Educational Trust Einrichtung kümmert sich heute um ambitionierte Auszubildende und Studenten, die nicht über die notwendigen Mittel verfügen, um ihre Ziele wie Forschungsdrang in den Bereichen Uhrmacherei, Ingenieurwesen oder Medizin verfolgen zu können.
Ganz im Sinne des genialen Uhrmachers, der sich selbst die Uhrmacherei beibrachte und mit der Erfindung der Co-Axial-Hemmung ein neues Kapitel der Uhrmacherei aufschlug – und ganz nebenbei die Wiederauferstehung der unabhängigen, kleinen Luxus-Uhrenmarken beflügelte.
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